Hans Weinert

Hans Weinert

Hans Weinert (* 14. April 1887 in Braunschweig; † 7. März 1967 in Heidelberg) war ein deutscher Anthropologe, der während des NS-Regimes im Sinne der NS-Rassenhygiene wirkte.

Inhaltsverzeichnis

Familie und Ausbildung

Hans Weinert war der Sohn des Mittelschullehrers Hermann Weinert und seiner Ehefrau Maria Steinkamp. Er besuchte das Staatliche Wilhelm-Gymnasium in Braunschweig bis zum Abitur im Jahre 1905. Danach begann er mit dem Studium in Leipzig und Göttingen, wo er am 2. Juli 1909 die Promotion mit dem Thema Wachstum und tropistische Bewegungserscheinungen der rhizoiden thallösen Lebermoose erlangte.

Danach schlug er die Laufbahn des Lehramtes ein und legte am 27. April 1910 die Prüfung zum Studienrat in den Fächern Physik, Mathematik, Zoologie und Botanik ab. Die Lehrtätigkeit nahm er in Leipzig, Eisleben und Potsdam (nach Degener) auf. Von 1910 bis Oktober 1911 diente er als Soldat im Range eines Offiziersanwärters in Torgau. 1912 heiratete die Tochter Gertrude des Großkaufmannes C & A. Bodenstein. Aus dieser Ehe gingen der Sohn Hartmut (* 28. August 1918) und die Tochter Hildegard (* 7. Mai 1920) hervor.[1]

Kriegsdienst und akademische Laufbahn

Nach Kriegsbeginn 1914 diente er als Leutnant und Führer einer Flakbatterie, wobei er auch vor Verdun zum Einsatz kam. 1917 nahm er den Schuldienst wieder auf. Später entschloss er sich jedoch, den Schuldienst zu verlassen und eine akademische Laufbahn zu wählen. Zu diesem Zweck siedelte er nach Potsdam über. Ab 1926 war er an der Universität Berlin als Privatdozent für Anthropologie und am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI) in Berlin-Dahlem tätig. 1927 wurde er als Privatdozent für Anthropologie zugelassen. Zur Vorbereitung seines Habilitationvorhabens unter Befürwortung von Ernst Fischer und Theodor Mollison begann er mit den Vermessungen der Physiognomie von Schülern. Ab Anfang 1928 legte er am KWI eine Schädelsammlung an. Zum außerordentlichen Professor wurde er am 23. Dezember 1932 ernannt.[2]

In den Jahren 1931 und 1932 unternahm er Blutgruppenuntersuchungen an Menschenaffen, wobei er den Vorschlag machte, eine Schimpansin mit Sperma eines „Afrikaneger(s), am besten vielleicht ein(es) Urwald-Pygmäe(n)“ künstlich zu befruchten.[3]

Tätigkeiten im NS-Regime

1934 wurde Weinert Mitglied im NS-Lehrerbund, gehörte aber erst seit 1937 der NSDAP an. Er vertrat um diese Zeit einen Stammbaum, der von Gibbons über Orang Utan, Gorilla und Schimpanse (als Gipfel von Seitenästen) zum Menschen aufstieg - im Gegensatz zu älteren Vorstellungen, in denen die Neger vom Gorilla und die mongolische Rasse vom Orang Utan abstammen sollten. Er änderte seine vorherigen Anschauungen nur wenig, fasste sie aber in die unter der neuen Regierung erfolgversprechenden Ausküfte..[4]. Dies gilt insbesondere für die Äußerungen als Professor in Kiel, wohin er erst 1934 vertretungsweise berufen wurde und seine Habilitationsschrift Biologische Grundlagen für Rassenkunde und Rassenhygiene. Im April 1935 wurde ihm die Kieler Professur angetragen, er übernahm das dortige Institut für Anthropologie und versprach, dieses im nationalsozialstischen Sinne zu führen. 1935 veröffentlichte er "Die Rassen der Menschheit":

„Wir stehen damit auch auf diesem Gebiet am Beginn einer neuen Zeit; mit der Annahme des von der Rassenhygiene längst geforderten Gesetzes 'zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' … hat sich die Staatsregierung dazu bekannt, den Menschen biologisch, als Lebewesen aufzufassen und die von der Forschung erkannten biologischen Gesetze sinngemäß auch auf den Menschen anzuwenden.“

In den folgenden Jahren bis 1939 unternahm er verschiedene Ausgrabungen in Italien und Frankreich, die einen Aufschluss über die Herkunft des „Urmenschen“ und der „Neger“ geben sollten. Als er jedoch in seinen Veröffentlichungen in den Jahren 1934 und 1935 eine Herkunft und Nähe der Menschen zu den Menschenaffen ausbreitete, stieß er bei Heinrich Himmler auf Ablehnung. Der SS-Anthropologe Assien Bohmer hatte nämlich am 12. März 1939 an den Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V., SS-Sturmbannführer Wolfram Sievers, ein Schreiben gerichtet, in dem er Weinert falsche Schlussfolgerungen hinsichtlich der Herkunft von der Cro-Magnon-Rasse und Neanderthalerrasse vorwarf, die auch eine Beleidigung darstellen würde, wie Himmler angemerkt hatte. Wissenschaftlich trat Weinert in den Jahren 1935 bis 1945 weniger hervor denn als einziger vom Reichssippenamt zugelassene „rassenbiologische Gutachter“. Dabei urteilte er in den meisten Fällen, dass er keine „jüdischen Merkmale“ feststellen konnte, da er von diesen wissenschaftlich nicht überzeugt war. Er erstellte - gegen überhöhte Gebührensätze - wohl hunderte von Gutachten für Juden, die eine andere als die gesetzlich vermerkte Abstammung behaupteten, um sich besser vor der nationalsozialistischen Rasseverfolgung zu schützen. In der Regel behaupteten Mütter, die Kinder nicht von einem Juden, sondern von anderen, "arischen" Männern empfangen zu haben.[5] Da Weinert nicht im engeren Sinne an der "Ausmerzung" und "Ausrottung" aller Juden gelegen war, fielen ein guter Teil dieser Begutachtungen im Sinne der Antragsteller aus.[6]

Sievers antwortete Bohmer am 14. März 1939, dass Weinerts Arbeiten nicht mehr positiv zu rezensieren seien. Am 11. März 1942 schrieb Sievers an den Kurator des „Ahnenerbes“, Walther Wüst, dass es bei Weinert zu persönlichen Unregelmäßigkeiten bei der Beschäftigung seiner Tochter als seine Sekretärin und der Auslandsbegleitung seiner Ehefrau gekommen sei. Die Anträge auf finanzielle Unterstützung seien in Zukunft abzulehnen[7]. Mitte 1944 wurde Weinerts Kieler Institut ausgebombt, er verlor auch seine Wohnung. Daraufhin empfahl sich Weinert in einem Schreiben an den Gauleiter Hannover vom 30. Juli 1944 als Gutachter für „rassenbiologische Untersuchungen“, blieb jedoch erfolglos.

Im Jahre 1942 hatte sich der Leiter der Hauptabteilung des Inneren der deutschen Besatzung in den Niederlanden, Hans Georg Calmeyer, an Weinert gewandt, ob er ihm „Abstammungsgutachten“ von Niederländern anfertigen könne. Daraufhin reiste Weinert in die Niederlande und berechnete 1000 Reichsmark für ein Gutachten - das sechsfache des deutschen Regelsatzes; bei vier nacheinander vorgestellten Probanden ermäßigte er die Gebühr auf fünfhundert Reichsmark je Einzelfall.[8] Mit dieser Tätigkeit soll er bis zu 500 Niederländer vor der Deportation bewahrt haben.[9] Calmeyer war wegen Weinerts vorteilhafter Begutachtungspraxis auch bereit, die weit überhöhten Gebühren zu erstatten.[10]

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg konnte er seine Lehrtätigkeit am nunmehr umbenannten Institut für menschliche Erblehre und Eugenik in Kiel fortsetzen, da er erklärte, er sei nie ein Antisemit gewesen. Seine Veröffentlichungen setzte er mit gewohnter Intensität fort. Insgesamt veröffentlichte er über 250 Arbeiten. Seine Bestrebungen, in den Niederlanden oder in Göttingen eine neue Tätigkeit aufzunehmen, schlugen wiederum fehl. So blieb er in Kiel bis 1955 tätig. Vorwürfe, er habe bei den Untersuchungen weibliche Probanden über das gewöhnliche Maß hinaus nackt vorführen lassen, deren Geschlechtsorgane untersucht und vermessen, führten nun (anders als vor 1945) gelegentlich zu Anzeigen, die es ihm jedoch abzuwehren gelang.[11]

Mitgliedschaften

  • Mitglied in der Leopoldina
  • 1942: Beirat in der Ernst-Haeckel-Gesellschaft in Jena
  • Mitherausgeber der Zeitschrift für Rassenkunde
  • Bis 1956: Herausgeber der Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie
  • Mitglied des Instituto di Paleontologia Umana in Rom
  • Vortragendes Mitglied der Internationalen Ärzte-Akademie

Schriften (Auswahl)

  • Menschen der Vorzeit. Ein Überblick über die altsteinzeitlichen Menschenreste, Stuttgart 1930
  • Ursprung der Menschheit. Über den engeren Anschluss des Menschengeschlechts an die Menschenaffen, 1932 (auch: Stuttgart 1944)
  • Biologische Grundlagen für Rassenkunde und Rassenhygiene, Stuttgart 1934
  • Unsere Eiszeit-Ahnen, Berlin 1934
  • Vom rassischen Werden der Menschheit, Berlin 1934
  • Vom Menschenaffen zur Menschheit, Berlin 1934
  • Die Rassen der Menschheit, Leipzig/Berlin 1935
  • Anthropologie und Geschichtsforschung, in: Die Welt als Geschichte. Zeitschrift für universalgeschichtliche Forschung (WaG) 1, 1935, S. 4
  • Die Aufklärung über die "ältesten Menschenfunde" in Ostafrika, in: WaG 1, 1935, S. 349
  • Neue Probleme in der Erforschung der Kulturfortschritte eiszeitlicher Menschheitsstufen, in: WaG 2, 1936, S. 291-302
  • Zickzackwege in der Entwicklung des Menschen, Wiebelsheim 1936
  • Der Affenmensch "Sinanthropos" von Peking in seiner Bedeutung für die menschliche Stammes- und Rassengeschichte, in: WaG 3, 1937, S. 241
  • Vormenschenfunde als Zeugen der Menschwerdung, Frankfurt am Main 1939
  • Africanthropus njarasensis. S. 252-308 in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie, Band 38, Heft 2, S. 252-308, 1939 Stuttgart, E. Schweizerbart, 1939
  • Vormenschenfunde als Zeugen der Menschwerdung, Frankfurt/Main 1939
  • Der geistige Aufstieg der Menschheit vom Ursprung bis zur Gegenwart, 1940 (auch 1951)
  • Urgeschichte des Menschen : Frühzeit der Völker, Berlin 1940
  • Vom rassischen Werden der Menschheit, Erfurt (?)
  • Stammesgeschichte der Menschheit , Stuttgart 1941
  • Entstehung der Menschenrassen, Stuttgart 1941
  • Hellsehen und Wahrsagen ein uralter Traum der Menschheit, Leipzig 1943
  • Menschen der Vorzeit: Ein Überblick über die altsteinzeitlichen Menschenreste, Stuttgart 1947
  • Die Riesen-Affenmenschen und ihre Stammesgeschichtliche Bedeutung, München 1948
  • Stammesentwicklung der Menschheit, Braunschweig 1951
  • Zur neuen angeblichen Lösung des Piltown-Problems, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 66, 2 (Juni) 304-315 im Jahre 1954
  • Die heutigen Rassen der Menschheit, Konstanz 1957
  • Zum Abschluß des Piltdown-Problems, in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 49, 1 (März) 55-60 im Jahre 1958

Referenzen

  • Herman A.L. Degener, Wer ist's?, Berlin 1935
  • Walter Habel, Wer ist Wer?, Berlin 1955
  • Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 2003
  • Beate Meyer, Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955, in: Michael Ruck, Heinrich Pohl (Hrsg.), Regionen im Nationalsozialismus, Bielefeld 2003

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/192
  2. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/194
  3. Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 662.
  4. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/195
  5. Beate Meyer: Jüdische Mischlinge". Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945, 1999 Hamburg S. 109ff.
  6. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/194
  7. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/194
  8. Geraldien von Frijtag Drabbe Künzel: Het geval Calmeyer, 2008 Amsterdam S.153
  9. Konrad Kwiet / Helmut Eschwege: Selbstbehauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf um Existenz und Menschenwürde 1933-1945, 1984 Hamburg S.175
  10. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/199
  11. Beate Meyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955. in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl, Regionen im Nationalsozialismus, 2003 Bielefeld S.193-203/201 ff.

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