Helen Vita

Helen Vita

Helen Vita, bürgerlich: Helene Vita Elisabeth Reichel, verheiratet: Baumgartner (* 7. August 1928 in Hohenschwangau, Allgäu; †  16. Februar 2001 in Berlin) war eine Schweizer Chansonsängerin, Schauspielerin und Kabarettistin.

Inhaltsverzeichnis

Werdegang

Helen Vita wurde als Tochter des Konzertmeisters Anton Reichel und der Solo-Cellistin Jelena Pacic als Helene Vita Elisabeth Reichel geboren. Nach der Ausweisung 1939 aus Deutschland zog die Familie nach Genf in die Schweizer Heimat des Vaters.

Nach der Schauspielausbildung am Conservatoire de Genève sammelte sie 1946 ihre ersten Bühnenerfahrungen am Théâtre du Vieux Colombier in Paris. Zwei Jahre war sie dann am Schauspielhaus Zürich engagiert, wo sie in der Uraufführung von Bertolt Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti mitwirkte. Bertolt Brecht war es auch, der ihr komisches Talent entdeckte und sie dazu ermunterte, Kabarett zu machen. Dem Wunsch, an sein Berliner Ensemble mitzukommen, folgte sie nicht, da sie Brechts damalige politische Schwärmerei für ein sozialistisches Deutschland nicht teilen konnte. Statt dessen trat sie 1949 ins Zürcher Cabaret Fédéral ein. 1952 ging sie nach München und spielte an der Kleinen Freiheit, für die Erich Kästner die zeitkritischen Texte schrieb. Hier traf sie auf Friedrich Hollaender, dessen Lieder sie in ihr Repertoire übernahm. Später wirkte sie bei den Berliner Wühlmäusen mit. Aus ihrer 1956 geschlossenen Ehe mit dem Schweizer Komponisten Walter Baumgartner gingen zwei Söhne hervor. In Berlin bezog sie 1965 ihre Zweitwohnung.

Schon in den frühen 1950er Jahren war Helen Vita für den Film entdeckt worden. Sie spielte in 58 Kino- und Fernsehfilmen mit: zumeist Heimatfilme, Schlagerschnulzen und Sexklamotten, worin sie oft den drallen Gegenpart zu Caterina Valente und Sonja Ziemann mimte. Das Klischee „scharfe Nutte mit viel Ausschnitt“ verfolgte sie jahrelang. Nicht in dieses Klischee passte die Rolle der Cornelia Gatzka im 5. Teil des Fernsehklassikers Am grünen Strand der Spree, in dem sie als Partnerin von Gerhard Just und Günter Pfitzmann zu sehen war. Sie spielte auch in den 08/15- und den Immenhof-Filmen mit. Später stand sie in dem Musical-Film Cabaret neben Liza Minnelli in der Rolle des Fräulein Kost vor der Kamera. Doch gelten ließ sie zeitlebens nur ihre Rollen in einigen Filmen von Rainer Werner Fassbinder: Satansbraten, Chinesisches Roulette, Berlin Alexanderplatz und Lili Marleen.

Während ihrer Filmkarriere blieb Vita stets ihrer großen Leidenschaft, dem „seriösen“ Theater treu. In Klassikern von Shakespeare, Molière und Goethe überzeugte sie ebenso wie in modernen Stücken von Thornton Wilder, T. S. Eliot oder Hans Henny Jahnn. An der Seite von Hans Albers spielte sie in Liliom und war später über Jahre am Münchner Volkstheater eine umjubelte „Seeräuber-Jenny“ in der Dreigroschenoper.

Zur Skandalfigur der Saubermann-BRD in den Prä-68ern wurde Vita vor allem als „fromme Helene“ und mit der seinerzeit Aufsehen erregenden Schallplattenserie mit den berühmt-berüchtigten „frechen Chansons aus dem alten Frankreich“ in deutscher Übersetzung von Walter Brandin. Die aus heutiger Sicht eher harmlosen, über Jahrhunderte tradierten Volks- und Kinderlieder riefen die deutschen Staatsanwälte und Sittenwächter auf den Plan. Was darauf folgte, waren jahrelange juristische Auseinandersetzungen: Die galant-lasterhaften Lieder wurden von Staats wegen zu verbotenen Liedern erklärt, es ergingen Strafbefehle, Urteile wurden verkündet und wieder aufgehoben, Prozesse neu aufgerollt. „Unter Kunst versteht das Gericht ein Erzeugnis, das den Durchschnittsbürger über den Alltag erhebt und ihm das edelste darstellt, was er sich vorstellen kann“, so begründete der Kölner Richter Bubenberger die Beschlagnahmung der „kunstlosen Schweinerei“. Zeitweilig durften die Platten nur noch mit dem Aufdruck „Für Jugendliche verboten!“ unterm Ladentisch verkauft werden, was sie aber um so erfolgreicher machte. Diese Aufnahmen wurden somit unfreiwillig zu einem Zeitdokument für die Doppelmoral des spießigen Post-Adenauer-Deutschlands. Von der Kritik dagegen wurden sie gelobt und erhielten zweimal den Deutschen Schallplattenpreis. Zu den französischen Chansons gesellten sich nun auch die „bawdy songs“ englischsprachiger Troubadoure. Ihre folgenden Platten hießen Dolce Helen Vita Vol. I und Vol. II und Nomen est omen. Erst 1969 wurde in einem offiziellen Bescheid des Regierungspräsidiums Nordbaden in Karlsruhe festgestellt, dass Helen Vitas Lieder "künstlerisch hochstehend" seien.

Ihre zahlreichen Soloprogramme trugen so selbstironische Titel wie: Lotterlieder von Brahms bis Brecht, Von wejen Liebe, Helen Vita total und Die Seuse singt. 1985 erhielt sie den Deutschen Kleinkunstpreis. Immer dabei: der 1989 verstorbene Pianist Paul Klein. Songs von Hollaender und Brecht/Weill sowie Texte von Kästner und Tucholsky gehörten stets zu ihrem Lieblingsrepertoire.

Ihren letzten großen Erfolg feierte sie Ende der 1990er Jahre mit Evelyn Künneke und Brigitte Mira als eine der Drei alte Schachteln. Bis kurz vor ihrem Tode wirkte sie noch in zahlreichen Fernsehproduktionen mit und stand mit ihrem Programm Die Alte singt ja immer noch auf der Bühne.

Helen Vita trat auch als Hörspielsprecherin in Erscheinung. So spielte sie 1969 in Rolf und Alexandra Beckers Dickie Dick Dickens die Gangsterbraut "Effi Marconi".

Sie starb an Krebs in ihrer Wahlheimat Berlin am 16. Februar 2001 im Alter von 72 Jahren. „Sie werden ein langes und langweiliges Leben haben“, hatte einst ein Arzt der Vita prophezeit – langweilig war es wohl nicht. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Zollikerberg/Zollikon bei Zürich.

Zitate

  • Eva ist die umgearbeitete, verbesserte und gekürzte Ausgabe von Adam [1].

Erhältliche CDs

  • Die Alte singt ja immer noch, 2000
  • Freche Chansons, 2001
  • Unartige Lieder, 2002
  • Ich hasse die farblose Feinheit, 2003

Filmografie

  • 1967: Treibgut der Großstadt
  • 1967: Und noch nicht sechzehn
  • 1969: Alle Kätzchen naschen gern
  • 1970: Die Feuerzangenbowle
  • 1970: Was ist denn bloß mit Willi los?
  • 1971: St. Pauli Report
  • 1971: Urlaubsreport – Worüber Reiseleiter nicht sprechen dürfen
  • 1971: Der neue heiße Sex-Report: Was Männer nicht für möglich halten
  • 1972: Cabaret
  • 1973: Traumstadt
  • 1976: Satansbraten
  • 1977: Das Mädchen am Klavier (Fernsehserie Tatort)
  • 1977: Blütenträume (Fernsehserie Der Alte)
  • 1979: Der Durchdreher
  • 1981: Lili Marleen
  • 1982: Der Mann aus Kiel (Fernsehserie Derrick)
  • 1984: Tapetenwechsel
  • 1988: Gekauftes Glück, Regie: Urs Odermatt.
  • 1986: Erben und Sterben (Fernsehserie Ein Fall für zwei)
  • 1991: Kopfgeld (Fernsehserie Ein Fall für zwei)
  • 1992: Lilli Lottofee (Fernsehserie)
  • 1992: Happy Birthday, Türke!
  • 1993: Jeanmaire – Ein Stück Schweiz (TV)
  • 1993–95: Salto postale (Fernsehserie)
  • 1994: Die Weltings vom Hauptbahnhof – Scheidung auf Kölsch (Fernsehserie)
  • 1994: Matchball (Fernsehserie)
  • 1996: Todesengel (Fernsehserie Ein Fall für zwei)
  • 1997: Die drei Mädels von der Tankstelle
  • 1999: Die Spesenreiter
  • 2000: Rote Rosen (Fernsehserie Die Schule am See)
  • 2000: Ein lasterhaftes Pärchen (TV)
  • 2002: Edgar Wallace – Die unheimlichen Briefe (TV)

Einzelnachweise

  1. Markus M. Ronner: Die besten Pointen des 20. Jahrhunderts : humoristisch-satirische geistesblitze, nach Stichwörtern alphabetisch geordnet. Stuttgart: Gondrom. 1990, Stichwort Adam

Weblinks


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