J. Krishnamurti

J. Krishnamurti
Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti (* 12. Mai 1895 in Madanapalle, Indien ; † 17. Februar 1986 Ojai, Kalifornien) war ein indischer Brahmane, Autor und spiritueller Lehrer.

In seinen wichtigsten Veröffentlichungen thematisiert Krishnamurti spirituelle Fragen wie die Erlangung vollständiger geistiger Freiheit durch Meditation, aber auch religiöse und philosophische Themen. Besondere Bekanntheit erlangte er durch führende Persönlichkeiten der Theosophischen Gesellschaft, speziell durch Annie Besant, die ihn 1910 zum kommenden „Weltlehrer“ erklärte und für ihn den theosophischen „Order of the Star in the East“ gründete.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jiddu Krishnamurti wurde 1895 in Madanapalle, Südindien, als achtes Kind (daher sein Name gemäß Hindu-Tradition „wiedergeborener Krishna“) von Sanjeevama und Narayaniah Jidduh, in eine orthodoxe Brahmanenfamilie geboren. Als er zehn Jahre alt war, starb seine Mutter. Enger als je klammerte sich Krishnamurti an seinen jüngeren Bruder Nitya. Sein Vater Narayaniah war eines der ältesten Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft (1882 von Blavatsky persönlich aufgenommen). Er bekam 1909 bei der Theosophischen Gesellschaft eine feste Anstellung im Zentrum in Adyar und zog mit seinen vier Söhnen in unmittelbare Nähe. Kurz darauf entdeckte der Theosoph Charles Webster Leadbeater beim Spaziergang am Strand von Adyar den jungen Krishnamurti und sagte, aus dem Jungen werde ein großer spiritueller Lehrer, denn er habe eine ungewöhnlich schöne Aura. Mit Erlaubnis des Vaters übernahm er die Erziehung und Pflege des Jungen. Unter einigen Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft Adyar gab es damals die Erwartung, dass ein großer Lehrer erscheinen werde, der das Werk Helena Blavatskys fortführen solle: der „Weltlehrer“ oder „Lord Maitreya“. Man glaubte, dass der Weltlehrer ein Mensch sei, der „im 33. Lebensjahr, gleich Jesus, vom Christus überschattet“ würde. Vor Krishnamurti hatte Leadbeater bereits einen Jungen aus Chicago nach Adyar geholt, um ihn zum „Vehikel“ des Weltlehrers zu formen; dieser reiste mit seiner Mutter nach fünf Jahren wieder nach Chicago, wo er später als Anwalt lebte.[1] 1912 wurden Krishnamurti und sein Bruder Nitya zur weiteren Ausbildung nach England geschickt. Um den Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, hatte Narayana Annie Besant das Sorgerecht für Krishnamurti und Nitya gegeben, das er 1913/14 vergeblich auf gerichtlichem Wege zurückforderte.[2]

Am 22. Dezember 1911 gründete George Arundale mit Zustimmung Annie Besants den „Order of the Star in the East“, zu dessen Oberhaupt Krishnamurti ernannt wurde. Der Sternorden sollte für die Wiederkunft des Weltlehrers im 33. Lebensjahr Krishnamurtis den Weg ebnen. Es gab nur wenige Regeln und kaum echte Ordensstrukturen. Die Mitglieder entfalteten eine rege Tätigkeit auf dem Gebiet der humanitären Hilfe. Dieser Orden sollte organisatorisch völlig unabhängig von der Theosophischen Gesellschaft sein, war aber mit ihr vernetzt, und er bestand die ersten Jahre fast ausschließlich aus ihren Mitgliedern. Nach anfänglicher Duldung protestierte der Generalsekretär der Deutschen Sektion, Rudolf Steiner, gegen die Ausbreitung des „Order of the Star in the East“ in seinem Geschäftsbereich und schloss alle Theosophen, die gleichzeitig Mitglieder des Ordens waren, aus der Deutschen Sektion aus. Dies bedeutete einen Bruch der Satzung der Theosophischen Gesellschaft Adyar, und nachdem jeder Verständigungsversuch Annie Besants zur Wiederherstellung der Satzung scheiterte, übertrug sie die Gründungsurkunde der Sektion im Februar 1913 auf die Logen, welche die Satzung weiterhin anerkennen wollten. Die Anhänger Steiners hatten bereits im Dezember 1912 in Köln die Anthroposophische Gesellschaft gegründet.[3]

Ab 1922 entfernte sich Krishnamurti immer mehr von den Vorstellungen der Mitglieder des Ordens, vor allem nach dem völlig unerwarteten Tod seines Bruders Nitya am 13. November 1925, von dem führende theosophische Autoritäten versprochen hatten, er würde eine wichtige Rolle bei der Ankunft des Weltlehrers innehaben und daher noch lange leben. Ab dem erwarteten 33. Lebensjahr lehrte Krishnamurti, dass der Weg zur Wahrheit nicht über spirituelle Autoritäten und Organisationen beschritten werden könne. Dies führte zum Widerstand einer Gruppe führender Theosophen, gegen die ihn die alternde Annie Besant verteidigte, ohne aber den Widerstand aufheben zu können. Krishnamurti löste darum 1929 den „Order of the Star in the East“ auf und trat ein Jahr später auch aus der Theosophischen Gesellschaft aus. Dies führte die Gesellschaft in eine Krise, die aber der freundschaftlichen Verbundenheit zwischen Annie Besant und Krishnamurti keinen Abbruch tat. Nach dem Tod Besants 1933 ächtete die oben genannte Gruppe Krishnamurti.[4] Es bestanden nur noch vereinzelt Kontakte zu wichtigen Theosophen wie z.B. zu Curuppumullage Jinarajadasa (Präsident von 1946 bis 1953). Aber erst die aktuelle Präsidentin Radha Burnier, die Krishnamurti seit ihrer frühen Kindheit kannte, versöhnte Theosophische Gesellschaft und Krishnamurti wieder. 1985 besuchte Krishnamurti nach 33 Jahren wieder das Zentrum der Gesellschaft in Adyar. Seine Ideen finden unter Theosophen starken Zuspruch. Seine Schriften werden offiziell empfohlen.[5]

Nach dem Tod Besants wurde es ruhiger um Krishnamurti. Er zerbrach bewusst sein Image als kommender Messias und wurde zunehmend als spiritueller "Philosoph" betrachtet. Zwischen 1933 und 1939 reiste er mehrere Male nach Indien, wo er jeweils vor großen Menschenmengen sprach. Die Jahre des Zweiten Weltkrieges schränkten seine Bewegungsfreiheit sehr ein; er verbrachte diese Zeit zurückgezogen in Ojai, Kalifornien.[6] Seine Biographen zeigen anhand von Augenzeugenberichten und Briefen Krishnamurtis auf, dass er angeblich in dieser Zeit eine "außergewöhnliche spirituelle Entwicklung" durchlitt, die von ihnen mit den Erfahrungen des Kundalini-Yoga verglichen wird. Während seines Indienaufenthalts 1947/48 soll er angeblich zur endgültigen "Erleuchtung" gekommen sein. Diese inneren Entwicklungen wurden durch Krishnamurti selbst nicht bestätigt und spielten bei seinem öffentlichen Auftreten keine Rolle.[7]

Während seiner Entwicklungsphase im Rahmen der TG Adyar sind mehrere kleine Bücher, Vorträge und Gedichte entstanden. Hervorzuheben ist hier das Buch Zu Füßen des Meisters, welches unter dem Pseudonym „Alcyone“ herausgegeben wurde und noch heute unter den Adyar-Theosophen als spiritueller Klassiker gilt. Nach Auflösung des „Order of the Star in the East“ 1929 publizierten die ursprünglich dem Orden zugehörigen Zeitungen (z.B. Der Stern) noch einige Jahre lang seine Ansprachen, Gedichte und Gespräche. Seine eigentlichen, sein Lebenswerk ausmachenden Ideen wurden erst nach der Trennung von der Theosophischen Gesellschaft entwickelt. Sie sind geprägt von einer radikalen Verneinung von Guruismus, Religion und Organisation und ebenso radikaler Bejahung von Freiheit, Lebendigkeit, Aufmerksamkeit.

Nach 1947 begann Krishnamurti eine erfolgreiche Reise- und Vortragstätigkeit. Besonders in den siebziger und achtziger Jahren besuchten oft mehrere tausend Menschen seine in aller Welt gehaltenen Vorträge. Der überwiegende Teil der heutigen Literatur von Krisnamurti besteht aus den niedergeschriebenen Gesprächen, die er mit seinen Besuchern führte. Einige seiner Vorträge sind ebenfalls in Buchform erschienen.

Jiddu Krishnamurti starb 1986 im Alter von 90 Jahren in Ojai an einem Pankreastumor.

Krishnamurti stand mit vielen bekannten Persönlichkeiten in freundschaftlichem Kontakt, so mit George Bernard Shaw, Leopold Stokowski und Antoine Bourdelle. In den dreißiger Jahren lernte er Aldous Huxley kennen, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband. Bekannt war er auch mit Jawaharlal Nehru, Indira und Rajiv Gandhi sowie vielen Wissenschaftlern wie etwa David Bohm. Ferner gründete er Schulen in den USA, Indien und Großbritannien, die heute noch existieren.

Lehre

Die Entwicklung der Lehre

Jiddu Krishnamurti

Nach der Aufnahme des jungen Krishnamurti in die theosophische Gesellschaft wuchs dieser ganz in deren Welt und Einfluss auf. C.W. Leadbeater und Annie Besant bestimmten, mit welchen Personen und welcher Umgebung Krishnamurti Kontakt haben durfte.

Im August 1922 in Ojaj begann in Krishnamurti ein Prozess der Transformation (er selbst sprach vom „process“), der bis zum Herbst 1924 dauerte.

In den folgenden Jahren öffnete sich eine Kluft zwischen Krishnamurti und der theosophischen Gesellschaft: Fast inflationär häuften sich „Initiationen“, Einweihungen von führenden und prominenten Mitgliedern der theosophischen Gesellschaft durch die okkulten Meister. Diese Entwicklung, die Ankündigung der Gründung einer Weltuniversität und einer neuen Weltreligion, sowie der frühe Tod seines geliebten Bruders Nitya erschütterten seine bisherigen Vorstellungen und seinen Glauben an die „Meister“ wesentlich.

Am 3. August 1929 löste er die für ihn gegründete Organisation, den Order of the Star in the East mit folgender Rede auf:

„Ich behaupte, dass die Wahrheit ein pfadloses Land ist und dass es keine Pfade gibt, die zu ihr hinführen – keine Religionen, keine Sekten. Das ist mein Standpunkt, den ich absolut und bedingungslos vertrete. Die Wahrheit ist grenzenlos, sie kann nicht konditioniert, sie kann nicht auf vorgegebenen Wegen erreicht und daher auch nicht organisiert werden. Deshalb sollten keine Organisationen gegründet werden, die die Menschen auf einen bestimmten Pfad führen oder nötigen. Wenn ihr das einmal verstanden habt, werdet ihr einsehen, dass es vollkommen unmöglich ist, einen Glauben zu organisieren. Der Glaube ist eine absolut individuelle Angelegenheit und man kann und darf ihn nicht in Organisationen pressen. Falls man es tut, wird er zu etwas Totem, Starrem; er wird zu Gier, zu einer Sekte, einer Religion, die anderen aufgezwungen wird. […] Ich möchte keiner spirituellen Organisation, ganz gleich welcher Art, angehören, und ich bitte euch, das zu verstehen. Ich betone noch einmal, dass keine Organisation einen Menschen zur Spiritualität führen kann. Wenn eine Organisation zu diesem Zweck gegründet wird, so wird sie zu einer Krücke, die euch schwächt, zu einem Gefängnis. Solche Organisationen verkrüppeln das Individuum, hindern es daran zu wachsen und seine Einzigartigkeit zu leben, die ja darin liegt, dass es ganz alleine diese absolute, uneingeschränkte Wahrheit entdeckt. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass ich mich – da ich der Präsident des Ordens bin – entschlossen habe, den Orden aufzulösen. Niemand hat mich zu dieser Entscheidung gedrängt oder überredet. Das ist keine großartige Tat, denn ich will keine Jünger oder Anhänger; ich meine das so, wie ich es sage. In dem Moment, in dem man beginnt, jemandem zu folgen, hört man auf, der Wahrheit zu folgen.“ (zitiert nach Jayakar 1988, S. 86f)

Doch erst nach 1947 begann Krishnamurtis breitangelegtes öffentliches Wirken, welches er mit unverminderter Kraft und den Bedürfnissen der sich wandelnden Zeit angepassten Themen bis zu seinem Tod fortsetzen sollte. Während Krishnamurti in den frühen Jahren nach der Lösung von der theosophischen Gesellschaft viele Interviews gab und zahlreiche Diskussionen führte, so traten diese später zugunsten seiner Vortragstätigkeit in den Hintergrund.

Grundgedanken

Krishnamurtis Lehre geht von der Möglichkeit vollständiger „geistiger“ Freiheit aus, indem durch aufmerksame Beobachtung des eigenen Geistes und seiner Reaktionen in dem Moment, in dem diese geschehen, seine „Natur“ erkannt wird. Beziehungen zum Taoismus und zum Zen-Buddhismus (mit dessen psychologischen Aspekten sich Erich Fromm beschäftigte) sind erkennbar. Zentral für seine Lehre (die eigentlich keine ist), ist der Ausspruch „Truth is a pathless land“ (Etwa: „Die Wahrheit ist ein Land ohne vorgegebene Wege“): Keine Methode, keine Religion, kein Lehrer kann zur Wahrheit führen. Jeder ist für seinen Weg selbst verantwortlich.

Was immer Krishnamurti gesagt hat, niemals hat er daraus eine Theorie gemacht. In allen Vorträgen spricht er darüber, dass man bezweifeln muss, was er sagt. Denn nur das, was wir selbst erkennen, ist wirkliche Einsicht, nicht das, was wir in Büchern lesen. Das gilt auch und besonders für seine Bücher. Er versuchte zu verhindern, dass daraus eine neue Ideologie entsteht. Seine Aussagen sollen uns stattdessen anregen, selbst die Wahrheit unseres Lebens und des Lebens insgesamt herauszufinden.

Ausgewählte Themen

Krishnamurti glaubte, dass alle menschlichen Konflikte nur Auswirkungen unseres inneren Zustandes sind. Nicht an die äußere Beseitigung dieser Missstände sei zu allererst zu denken, sondern an eine Transformation des Menschen in seinem Inneren, eine radikalen Umwandlung, welche nichts zu tun habe mit einer neuen Weltanschauung oder Religion. Offensichtlich sei der Mensch konditioniert durch Traditionen und Vorurteile von Volk, Rasse, Geschlecht und anderem. Es seien die Menschen, die einander durch diese Trennungen zerstören:

„Es wird immer klarer, dass nicht Umweltprobleme, Hungertod und Armut oder die allgemeine Ungerechtigkeit das eigentliche Anliegen sind, sondern die Tatsache, dass die Menschen selber mehr und mehr zum Terror dieser Welt werden. Es sind Menschen, die einander zerstören. Sie spalten sich durch zerstörerische trennende Vorgänge in Klassen und Nationalitäten. […] Wir sind zu einer gegenseitigen Gefahr geworden; denn uns trennen die organisierten Religionen, die Glaubensbekenntnisse und Dogmen mit ihren Ritualen, dieser ganze Unsinn. Kriege, Kriegsvorbereitungen und Atombomben – Sie alle kennen den Schrecken dieser Welt. […] Warum sind wir nach Jahrmillionen der Evolution, in denen wir enormes Wissen und Erfahrung gesammelt haben, immer noch dieselben? Warum leiden wir immer noch, hassen einander immer noch, leben in persönlichen Illusionen? Warum sind wir stammesgebunden, setzen uns für Nationalitäten ein? Wo liegt die Ursache hierfür?“ (Krishnamurti o. J., S. 7–9)

Dies ist eine Frage, die Krishnamurti – in Variationen – immer wieder stellt. Nun darf der Leser von Krishnamurti keine Beantwortung im üblichen Sinne erwarten. Im Gegenteil: Krishnamurti gibt die Frage an denjenigen, der sie stellt, zurück: „Er lehrte den Zuhörer, sich wie in einem Spiegel zu betrachten – seinen Schmerz, seine Wut, Angst und Einsamkeit zu beobachten.“ (Jayakar 1988, S. 116)

Das Ich

Ein zentraler Punkt in der Lehre Jiddu Krishnamurtis ist die Frage nach dem Ich.

Während die Aufgabe der Psychologie bei Freud darin liegt, unbewusste Ich-Anteile in das Ich zu integrieren, um auf diese Weise (bereits aufgetretene) Konflikte aufzulösen, erkennt Krishnamurti bereits in der Annahme der Existenz eines Ichs das eigentliche Problem: Nicht eine Ich-Stabilisierung wird bei Krishnamurti angestrebt, sondern dessen Auflösung. Das Ich, Selbst oder auch Ego (Krishnamurti unterscheidet hier nicht) ist für Krishnamurti hingegen die Ursache aller Konflikte. Das Ich, erklärt er, ist ein Produkt, eine bloße Struktur des Denkens: „In sich selbst hat es keine Realität.“ (Krishnamurti 1984, S. 22).

Denken

Das Denken kann also nach Krishnamurti keine Lösung für unsere Konflikte darstellen, ebenso wenig aus dem Denken entstammende Weltanschauungen, bestimmte Werte, persönliche Ansichten etc. Denken sei ein trennender, analytischer Vorgang und könne niemals die Wirklichkeit sein. Vielmehr stelle es eine Reflexion unserer persönlichen, konditionierten Sicht der Dinge dar.

„Das Denken ist ein Vorgang in Zeit und Raum. Das Denken ist Gedächtnis, die Erinnerung an Vergangenes. Das Denken ist die Aktivität des Wissens … Wissen ist niemals vollständig. Es geht immer Hand in Hand mit Unwissenheit. […] Zeit, Wissen, Gedächtnis, Denken sind eine einzige Einheit.“ (Krishnamurti 1983, S. 23–25)

Ideen und Ideale

In diesen Zusammenhängen gewinnen Ideen und Ideale ebenfalls eine völlig neue Bedeutung. Krishnamurti schreibt ihnen keine weltverbessernde Bedeutung zu, sondern versucht im Gegenteil vielmehr ihre Gefährlichkeit darzustellen, wenn diese ihren Ursprung ausschließlich aus dem Denken und dem Ich haben.

Ideen und Ideale sind eine weitere Ursache unserer Konflikte:

„Die Idee ist uns wichtiger als die Wirklichkeit; was wir sein sollten, liegt uns mehr am Herzen, als was wir sind. […] Unser Streben ist ständig darauf gerichtet, diese Wirklichkeit in die Schablone unserer Vorstellung zu pressen. Da uns dies nicht gelingt, schaffen wir damit einen Gegensatz zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte. Was sein sollte, ist unsere Idee, die Schöpfung unserer Phantasie, es kommt also zum Konflikt zwischen Illusion und Wirklichkeit – nicht nach außen hin, sondern in uns selbst.“ (Krishnamurti o.J., S. 100, Hervorhebungen im Original)

Zeit

Krishnamurti unterscheidet zwischen chronologischer und psychologischer Zeit. Nicht die chronologische Zeit steht im Mittelpunkt seiner Diskussion, sondern die psychologische Bedeutung der Zeit: „Sie ist das Intervall zwischen Idee und Handlung“ (Krishnamurti 1985, S. 65).

Krishnamurti versucht zu verdeutlichen, dass unsere Vorstellung von, unser Denken über Zeit den Konflikt in sich trägt.

„Das Denken, das in diesen Prozess eingefangen ist, stellt die Frage: „Was ist Zeit?“ Und diese forschende Frage kommt aus dem Mechanismus der Zeit. Darum hat das Nachforschen keinen Wert, denn der Gedanke ist Zeit. Das Gestern hat das Denken hervorgebracht, und so teilt der Gedanke den Zeitraum in gestern, heute und morgen ein. Oder er sagt: „Es gibt nur die Gegenwart“, und vergißt dabei, dass die Gegenwart selbst das Ergebnis des Gestern ist.“ (Krishnamurti o. J., S. 94)

Erziehung

Krishnamurti kritisiert unsere einseitige Betonung des Erwerbs von Wissen und die möglichst konfliktfreie Einordnung in die Mechanismen unserer Gesellschaft mit ihren Werten und Traditionen, in welcher Leistung und Erfolg oft an erster Stelle stehen. Demgegenüber sollte wahre Erziehung „dem Schüler helfen, alle gesellschaftlichen Unterscheidungen und Vorurteile zu erkennen und bei sich niederzureißen …“ (Krishnamurti o.J., S. 44). Eine solchermaßen ausgerichtete Erziehung soll den Schüler oder das Kind jedoch nicht dazu ermutigen, von vornherein Konventionen oder Umgangsformen zu missachten – dies wäre nur eine Reaktion auf die Gesellschaft und kein freies Handeln – sondern es soll vielmehr nach den Auswirkungen und den Ursachen unserer korrumpierenden Gesellschaft in uns selbst geforscht werden.

Offensichtlich haben Erziehungskonzepte oder Reformen keine grundlegende Veränderung gebracht: „Ohne das ganze komplexe Wesen des Menschen zu verstehen, wird bloße Reformierung nur das verwirrende Verlangen nach weiteren Reformen erzeugen.“ (Krishnamurti 1984, S. 9). Nur das Fragen nach, und das Verstehen von uns selbst und nicht die Übernahme von Methoden, Grundsätzen, Autoritäten oder Idealen können demnach eine echte Wandlung bewirken:

„Was ist Erziehung? Es ist im wesentlichen die Kunst des Lernens, nicht nur aus Büchern, sondern durch die ganze Bewegung des Lebens. … Bücher sind wichtig, aber weit wichtiger ist es, jenes Buch, das Ihre eigene Geschichte ist, zu studieren, denn Sie sind die ganze Menschheit. Dieses Buch zu lesen ist die Kunst des Lernens.“ (Krishnamurti 1988, S. 122f)

Werke

Krishnamurti hat praktisch nur auf Englisch geschrieben oder gesprochen. Darum werden im folgenden die englischen Originalausgaben in Klammern angegeben. Eine chronologisch angelegte Werkausgabe existiert unter dem Titel Collected Works; bisher sind 17 Bände erschienen.

Tagebücher und persönliche Aufzeichnungen

1961/62 zeichnete er seine Erinnerungen an die Zeit seines „process“ in den 1920er-Jahren auf:

  • Das Notizbuch (Krishnamurti's Notebook, 1976)

Von 1973 bis 1975 verfasste er ein persönlich gehaltenes Tagebuch:

  • Krishnamurti's Journal, 1982

1983/84 sprach er, allein in einem Zimmer „laut denkend“, von einem Kassettenrecorder aufgezeichnet. Diese „Diktate“ wurden in folgendem Buch notiert:

  • Selbstgespräche – Das letzte Tagebuch, Grafing 1988 (Krishnamurti to Himself. His Last Journal, 1987)

Reden, Antworten auf Fragen, Gespräche

  • Königreich Glück, Jena 1928
  • Schöpferische Freiheit (The First and Last Freedom, 1948, mit Vorwort von Aldous Huxley)
  • Vertrauen zum Leben. Ein Beitrag zu Erziehung, 1954 (Education and the Significance of Life, 1953)
    • neu als Autorität und Erziehung,
  • Gedanken zum Leben (Commentaries on Living, 1956–60)
    • Band 1: Ideal und Wirklichkeit
    • Band 2: Konflikt und Klarheit
    • Band 3: Verstand und Liebe
  • Das Tor zu neuem Leben (Talks by Krishnamurti in Europe, 1962)
  • Antworten auf Fragen des Lebens (Think on these Things, 1964)
  • Einbruch in die Freiheit (Freedom from the Known, 1969)
  • In Kommunion mit dem Leben. Gespräche in Saanen 1964, Berlin 1966
  • Revolution durch Meditation. Die totale Erneuerung (The Only Revolution, 1970)
  • Der Flug des Adlers (The Flight of The Eagle, 1971)
  • Du bist die Welt – Reden und Gespräche (You are the World. Authentic Reports of Talks and Discussions in American Universities, 1972)
  • Wandel durch Einsicht (The Impossible Question, 1972)
  • Jenseits der Gewalt (Beyond Violence, 1973)
  • Anders Leben (A Wholly Different Way of Living, 1974)
  • Fragen und Antworten (Questions and Answers, 1979/80)
  • Leben ohne Illusionen. Reden in Saanen 1980
  • The Flame of Attention, 1981/82
  • Vom Werden zum Sein. Jiddu Krishnamurti im Gespräch mit David Bohm, 1987 (The Ending of Time, 1985)
  • Die Vorträge in Washington (Washington D.C. Talks, 1985)
  • Die letzten Gespräche in Saanen 1985, Grafing 1986 (Last Talks at Saanen, 1987)
  • Die Zukunft ist jetzt. Letzte Gespräche, Frankfurt am Main 1992 (The Future is Now. Krishnamurtis Last Talks in India, 1989)

Viele der Reden und Gespräche Krishnamurtis wurden auf Film festgehalten, und können z.B. bei YouTube gesehen werden.

Zusammenstellungen und Themenbücher

  • Dem Leben begegnen (Meeting Life)
  • Das Licht in Dir. Über die wahre Meditation (This Light in Oneself – True Meditation)
  • Liebe gleicht dem Duft der Rose (Freedom, Love and Action)
  • Mensch sein (To Be Human)
  • Vollkommene Freiheit – Das Krishnamurti-Buch (Total Freedom)
  • Über die Liebe (On Love and Loneliness)
  • Über Leben und Sterben Reflexionen über die letzten Dinge (On Living and Dying)
  • Die Wahrheit ist ein pfadloses Land (The Little Book on Living)
  • Glück oder die Stille des Geistes
  • Gespräche über das Sein, 1977 (Talks with American Students, 1970)
  • In Kommunion mit dem Leben (Talks by Krishnamurti in Europe)
  • Erziehung zur Kunst des Lebens – Briefe an seine Schulen (Letters to the Schools, Volume 1.) September 1978 bis März 1980
  • Der unhörbare Ton – Briefe über die Achtsamkeit (Letters to the Schools, Volume 2.) August 1981 und November 1983
  • Frei sein! (The Urgency of Change)

Quelle

  • Norbert Heider, aus seiner Diplomarbeit Die pädagogisch-psychologische Konzeption der Krishnamurti-Schulen, 1993

Einzelnachweise

  1. nach Mary Lutyens: Krishnamurti, S. 25
  2. Jean Overton-Fuller: Krishnamurti
  3. Norbert Klatt: Theosophie und Anthroposophie, Norbert Klatt Verlag, Göttingen 1993
  4. Overton-Fuller, aaO
  5. Grübler/Rademacher: Religion in Berlin. Ein Handbuch, Weißensee Verlag, Berlin 2003
  6. Pupul Jayakar: Krishnamurti. Ein Leben in Freiheit, S. 82–113
  7. Jayakar, aaO

Literatur

  • Evelyne Blau: Krishnamurti 100 Jahre, Aquamarin, Grafing 2001, ISBN 3894270721
  • Jan Foudraine (Amrito): Bhagwan, Krishnamurti, C.G. Jung und die Psychotherapie, Synthesis, Essen 1983, ISBN 3-922026-20-6
  • Pupul Jayakar: Krishnamurti. Leben und Lehre, Bauer, Freiburg im Breisgau 1988, ISBN 3-7626-0347-2
    • ergänzte Neuausgabe: Krishnamurti. Ein Leben in Freiheit, Nietsch, Freiburg 2003, ISBN 3929345188
  • Mary Lutyens: Krishnamurti – Die Biographie, Aquamarin, Grafing 1991, ISBN 3-89427-008-X
  • Peter Michel: Krishnamurti – Liebe und Freiheit. Annäherung an ein Geheimnis, Aquamarin, Grafing 1992, ISBN 3-89427-018-7
  • Jean Overton-Fuller: Krishnamurti – Der Geist weht wo er will, Aquamarin, Grafing 2000, ISBN 3-89427-149-3
  • Vimala Thakar: Meine Begegnung mit Krishnamurti, Aquamarin, Grafing 1989, ISBN 3-922936-85-7

Weblinks

Deutsch

Englisch


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