Expressiver Realismus

Expressiver Realismus

Der Begriff Expressiver Realismus wurde von dem 1920 in Schluckenau geborenen Kunsthistoriker Rainer Zimmermann geprägt.

"Der Expressive Realismus ist kein Stil, sondern eine künstlerische Grundhaltung. Eine Haltung, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist in der Ablehnung aller jener Stilisierungsversuche, die seit der Zeit des Jugendstils die Erscheinungsformen der Malerei beherrscht haben", schrieb Rainer Zimmermann in seinem grundlegenden Werk über die Verschollene Generation, das zuerst 1980 erschienen ist (Rainer Zimmermann, Neuauflage 1994, S. 155). Sich auf ein Zitat von Berthold Brecht berufend, proklamiert er "Realismus ist keine Formsache".

Nach Zimmermann hat die "Besinnung auf die 'persönliche Fundierung' jeder künstlerischen Aussage" bei den Künstlern der Generation, die zwischen 1890 und 1910 geboren wurde, zu einer "außerordentlichen Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten geführt, so dass diese Maler, die – außerhalb der programmatischen Richtungen der modernen Kunst stehend – so oft als 'Einzelgänger' bezeichnet worden sind'" (aaO.).

Inhaltsverzeichnis

Expressiver Realismus in der Bildenden Kunst

In den Akademien der 1920er Jahre lehrten zum Großteil noch Professoren, die aus dem ausgehenden Neunzehnten Jahrhundert kamen und der impressionistischen Maltradition verbunden waren. Julius Wohlers und Arthur Illies schufen beispielsweise als Lehrer an der Hamburger Kunstgewerbeschule einen Übergang zwischen der Freilichtmalerei des späten 19. Jahrhunderts und der expressiven realistischen Malerei nach dem Ersten Weltkrieg. In Hamburg lebte zu dieser Zeit eine ganze Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern (z.B. Fritz Flinte, Ilse Tesdorpf-Edens), die unter dem Schwerpunkt des Malerischen eine neue Sicht der Wirklichkeit suchten. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen Künstler aus den verschiedensten deutschen Städten nach Hamburg und verbanden sich mit einheimischen Künstlern zur Hamburger Sezession. Unter dem Einfluss des Spätwerkes von Edvard Munch verstärkte sich der expressive Anteil in der Malerei dieser Gruppe.

Die Kunstwissenschaft hat für die Künstler, die unter dem Einfluss des Expressionismus arbeiteten, ohne "echte" Expressionisten" zu sein, den Begriff Spätexpressionismus geprägt. Zimmermann kritisiert an dieser Begriffszuordnung, dass er der Spannweite der verschiedenartigen vom Expressionismus beeinflussten Gruppierungen nicht wirklich gerecht wird. So gab es eine durchaus malerische Ausprägung, die sich bis an die "Grenze zur Auflösung des Gegenstandes durch expressionistische Verzerrung oder radikale Abstraktion" (Zimmermann) vortastete. Am anderen Ende dieser Spannweite existierten Bilderfindungen, die "eine plastisch-dinghafte Wirklichkeit erfassen, deren Ausdrucksgehalt nur noch durch eine verhaltene Poetisierung wahrnehmbar ist" (ebd., S. 157). Die Übergänge zwischen diesen beiden Polaritäten sind fließend und oft nicht kaum wahrnehmbar.

Gesellschaftliche Umbrüche und Verfemung

Nach dem Ende des Kunststudiums mussten die Künstler der um 1900 geborenen Generation die Weltwirtschaftskrise mit Inflation und Arbeitslosigkeit erfahren. Diese Eindrücke drängten danach, künstlerisch verarbeitet zu werden. Ungegenständlich zu malen war für sie nicht der Weg, den sie gehen mochten. Sie wollten das Erlebte zu Papier und auf die Leinwand bringen. Viele Künstler setzten in dieser Zeit ihre Eindrücke in sozialkritischen Bildern um.

Es stellten sich erste Erfolge ein und positive Kritiken und Ausstellungen in renommierten Galerien folgten. Einige wenige erhielten Professuren an Kunstakademien. Aber die Zeit war zu kurz, um bei den Kunstkritikern und Sammlern einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Mit Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden zudem viele Künstler verfemt. Ihre Werke, sofern sie überhaupt schon von Galerien und Kunstsammlungen angekauft worden waren, wurden entfernt, nicht wenige bekamen Ausstellungsverbot, verloren ihre Professuren an den Kunsthochschulen. Und sie mussten zum zweiten Mal in den Krieg ziehen. Ein Großteil der Werke, die bis 1945 entstanden waren, fielen den Bomben zum Opfer. Eine große Anzahl von Künstlern, vor allem jene jüdischer Abstammung, mussten ins Exil fliehen, viele kamen durch die Naziherrschaft um.

Verschollene Generation

Überzeugt, an die Erfolge vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten anknüpfen zu können, wurden die Künstler von der nun geführten Kunstdiskussion – Figuration versus Abstrakte Kunst, in der der Maler Karl Hofer ihr wichtigster Wortführer gegen Will Grohmann, als Advokat der Abstrakten, war, bitter enttäuscht. Im Westen Deutschlands wurden zu Beginn der 1950er Jahre zuerst die ehemals verfemten Expressionisten wiederentdeckt und danach die ungegenständlich malenden Künstler von Kunstkritik, Galeristen und Museumsleuten massiv gefördert. In Ostdeutschland, ab 1949 DDR, wurde der Sozialistische Realismus als einzige Kunstrichtung vom Staat akzeptiert. Die Hoffnung auf breite Anerkennung ihrer Kunst wurde bei vielen qualitätvollen Künstlern bis zu ihrem Tod nicht erfüllt. Dennoch blieben die meisten ihrem Verständnis von Kunst treu.

Die Gegenständlichkeit ist und bleibt in der Malerei des Expressiven Realismus das zentrale Anliegen, auch wenn das Spätwerk der Künstler oft einen starken Abstraktionsgrad aufweist. Nicht umsonst haben sich die Jungen Wilden der 1980er Jahre auf ihre Vätergeneration, die Künstler des Expressiven Realismus berufen. Aufgrund ihrer Geschichte werden die Maler auch Künstler einer "Verschollenen Generation" genannt. Diesen Begriff prägte ebenfalls der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann.

Maler des Expressiven Realismus

Peter August Böckstiegel, Pierre Boffin, Jakob Bräckle, Pol Cassel, Charles Crodel, Reinhold Ewald, Hans Fähnle, Arnold Fiedler, Ernst Flege, Franz Frank, Wilhelm Geyer, Otto Griebel, Hans Grundig, Lea Grundig, Rudi Gruner, Fritz Heinsheimer, Erwin Henning, Manfred Henninger, Marianne Herberg, Paul Ibenthaler, Leo Kahn, Fritz Ketz, Wilhelm Kohlhoff, Robert Liebknecht, Joseph Loher, Joseph Mader, Leo Maillet, Willy Menz, Rudolf Möller, Bruno Müller-Linow, Otto Niemeyer-Holstein, Felix Nussbaum, Manfred Pahl, Otto Pankok, Carl Pflüger, Carl Rabus, Wolf Röhricht, Wilhelm Rudolph, Georg Schaible, Hans Schellinger, Wilhelm Schnarrenberger, Eva Schulze-Knabe, Heinrich Schwarz, Friedrich Karl Ströher, Ilse Tesdorpf-Edens, Herbert Vogt, Alfred Wais, Wolfgang von Websky, Curt Weinhold, Walther Weis, Ludwig Weninger, Karoline Wittmann, Louis Ziercke.

Museen

  • Sammlung Joseph Hierling in der Kunsthalle Schweinfurt im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad.[1]
  • Museum Baden, Kunstmuseum Solingen Betriebsgesellschaft mbH, Wuppertaler Str. 160, 42653 Solingen-Gräfrath
  • Museum Expressiver Realismus, Neues Schloss, 88349 Kißlegg/Allgäu. Das Museum Epressiver Realismus in Kißlegg existierte von 1993 bis 2005 und zeigte Teile der Sammlungen Hierling und Zimmermann. Es konnte aus finanziellen Gründen nicht mehr gehalten werden.[2] Die ausgestellten Werke wurden an die Eigentümer zurückgegeben. Ein neues Museum wurde eingerichtet, das Holzplastiken des Münchner Künstlers Rudolf Wachter (Rudolf Wachter Museum) zeigt.
  • Das Universitätsmuseum Marburg nahm die Sammlung der Familie Zimmermann auf.[2]

Literatur

  • Rainer Zimmermann: Expressiver Realismus. Malerei der verschollenen Generation. Hirmer, München 1994.
  • Verfemt – Vergessen – Wiederentdeckt. Kunst expressiver Gegenständlichkeit aus der Sammlung Gerhard Schneider. Wienand, Köln 1999. (anlässlich von Ausstellungen zum Jahrhundertwechsel in Solingen (Museum Baden) und Olpe (Kunstverein Südsauerland)
  • Sabine Kulenkampff: Im Schatten der Abstraktion. In: Franken. Magazin für Land und Leute. März/April 2009, S. 8–15.
  • Ausstellungskatalog Expressive Gegenständlichkeit. Schicksale figurativer Malerei und Graphik im 20. Jahrhundert. Werke aus der Sammlung Gerhard Schneider. Kettler, Bönen 2001. (zu Ausstellungen in Osnabrück (Kulturgeschichtliches Museum / Felix-Nussbaum-Haus, 2001), Halle an der Saale (Staatliche Galerie Moritzburg – Sachsen-Anhaltisches Landesmuseum, 2002), Hamm/Westf. (Gustav-Luebcke-Museum, 2002), Solingen (Museum Baden, 2003), Lübeck (Kunsthalle des St. Annen-Museums, bis 9. Mai 2004), Quedlinburg (Lyonel-Feininger-Galerie, 22. Mai bis 8. August 2004) Freiburg im Breisgau (Augustinermuseum, 28. August bis 31. Oktober 2004)
  • Ingrid von der Dollen, Rainer Zimmermann, Gerhard Finckh: Die Sammlung Joseph Hierling. Expressiver Realismus. In: Schweinfurter Museumsschriften 166/2009. Hrsg: Erich Schneider. ISBN 978-3-936042-49-8.

Einzelnachweise

  1. Sabine Kulenkampff: Im Schatten der Abstraktion. In: Franken. Magazin für Land und Leute. März/April 2009, S. 15.
  2. a b Sabine Kulenkampff: Im Schatten der Abstraktion. In: Franken. Magazin für Land und Leute. März/April 2009, S. 11.

Weblinks


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