- Köpenicker Blutwoche
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Die Köpenicker Blutwoche fand vom 21. bis 26. Juni 1933 im Berliner Stadtteil Köpenick statt. Etwa 500 Gegner des Nationalsozialismus wurden dabei von der Köpenicker SA-Standarte 15 gefangen genommen, gedemütigt, gefoltert; einige wurden ermordet oder erlagen den Folgen der Folterungen, etliche blieben zeitlebens körperlich und psychisch gezeichnet. Erst nach der Befreiung von 1945 wurden die Täter zur Rechenschaft gezogen und gerichtlich verurteilt[1][2].
Die von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke geleitete widerrechtliche nazistische Verhaftungs- Folter- und Mordaktion sollte ein Exempel von Grausamkeit und Willkürherrschaft an politischen Gegnern statuieren. Sie folgte einige Wochen nach den Reichstagswahlen 1933, die in Berlin noch immer 1.377.000 Stimmen für SPD und KPD ergeben hatten.
Inhaltsverzeichnis
Orte und Ereignisse
Erstes Angriffsziel war die Wohnsiedlung Elsengrund am S-Bahnhof Köpenick. Als Anton Schmaus, einer der widerrechtlich Verhafteten des ersten Tages, in Notwehr drei SA-Männer niederschoss, hatten die Gewaltaktionen zuvor bereits ihren Anfang genommen. Die Gaststätten Demuth in Köpenick und Seidler im Siedlungsviertel Uhlenhorst, das ehemals dem Reichsbanner gehörende Wassersportheim in der Wendenschloßstraße sowie Bootshäuser in Grünau und das Amtsgerichtsgefängnis an der Puchanstraße waren Schauplätze, an denen sich die folgenden Quälereien ereigneten. Ein Teil der Verhafteten wurde nach Misshandlungen im Lokal Seidler ins Polizeipräsidium gebracht, von wo man manche wieder entließ.
Opfer waren Mitglieder von KPD und SPD, des Reichsbanners, des Deutschnationalen Kampfringes (DNVP), Juden, Gewerkschafter und Parteilose; unter ihnen der frühere Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin Johannes Stelling, der Reichsbannerführer Paul von Essen und der Kommunist Karl Pokern. Zahlreiche Personen starben an Verletzungen, die ihnen durch Folter zugefügt wurden, oder behielten bleibende gesundheitliche oder psychische Schäden. Die Angaben zu den Todesopfern schwanken zwischen 24 und 91, dabei bis zu 70 Vermisste. Manche Leichen der Opfer wurden in Säcken verschnürt in umliegende Gewässer und den Schmöckwitzer Wald geworfen. In den Säcken, die das Wasser der Dahme wenige Tage nach den Greueltaten nahe der Grünauer Fähre anschwemmte, wurden unter anderen die oben erwähnten Johannes Stelling, Paul von Essen und Karl Pokern identifiziert.
Am 25. Juli 1933 erging vom Reichsjustizminister Franz Gürtner für diese, wie andere mit der Machtergreifung zusammenhängende Straftaten, ein Gnadenerweis.
DDR-Prozess
Im Jahr 1950 erfolgte vom 5. Juni bis 19. Juli ein Prozess gegen 57 SA-Männer vor dem Landgericht Berlin (Ost), von denen 15 zum Tode, 13 zu lebenslanger Haft und weitere Angeklagte zu Haftstrafen zwischen fünf und fünfundzwanzig Jahren verurteilt wurden.
Nach 1990
Nachfahren eines Verurteilten verlangten 1992 eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie beriefen sich auf politische Säuberungsaktionen und stalinistische Schauprozesse in den frühen Jahren der DDR, die aus rechtsstaatlicher Sicht nicht anerkannt werden könnten. Dem Verurteilten Otto Busdorf, einem Polizeibeamten, war im Prozess von 1950 angelastet worden, er sei wegen der Vernehmung des Reichsbannerfunktionärs Paul von Essen für dessen Ermordung mitverantwortlich. Das Kammergericht in Berlin lehnte 1992 nach ausführlicher Erörterung des Urteils von 1950 die Kassation mit der Begründung ab, das Strafurteil der DDR-Justiz sei ausgewogen gewesen und nicht politisch motiviert.
Gedenken
Seit 1980 befand sich im ehemaligen Amtsgerichtsgebäude von Berlin-Köpenick in der Puchanstraße 12 ein Gedenkraum und seit 1987 die (1993 und 1995 neu strukturierte) „Gedenkstätte Köpenicker Blutwoche“. Im gesamten Stadtteil sind mehrere Gedenksteine sowie Gedenktafeln an den ehemaligen SA-Sturmlokalen und den Wohnorten einiger Opfer. Die Jugendfreizeiteinrichtung der Falken in Neukölln-Britz trägt den Namen des Opfers Anton Schmaus, der Mitglied der SAJ war und während der Blutwoche von der SA erschossen wurde.
Fallbeispiel: Anton Schmaus
Der gelernte Zimmermann Anton Schmaus, geboren am 19. April 1910 in München, unter fünf Geschwistern der zweite Sohn der Familie, gehörte der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, der SPD und seit 1931 der Reichsbannerjugend an. Sein Vater Johannes war Gewerkschaftssekretär und Reichsbannermitglied.
Die Aktionen der SA-Stürme, die als Rollkommandos, in Wäschereiautos versteckt, vor den Häusern bekannter Gegner des Nationalsozialismus im Bezirk Köpenick vorfuhren und sie in ihre Gewalt brachten, fanden am Morgen des 21. Juni 1933 ihren Höhepunkt, als mindestens 200 Personen im Laufe des Tages in SA-Lokalen misshandelt wurden.
Anton Schmaus, der sich neben seiner Berufstätigkeit in Abendkursen an einer Baufachschule weiterzubilden suchte, wurde abends am Bahnhof gewarnt. Nach Schilderungen von Willy Urban und Paul Hasche, Freunde und Nachbarn der Familie Schmaus, hatte die SA bereits um die Mittagszeit die Wohnräume der Familie überfallen und nach Vater und Sohn durchsucht. Anton wies den Rat seiner Freunde, zu fliehen, jedoch mit der Bemerkung zurück: „Ich habe die Rechtlosigkeit satt, ich will mich nicht ständig verstecken.“ (Leber/Brandt/Bracher, Das Gewissen steht auf, S. 12)
Als sich die SA in der Nacht vom 21. Juni auf den 22. Juni 1933 gewaltsam Zutritt in das Haus der Familie Schmaus verschafften - Vater Johannes war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend - stellte sich Antons Mutter, Katharina Schmaus, ihnen in den Weg, woraufhin die Eindringlinge sie mit Tritten zurückstießen und niederschlugen. Anton wurde durch die Hilferufe seiner Mutter aus dem Schlaf gerissen und sah sich auf der obersten Treppenstufe des ersten Stockwerks den heraufstürmenden SA-Leuten gegenüber. Er rief ihnen zu, dass sie das Haus verlassen sollten, andernfalls würde er schießen. Als sich die SA-Leute davon nicht abschrecken ließen, schoss Anton Schmaus. Schwer verletzt brachen drei der Angreifer zusammen und verstarben später im Krankenhaus, ein vierter wurde durch die Kugeln eines anderen SA-Mannes tödlich getroffen, was Anton nutzte, um sich mit einem Sprung aus dem Fenster ins Freie zu retten.
Nach seinem Entkommen stellte er sich freiwillig der Polizei, da die SA hinter ihm her war und die Köpenicker Polizeidienststelle die letzte, vermeintlich rechtsstaatliche Zuflucht bot. Zwei Schutzpolizisten überführten Anton ins Polizeipräsidium, wo schon eine Gruppe von etwa 30 bis 40 SA-Leuten darauf warteten, sich seiner zu bemächtigen. In dem sich anschließenden Gerangel mit den Schutzpolizisten fiel ein Schuss, der Anton eine schwere Rückenmarksverletzung mit Lähmung zufügte, an deren Folgen und weiteren Misshandlungen durch die SA er am 16. Januar 1934 im Polizeikrankenhaus im Alter von 23 Jahren starb. Antons Vater, Johannes Schmaus, wurde von der SA am 22. Juni 1933 in seinem eigenen Hause erhängt.
Literatur
- Kurt Werner/Karl Heinz Biernat: Die Köpenicker Blutwoche 1933. hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1960.
- Heinrich-Wilhelm Wörmann: Widerstand in Köpenick und Treptow. Band 9 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 1995, ISBN 3-926082-03-8.
- Geserick,Vendura,Wirth: Der Politische Mord. Die Köpenicker Blutwoche 1934 in : Zeitzeuge Tod, Spektakuläre Fälle der Berliner Gerichtsmedizin. Militzke Verlag, Leipzig 2004.
- Annedore Leber/Willy Brandt/Karl Dietrich Bracher: Das Gewissen steht auf - 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand 1933-1945. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/Main 1960.
Artikel
- Vor 70 Jahren begann in Köpenick der größte Terroreinsatz der Nazis. Die Geschichte des Anton Schmaus.
- Im Verlaufe der Köpenicker Blutwoche ab 21. Juni 1933 wurden sie in den SA-Schlägerlokalen grausam gefoltert und brutal ermordet.
- Am 22. April 2005 starb der letzte Überlebende des frühen NS-Terrors Willy Patermann im Alter von 104 Jahren
- 1946 wurde ein Ehrenmal für die Opfer der Köpenicker Blutwoche errichtet. Zum Denkmal auf dem Platz des 23. April.
Einzelnachweise
Weblinks
- Heimatmuseum Köpenick, Gedenkstätte
- Darstellung der Ereignisse (bda koepenick)
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