Johann Reichhart

Johann Reichhart

Johann Reichhart (* 29. April 1893 in Wichenbach bei Wörth an der Donau; † 26. April 1972 in Dorfen bei Erding) gilt als der meistbeschäftigte Henker Deutschlands. Er entstammte einer bayerischen Abdecker- und Scharfrichtersippe, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückzuverfolgen ist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Reichhart übernahm 1924 in Bayern dieses Amt von seinem Onkel Franz Xaver Reichhart. Reichhart vollzog nicht nur in Bayern Hinrichtungen, sondern auch in Sachsen, Thüringen und Württemberg, sowie ab 1933 an den zentralen Hinrichtungsstätten München, Dresden und Stuttgart. Er trat am 1. Mai 1937 der NSDAP bei. Reichhart vollzog vertretungsweise auch Hinrichtungen in Köln, Frankfurt-Preungesheim, Berlin-Plötzensee, Brandenburg-Görden und Breslau, wo ebenfalls zentrale Hinrichtungsstätten eingerichtet worden waren. Von 1938 bis 1944 war er auch zuständiger Scharfrichter für die zentralen Hinrichtungsstätten in Wien und Graz. Während der Weimarer Republik seit 1924 und der Zeit des Dritten Reiches vollstreckte er etwas über 3.000 Todesurteile mit der Guillotine. Er richtete auch Hans Scholl und Sophie Scholl hin, die bekannten Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose.

Nach 1945 wurde er von der US-Militärregierung in Deutschland bis Ende Mai 1946 weiterbeschäftigt. Er henkte 156 zum Tode verurteilte Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher im Gefängnis Landsberg am Lech am Galgen. Die hierfür erforderliche Technik muss ihm spätestens seit 1942 bekannt gewesen sein, als er einen Konstruktionsvorschlag für einen Galgen britischer Bauart mit Falltür einreichte (Long Drop), der jedoch vom Justizministerium abgelehnt wurde (das Erhängen war durch Reichsgesetz vom 29. März 1933 als zusätzliche Hinrichtungsart eingeführt worden). Bei Erhängungen während des Dritten Reichs musste Reichhart demnach mit der österreichischen Methode der Strangulation arbeiten. Reichharts Erfahrungen in Landsberg machte die amerikanische Justiz sich vermutlich zunutze, indem sie den Master Sergeant Woods durch Reichhart im Umgang mit dem Galgen unterrichten ließ und ihn beauftragte, den Bau der Galgen in Nürnberg zu überwachen. Woods henkte am 16. Oktober 1946 die im Hauptkriegsverbrecher des Nürnberger Prozesses Verurteilten, assistiert von Joseph Malta.

Während seiner gesamten Dienstzeit war für ihn charakteristisch, dass er den Hinrichtungsablauf zu beschleunigen und für den Verurteilten „weniger belastend“ zu machen suchte. Ab etwa 1939 ersetzte er das Kippbrett (bascule) an der Guillotine durch eine fest montierte Richtbank, auf der der Delinquent durch die Scharfrichter-Assistenten ohne vorheriges Anschnallen lediglich festgehalten wurde, bis das Beil gefallen war. Hierdurch verkürzte sich die Vollstreckungszeit auf drei bis vier Sekunden. Im Jahr 1944 war im Zuge des Attentates auf Adolf Hitler die Zahl der Hinrichtungen, über die Reichhart genau Buch führte, überproportional angestiegen. Reichhart galt als „König der Henker“. [1] Das hat damit zu tun, dass er in seiner Tätigkeit eine außergewöhnliche Perfektion erreichte. Seine Gehilfen bescheinigten ihm, dass er bei den Hinrichtungen mit dem Fallbeil stets das für den Einzelfall optimale Messer herauszufinden gewusst habe. In den Messerkästen befanden sich immer mehrere Messer zur Auswahl. Scharfrichter Reichhart wählte für seine Hinrichtung jeweils das Messer aus, das ihm in Hinblick auf die körperliche Konstitution des entsprechenden Delinquenten am geeignetsten schien, einen sicheren und schnellen Tod herbeizuführen. Aus diesem Grunde verschaffte sich Reichhart vor jeder Hinrichtung mit einem Blick durch den Spion der Gefängniszelle ein Bild vom Todeskandidaten. Er besaß, wie seine Gehilfen später bestätigten, vom Anfang an das untrügliche Augenmaß, um jeweils das richtige Messer einzusetzen.[2]

Reichharts Amt machte ihn zu einer einsamen und geächteten Person. Seine Ehe scheiterte, sein Sohn Hans beging 1950 Suizid. Neben dem Beruf des Vaters hatte ihn auch dessen Entnazifizierungsverfahren stark belastet.

Als 1963 während einer Mordserie an Taxifahrern Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe laut wurden, schloss Reichhart sich ihnen an. Als seine bevorzugte Methode nannte er die Guillotine, weil sie die schnellste und sauberste sei.

Literatur

  • Matthias Blazek: Scharfrichter in Preußen und im Deutschen Reich 1866–1945, ibidem, Stuttgart 2010, S. 91 ff. ISBN 978-3-8382-0107-8
  • Stefan Amberg: Johann Reichhart, der letzte deutsche Henker. Goldmann, München 1984, ISBN 3-442-06765-0
  • Ulrich Chaussy: Beruf: Scharfrichter. Die Geschichte des letzten bayerischen Henkers, Johann Reichhart (Land und Leute). Bayerischer Rundfunk, München 1996
  • Johann Dachs: Tod durch das Fallbeil: Der deutsche Scharfrichter Johann Reichhart (1893–1972). Ullstein, Berlin 2001, ISBN 3-548-36243-5
  • Gotthold Leistner: Sachsen und die Guillotine. Ein Beitrag zur Geschichte eines Tötungsmonstrums. In: Sächsische Heimatblätter, 48. Jg. (2002), S. 130-149
  • Mario Todte: Die Hinrichtungen in Sachsen (1900–1981) Online-Ressource
  • Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling-Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-00-024265-6

Theaterstück

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gotthold Leistner: Sachsen und die Guillotine. Ein Beitrag zur Geschichte eines Tötungsmonstrums. In: Sächsische Heimatblätter, 48. Jg. (2002), S. 130-149. hier S. 141
  2. Johann Dachs: Tod durch das Fallbeil: Der deutsche Scharfrichter Johann Reichhart (1893–1972), Berlin 2001, S. 80



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