Johannes Agnoli

Johannes Agnoli

Johannes Agnoli (* 22. Februar 1925[1] in Valle di Cadore, Italien; † 4. Mai 2003 in San Quirico di Moriano bei Lucca, Italien) war ein deutscher Politikwissenschaftler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Agnoli stammte aus einer wohlhabenden Familie in Valle di Cadore in den östlichen Dolomiten. Die Krise von 1929 beraubte die Familie ihrer ökonomischen Grundlage. Als 17-Jähriger verfasste er lobhudelnde Schriften auf den Krieg, den Duce und den Faschismus. Nach dem Abitur im Mai 1943 meldete er sich freiwillig bei der deutschen Waffen-SS zu den Gebirgsjägern der Wehrmacht, die ihn in den Krieg gegen jugoslawische Partisanen schickte. Im Mai 1945 geriet er in britische Gefangenschaft und wurde in das ägyptische Lager Moascar gebracht. Im „Reeducational Work“ betreute er den Philosophiekurs, den er mit Windelbands Philosophiegeschichte bestritt, und lernte dabei Deutsch. Im Sommer 1948 wurde er entlassen.

Im württembergischen Urach arbeitete er zunächst in einem Sägewerk, bis er im Dezember 1949 mit einem Kriegsteilnehmer-Stipendium in Tübingen studieren konnte. Im Mai 1955 wurde er in Deutschland eingebürgert. Er promovierte mit einer Arbeit über Giambattista Vicos Rechtsphilosophie und machte bei Theodor Eschenburg ein Examen in Politikwissenschaft. 1957 trat er in die SPD ein, aus der er 1961 als Mitglied der Sozialistischen Förderergesellschaft wegen Unvereinbarkeitsbeschlusses mit dem SDS ausgeschlossen wurde. 1960 wurde er Assistent bei dem Politikwissenschaftler Ferdinand Aloysius Hermens in Köln. Anders als viele aus seiner Generation machte er aus seiner Mitgliedschaft in faschistischen Organisationen in seiner Jugendzeit keinen Hehl und übte Selbstkritik. Auch die von seiner Frau verfasste Biographie verschweigt seine Vergangenheit nicht. Nachdem Agnoli auf einer Tagung die Anerkennung der DDR befürwortet hatte, trennte sich Hermens von ihm. Auf Empfehlung von Wolfgang Abendroth wurde er Assistent von Ossip K. Flechtheim am Otto-Suhr-Institut und habilitierte sich dort 1972.

Er war von 1972 bis 1990 Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Agnoli gehörte zu den theoretischen Vordenkern der 68er-Studentenbewegung. Mit seinem Buch „Die Transformation der Demokratie“ schuf er das Standardwerk zur radikaldemokratischen Wahl- und Pluralismuskritik in Deutschland nach 1967. Agnoli war 1967 maßgeblich an der Gründung des Republikanischen Clubs in West-Berlin beteiligt und auch an den Debatten und Aktionen der Außerparlamentarischen Opposition (APO).

1977 war Agnoli Mitherausgeber von „Buback - ein Nachruf“.[2] Agnoli war gegen das Gewaltmonopol des Staates, betonte aber gleichsam wie der Göttinger Mescalero: „Der Weg zur Emanzipation ‚kann nicht mit Leichen gepflastert werden‘.“[3]

Rezeption in der Linken

In drei Strömungen der politischen Linken kann eine Agnoli-Rezeption festgestellt werden. Beim Ça ira Verlag, im Konflikt und Agnoli-Streit um Herausgeber-Rechte und antideutsche Positionen, in der autonomen Bewegung und im libertär-sozialistischen Spektrum um die Zeitschriften „Schwarzer Faden“ und „Graswurzelrevolution“. Hans Jürgen Degen beschrieb Johannes Agnoli als einen exzellenten Anarchismus-Kenner: Agnoli „interpretierte ‚seinen‘ Marx eben ‚libertär‘, weil der ‚Marxismus‘ des ‚Nicht-Marxisten‘ Marx für ihn eine freiheitliche ‚Lehre‘ war. Agnoli wollte die Versöhnung der beiden ‚autoritären Knochen‘ Marx und Bakunin: Er wollte die ‚freiheitlichen Elemente der zersplitterten sozialistischen Emanzipationsbewegung zur Aktion bringen‘. Das sollte aber keineswegs durch Verwischung der unterschiedlichen Positionen geschehen. … Agnoli hatte einen ‚starken Hang‘ zum Libertären. Deshalb bedauerte er die ‚gesellschaftliche Impotenz‘ der Libertären: ‚Mit einem Schuss Marx kann das vergehen.‘“ [4]

Werke

  • mit Peter Brückner: Die Transformation der Demokratie. Voltaire Verlag, Berlin 1967 (aktuelle Ausgabe: Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2004 ISBN 3-89458-232-4)
  • mit Wolf-Dieter Narr, Hermann Kaste, Joachim Raschke: Auf dem Weg zum Einparteienstaat. Verlag für Sozialwissenschaften, 1977 ISBN 3-531-11366-6
  • mit Ernest Mandel: Offener Marxismus. Ein Gespräch über Dogmen, Orthodoxie und die Häresie der Realität. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1980
  • Subversive Theorie: 'Die Sache selbst’ und ihre Geschichte. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1999, ISBN 3-924627-41-X.
  • Der Staat des Kapitals und weitere Schriften zur Kritik der Politik. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1995, ISBN 3-924627-32-0.
  • Faschismus ohne Revision. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1998, ISBN 3-924627-47-9.
  • 1968 und die Folgen. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1998, ISBN 3-924627-59-2.
  • Politik und Geschichte. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 2004, ISBN 3-924627-67-3.

Literatur

  • Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann und Clemens Nachtmann (Hrsg.): Geduld und Ironie. Johannes Agnoli zum 70. Geburtstag. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 1995, ISBN 3-924627-42-8.
  • Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann und Clemens Nachtmann (Hrsg.): Kritik der Politik - Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag. ça ira Verlag, Freiburg i. Br. 2000, ISBN 3-924627-66-5.
  • Barbara Görres Agnoli: Johannes Agnoli - Eine biografische Skizze. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2004, ISBN 3-89458-233-2.
  • Ekkehart Krippendorff: Rot war die Farbe dieses bunten Vogels - Rebellieren ist immer gerecht: zum Tod des Berliner Politologen Johannes Agnoli. In: Der Tagesspiegel 7. Mai 2003.
  • Wolf-Dieter Narr: Johannes Agnoli - Die rare, aber aller Emanzipation notwendige Kombination: Kommunist und Anarchist in einer Person (und ihrer ProgrammPraxis). In: Graswurzelrevolution Nr. 281, Sommer 2003 online.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Who's Who in The World 2001 (21. Edition), Seite 22
  2. http://www.glasnost.de/hist/apo/77buback.html
  3. B.Görres Agnoli: Johannes Agnoli, eine biographische Skizze, Hamburg 2004, S.76
  4. aus Gesprächen mit Agnoli, zit. in Graswurzelrevolution Nr. 338, 4/2009

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