Flüssigkeitsraketentriebwerk

Flüssigkeitsraketentriebwerk
Atlas V Flüssigkeitsrakete mit Nutzlast zum Mars

Flüssigkeitsraketentriebwerke sind Reaktionsantriebe, die heute vor allem in der Raumfahrt eingesetzt werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die erste Stufe der Saturn-V-Rakete mit insgesamt fünf F-1-Flüssigkeitstriebwerken, im Bild Wernher von Braun

Frühe theoretische Ansätze über die Verwendung von Flüssigkeitraketen wurden 1903 vom russischen Raumfahrtpionier und -vordenker Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski unter dem Titel Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten in der russischen Zeitschrift Wissenschaftliche Rundschau veröffentlicht. Am 16. März 1926 gelang dem US-amerikanischen Forscher Robert Goddard der erste Start einer Flüssigkeitsrakete. (2,5 s Flugdauer, 14 m Höhe, 50 m Flugweite). Im Oktober 1930 erreichte eine Rakete Goddards bereits 800 km/h und 610 m Höhe. Beinahe gleichzeitig wurden in Deutschland ab 1930 auf dem Raketenflugplatz Berlin durch den Verein für Raumschiffahrt Versuchsstarts mit Flüssigkeitsraketen durchgeführt. Die deutschen Forschungsbemühungen führten schließlich - nach dem das Militär das Raketenprogramm an sich zog - über die Versuchsmodell A1, A2 und A3 zur ersten Großrakete mit Flüssigkeitsantrieb, der Aggregat 4 (A4). Diese überschritt mit der Treibstoffkombination von 75%igem Ethanol und Sauerstoff erstmals die Grenze zum Weltraum. Gleichzeitig wurden im Zweiten Weltkrieg kleinere monergole („kalte“) und diergole Wasserstoffperoxid-Raketentriebwerke (H2O2/Petroleum bzw. N2H4) als Starthilfe für Flugzeuge oder direkt zum Antrieb von Abfangjägern (z. B die Me 163)[1][2] eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches wurde die Entwicklung hauptsächlich von den Siegermächten USA und Sowjetunion fortgeführt, die sich beide erbeuteter Unterlagen und deutscher Entwickler bedienten. In der Zeit des Kalten Krieges wurde durch den Bedarf nach immer leistungsfähigeren Interkontinentalraketen die Triebwerksentwicklung vorangetrieben - damals größtenteils mit Flüssigkeitsantrieben. Letztlich konnten einige dieser Entwicklungen auch als Trägerraketen für Raumfahrtzwecke eingesetzt werden (z. b. die R-7-Varianten für die bedeutenden Flüge Sputnik 1 und Wostok 1 mit Juri Gagarin, dem ersten Mensch im Weltall oder die amerikanische Titan II Gemini). Einen Höhepunkt erreichte die Entwicklung in den späten 1960er Jahren mit den riesigen F-1-Triebwerken der Saturn-V-Mondrakete. Jüngere Entwicklungen sind z. B. das Haupttriebwerk des Space Shuttles oder das RD-170 der Energija-Rakete, die wiederverwendet werden können. Da sich die Anforderungen an militärische Raketen geändert haben (Mobilität, Stationierungen auf U-Booten als SLBM, dauernde und sofortige Startbereitschaft) haben auf diesem Gebiet die einfacher zu handhabenden Feststoffraketen die Flüssigkeitsrakete abgelöst.

Wie die Geschichte der Raketentechnik und das Schicksal einiger Raketenpioniere zeigt, war die Entwicklung von Flüssigkeitsraketen anfangs mit größeren Gefahren und technischen Hürden verbunden als die von Feststoffraketen. Die Gründe sind vielfältig:
Gefahr von Undichtheiten, Verdampfen und Explosionen, Schäden an Pumpen und anderen Aggregaten, Luftblasen oder unzureichende Durchmischung in der Brennkammer, veränderliche Gewichtsverteilung beim Abbrand.

Funktionsweise

Im Gegensatz zu Feststoffantrieben, bei denen im Brennraum ein fertiges, in festem Zustand befindliches Gemisch von Brennstoff und Oxidator abbrennt, werden bei Flüssigkeitsraketen eine (Monergol) oder mehrere (Diergole, Triergole) flüssige chemische Komponenten in (getrennten) Tanks mitgeführt und mit Pumpen (Turbopumpe) oder durch Druckgasförderung in das Triebwerk befördert. Dort kommt es zu einer kontinuierlichen chemischen Reaktion (katalytische Zersetzung eines Monergols, Verbrennung von Brennstoff und Oxidator). Die dabei durch die Volumenzunahme entstehenden Gasmassen strömen als Stützmasse aus einer Düse aus und erzeugen dadurch Schub in die entgegengesetzte Richtung. Da der Oxidator in der Rakete mitgeführt wird, kann die Verbrennung des Treibstoffes auch ohne die Gegenwart von atmosphärischem Sauerstoff stattfinden, z. B. in der Hochatmosphäre oder im Weltall. Die Mischung von Brennstoff und Oxidator erfolgt bei diergolen Flüssigkeitsraketen erst in der Brennkammer, die Förderung bis zur Brennkammer erfolgt in getrennten Leitungssystemen.

Vor- und Nachteile

Vorteile:

  • Im Gegensatz zu Feststoffraketen lassen sich bestimmte Flüssigtriebwerke abstellen und erneut zünden. Dies ist wichtig für Steuertriebwerke, wenn nur kurze Impulse vonnöten sind oder zum Verlassen der Erdumlaufbahn (beispielsweise bei der S-IVB-Sequenz der Apollo-Mondflüge).
  • Die Rakete kann unbetankt montiert und zum Startplatz transportiert werden, sie ist dadurch leichter und während Montage und Transport besteht keine Explosions- oder Brandgefahr. Die Betankung erfolgt dann erst kurz vor dem Start. Allerdings müssen an der Startrampe spezielle Einrichtungen dafür vorhanden sein.
  • Flüssigtriebwerke lassen sich zwischen der Zündung und dem Abheben der Rakete von der Startrampe auf ihre Funktion (Schub, Pumpendrehzahl, Brennkammerdruck) überprüfen.
  • Der Schub ist im Betrieb regulierbar.
  • Flüssigraketen nutzen oft den Treibstoff effizienter aus als Feststoffraketen und erreichen so mit der gleichen Treibstoffmenge höhere Endgeschwindigkeiten.
  • Die vielfach eingesetzte Treibstoffkombination LOX/LH2 verbrennt zu Wasser und ist somit umwelttechnisch unbedenklich.

Nachteile:

  • Flüssigraketen und -triebwerke sind teurer, komplexer und damit auch fehleranfälliger als Feststoffraketen.
  • Durch den Verbrauch der Treibstoffe verlagert sich der Schwerpunkt der Rakete. Das Stabilisierungs- und Steuerungssystem der Rakete muss in der Lage sein, diese Verlagerung auszugleichen.
  • Es kann der Pogoeffekt (Schwingungen der Triebswerkleistung durch Resonanzen der Flüssigkeitssäulen in den Treibstoffleitungen und der mechanischen Struktur der Rakete) auftreten.
  • Flüssigraketen sind bei Leckagen gefährlicher in Bezug auf Explosion, da die Flüssigkeiten leichter entzündbar sind.
  • Einige Treibstoffe (u. a. Hydrazin-Derivate) sind toxisch, bei der Freisetzung (Fehlstarts, Rücksturz ausgebrannter Stufen zur Erde) kann es zu Umweltschäden kommen.[3]
  • Kryogene Treibstoffkomponenten dürfen erst kurz vor dem Start getankt werden, da sie durch Erwärmung sonst vorzeitig verdampfen, was reaktionsschnelle Starts oder eine länger andauernde Startbereitschaft verhindert. Einige lagerfähige Flüssigtreibstoffe sind stark ätzend oder korrosiv und greifen mit der Zeit die Werkstoffe der Raketenstruktur an.

Treibstoffe

Siehe Hauptartikel: Raketentreibstoffe

Die energiereichste Treibstoffmischung, die heute bei den Flüssigraketen angewandt wird, ist kyrogener Sauerstoff und Wasserstoff (LOX/LH2).

Je nach verwendeter Treibstoffmischung können in der Brennkammer Temperaturen von bis zu 4200 °C und Drücke bis über 25 MPa auftreten.

Hersteller (Auswahl)


Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kyrill von Gersdorff, Kurt Grasmann, Helmut Schubert (1995) Flugmotoren und Strahltriebwerke Bernard & Graefe Verlag. ISBN 3-7637-6107-1, Seite 268 ff.
  2. Bild und Beschreibung des Walter 109-509C der Me 163
  3. Wiebke Plenkers, Martin B. Kalinowski: Gefahren-Szenarien der Freisetzung von Plutonium durch einen erfolgten Abschuss mit einem Raketenabwehrsystem. Carl Friedrich von Weizsäcker Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung, Dezember 2008, S. 17, abgerufen am 8. Oktober 2011 (PDF).

Weblinks


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