Halberstädter Dom

Halberstädter Dom
Stadtansicht von Halberstadt (vor 1900), mit den Hauptkirchen Sankt Martin (links), dem Dom und der Liebfrauenkirche.
Blick von der Martinikirche zum Dom
Domplatz, Blick nach Osten
Dom und Bauten des Domplatzes

Der evangelische Dom zu Halberstadt ist einer der wenigen großen Kirchenbauten des französischen Kathedralschemas in Deutschland. Er wurde dem Heiligen Stephanus geweiht und liegt eingebettet in ein Ensemble von romanischen, barocken, neogotischen und modernen Bauten am Rande der Altstadt der im nördlichen Harzvorland gelegenen, im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten ehemaligen Fachwerkstadt Halberstadt.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Das Bistum Halberstadt wurde im ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts als Missions- und Verwaltungsmittelpunkt im neueroberten sächsischen Stammesgebiet angelegt.

Die erste Bischofskirche war ein kleinerer Steinbau, der 859 nach einigen Erweiterungen feierlich eingeweiht wurde. Dieser Dombau stürzte im Jahr 965 ein. In der Folge verlagerten die sächsischen Ottonen ihre Hauptstadt im Zuge der Ostkolonisation nach Magdeburg, das 968 zu Erzbistum erhoben wurde. Bereits 955 begannen die Magdeburger mit dem Umbau der Kirche des Moritzklosters für die Nutzung als Bischofskirche. Die Halberstädter konnten hier natürlich nicht zurückstehen und weihten bereits 992 ihre neue Hauptkirche, die schon fast die Ausmaße des späteren gotischen Neubaues erreichte. Dieser ottonische Dombau bestand, umgebaut und eingewölbt, bis 1239.

1209 begann der Erzrivale Magdeburg mit dem Bau eines Domes, der stark von der Architektur der französischen Kathedralgotik beeinflusst war. Das Halberstädter Domkapitel beschloss nun seinerseits den Bau einer „modernen“ gotischen Kathedrale, der ungewöhnlicherweise mit dem Westbau begonnen wurde. Man wollte den bestehenden Dom noch möglichst lange weiternutzen, es war noch vor kurzem mit der Einwölbung viel Geld investiert worden.

Der Westbau verbindet die lokale spätromanische Bautradition mit den modernen frühgotischen Einflüssen, insbesondere der Architektur der Zisterzienser. Der obere Teil der heutigen Westfassade ist allerdings im wesentlichen dem 19. Jahrhundert zuzuordnen.

Um 1260 begann der Bau des hochgotischen Langhauses, dessen Dimensionen - wohl wieder als Konkurrenz zu Magdeburg, gegenüber der ursprünglichen Planung wesentlich gesteigert wurden. Das Mittelschiff erreicht die für damalige Verhältnisse beeindruckende Höhe von 27,0 m, die Seitenschiffe sind 14,0 m hoch. Allerdings wurden in dieser zweiten Bauphase nur die ersten drei Joche des Langhauses gebaut, man musste ja den alten Dom funktionsfähig erhalten. Im Gegensatz zu Magdeburg orientieren sich diese ersten Joche wesentlich näher an den französischen Vorbildern, besonders das offene Strebesystem ist hier voll entwickelt, allerdings in „deutscher“ Reduktion. Als Vorbild dürfte hier die Kathedrale von Reims gedient haben. Wegen der notorischen schlechten Finanzsituation des Domkapitels zog sich der Bau allerdings über etwa 50 Jahre hin.

Da sich die finanzielle Lage des Bistums so schnell nicht besserte, beschloss man, den alten Dom noch eine Weile weiterzunutzen und begann um die Mitte des 14. Jahrhunderts am entgegengesetzten Ende mit der Errichtung der Marienkapelle. Um 1350 begannen die Abbrucharbeiten für den Chorbau, der sich an den Maßverhältnissen der westlichen Langhausjoche orientierte. Dieser Bauabschnitt dauerte wiederum etwa 60 Jahre bis zur Weihe im Jahre 1401. Später wurden noch einige Kapellen hinzugefügt.

Der Dom muss nun ein etwas seltsames Bild geboten haben, zwischen den gotischen West- und Ostteilen lag ja noch das ottonische Langhaus. Diesen Zustand wollte man nicht lange hinnehmen, die Bauarbeiten für die fehlenden gotischen Ostjoche des Langhauses und das Querhaus dürften wohl kurz nach der Chorweihe begonnen haben. Nach weiteren 90 Jahren konnte die gesamte Kathedrale eingeweiht werden (1491).

Als letzte spätgotische Ergänzung wurde 1514 der neue Kapitelsaal fertiggestellt (Gewölbe 1945 zerstört).

Die folgenden Jahrhunderte bewahrten im Wesentlichen das mittelalterliche Erscheinungsbild bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die größte Baumaßnahme war hier die erwähnte Neuaufmauerung der Westtürme.

Der 8. April 1945 brachte schließlich den sinnlosen Untergang des alten Halberstadt mit seinen über tausend erhaltenen Fachwerkhäusern. Auch der Dom wurde von 12 Bomben schwerst getroffen. Während die Altstadt nach dem Krieg weitgehend dem Verfall preisgegeben wurde, unternahm die DDR-Denkmalpflege umfangreiche Maßnahmen zur Sicherung und Wiederherstellung der großen gotischen Kathedrale. Die Restaurierung wurde nach der Wende fortgesetzt.

Beschreibung

Frühgotisches Erdgeschoss der Westfassade
Dom zu Halberstadt im Jahre 1842

Der Dom ist eine langgestreckte, dreischiffige, hoch- bis spätgotische Basilika über kreuzförmigem Grundriss. Südlich schließen sich die Klausurgebäude mit dem vierflügeligen Kreuzgang und der Neuenstädter Kapelle an. Die eindrucksvolle Doppelturmfront des Westbaues musste gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgetragen und neuerrichtet werden. Der untere Teil mit dem frühgotischen Hauptportal ist jedoch noch weitgehend original.

Der Typus der klassischen französischen Kathedrale wurde in Deutschland nur bei wenigen Großbauten so konsequent übernommen, wie es hier deutlich wird. Besonders das offene Strebewerk trägt zu diesem „westlichen“ Gesamteindruck bei, wenn auch die Einzelformen gegenüber den Vorbildern deutlich reduziert wurden. Die Strebebögen wurden in Halberstadt nur einfach ausgeführt, während französische Dome meist doppelte oder gar dreifache Strebesysteme aufweisen. Durch dieses offene Strebewerk wirkt der Halberstädter Dom ungleich moderner und prächtiger auf den Betrachter, als sein Magdeburger Gegenstück. Der dortige Dombau verzichtet vollständig auf dieses typische Kennzeichen einer gotischen Kathedrale.

Der Innenraum blieb von nachmittelalterlichen Veränderungen weitgehend verschont. Der überwiegend mit einfachen Kreuzrippen eingewölbte Sakralraum weist nur in den Seitenschiffen und dem Querschiff reichere (spätgotische) Gewölbeformen auf. Chor und Gemeinderaum werden durch einen spätgotischen Lettner getrennt.

Wie bei den französischen Vorbildern sind die Seitenschiffe als Umgang um den Hochchor herumgeführt, auf einen Kapellenkranz wurde allerdings - bis auf die Scheitelkapelle (Marienkapelle) - verzichtet.

Klausur und Kreuzgang

Blick vom Kreuzgang auf den Chor

Die Klausur des ottonischen Vorgängerdoms lag bereits in etwa an der heutigen Stelle. Es haben sich noch zwei Räume aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erhalten, darunter der zweischiffige, kreuzgratgewölbte sogenannte Alte Kapitelsaal.

Der vierflügelige, zweigeschossige Kreuzgang stammt aus dem 13. Jahrhundert und weist ebenfalls durchgehend einfache Kreuzgratgewölbe auf. Die „frühgotischen“ Arkadenfüllungen sind allerdings eine Zutat des 19. Jahrhunderts. Im Obergeschoss sind Teile des bedeutenden Domschatzes untergebracht.

Die kreuzgewölbte Neuenstädter Kapelle (1503) ist vom westlichen Kreuzgangflügel aus zugänglich und birgt einen schönen spätgotischen Flügelaltar.

Über dem Nordflügel liegt der große „Neue Kapitelsaal“, dessen herrliches Schlingrippengewölbe nach der Kriegszerstörung durch eine flache Betondecke ersetzt werden musste.

Ausstattung

Der Halberstädter Dom überrascht durch seine in ungewöhnlicher Vollständigkeit erhaltene mittelalterliche Ausstattung. Aus nachmittelalterlicher Zeit stammen im wesentlichen nur einige Grabmäler und Epitaphien, der barocke Orgelprospekt und die Renaissancekanzel.

Besonders in der Marienkapelle haben sich trotz Kriegsverlusten noch einige bedeutende gotische Glasfenster erhalten. Das Gesamtbild wurde durch moderne Ergänzungen von Charles Crodel wiederhergestellt.

Von der sonstigen Kunstwerken können nur die bedeutendsten kurz erwähnt werden. Aus dem alten, ottonischen Dom sind noch der romanische Taufstein und die eindrucksvolle Triumphkreuzgruppe über dem Lettner erhalten.

Der Lettner selbst ist eine elegante, fialengekrönte spätgotische Arbeit mit schönem Skulpturenschmuck.

Der Reichtum an plastischen gotischen Bildwerken ist auch sonst bemerkenswert. In der Marienkapelle beten die Heiligen Drei Könige die Jungfrau mit dem Kinde an (um 1360), die Chorpfeiler sind mit den 12 Aposteln und den beiden Bistumspatronen geschmückt(um 1425 bis etwa 1470). Auch das Quer- und das Langhaus tragen reichen Skulpturenschmuck.

Im Chorraum sind noch das gotische Chorgestühl (um 1400) und ein spätgotischer Schrank bemerkenswert.

Der Lettner mit der Triumphkreuzgruppe

Lettner im Halberstädter Dom

Der Halberstädter Dom besitzt eine ganze Reihe bedeutender Kunstwerke. Der Innenraum ist sehr in die Höhe gestreckt und diese Höhentendenz des Raumes wird in dem riesigen spätgotischen Lettner aufgegriffen, der ungefähr in der Mitte des Langhauses steht.

Der Lettner selbst wurde 1505 hergestellt. Den oberen Teil der ganzen Konstruktion bildet aber eine Triumphkreuzgruppe, die älter ist als die ganze Kirche. Sie stammt aus dem ottonischen Vorgängerbau aus der Zeit um 1210/20. Sie wurde aus Eichen-, Linden- und Fichtenholz hergestellt und hat eine Höhe von 5,15 m bei einer Breite von 3,50 m. Die Einzelfiguren haben eine Höhe von ca. 2,40 m. Die ganze Gruppe war ursprünglich - wie meistens im Mittelalter - farbig gefasst. Sie gehört zu den wichtigsten plastischen Kunstwerken auf deutschem Boden aus dieser Zeit. Die Gruppe der fünf Figuren steht auf dem sog. Apostelbalken, der natürlich die 12 Apostel als Träger des christlichen Glaubens zeigt und mit seinen 8,50 m Länge das ganze Mittelschiff überspannt. Der gekreuzigte Christus steht außerdem noch symbolisch auf dem Grab Adams. Christus ist hier im Typus des leidenden Erlösers dargestellt neben der trauernden Maria und Johannes und außen flankiert von zwei Cherubim auf Feuerrädern.

Die Darstellung des gekreuzigten Christus hat in der mittelalterlichen Kunst einige entscheidende Wendungen durchgemacht, die typisch sind für die jeweilige Auffassung, in welcher Funktion man den Gottessohn sehen wollte. Hier haben wir einen Übergangsstil vor uns. Christus ist nicht mehr nur „stehend“ abgebildet wie in der Plastik der Zeit davor, sondern schon leicht s-förmig, „hängend“. Die ältere stehende Haltung entsprach dem Bild vom Herrscher, daher auch der Name Triumphkreuz. Hier um 1210/20 ändert sich die Sichtweise allmählich vom Herrscher zum gekreuzigten Menschen, zum Leidenden. Gleichzeitig verweist die Kombination der Apostel auf dem tragenden Balken zusammen mit den seitlichen Cherubim der Apokalypse auf das Einssein von Kreuzigung und Jüngstem Gericht.

Die Kreuzigung ist das wichtigste Thema des christlichen Bildkreises. Richtiger wäre die Bezeichnung „Christus am Kreuz“, da ja nicht der Akt der Kreuzigung, sondern sein Ergebnis dargestellt wird. Die Entstehungsgeschichte der Kreuzigungsdarstellung in der Kunst ist in manchen Punkten noch strittig. Christus wird zu Anfang des frühen Christentums noch in der Stellung des Oranten, also des Anbetenden zwischen den beiden Schächern gezeigt, also eigentlich nicht als Gekreuzigter. Das Kreuz ist in diesen alten Darstellungen nur angedeutet, als Symbol oder als Zeichen dazugegeben.

Erst im 6. Jahrhundert entstehen die ersten historischen Kreuzigungsbilder, auf denen Christus deutlich erkennbar an das Kreuz genagelt ist. Später wird es immer üblicher, Maria zur Rechten Christi und Johannes zu seiner Linken unter dem Kreuz aufzustellen. Christus wird anfangs als Lebendiger am Kreuz dargestellt mit langem Haar und einem engen, ärmellosem Gewand. In karolingischer und ottonischer Zeit hat Christus oft einen Lendenschurz. Er wird zunehmend von symbolischen Nebenfiguren begleitet, hier in Halberstadt von den Cherubim.

In romanischer Zeit, aus der diese Plastik stammt, entstehen zuerst in Italien die Triumphkreuze, die diesseits der Alpen nur als plastische Gruppen erscheinen. Die Halberstädter Gruppe gehört neben Wechselburg und Freiberg zu den drei bedeutendsten Beispielen in Deutschland. Zum Namen Triumph-Kreuz passt auch, dass es stets sehr hoch im Raum angebracht ist.

In der Gotik änderte sich das Schema der Kreuzigungsdarstellung und diese Veränderung sieht man hier schon wirksam werden. Aus dem Christus als göttlichem Sieger wird der neue Typus: Christus als leidender Mensch. Und damit hängt zusammen, dass sich die einstmals stehende Haltung zu einer hängenden verändert. Man muss hier auch auf die Fußstellung achten. Christus steht mit beiden Füßen auf einer Schlange, die Füße sind nicht angenagelt. Das wird sich später ändern.

Nach 1220 entwickelte sich der Typus des „hängenden Christus“. Ein erster Schritt dazu war, dass die Füße übereinander gelegt und mit einem Nagel an das Kreuz geschlagen sind (Entwicklung vom „Zwei-Nagel-Typus“ zum „Ein-Nagel-Typus“), was einen Verlust an Symmetrie bedeutet und damit an Strenge und auch an Repräsentation. Aber damit sind auch sehr viel größere Bewegungsmöglichkeiten in der Gestaltung des Körpers gegeben, der jetzt als Leidender und nicht mehr als Herrschender dargestellt wird.

Eine Ausnahme von dieser Regel stellt das berühmte hölzerne Gero-Kreuz im Kölner Dom dar aus der Zeit um 970, das einzige erhaltene monumentale Christusbild am Kreuz aus dem 10. Jahrhundert. Hier ist Christus im „Zwei-Nagel-Typus“ dargestellt.

Cherubim, Engel und ihre 'Flügel'

Cherubim sind in der mittelalterlichen Kunst eigentlich Engel mit vier Flügeln im Unterschied zu den Seraphim, die sechs Flügel haben.

Die Fachliteratur führt dazu aus: Engel haben ursprünglich keine Flügel. Wo immer diese Gottesboten im Alten oder Neuen Testament erscheinen, ist von Flügeln keine Rede: »Der Engel des Herrn fand Hagar in der Wüste« (Genesis 16,7); »Der Engel Gottes, der den Zug anführte, erhob sich und ging an das Ende des Zuges« (Exodus 14,19); »Der Engel des Herrn kam und setzte sich unter die Eiche bei Ofra« (Richter 6,11); »im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth (...) gesandt« (Lukas 1,26) usw. Die einzigen biblischen Gestalten mit Flügeln sind die Serafim und Cherubim, aber das sind keine Boten Gottes, sondern Mitglieder des göttlichen Hofstaates, die auch schon durch ihre Löwenleiber etwas aus der Rolle fallen.

Demzufolge werden Engel in der frühchristlichen Kunst auch durchweg ohne Flügel abgebildet. Erst ab Ende des 4. nachchristlichen Jahrhunderts sieht man Engel auch mit Flügeln, vermutlich um ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden wie auch die Auffahrt in den Himmel für die Menschen nachvollziehbarer zu machen. In der Renaissance entwickeln sich dann zusätzlich die beflügelten Mädchen- oder Kinderengel (Putten; bis dato waren Engel durchweg junge Männer), und heute gehört der Flügel zum Engel wie der Zylinderhut zum Schornsteinfeger.[1][2][3]

Dieser Unterschied Engel-Cherubim wird in der Kunst aber nicht immer genau beachtet. Diese hier in Halberstadt heißen trotzdem Cherubim, obwohl sie sechs Flügel haben. Auf dem Rücken befindet sich nämlich nochmals ein Paar. Die Cherubim stehen auf Feuerrädern, deren Rotation ein Sinnbild der ewigen göttlichen Kraft ist. Die Cherubim verkörpern die Visionen des Jesaja und Ezechiel, denen zufolge die geflügelten Wesen den Thron Gottes umstehen. Ihre Darstellung hier hat zweifellos apotropäische ("Unheil abwehrende") Bedeutung: Sie beschützen das Heiligtum gegen den Zutritt des Bösen und Unreinen. Alle fünf Gestalten sind überlebensgroß und auf Fern- und Untersicht berechnet. Gebärden und Gesichtsausdruck sind in diesem Sinne vereinfacht, die sparsamen traditionellen Gesten von Maria und Johannes als Ausdruck der Trauer auch von weitem kenntlich.

Die Vorstufen für den Stil dieser Figuren wird man kaum in dieser Gegend, in Sachsen oder in Thüringen aufzeigen können. Hier baut man eindeutig auf Errungenschaften der frühgotischen Skulptur an den französischen Kathedralen auf.

Orgel

Hauptartikel: Orgel des Domes zu Halberstadt

Bilder vom Dom

Glocken

Der Dom besitzt 13 Glocken. Fünf davon bilden das Hauptgeläute mit der Domina/Dunna als Fundament. Bei der inzwischen sechsten Rekonstruktion der Dunna gab es Probleme beim Guss auf dem Domplatz (zu hohe Zinnversiedung); dadurch fiel der geplante historische Nominal/Schlagton (ges0 +1/16) zu hoch aus. Weiterhin liegen die Abklingwerte der Glocke (~100 Sekunden) weit unter den Normen (200–250 Sekunden). Die Krone wurde nicht vollständig gegossen, weil nicht genügend Glockenspeise vorhanden war. Aufgrund des terminlichen Druckes, die Glocke zur Jahrtausendwende zu läuten, wurde ihre Haube zweimal durchbohrt, um mit einer zusätzlich eingebauten Aufhängung die Glocke sicher und rechtzeitig am Joch aufhängen zu können, anstatt die fehlenden Teile durch eine eventuelle Restaurierung anzuschweißen. Die Dunna ist insgesamt als keine würdige Nachfolgerin gleichnamiger Vorgängerglocken anzusehen.[4]

Sechs weitere Glocken gehören zum Chorgeläut und stammen aus dem 13. Jahrhundert. Zuletzt wird der Uhrschlag auf zwei Gussstahlglocken des Bochumer Vereins, die starr im Südwestturm aufgehängt sind, ausgeführt.

Insgesamt zählt das Geläut zu den wertvollsten, mit einer wechselvollen Geschichte und einer überaus hohen Anzahl alter Glocken versehenen, Domgeläute überhaupt.

Glocken in den Westtürmen

Nr. Name
(Funktion)
Gussjahr Gießer Durchmesser
(mm)
Gewicht
(kg)
Nominal
(16tel)
Turm Vorgängerinnen
1 Domina/Dunna
(Festtagsglocke)
1999 Kunst- und Glockengießerei
Lauchhammer
2255 8320 g0 +6 Süd 1195, vor 1454, 1457, 1860, 1876, 1928
2 Osanna
(Sonntagsglocke)
1454 Johannes Floris 1985 4820 b0 –1 Nord  ?
3 Micha
(Alltagsglocke)
1997 Kunst- und Glockengießerei
Lauchhammer
1523 2228 d1 –7 Nord 1365, 1454 (vgl. Gl. 2), [1576?]
4 Laurentiusglocke 1514 Hinrik van Campen 1245 1080 e1 –4 Nord  ?
5 Maria-Magdalena-Glocke 1514 Hinrik van Campen 1070 790 fis1 –9 Nord  ?
Stundenschlag-Glocke 1908 Bochumer Verein 1254 850 g1 +9 Süd 1845
Viertelschlag-Glocke 1908 Bochumer Verein 1015 460 a1 +7 Süd 1845

Tabelle: [5]

Cymbelgeläut im Mittelbau

Die vom Volksmund zugeteilten Namen müssen etwas mit der Funktion und/oder dem Klang und ihrem äußeren Erscheinungsbild zu tun (gehabt) haben. Ein so umfangreiches und homogenes Glockenensemble aus dieser frühen Zeit ist völlig einzigartig in der gesamten deutschen Glockenlandschaft. Eine weitere Glocke mit dem Namen Stinkstank ist verschwunden; ihr Nominal/Schlagton habe zwischen den heutigen Glocken 7 und 8 gelegen.[4]

Nr. Name Gusszeit Gießer Durchmesser
(mm)
Gewicht
(kg)
Nominal
(16tel)
6 Bratwurst frühes
13. Jahrhundert
vom selben
Gießer
737 199 c2 –3
7 Sauerkohl 792 291 cis2 –9
8 Stimpimp 696 229 fis2 –10
9 Langhals um 1200 vom selben
Gießer
646 228 g2 –9
10 Lämmchen 388 45 ~d3
11 Adämchen um 1300 unbekannt 402 56 ~dis3

Tabelle: [5]

Domschatz

Der Halberstädter Domschatz verdankt seine weitgehende Erhaltung wohl überwiegend der Einführung des evangelischen Bekenntnisses (Reformation) im Jahre 1591. Durch die protestantische Liturgie wurden viele Gegenstände des katholischen Ritus überflüssig und wurden der gottesdienstlichen Nutzung und Abnutzung entzogen. Das Domkapitel war - ein Kuriosum in der deutschen Bistumsgeschichte - konfessionell gemischt, es gab also evangelische und katholische Domherren. Der katholische Teil war natürlich auf den Erhalt der alten Kleinodien bedacht, der evangelische hätte sicher gerne das eine oder andere Stück veräußert.

Der ehemals noch wesentlich reichere Bestand wurde im Laufe der Jahrhunderte trotzdem deutlich reduziert, besonders Kardinal Albrecht von Brandenburg, der auch Bischof von Magdeburg und Halberstadt war, „entführte“ größere Teile nach Halle (Saale) und Mainz.

Trotz aller Verluste gilt der Domschatz noch immer als einer der wertvollsten und reichhaltigsten Deutschlands, ja Europas. Aus der Fülle des Erhaltenen seien einige bedeutende Stücke hervorgehoben:

  • Das byzantinische Konsular-Diptychon (Ravenna, 417)
  • Der spätromanische Halberstädter Schrank
  • Der romanische Abraham-Engel-Teppich
  • Der romanische Christus-Apostel-Teppich
  • Der byzantinische Liturgische Diskos
  • Das venezianische Kristallkreuz (13. Jahrhundert)

Bedeutung und Würdigung

„Viele Kirchen mögen prächtiger, merkwürdiger, kunstreicher sein als der Halberstädter Dom; dieser scheint mir von allen der edelste zu sein“

Ricarda Huch

„Das wohl reinste deutsche Beispiel einer durch und durch verstandenen Gotik“

Wilhelm Pinder

„Der Dom ist schön wie die Ewigkeit.“

Christoph Dieckmann: in Die Zeit

Der Halberstädter Dom stand bis 1945 inmitten eines der bedeutendsten historischen Stadtdenkmäler Deutschlands. Durch die verheerenden Zerstörungen des Krieges und die nachfolgende absichtliche Vernachlässigung haben sich nur noch Reste des einmaligen Stadtbildes dieses, ehemals „norddeutsches Rothenburg“ genannten Gesamtkunstwerkes erhalten. Dennoch besitzt Halberstadt mit seinem Dom und der viertürmigen romanischen Liebfrauenkirche noch zwei herausragende Denkmäler mittelalterlicher Baukunst.

Besonders der Dom überrascht - neben seiner spektakulären Architektur - durch seine in ungewöhnlich reichem Maße erhaltene mittelalterliche Ausstattung. Der Domschatz ist mit über 600 erhaltenen Stücken einer der bedeutendsten in Europa.

Blick von der Martinikirche zum Dom

Maße

  • Länge des Hauptschiffs: 102 m
  • Gewölbehöhe des Hauptschiffs: ca 27,0 m
  • Höhe Seitenschiffe: 14,0 m
  • Höhe der Türme: 91 m

Kirchenmusik im Dom

Neben den Orgelkonzerten finden regelmäßig auch Konzerte mit anderen Instrumenten, wie Gambe, Saxophon u.v.m. im Dom statt. Die erste Orgel, die Gotische Domorgel wurde in Halberstadt in den Jahren 1357(?)-1361 von Nicolaus Faber ohne Pedal erbaut.
Mit diesen historischen Ereignissen gibt es in Halberstadt eine lange Tradition und die Verpflichtung immer wieder auf Bedeutendes hinzuweisen, z.B. das John-Cage-Projekt in der Buchardi Kirche.

Einzelnachweise

  1. C. Westermann: Gottes Engel brauchen keine Flügel, Berlin 1957.
  2. Engeldarstellungen aus zwei Jahrtausenden (Ausstellungskatalog), Recklinghausen 1959.
  3. Wörterbuch des Christentums, München 1995 / Lexikon: Engel. DB Sonderband: Das digitale Lexikon der populären Irrtümer, S. 416, (vgl. LexPI Bd. 2, S. 88 ff.)
  4. a b Christoph Schulz: Die Restaurierung des Geläutes des Halberstädter Domes St. Stephanus und Sixtus – eine neue Domina für Halberstadt. In: Konrad Bund u. a. (Hrsg.): Jahrbuch für Glockenkunde. 1877–2002. Jg. 2001/02, Bd. 13–14, MRV, Brühl 2002, S. 548–561.
  5. a b Constanze Treuber u. a.: Gegossene Vielfalt. Glocken in Sachsen-Anhalt. Hinstorff, Rostock 2007, S. 52.

Literatur

  • Johanna Flemming (u.a): Dom und Domschatz zu Halberstadt. Leipzig 1990; ISBN 3-7338-0058-3
  • Peter Findeisen: Dom, Liebfrauenkirche und Domplatz. Mit einem Beitrag von Adolf Siebrecht. Aufnahmen v. Sigrid Schütze-Rodemann und Gert Schütze. Mit Literaturverzeichnis. 3., überarbeitete Aufl. Königstein i. Ts. 2005 (= Die Blauen Bücher). ISBN 3-7845-4605-6
  • Hermann Giesau: Der Dom zu Halberstadt. Burg bei Magdeburg 1929 (Deutsche Bauten, 16).
  • Petra Janke und Horst H. Grimm: Der Domschatz zu Halberstadt (Edition Logika Bd. 6). München 2003.
  • Petra Janke: Der Dom zu Halberstadt. München 2007 (DKV-Kunstführer Nr. 405), ISBN 978-3-422-02097-9
  • Claus Peter: Das Geläute des Domes St. Stephanus und Sixtus zu Halberstadt. In: Nordharzer Jahrbuch. Bd. 20/21, Halberstadt 1999, S. 121–181, ISBN 978-3-934245-00-6.
  • Wolfgang Schenkluhn: Halberstadt: Dom und Domschatz. Halle 2002 (Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte, 4)

Weblinks

51.89626944444411.0487361111117Koordinaten: 51° 53′ 47″ N, 11° 2′ 55″ O


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