Geschwindigkeit der Gravitation

Geschwindigkeit der Gravitation

Bei der Aberration der Gravitation handelt es sich um einen Effekt, der aufträte, wenn man das newtonsche Gravitationsgesetz unter bestimmten Bedingungen mit einer endlichen Gravitationsgeschwindigkeit kombiniert. Dieses Problem wurde schließlich durch die Verbindung des Gravitationsgesetzes mit den sich damals entwickelnden Feldtheorien gelöst. Endpunkt dieser Entwicklung war schließlich die bis heute gültige Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins.

Inhaltsverzeichnis

Laplace und die newtonsche Gravitation

Nach dem newtonschen Gravitationsgesetz breiten sich Änderungen im Gravitationsfeld instantan, d.h. ohne Zeitverlust aus. Pierre-Simon Laplace versuchte nun um 1800, das newtonsche Modell mit einer endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation zu kombinieren, indem er das Gravitationsfeld als eine Art Strahlungsfeld bzw. Flüssigkeit definierte. Bewegungsänderungen der zentralen Masse müssten sich hier in Form einer Welle der Umgebung mitteilen, was zu Einflüssen auf die Bewegung der Himmelskörper von der Größenordnung v/c führt (wobei v die Geschwindigkeit des Körpers und c die Geschwindigkeit der Welle ist). Es ergibt sich hier also ein ähnlicher Zusammenhang wie bei der Aberration des Sternenlichts.[1]

Die Konsequenzen lassen sich am besten durch ein Beispiel erklären: Betrachten wir die Erde und die Sonne und nehmen wir eine Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation an, die der Lichtgeschwindigkeit entspricht. Dann würde auf die Erde eine Kraft in Richtung des Ortes wirken, an dem die Sonne vor 8 Minuten war und auf die Sonne wirkte eine Kraft in Richtung des Ortes, an dem die Erde vor 8 Minuten war. Diese Verzögerung hätte zur Folge, dass sich der Abstand zwischen Erde und Sonne jährlich ständig vergrößerte, das heißt die Orbits wären instabil. Ähnliches wäre bei Erde und Mond zu erwarten.

Dies widerspricht jedoch der Beobachtung: Beim Mond z.B. ändert sich der Abstand jährlich nur um etwa 4 cm und dies kann durch die Gezeitenwirkungen zwischen Erde und Mond (Verlust von Rotationsenergie, Drehimpulsverlust) erklärt werden. Die Stabilität der Orbits lässt sich daher im newtonschen Modell nur erreichen, indem man eine höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation annimmt. Laplace gab diese mit 7·106c an, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Diese hohe Geschwindigkeit der Gravitationswechselwirkung, die bei der newtonschen Gravitation nötig wäre, ist ein Angriffspunkt, den einige Kritiker im 19. Jh. generell gegen alle Theorien mit endlicher Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Gravitation – wie z.B. der Le-Sage-Gravitation oder Gravitationserklärungen auf elektrischer Basis – benutzten.

Feldtheorien

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versuchte man nun, die im Bereich der Elektrodynamik bewährte Grundgesetze von Wilhelm Eduard Weber, Carl Friedrich Gauß, Bernhard Riemann mit dem Gravitationgesetz zu kombinieren. Diese Feldtheorien waren von der laplaceschen Kritik nicht betroffen, denn obwohl sie auf einer endlichen Fortpflanzungsgeschwindigkeit beruhen, enthielten sie zusätzliche Terme, welche stabile Systeme garantierten. Diese Modelle wurden vor allem zur Erklärung der Periheldrehung des Merkur benutzt, welche sich einer Erklärung durch das Gravitationsgesetz Newtons entzog – doch die meisten dieser Modelle lieferten keine exakten Werte. Erst Levy konnte 1890 durch eine Kombination von weberschen und riemannschen Grundgesetzen korrekte Werte ableiten.[2] In eine ähnliche Richtung zielte der Versuch von Paul Gerber, dem es 1898 gelang, aus einer Theorie, in der sich das Gravitationspotential mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet, den korrekten Wert für die Periheldrehung des Merkur abzuleiten. Aus der gewonnenen Formel errechnete Gerber eine Ausbreitungsgeschwindigkeit des Gravitationspotentials von ca. 305 000 km/s, also praktisch Lichtgeschwindigkeit.[3][4] Gerbers Herleitung der entsprechenden Gleichung (wobei diese Gleichung formal mit derjenigen der Allgemeinen Relativitätstheorie übereinstimmt), wurde jedoch als fehlerhaft eingestuft und deswegen von vielen (u.a. auch von Einstein) nicht als brauchbarer Ansatz für eine Gravitationstheorie in Betracht gezogen.[5] Auch folgt aus seiner Theorie ein um den Faktor 3/2 zu hoher Wert für die Ablenkung des Lichtes im Gravitationsfeld. Mit der Ablösung der weberschen durch die maxwellsche Elektrodynamik wurden diese Versuche jedoch nicht mehr weiterverfolgt und sind überholt.

Hendrik Lorentz versuchte 1900, auf Basis der Lorentzschen Äthertheorie und der Maxwellgleichungen die Gravitation als eine Art elektrische Differenzkraft zur erklären. Dabei ging er (wie vor ihm Mossotti und Zöllner) von der Vorstellung aus, dass die Anziehung zweier ungleichnamiger elektrischer Ladungen um einen Bruchteil stärker sei als die Abstoßung zweier gleichnamiger Ladungen - das Ergebnis wäre nichts anderes als die universelle Gravitation. Lorentz konnte zeigen, dass auch diese Theorie von der laplaceschen Kritik nicht betroffen ist und nur Einflüsse in der Größenordnung v²/c² auftreten, jedoch erhielt er für die Periheldrehung einen viel zu geringen Wert. Lorentz fasste seine Bemühungen folgendermaßen zusammen: „Die besondere Form dieser Terme kann möglicherweise modifiziert werden. Doch was bis jetzt gesagt wurde reicht aus um zu zeigen, dass die Gravitation auf Aktionen zurückgeführt werden kann, welche sich nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten.[6][7]

Henri Poincaré stellte 1904 fest, dass zur Aufrechterhaltung des Relativitätsprinzip sichergestellt sein muss, dass kein Signal schneller als die Lichtgeschwindigkeit ist, ansonsten würde die Synchronisationsvorschrift für Lichtsignale und somit die Ortszeit (Relativität der Gleichzeitigkeit) im Rahmen der lorentzschen Äthertheorie nicht mehr gelten. Er konnte jedoch 1905 zeigen, dass keine Bahninstabilitäten im Sinne von Laplace in einer Theorie, welche die Lorentztransformation berücksichtigt, auftreten können. Er schrieb: „Laplace zeigte, dass die Ausbreitung entweder instantan oder sehr viel schneller als die Lichtgeschwindigkeit ist. Jedoch untersuchte Laplace die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit ceters non mutatis; hier sind dieser Hypothese jedoch viele andere beigefügt, und es kann sein dass zwischen diesen eine mehr oder weniger perfekte Kompensation stattfindet. Die Anwendung der Lorentztransformation brachte uns bereits zahlreiche Beispiele dafür.[8][9]

Allgemeine Relativitätstheorie

Obige Hypothesen wurden schließlich durch die deutlich weitergehende Allgemeine Relativitätstheorie (ART) von Albert Einstein abgelöst. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation ist auch hier die (Vakuum-)Lichtgeschwindigkeit, und es tritt hier keine Aberration im Sinne von Laplace auf, da wie in obigen Feldtheorien durch Anteile des Gravitationsfeldes bewegter Körper der Effekt fast genau aufgehoben wird.[10] Die Abweichung kann als Effekt von Gravitationswellen verstanden werden, der eine Verkleinerung der Bahnradien bewirkt. Die Aufhebung ist jedoch kein Zufall, sondern eine direkte Folge von Drehimpuls- und Energieerhaltung. Diese müssen erfüllt sein, da die Wirkung invariant unter Lorentztransformationen ist.

Die ART erklärt somit nicht nur die Stabilität des Zweikörpersystems und die Periheldrehung des Merkur, sondern im Gegensatz zu Gerbers Theorie liefert sie auch den korrekten Wert für die Lichtablenkung im Gravitationsfeld. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die derzeit stattfindenden Versuche eines experimentellen Nachweises der von der ART vorausgesagten Gravitationswellen, welche sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten.

Quellen

  1. Laplace, P.S. "A Treatise in Celestial Mechanics", Volume IV, Book X, Chapter VII, translated by N. Bowditch (Chelsea, New York, 1966)
  2. Zenneck, J. "Gravitation", Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen, Vol V. 1, pp-25-67, Leipzig, 1903-1921, Faksimile
  3. Zenneck, pp. 49-51
  4. Gerber, P. "Die räumliche und zeitliche Ausbreitung der Gravitation", Zeitschrift für mathematische Physik, 43, (1898), p. 93-104., Online
  5. .Mathpages: Gerber's Gravity
  6. Lorentz, H.A.: Considerations on Gravitation. In: Proc. Acad. Amsterdam. 2, 1900, S. 559-574
  7. "The special form of this terms may perhaps be modified. Yet, what has been said is sufficient to show that gravitation may be attributed to actions which are propagated with no greater velocity than that of light."
  8. Poincaré, H.: Sur la dynamique de l'électron. In: Rendiconti del Circolo matematico di Palermo. 21, 1906, S. 129-176 Siehe auch die englische Übersetzung.
  9. "Laplace showed in effect that the propagation is either instantaneous or much faster than that of light. However, Laplace examined the hypothesis of finite propagation velocity ceteris non mutatis; here, on the contrary, this hypothesis is conjoined with many others, and it may be that between them a more or less perfect compensation takes place. The application of the Lorentz transformation has already provided us with numerous examples of this."
  10. Carlip S. "Aberration and the Speed of Gravity", Pys. Lett. A 267, pp. 81-87, 1999, Online

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