Erwin Villain

Erwin Villain

Erwin Villain (* 3. November 1898 in Köpenick bei Berlin; † 1. Juli 1934 in Berlin-Lichterfelde) war ein deutscher Mediziner und SA-Offizier.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend, Erster Weltkrieg und Studium

Erwin Villain wuchs als Sohn des Konrektors Robert Villain in Köpenick auf. Nach dem Besuch der Volksschule wurde er an Realgymnasien in Köpenick und Oberschöneweide unterrichtet. Das letztere verließ er im November 1916 mit dem Reifezeugnis für die Oberprima als er zur Preußischen Armee einberufen wurde.

Nach der Ausbildung beim 3. Garde-Regiment zu Fuß nahm Villain ab Mai 1917 mit dem Reserve-Infanterie-Regiment 202 aktiv am Ersten Weltkrieg tei. Bereits im August 1917 wurde er am Chemin-des-Dames durch einen Granatsplitter schwer verletzt, so dass er den Rest des Krieges in Lazarettbehandlung bleiben musste. Während dieser Zeit nahm er den Schulbesuch wieder auf, den er zu Ostern 1918 mit dem Bestehen der Reifeprüfung am Hindenburg-Gymnasium in Berlin-Oberschöneweide erfolgreich abschloss. Zum Sommersemester 1918 schrieb Villain sich an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität zum Studium der Medizin ein. Zu seinen Studienkollegen an der Berliner Hochschule gehörte unter anderen auch Villains späterer Rivale Leonardo Conti. Im Februar 1919 folgte nach dem Ausheilen seiner Verwundung Villains offizielle Entlassung aus der Armee.

Zu Ostern 1920 bestand Villain die ärztliche Vorprüfung und im Dezember 1923 das ärztliche Staatsexamen. Anschließend war er von Dezember 1923 bis zum 1. April 1924 am Pathologischen Institut der Charité und vom 1. April bis zum 1. Oktober 1924 sechs Monate lang an der Poliklinik der II Medizinischen Klinik der Charité tätig. Bis zur Approbation, die er am 23. Dezember 1924 erhielt, war Villain bei der Chirurgischen Klinik in der Ziegelstraße beschäftigt, bei der er in der Folgezeit noch einige Monate als Volontärassistent arbeitete.

Im Frühling 1925 schloss Villain an der Medizinischen Hochschule der Friedrich Wilhelms Universität seine Promotion zum Dr. med. ab. In seiner Dissertation, die dem beigefügten Lebenslauf zufolge am 30. März 1925 fertig gestellt wurde, befasste Villain sich auf Anregung von Dr. Ullmann mit der Frage der Farbstoffausscheidung im Magen.

Tätigkeit als Arzt und SA-Stabsarzt

Nach dem Studium praktizierte Villain in Berlin. Ende der 1920er Jahre schloss Villain sich dort der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) an und trat auch der Parteiarmee der NSDAP bei, der sogenannten Sturmabteilung (SA). Als Mitglied des Nationalsozialistischen Ärztebundes (NSDÄB) bemühte Villain sich, nationalsozialistische Ideen in den ständischen Verbindungen der Berliner Ärzteschaft durchzusetzen. Für die SA übernahm Villain den Posten eines Standartenarztes für die SA-Standarte von Köpenick.

Im November 1931 wurde Villain zusammen mit Conti, inzwischen ebenfalls ein prominenter „Partei-Arzt“ der NSDAP, in die Berliner Ärztekammer gewählt. Unmittelbar vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ im Januar 1933 wurde Villain bei den Gruppenwahlen der Bezirke des Groß-Berliner Ärztebundes zum stellvertretenden Vorsitzenden der Gruppe Köpenick, Treptow und Lichtenberg ernannt. Dieses war der wichtigste der Berliner Ärzteverbände, der zugleich den Vorstand der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung bildete.

1933/34 beteiligte Villain sich in dieser Eigenschaft an der Ausschaltung politischer Gegner des Nationalsozialismus und insbesondere auch an Maßnahmen gegen jüdische Ärzte in seinem Zuständigkeitsbereich. Verschiedentlich wurde Villain außerdem mit der Reichstagsbrandstiftung im Februar 1933 in Verbindung gebracht, gelegentlich sogar als Anführer des Stoßtrupps, der den Brand gelegt haben soll.[1]

Im April 1933 wurde der Vorstand des Groß-Berliner Ärztebundes auf Veranlassung Contis, inzwischen Staatssekretär im preußischen Innenministerium, mit Ausnahme von Villain komplett ausgewechselt. An die Stelle von Villains nicht-nationalsozialistischen Kollegen traten weitere Parteigänger der NSDAP: Der kommissarische Vorstand bestand nun aus Villain, Kurt Quandt und Martin Claus.

Im Juni 1933 beteiligte Villain – der Edouard Calic zufolge als ein „erbarmungsloser Schläger gefürchtet“ war[2] – sich an der sogenannten Köpenicker Blutwoche, in deren Verlauf die Köpenicker SA einige Dutzend Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden drangsalierte und ermordete. Villain soll einen besonderen Anteil an der Ermordung von Angehörigen des sozialdemokratischen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold gehabt haben. Rudolf Diels, der erste Chef der Gestapo, berichtet in seinen Memoiren, dass Villains sich als „Spezialist“ an den „Ausprügelungen“ von Gegnern der SA beteiligt habe und die Kunst des Folterns und Misshandelns dabei durch das Zurückgreifen auf „Sammlungen von Peitschen und Marterwerkzeugen aus Eisen und stahldurchwirktem Gummi“ zur Perfektion entwickelt habe.[3] Harry Schulze-Wilde charakterisiert Villain in gleicher Weise als einen „der fürchterlichsten Sadisten“, die es je gegeben habe, der beispielsweise verhafteten Sozialdemokraten „ätzende Säuren zu trinken“ gegeben oder sie über „offenen Feuer“ geröstet habe.[4]

Angriff auf Conti, Prozess und Tod (1934)

Die alte Feindschaft Villains mit Conti eskalierte schließlich im Frühjahr 1934, als Conti sich weigerte, Villain zum Vorsitzenden und Ehrengerichtsvorsitzenden der Berliner Ärztekammer zu ernennen; ein Schritt, den Conti mit angeblichen „erheblichen Charaktermängeln“ Villains begründete.

Hintergrund dieser Entscheidung war der persönliche Groll, den Conti auf Villain hegte, weil dieser im Januar 1934 auf Veranlassung von Gerhard Wagner, dem Vorsitzenden des NSDÄB, der wie Villain der SA angehörte, zum Amtsleiter der Berliner KV ernannt worden war – ein Posten, den auch Conti gerne übernommen hätte.

Nachdem Villain von Contis Entscheidung, ihn nicht für den Posten des Vorsitzenden der Berliner Ärztekammer zu ernennen, und von der beleidigenden Begründung mit der Conti diesen Schritt rechtfertigte, erfahren hatte, forderte er diesen zum Duell auf („schwere Säbelforderung“). Conti lehnte ab. Daraufhin überfiel Villain Conti am 4. März 1934 während einer Tagung nationalsozialistischer Ärzte in München. Er attackierte Conti nachts im Flur vor seinem Hotelzimmer und verletzte ihn schwer, bevor Hotelgäste die Polizei riefen. Villain wurde festgenommen, nach kurzer Zeit jedoch auf Veranlassung des Reichsarztes der SA wieder auf freien Fuß gesetzt. Am nächsten Tag beurlaubte Wagner Villain zunächst von seinen Ämtern in Berlin.

Auf Wunsch des Preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, in dessen Innenministerium Conti arbeitete, wurde Villain bald darauf abermals festgenommen, um nach Berlin gebracht zu werden. Der Bayerische Innenminister Adolf Wagner verhinderte dies jedoch, indem er Villain auf der Zugfahrt in die Reichshauptstadt befreien ließ. Villain, der nun per Haftbefehl gesucht wurde, hielt sich - unterstützt von befreundeten Münchener SA-Ärzten - für einige Zeit in Bayern versteckt. Unter dem Schutz von SA-Führern wurde Villain nach seiner Entdeckung in Partenkirchen nach Berlin in die Wohnung des Berliner SA-Führers Ernst gebracht.

Am 4. Mai 1934 wurde Villain trotz des Widerstands der Berliner SA vor Gericht gestellt. Das Verfahren endete mit der Verurteilung Villains zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe. Villain legte Revision ein, ebenso die Staatsanwaltschaft, die die Strafe für zu mild hielt. Außerdem wurde Villain aus der NSDAP ausgeschlossen.

Das zweite Verfahren fand nicht mehr statt: Am 1. Juli wurde Villain im Rahmen der als Röhm-Putsch bekannt gewordenen politischen Säuberungswelle der Nationalsozialisten vom Frühsommer 1934 im Auftrag des Geheimen Staatspolizeiamtes durch den SS-Obersturmführer Kurt Gildisch in Köpenick verhaftet, in die Kadettenanstalt Lichterfelde verbracht und dort von einem SS-Kommando erschossen.

Schriften

  • Experimentelle Untersuchungen zur Frage der Farbstoffausscheidung im Magen, Berlin 1925 (gedruckt 1931). (Dissertation)

Literatur

Einzelnachweise

  1. Geoffrey Cocks: Psychotherapy in the Third Reich. The Göring Institute, 1997, S. 206.
  2. Edouard Calic: Reinhard Heydrich. Schlüsselfigur des dritten Reiches, 1982, S. 150.
  3. Rudolf Diels: Lucifer Ante Portas. Zwischen Severing und Heydrich, 1949, S. 278.
  4. H.S. Hegner: Die Reichskanzlei 1933-1945. Anfang und Ende des Dritten Reiches, 1966, S. 138.

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