Der Mantel des Ketzers

Der Mantel des Ketzers

Der Mantel des Ketzers ist eine von Bertolt Brecht verfasste Erzählung, die erstmals in Moskau in der Reihe Internationale Literatur Nr. 8/1939 unter dem Titel: „Der Mantel des Nolaners“ publiziert wurde.[1] Brecht nahm die Erzählung unter dem geänderten Titel in die Sammlung seiner Kalendergeschichten auf, die 1949 im Verlag der Gebrüder Weiss erschien. Die Erzählung behandelt eine Episode aus dem Leben des Naturphilosophen Giordano Bruno, die Zeit seiner Inhaftierung in Venedig im Jahre 1592, die aus den venezianischen Inquisitionsakten bekannt ist. Brecht änderte die Perspektive, indem er Giordano Bruno mehr aus der Sicht des einfachen Volkes schilderte.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Portrait von Giordano Bruno aus dem Livre du recteur der Universität von Genf von 1578

In einer Einleitung gibt Brecht zunächst einen kurzen Abriss über das Leben des aus Nola stammenden Giordano Bruno. Aufgrund seiner auf der griechischen Naturphilosophie und Nicolaus Copernicus beruhenden neuartigen astronomischen Erkenntnisse über das Weltall, die im Widerspruch zur herrschenden Lehre der Kirche standen, wurde Giordano Bruno 1592 in Venedig denunziert und verhaftet, im Januar 1593 an die römische Inquisition ausgeliefert, in Rom inhaftiert, als Ketzer verurteilt und am 17. Februar 1600 als Ketzer verbrannt.

In dieser Einleitung erzählt Brecht auch die Vorgeschichte von Brunos Verhaftung. Ein venezianischer Patrizier namens Mocenigo hatte Giordano Bruno in seinem Haus beherbergt und kam für seinen Unterhalt auf. Als Gegenleistung sollte ihm Bruno Unterricht in Physik und Gedächtniskunst geben. Insgeheim wünschte sich Mocenigo jedoch Kenntnisse in der schwarzen Magie. Als er diese nicht erhielt, denunzierte er Bruno bei der Inquisition. Als Begründung gab er an, dass Bruno in seiner Gegenwart ketzerische Gedanken geäußert habe. Daraufhin warf man Giordano Bruno am 25. Mai 1592 (sic!) in den Kerker.[2]

Erst danach setzt die eigentliche, von Brecht erfundene Erzählung über den Mantel ein. Ein alter Schneider namens Zunto hatte im Winter einen maßgeschneiderten Mantel für Giordano Bruno angefertigt. Nachdem er von der Inhaftierung erfahren hat, eilt er mit der unbezahlten Rechnung zu Brunos Verräter Mocenigo, wird jedoch höhnisch abgewiesen und auf der Straße angepöbelt. Der Schneider beschließt, die Sache zu vergessen, weil es gefährlich ist, etwas mit einem Ketzer zu tun zu haben. So gibt es inzwischen die wildesten Gerüchte über den inhaftierten Ketzer, darunter auch, dass Bruno behauptet habe, es gebe viele Sonnen. Die Frau des Schneiders, die die offene Rechnung entdeckt hat, will den Verlust nicht hinnehmen und wendet sich an das venezianische Heilige Offizium. Nach ersten erfolglosen Versuchen wird sie dank ihrer Hartnäckigkeit wieder vorgeladen. Man verbietet ihr, wegen lumpiger 32 Skudi ein solches Geschrei in der Stadt anzustellen.

Aufgrund des Gerüchts, dass der Ketzer nach Rom ausgeliefert werden soll, läuft die Schneidersfrau erneut zum Heiligen Offizium. Ein höherer kirchlicher Beamter verschafft ihr die Gelegenheit, mit Bruno selbst zu sprechen. Daraufhin versucht der mittellose Gefangene vergeblich, Geld aufzutreiben, um die Schulden zu begleichen. Der Mantel selbst befindet sich noch in den Händen seines Denunzianten. Zwischen den Verhören bemüht sich Bruno weiterhin um die Herausgabe des Mantels und erhält sogar Unterstützung durch das venezianische Offizium. Mocenigo muss den Mantel an das Offizium herausgeben.

Kurz vor Brunos Auslieferung nach Rom bringt ein Abgesandter des Offiziums den Mantel dem Schneider zurück. (Zitat) „Er hat es durchgesetzt. … Übrigens hätte er ihn jetzt gut brauchen können, denn er wird ausgeliefert und soll noch diese Woche nach Rom abgehen.“ Direkt danach endet die Erzählung mit den Worten: „Das stimmte. Es war Ende Januar.

Hintergrund

Die Erzählung entstand in derselben Schaffensperiode wie die Erstfassung des Schauspiels Leben des Galilei, das Brecht 1938/39 im dänischen Exil schrieb.[3] Brecht war ein großer Verehrer von Giordano Bruno, den er im Gegensatz zu Galileiwegen seiner mutigen Haltung gegenüber der Inquisition[4] als Helden der Wissenschaft ansah. Auch in Brechts Leben des Galilei wird Giordano Bruno mehrfach erwähnt, zunächst namentlich und später als „der Verbrannte“.[5]

In der Erzählung Der Mantel des Ketzers wird Bruno als edelmütiger Mensch geschildert, der sich trotz Folter, drohender Auslieferung und Verbrennung für die Bezahlung eines Mantels einsetzt, der sich nicht mehr in seinem Besitz befindet. Zum Schluss verzichtet der mittellose Gefangene auf den warmen Mantel, den er Ende Januar, bei seiner Überführung nach Rom bitter nötig gehabt hätte. Mit diesem Verzicht greift Brecht ein christliches Motiv, aber auch andere literarische Vorlagen auf. Gleichzeitig prangert Brecht den Gegensatz arm - reich an, auf der einen Seite die reiche Kirche mit „herausgefressenen“ Mönchen und der geizige reiche Patrizier, der den Mantel nicht bezahlen oder herausrücken will, auf der anderen Seite die Schneiderfamilie, die auf die 32 Skudi als Monatsverdienst angewiesen ist. Trotzdem ist dieses nur ein Nebenmotiv. Der eigentliche Held der Erzählung ist der mittellose Ketzer, der von Brecht wie ein Heiliger dargestellt wird.

Ob der historische Giordano Bruno tatsächlich so selbstlos und bescheiden war, wie ihn Brecht darstellt, kann dahingestellt bleiben, er galt eher als ein beißender Satiriker. Während seiner Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten wurde er wegen seiner vehementen Ablehnung von Aristoteles in mehrere wissenschaftliche Skandale verwickelt, wobei es auch Plagiatsvorwürfe gab.[6]

Werkausgaben

  • Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Band 11, Prosa 1, werkausgabe edition suhrkamp, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967, Taschenbuchausgabe 1982, S. 276–285.

Verfilmung

Die Handlung wurde 1989 von Peter Vogel für das Fernsehen der DDR verfilmt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Werkausgabe, Band 11, Anhang, Anmerkungen S. 4.
  2. Werkausgabe Band 11, S. 277, recte 22. Mai.
  3. Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Band 3, Stücke 3, werkausgabe edition suhrkamp, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967, Taschenbuchausgabe 1982, S. 1229–1345, sowie Anmerkungen, S. 3.
  4. Zitat aus: Der Mantel des Ketzers, Einleitung.
  5. Beispielsweise in der 1. und 3. Szene.
  6. E. Samsonow, Giordano Bruno, Diederichs, München 1995. S. 51.

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