Furcht und Elend des Dritten Reiches

Furcht und Elend des Dritten Reiches

Furcht und Elend des Dritten Reiches ist ein Theaterstück des deutschen Dramatikers Bertolt Brecht, das er im Zeitraum von 1935 bis 1943 im Exil verfasst hat.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Margarete Steffin und Brecht begannen 1934 damit, Material über Alltagsereignisse im faschistischen Deutschland zu sammeln. Ende 1937 lagen die ersten fünf Szenen vor, die unter dem Titel Die Angst zusammengefasst wurden. Es wurden in schneller Folge weitere Szenen geschrieben, im Mai 1938 gab es bereits 25, davon wurden acht in der Pariser Uraufführung am 21.Mai 1938 gezeigt. Bis Juni 1938 stieg die Anzahl der Szenen auf 27. Brecht bezeichnete die Zusammenstellung als „Montage“, die eine von ihm entwickelte künstlerische Methode unter neuen Bedingungen erprobe. 1942/43 entstand eine Fassung für den amerikanischen Markt, die eine weitere Szene erhielt und den Titel bekam The Private Life of the Master Race (die Übersetzung besorgte Eric Bentley).

Eine von Henry Schnitzler besorgte Inszenierung am 7. Juni 1945 an der University of California und eine von Berthold Viertel ausgeführte Inszenierung am 12. Juni 1945 am Pauline Edwards Theatre des City College of New York trafen einen Monat nach Kriegsende auf kein besonderes Interesse beim Publikum mehr.[1] Auch trug die schlechte Beherrschung der englischen Sprache durch die Emigrantenschauspieler zu unterkühlten Kritiken bei. Der New Yorker Kritiker George Jean Nathan griff Brecht als wenig beseelten Dichter an und konstatierte, dass „die Regieführung Berthold Viertels und die spielerischen Leistungen von einer Art seien, die selbst am deutschen Wandertheater in der Provinz ausgebuht worden wären.“[2] Die New Yorker Inszenierung hatte zunächst Erwin Piscator arrangiert. Brecht hatte sie fortgeführt, sie schließlich jedoch Viertel übertragen. Kurz nach der Premiere sandte Piscator Brecht einen ausführlichen Vergleich der von Brecht und ihm entwickelten Inszenierungsansätze zu, in dem er monierte, Brecht habe die dramaturgischen Potenziale seines Texts szenisch nicht angemessen umgesetzt.[3]

Noch im Jahr 1996 wurde eine weitere Szene von Furcht und Elend des Dritten Reiches im Nachlass von Caspar Neher aufgefunden, die im November 1946 geschrieben worden war.[4] Damit lassen sich dem Stück insgesamt 30 Szenen zuordnen.

Inhalt

In Anlehnung an Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen wollte Brecht das Stück ursprünglich Deutschland - Ein Greuelmärchen nennen. Brecht brachte 1938 auch Die Deutsche Heerschau als Titel ins Gespräch. Der endgültige Titel ist eine Anlehnung an Balzacs Werk Glanz und Elend der Kurtisanen.

In den Szenen, denen jeweils ein kurzes Gedicht voraus geht, wird der Nationalsozialismus im deutschen Alltag dargestellt. Die Szenen haben keinen direkten Zusammenhang, die Protagonisten treten nur jeweils in einer Szene auf. Insgesamt verdeutlichen sie, wie die nationalsozialistische Diktatur alle Lebensbereiche der Menschen durchdringt. So geht es in Rechtsfindung beispielsweise um einen Richter, der während eines Strafprozesses gegen drei SA-Leute zunehmend in Verzweiflung gerät, weil ihm niemand sagen kann, was von ihm erwartet wird. Trotz eindeutigen Sachverhalts gerät das Verfahren zur Farce. Am Ende ist der Richter so durcheinander, dass er mit dem Adressbuch anstelle der Akten unter dem Arm zur Urteilsverkündung gehen will. Oder auch in Der Spitzel um die Furcht von Eltern, dass ihr Sohn sie denunzieren könnte, weil sich diese gegenüber dem Regime zum Teil kritisch äußerten.

Die Szenen sind im Einzelnen betitelt: Volksgemeinschaft; Der Verrat; Das Kreidekreuz; Die Moorsoldaten; Dienst am Volke; Rechtsfindung; Die Berufskrankheit; Physiker; Die jüdische Frau; Der Spitzel; Die schwarzen Schuhe; Arbeitsdienst; Die Stunde des Arbeiters; Die Kiste; Die Internationale; Der Entlassene; Die Wahl; Das neue Kleid; Winterhilfe; Zwei Bäcker; Der Bauer füttert die Sau; Der alte Kämpfer; Die Bergpredigt; Das Mahnwort; In der Kaserne; Arbeitsbeschaffung; Was hilft gegen Gas; Volksbefreiung; (Der Gefühlsersatz; Moorsoldaten; Hamburg. 1938)

Aufführungen

  • Acht Szenen aus dem Stück wurden am 21. Mai 1938 in Paris unter dem Titel 99% (Untertitel: Bilder aus dem Dritten Reich) uraufgeführt. Regisseur war Slatan Dudow.
  • Die Erstaufführung der amerikanischen Bearbeitung fand am 7.Juni 1945 in Berkley statt. (Eine Einstudierung Henry Schnitzlers mit 17 Szenen wurde im Programm des Gründungskongresses der UNO gezeigt.)[5].
  • Die Schweizer Erstaufführung war im November 1946.
  • Die türkische Erstaufführung war in der Saison 1971/72. Regisseur war Yılmaz Onay. Nach fünf Aufführungen wurde das Stück verboten.[6]

Veröffentlichungen

Das Werk wurde 1938 erstmals im Malik-Verlag in Prag verlegt, der druckfertige Satz allerdings im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen vermutlich Ende 1938 vernichtet. Die amerikanische Bearbeitung erschien in den USA im September 1944, die erste deutschsprachige Ausgabe, sie enthielt 24 Szenen, erschien 1945 ebenfalls in den USA, in New York. In Deutschland erschien das Stück beim Aufbau-Verlag im Jahr 1948.

Einzelnachweise

  1. Bertolt Brecht Broadway - the hard way. Frankfurt/Main 1994 (Edition Suhrkamp).
  2. George Jean Nathan: Theatre Book of the Year (1945–46): a Record and an Interpretation. New York: Alfred A. Knopf 1947. S. 28. Zitiert nach Peter Bauland: The hooded eagle: modern German drama on the New York stage. Syracuse, NY: Syracuse University Press 1968. S. 155.
  3. Brief Erwin Piscators an Bertolt Brecht, 15. Juni 1945, in: Erwin Piscator: Briefe. Band 2.2: New York 1939–1945. Hrsg. von Peter Diezel. Berlin: B&S Siebenhaar 2009 (Erwin Piscator. Berliner Ausgabe). S. 17–19.
  4. B.B.: Furcht und Elend des Dritten Reiches . Suhrkamp, Frankfurt/M, 1998, S.138.
  5. B.B.: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Suhrkamp 1997, Bd.1, S.685ff
  6. Ankara Kunst Theater - Ankara Sanat Tiyatrosu Hitler Rejimi'nin Korku ve Sefaleti

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