Filmfabrik Wolfen

Filmfabrik Wolfen
Ehemaliges Verwaltungsgebäude
VEB Fotochemische Werke Berlin in Köpenick (heute eine eigenständige GmbH[1]) wirbt 1978 für ORWO-Röntgenfilm

1909 gründete die Agfa AG in Wolfen (jetzt Bitterfeld-Wolfen), Landkreis Anhalt-Bitterfeld, die Filmfabrik Wolfen, die später mit der Marke ORWO (Abk. für Original Wolfen) das Monopol auf die Filmherstellung in der DDR haben sollte. Neben Filmen für die Fotografie wurden auch Kinofilm für die Filmkunst, Reprografie- und Röntgenfilmmaterial sowie technische Filme und Platten hergestellt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Zur Geschichte der Agfa AG siehe auch: Agfa

Gründungszeit

Die Filmfabrik Wolfen gehörte seit ihrer Gründung im Jahr 1909 zur Aktien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (Agfa) und war ab 1925 Teil der I.G. Farben. Die Agfa Filmfabrik Wolfen wurde 1929 innerhalb der I.G. Farben Leitbetrieb der Sparte III und war somit verantwortlich für das Agfa Kamerawerk München (vormals A. Hch. Rietzschel), das Fotopapierwerk Leverkusen sowie die Faserwerke Wolfen, Premnitz und Landsberg/Warthe. 1936 stellte die Filmfabrik Wolfen den ersten praktikablen Mehrschichtenfarbfilm der Welt, den Agfacolor Neu, her, für dessen Entwicklung Gustav Wilmanns, Wilhelm Schneider und John Eggert[2] verantwortlich zeichneten. Im gleichen Jahr wurde in Wolfen mit Mitteln des Deutschen Reiches das zu diesem Zeitpunkt größte Faserwerk der Welt errichtet. Dort wurde auf Basis des einheimischen Rohstoffes Holz Cellulose hergestellt, die dann zu synthetischen Fasern weiterverarbeitet wurde. Bekannteste Kunstfaser dieser Zeit aus Wolfen ist Vistra. Der bekannte Autor Hans Dominik schrieb im Rahmen einer Werbekampagne für das neue Produkt das Buch „Vistra, das weiße Gold Deutschlands“. 1943 nahm die Filmfabrik Wolfen die Magnetbandproduktion auf, die aus technischen Gründen von der BASF in Ludwigshafen nach Wolfen verlegt wurde. Im Mai 1943 wurden die ersten SS-Aufseherinnen mit 250 weiblichen KZ-Gefangenen aus dem zentralen Frauen-KZ Ravensbrück in das neu errichtete KZ-Außenlager Wolfen bei der I.G. Farbenindustrie AG Filmfabrik abkommandiert.

Kriegsende und Nachkriegszeit

Am 20. April 1945 wurde die Filmfabrik durch die US-Streitkräfte übernommen. Es folgte eine systematische Durchsicht durch amerikanische und englische Experten. Bis zum Besatzungswechsel am 1. Juli 1945 wurden wichtige Dokumente wie Patentschriften, Rezepte, Direktionsakten und Forschungstagebücher, Spezialchemikalien und Edelmetalle beschlagnahmt. Das auf diese Weise gewonnene Fachwissen wurde der amerikanischen fotochemischen Industrie zur Verfügung gestellt. Wenige Jahre später bot Eastman Kodak einen Farbfilm an, der auf dem Wolfener Verfahren basierte. Per SMAD Befehl Nr. 156 vom 22. Juli 1946 ging die Filmfabrik Wolfen in sowjetisches Eigentum über und wurde der FOTOPLIONKA Sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) „Mineral-Düngemittel“ zugeordnet. Viele Mitarbeiter verließen die SBZ in Richtung Westen, um sich in den dortigen Agfabetrieben eine berufliche Zukunft zu suchen. In Wolfen begannen 1946 die von der SMAD angeordneten Demontagen bei gleichzeitiger Beschlagnahme der Produktion aus Reparationsgründen. 50 % der Produktionsanlagen zur Herstellung des erst seit 1936 produzierten Farbfilms wurden demontiert und nach Schostka/Ukraine verbracht, um dort das Farbfilmwerk Nr. 1 der UdSSR zu errichten. (Dabei handelte es sich um eine der wenigen „erfolgreichen“ Demontagen. Die Mehrzahl demontierter Industrieanlagen wurden in der Sowjetunion nie in Betrieb genommen.) Hierzu wurden Ingenieure und Meister aus Wolfen verpflichtet, die z. T. mit ihren Familien in die UdSSR reisten, um dort die Montage und das Anfahren der Produktion zu übernehmen.

Die Filmfabrik in der DDR

Später erfolgte eine Einordnung in die SAG „Photoplenka“, in der sich die gesamte sowjetische Rohfilmindustrie befand. Zum 31. Dezember 1953 wurde die Filmfabrik aus der SAG entlassen und firmierte nun unter VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen. Das 1958 von der DDR-Regierung beschlossene „Chemieprogramm“ brachte für Wolfen einen Ausbau der Film- und eine Reduzierung der Fasersparte. Im selben Jahr wurde Wolfen Mitglied in der neu gegründeten Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) „Chemiefaser und Fotochemie“.

1964 erfolgte die Warenzeichenumstellung von Agfa auf ORWO (Original Wolfen), um sich deutlich von der Agfa AG Leverkusen, seit 1964 Agfa-Gevaert, abzugrenzen und auch auf dem westlichen Markt keine Probleme mit der Eintragung des Warenzeichens zu haben und somit markenrechtliche Streitigkeiten, wie in den 50er Jahren, zu vermeiden.

Mit der Gründung des Fotochemischen Kombinates im Jahr 1970 wurde Wolfen dessen Stammbetrieb. Gründungsmitglieder des neuen Kombinates waren die Fotopapierwerke Dresden, Fotopapierwerke Wernigerode, Gelatinewerke Calbe, Fotochemische Werke Berlin und das Lichtpausenwerk Berlin.

Übergang in die Marktwirtschaft

1990 wurde das Fotochemische Kombinat aufgelöst und der Wolfener Stammbetrieb zum 13. Juni 1990 in die Filmfabrik Wolfen AG umgewandelt. Deren gesamtes Aktienkapital in Höhe von 230 Mio. DM hielt die Treuhandanstalt. Es folgte 1992 eine Aufspaltung der Filmfabrik Wolfen AG in die Wolfener Vermögensverwaltungsgesellschaft AG und die Filmfabrik Wolfen GmbH. Die Privatisierung der Filmfabrik Wolfen GmbH scheiterte. 1994 wurde die Liquidation des Unternehmens eingeleitet.

Neuer Eigentümer der Liquidationsmasse der Filmfabrik Wolfen GmbH wurde im Herbst 1994 der Fotoindustrielle Heinrich Manderman. Er gründete die ORWO AG, die jedoch im November 1997 ebenfalls insolvent wurde.[3]

Kleine Teile der Filmfabrik stellten sich daraufhin 1998 neu auf. Seither produziert und konfektioniert die FilmoTec technische Filme (wie Überwachungsmaterialien und Holografie) sowie schwarzweiße Cinefilme am Standort Wolfen für den gesamten Weltmarkt unter Nutzung der Marke ORWO. Die ORWO Media GmbH stieg in die digitale Fotodienstleistungsbranche ein. Die Herstellung chemischer Farbfilme hingegen wurde eingestellt.

Andere weiterbestehende Betriebsteile sind die Feinchemiehersteller ORGANICA Feinchemie GmbH Wolfen, Synthetica, FEW Chemicals, einige Folienhersteller - die alle auch Zulieferer für die optische, Elektronik- und Filmindustrie sind - und die Spezialmechanikfirma MABA.

Am 25. September 2002 wurde die ORWO Net GmbH gegründet. Sie übernahm am 1. Oktober 2003 das operative Geschäft der Vorgängergesellschaften im Fotodienstleistungsbereich und hat die Markenzeichen ORWO und PixelNet erworben.

Am 27. November 2009 erwarb die ORWO Net GmbH aus Sachsen-Anhalt die Vermögenswerte der insolventen Foto Quelle GmbH, darunter die Marke „Foto Quelle“ sowie „Revue“.[4] ORWO Net kooperierte bereits seit dem Jahr 2005 mit Foto Quelle und produzierte alle Erzeugnisse rund ums Bild.

Produkte und Verfahren

ORWOChrom UT21

Sowohl ORWO in der DDR als auch die Agfa stellten Farbfilme nach dem in den 1930er Jahren entwickelten Agfacolor-Verfahren her (diffusionsfeste Farbkuppler). Agfa-Gevaert stellte seine Filmmaterialien und Fotopapiere von 1978 (Farbnegativfilme) bis 1985 (Amateur-Farbumkehrfilme) auf das sogenannte Eastman-Color- bzw. Ektachrome-Verfahren um (ölgeschützte Farbkuppler, zum Beispiel C-41, E-6 und deren Vorgänger), wonach die Filme kompatibel mit Kodak, Fuji u.a. wurden. ORWO bereitete eine Umstellung analog zu ähnlichen Erwägungen in der UdSSR zwar vor, konnte die Umstellung aber bis zum Ende der DDR nicht mehr vollziehen,[5] was erhebliche Nachteile auf dem von Kodak dominierten Weltmarkt mit sich brachte. Das Agfa-Verfahren hatte gegenüber dem Kodak-Verfahren einige Nachteile in verschiedener Hinsicht. Die Farbstoffe (Farbkuppler) waren leicht wasserlöslich, was längere Wässerungszeiten nach der Fixage bedingte, darüber hinaus verlängerte eine aus den gleichen Gründen nicht auf das Kodak-Niveau anzuhebende Bädertemperatur die Entwicklung (25 °C gegen 37,8 °C), weshalb die Filme in vielen westlichen Industrieländern - insbesondere den nicht Agfa-dominierten - gerade ab den 1980er Jahren immer schwerer zu entwickeln waren, da viele Labors nicht für das Agfacolor-Verfahren eingerichtet waren und sinkende Preise ein Verbringen in die DDR oftmals als wenig sinnvoll erscheinen ließen. Beim Beguss der Materialien erlaubte das Agfacolor-Verfahren - wiederum der Eigenschaften der Kuppler geschuldet - nur geringere Laufgeschwindigkeiten der Maschinen. Auch konnten keine Filme hergestellt werden, deren Empfindlichkeit an die der Kodak-Filme heranreichten, was aber wohl eher dem veralteten Maschinenpark der Filmfabrik Wolfen als dem eingesetzten Verfahren geschuldet war, da die Firma Ansco bereits 1967 den nach dem Agfacolor-Verfahren arbeitenden Super Anscochrome 500 (ISO 500/28°) herausgebracht hatte. In den achtziger Jahren wurde an eigenen neuen Filmen geforscht, die nach dem Kodak-Verfahren arbeiteten. Diese wurden nach 1989 als Farbnegativfilm PR100 und QRS100 vertrieben, konnten sich jedoch trotz teils guter Testergebnisse nicht am Markt durchsetzen.

Die meistverbreiteten Schwarzweißnegativfilme trugen als Bezeichnung eine Kombination aus dem Kürzel NP (für Negativ Panchromatisch) und ihrer Empfindlichkeit in Grad DIN als nachgestellte Nummer. Angeboten wurden: NP10 (nur kurz im Handel), NP15, NP20, NP22 und NP27. Die Farbnegativfilme wurden analog mit NC (Negativ Color) und die Farbumkehr bzw. Diafilme entsprechend ihrer Abstimmung auf Tages- oder Kunstlicht mit UT (Umkehr Tageslicht) bzw. UK (Umkehr Kunstlicht) gekennzeichnet. Zur gleichen Zeit war meist nur eine Type Fotofarbnegativfilm im Handel. Anfangs war das der unmaskierte NC16 und etwas später daneben auch der NC17 Mask, die beide durch den maskierten und mit DIR-Kupplern versehenen NC19 ersetzt wurden, welchem dann als letzter vor der Umstellung auf C-41 der NC21 nachfolgte. An Diafilmen waren verschiedene Empfindlichkeiten im Handel, im Tageslichtbereich vor allem die Typen UT18 und UT21, sowie später als Ergänzung der höherempfindliche Typ UT23, im Kunstlichtbereich gab es zunächst den Typ UK17, der später durch den UK20 ersetzt wurde. Neben den Fotofilmen gab es Kine-, Röntgen und Schmalfilme, die in den Spezifikationen und Empfindlichkeiten von den Fotofilmen abwichen. Daneben stellte ORWO Fotopapiere sowie Magnetband-/Tonbandmaterial für den Amateur- und den Profibedarf einschließlich Datenspeicherung (EDV) her. Die Marke überlebte die Wende zwar nur in eingeschränkter Form, dafür aber bis heute.

Firmen-Museum

Industrie- und Filmmuseum

Das Industrie- und Filmmuseum in Wolfen (51° 39′ 24″ N, 12° 15′ 45″ O51.65658333333312.262588888889Koordinaten: 51° 39′ 24″ N, 12° 15′ 45″ O) wurde ebenfalls ausgegliedert. Es berichtet über die Geschichte der Firma Agfa und ORWO und zeigt als einziges Museum der Welt an Maschinen aus den 30er und 40er Jahren die Herstellung von Rohfilm.

Siehe auch

Literatur

  • Angelika Behnk, Ruth E. Westerwelle: Die Frauen von ORWO, Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1995, ISBN 3-378-01004-5.
  • Rainer Karlsch/Paul Werner Wagner: Die AGFA-ORWO-Story - Geschichte der Filmfabrik Wolfen und ihrer Nachfolger, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010, ISBN 978-3-942476-04-1.
  • Sebastian Kranich: Erst auf Christus hören, dann auf die Genossen. Bausoldatenbriefe: Merseburg, Wolfen, Welzow 1988/89. Projekte-Verlag 188, Halle 2006, ISBN 3-86634-125-3.
  • Silke Fengler: Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945–1990). Klartext, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0012-7.[6]

Weblinks

 Commons: Filmfabrik Wolfen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.x-ray-retina.de/unternehmen.htm Historie der FCW Berlin GmbH
  2. http://www.focus.de/kultur/kino_tv/industrie-wolfen-feiert-100-jahre-in-farbe_aid_531667.html Wolfen feiert 100 Jahre in Farbe
  3. http://www.orwonet.de/download/Laborexperiment-Druckversion.pdf
  4. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Orwo-Net-mit-Umsatzplus-und-Ausbauplaenen-1192310.html
  5. http://www.defa.de/cms/DesktopDefault.aspx?TabID=1069
  6. Vgl. Manuel Schramm: Rezension zu: Fengler, Silke: Entwickelt und fixiert. Zur Unternehmens- und Technikgeschichte der deutschen Fotoindustrie, dargestellt am Beispiel der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen (1945–1995). Essen 2009. In: H-Soz-u-Kult, 28. Januar 2010.

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