Leonardo Conti (Mediziner)

Leonardo Conti (Mediziner)
Leonardo Conti (1939)
Leonardo Conti empfängt am 4. Mai 1943 den Abschlussbericht zur Öffnung der Massengräber in Katyn

Leonardo Ambrogio Giorgio Giovanni Conti (* 24. August 1900 in Lugano; † 6. Oktober 1945 in Nürnberg) war ein deutsch-schweizerischer Mediziner. Während der Zeit des Nationalsozialismus war er als Reichsgesundheitsführer gleichzeitig Chef der Reichsärztekammer, Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) und als Hauptdienstleiter der NSDAP Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit. Von 1937 bis 1939 war er Präsident des Weltverbandes für Sportmedizin (Fédération Internationale de Médecine du Sport, FIMS).

Inhaltsverzeichnis

Familie

Contis Vater Silvio, ein Postbeamter, war Schweizer. Seine deutsche Mutter, Nanna Conti (geb. Pauli), wurde in der Zeit des Nationalsozialismus Leiterin der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen (später: Reichshebammenschaft). Die Eltern ließen sich 1903 scheiden.

Am 22. August 1925 heiratete er Elfriede Freiin von Meerscheidt-Hüllessem (* 27. Juli 1902 in Berlin), die Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 90 829) und Trägerin des Goldenen Parteiabzeichens des NSDAP war. Sie hatten einen Sohn (* 26. Juli 1926) und drei Töchter (* 7. Februar 1928; * 26. April 1932; * 21. Juli 1935), von denen die jüngste im Kindesalter starb.

Weimarer Republik

Medizinstudium

1915 erhielt Conti die deutsche Staatsbürgerschaft. Drei Jahre später, mit Beginn der Weimarer Republik im Jahre 1918, legte er am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin ein Notabitur ab.[1] Leonardo Conti studierte von 1919 bis 1923 in Berlin und Erlangen Medizin. Während dieser Zeit war er aktiv in der völkischen Studentenbewegung engagiert. Noch während seiner Studienzeit versuchte er alle nichtinkorporierten Studenten in der Deutschen Finkenschaft, deren Mitbegründer er war, zusammenzufassen.[1] 1923 legte er sein Staatsexamen ab. Die Approbation erhielt Conti 1925; im selben Jahr promovierte er Über Weichteilplastik im Gesicht.

Völkische Bewegung

Nach seinem Abitur im Jahre 1918 stellte sich Leonardo Conti zunächst als Kriegsfreiwilliger (Kanonier) in den Dienst des Artillerie-Regiments Küstrin und begründete noch im selben Jahr den antisemitischen Kampfbund Deutscher Volksbund mit.[1] Ebenfalls 1918 wurde er Mitglied der nationalistischen Terrororganisation Organisation Consul.[1] Zunächst Mitglied in der Berliner Ortsgruppe des Deutschen Volksbundes kam er über diesen dann zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund.[2] 1921 bis 1923 war er zudem Mitglied im Wikingbund.[3]

Eintritt in die NSDAP

Im Jahr 1919 trat er der DNVP bei und 1920 nahm er am Kapp-Putsch teil. Seit 1923 war er Mitglied der Sturmabteilung der NSDAP (SA) und wurde deren erster Arzt. Zwischen 1924 und 1926 war er zudem Mitglied der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei (DVFP).[3] Im selben Zeitraum war er gleichzeitig Ortsgruppenführer der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung sowie der Deutschvölkischen Freiheitspartei in Berlin und übte Tätigkeiten im Ausschuss für Volksaufklärung und im Alldeutschen Verband aus.[3]

Nach einem Medizinalpraktikum und einer Volontärassistentenstelle arbeitete er zwischen Oktober 1925 und dem 13. Februar 1933 zunächst als praktischer Arzt, zum Schluss dann als Allgemein- und Kinderarzt in Berlin.[3] 1925 hatte er eine Niederlassung in München.

1927 siedelte er von München nach Berlin über. Im selben Jahr trat er der NSDAP bei (Mitglieds-Nr. 72.225; Träger des Goldenen Ehrenzeichens). Der spätere NS-„Märtyrer“ Horst Wessel gehörte zu seinen Patienten. Ab 1928 beteiligte er sich am Organisationsaufbau des Sanitätswesens der SA. Zusammen mit Martin Bormann und Gerhard Wagner organisierte er den Aufbau der Hilfsorganisation für Verwundete (später Hilfskasse genannt).[3] 1929 wurde er Mitbegründer des Nationalsozialistischen Deutscher Ärztebundes (NSDÄB) und Alleingründer des NSD-Ärztebundes im Gau Berlin.[3]

1930 wechselte Conti von der SA zur SS (Mitglieds-Nr. 3.982). Noch im selben Jahr wurde er Leiter des Sanitätsdienstes des Reichsparteitages in Nürnberg und ein Jahr später, 1931, Mitglied der Ärztekammer Berlin.[3] Im Mai 1932 wurde er als Abgeordneter in den Preußischen Landtag gewählt, wo er bis zu dessen Auflösung im Herbst 1933 tätig war.[3] Am 13. Februar 1933 wurde Conti in das Preußische Ministerium als Kommissar zur besonderen Verwendung durch Hermann Göring berufen.[3] Am 9. April 1933 wurde Conti aus der SS ausgeschlossen. Die Wieder-Einsetzung erfolgte rund einen Monat später am 12. Mai.[3]

Nationalsozialismus

Ministerium des Innern und Ärzteführer

Nach der Machtergreifung arbeitete Conti ehrenamtlich für das Reichsministerium des Innern. Im Februar 1934 wurde Conti Gauamtsleiter Berlin des Hauptamtes für Volksgesundheit.[3] Am 12. April 1934 wurde er von Hermann Göring zum Preußischen Staatsrat ernannt.[4] Noch im selben Jahr wurde er Abteilungsleiter für Volksgesundheit bei der NSDAP-Reichsleitung.

1935 wurde Conti SS-Oberführer zur „besonderen Verwendung“ im Stab des „Reichsführers SS“, ein Jahr später Stadtmedizinalrat in Berlin (seit dem 1. November). 1936 war er Leiter des ärztlichen Gesundheitsdienstes der Spiele der XI. Olympiade. Am 30. Januar 1938 wurde er SS-Brigadeführer.[5] 1939 wurde Conti in der Nachfolge von Gerhard Wagner zum Reichsgesundheitsführer, dann zum Reichsärzteführer und im September zum Staatssekretär als Nachfolger von Arthur Gütt im Reichsinnenministerium ernannt. Zudem übernahm er das NSDAP-Hauptamt für Volksgesundheit. Ab 1939 war er zudem Leiter des „Hauptamtes für Volksgesundheit“ und Leiter des NSD-Ärztebundes.[3] Im August 1941 wurde er Mitglied des Reichstages.[6]

Beteiligung an der T4-Aktion

Conti gehörte zu dem Personenkreis, dem im Januar 1940 im Alten Zuchthaus Brandenburg die Tötung von Menschen in einer Gaskammer und zu Vergleichszwecken die Tötung mit Injektionen vorgeführt wurde. Conti soll dabei selbst Injektionen vorgenommen haben.[7] Diese sogenannte „Brandenburger Probevergasung“ war Teil der Vorbereitungen der Aktion T4, der massenhaften Tötung von Kranken und Behinderten. Neben den „Euthanasie“-Programmen war Leonardo Conti zudem an Fleckfieberversuchen im KZ Buchenwald beteiligt.[3]

In der SS wurde Conti am 20. April 1944 zum SS-Obergruppenführer (General) befördert. Im August 1944 trat er als Reichsgesundheitsführer zurück. Am 17. Januar 1945 wurde er zum Honorarprofessor in München ernannt.[3] Eine weitere Ernennung zum Honorarprofessor an der Staatsakademie für den öffentlichen Gesundheitsdienst in Berlin folgte am 3. März 1945.

Nachkriegszeit

Am 19. Mai 1945 wurde Leonardo Conti von den Alliierten in Flensburg verhaftet. Nach der deutschen Kapitulation sollte er sich wegen seiner Verwicklung in das „Euthanasie“-Programm vor Gericht verantworten, erhängte sich aber am 6. Oktober 1945 in seiner Zelle in Nürnberg.[8]

Film

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Thomas Maibaum: Die Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse. Universität Hamburg, Dissertation im FB Medizin, 2007, S. 241. Archiv DNB
  2. Uwe Lohalm: Völkischer Radikalismus : Die Geschichte des Deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Bundes. 1919–1923. Leibniz-Verlag, Hamburg 1970, S. 444. ISBN 3-87473-000-X.
  3. a b c d e f g h i j k l m n Thomas Maibaum: Die Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse. Universität Hamburg, Dissertation im FB Medizin, 2007, S. 242.
  4. Thomas Maibaum: Die Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse. Universität Hamburg, Dissertation im FB Medizin, 2007, S. 243.
  5. Maibaum machte darauf aufmerksam, dass in der Literatur auch der 30. Januar 1939 angegeben wird, vgl. Thomas Maibaum: Die Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse. Universität Hamburg, Dissertation im FB Medizin, 2007, S. 243.
  6. Erich Stockhorst: 5000 Köpfe. VMA-Verlag, Wiesbaden 1967
  7. Aussage von Werner Heyde, zitiert in: Thomas Vormbaum (Hrsg): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Dr. Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962; BWV, Berlin 2005; ISBN 3-8305-1047-0; S. 156.
  8. In der Literatur wird auch der 8. Oktober 1945 als Datum des Selbstmords angegeben, vgl. Thomas Maibaum: Die Führerschule der deutschen Ärzteschaft Alt-Rehse. Universität Hamburg, Dissertation im FB Medizin, 2007; S. 243.

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