- Juden in Berlin
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Die Geschichte der Juden in Berlin begann bereits kurz nach der Stadtentstehung. Bis zum Beginn der Neuzeit wurden die Juden mehrfach aus Berlin vertrieben. Seit 1671 gab es dauerhaft eine jüdische Bevölkerung in Berlin, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis auf 173.000 Menschen im Jahre 1925 anwuchs und in dieser Zeit eine wichtige und prägende Rolle in Berlin spielte. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden 55.000 Juden Opfer des Holocaust, die meisten anderen flohen oder wurden vertrieben. Lediglich 9000 Juden überlebten in Berlin im Untergrund oder in einer Ehe mit einem nichtjüdischen Ehepartner.
Insbesondere durch den Zuzug von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wuchs die Zahl der Juden in Berlin seit 1990 wieder an. Heute leben in der Stadt mehr als 12.000 Juden.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Von der Stadtentstehung bis zur Vertreibung 1573
Schon zur Zeit der Entstehung der beiden Städte Berlin und Cölln im späten 12. Jahrhundert gab es jüdische Händler in der Mark Brandenburg. Die erste urkundliche Erwähnung von Juden in Berlin datiert aus dem Jahre 1295: In einem Privileg der Berliner Tuchmacherzunft wird den zur Zunft gehörenden Wollwebern verboten, Garn bei Juden einzukaufen. Die Juden mussten in Berlin nicht in einem Ghetto leben, wohnten aber dicht beieinander im Klosterviertel, einer Gegend, die noch bis zum Zweiten Weltkrieg durch den Großen Jüdenhof und noch heute durch die Jüdenstraße am Roten Rathaus auffindbar ist. In der frühen Berliner Zeit gab es noch keinen jüdischen Friedhof in Berlin. Die Juden nutzten gemeinsam mit den Spandauer Juden den heute nicht mehr erhaltenen Judenkiewer Spandau; der älteste erhaltene Grabstein von diesem Friedhof stammt von 1244.
Die Juden waren in dieser Zeit rechtlos und ganz vom Wohlwollen der Herrschenden abhängig, ihnen blieben nur wenige Tätigkeitsfelder wie das Kreditwesen und der Handel zum Broterwerb. Insbesondere in Krisenzeiten kam es immer wieder zu Verfolgungen und Vertreibungen. Meist siedelten sich aber schon bald Juden wieder neu an. So kam es im Jahre 1348/49, als die Pest in Europa wütete, das erste Mal zu größeren Judenverfolgungen in Berlin. 1446 vertrieb Kurfürst Friedrich II. die Juden aus der Mark Brandenburg.
1510 kam es in Folge eines Diebstahls aus der Kirche des havelländischen Ortes Knoblauch durch den christlichen Kesselflicker Paul Fromm aus Bernau zu einem antijüdischen Prozess in Berlin, der schließlich 50 Juden das Leben kostete. Durch unter der Folter erpresste „Geständnisse“ wurden immer mehr Juden der Hostienschändung und des Ritualmords verdächtigt. Vom 11.–19. Juli fand auf dem Neuen Markt in Berlin der Prozess gegen 41 Menschen statt, in deren Ergebnis Fromm und 38 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, zwei Juden, die zuvor konvertiert waren, wurden enthauptet, zehn weitere waren bereits vorher durch die Folter umgekommen. Im Anschluss wurden alle Juden aus der Mark Brandenburg vertrieben. Der jüdische Friedhof in Spandau wurde zerstört.
Bereits 1539 durften sich wieder Juden in Berlin ansiedeln, um jedoch 1573, und diesmal für ein Jahrhundert, wieder vertrieben zu werden. Den Anlass dafür lieferte diesmal der kurfürstliche Münzmeister Lippold, der als Finanzier des Landes und des Hofes bei seinem Dienstherrn Joachim II. in hohem Ansehen stand, aufgrund seines harten Regiments bei den Untertanen, Christen wie Juden, jedoch verhasst war. Nach dem plötzlichen Tod des Kurfürsten wurde Lippold 1571 zunächst wegen Diebstahls und Unterschlagung verhaftet. Es kam zu Pogromen, in deren Verlauf die damals genutzte Synagoge in der Klosterstraße zerstört wurde. Nach einer zwischenzeitlichen Freilassung wurde Lippold dann unter dem Vorwurf der Zauberei und des Mordes am Kurfürsten der Prozess gemacht; 1573 wurde er grausam hingerichtet. Die Juden wurden „für alle Ewigkeit“ aus der Mark Brandenburg vertrieben.[1] Ob in dieser Zeit ein Friedhof in der Judengasse, in der Gegend der heutigen Berolinastraße, für jüdische Bestattungen genutzt wurde, ist umstritten.
Die Neugründung der Jüdischen Gemeinde 1671
Die heutige jüdische Gemeinde geht zurück auf das Jahr 1671, als einige jüdische Familien nach Berlin kamen. Sie waren 1670 von Leopold I. aus Wien vertrieben worden. Da Brandenburg nach dem Dreißigjährigen Krieg daniederlag, war der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm bestrebt, Zuwanderer ins Land zu holen, um zu dessen Wiederaufbau beizutragen. Neben den Hugenotten, die ab 1685 ins Land kamen, erlaubte er zu allerdings wesentlich schlechteren Bedingungen am 21. Mai 1671 auch 50 wohlhabenden jüdischen Familien, sich in Brandenburg niederzulassen. Das Privileg Friedrich Wilhelms erlaubte den Juden die Niederlassung in der gesamten Mark und wies ihnen als Betätigungsfeld den Handel zu, die Zünfte blieben ihnen versperrt. Neben den üblichen Steuern musste jede jüdische Familie eine jährliche Schutzgebühr zahlen. Nur ein Kind pro Familie durfte sich in der Mark niederlassen; um eine Heiratserlaubnis zu bekommen, musste eine extra Gebühr entrichtet werden. Die entstehenden jüdischen Gemeinden durften einen Lehrer und einen Schächter anstellen und einen Friedhof anlegen, der Bau von Synagogen jedoch blieb vorläufig verboten.
Am 10. September 1671 erhielten die ersten beiden Familien einen Schutzbrief, dieses Datum gilt bis heute als Gründungsdatum der Berliner Jüdischen Gemeinde. In Berlin siedelten sich zunächst neun Familien an. Die Zahl wuchs jedoch im Laufe der nächsten Jahrzehnte an: 1688 lebten bereits 40, 1700 117 jüdische Familien in Berlin. Entsprechend dem kurfürstlichen Privileg wurde bereits 1672 vor dem Spandauer Tor ein jüdischer Friedhof angelegt, ab 1675 ist eine Beerdigungsbruderschaft belegt. Gottesdienste mussten zunächst in Privatwohnungen abgehalten werden. Erst am 7. September 1714 konnte in der Heidereuthergasse eine Synagoge eingeweiht werden. Bei der Einweihung des prachtvollen Baus war die Königin Sophie Dorothea anwesend. Die Synagoge war in den Boden eingelassen, weil sie die umliegenden Gebäude nicht überragen durfte.
Die restriktiven Bestimmungen für die Berliner Juden wurden 1714 etwas gelockert, so wurden beispielsweise Handelsbeschränkungen aufgehoben. Im General-Reglement von 1730 und dem Revidierten General-Privileg von 1750 wurden den preußischen Juden eine Reihe weiterer Beschränkungen sowie neue finanzielle Lasten auferlegt. Diese Bestimmungen blieben im Wesentlichen bis Anfang des 19. Jahrhunderts zur Zeit der preußischen Reformen bestehen.
Die aufstrebende jüdische Gemeinde
Moses Mendelssohn ist einer der wichtigsten Humanisten des 18. Jahrhunderts und begründete die Bankiersfamilie Mendelssohn und das Bankhaus Mendelssohn in der Jägerstraße, die in der Folge ein Zentrum der Berliner Kultur- und Literaturszene wurde. Neben Moses Mendelssohns Enkel Felix Mendelssohn Bartholdy und dessen Schwester Fanny Hensel trugen vor allem Rahel Levin, Dorothea Veit und Henriette Herz entscheidende kulturelle Impulse bei. Ohne sie wäre das literarische Leben in Berlin zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht denkbar. Ausgehend von den literarischen Salons im Umkreis dieser drei Frauen entstanden um diese Zeit zahlreiche literarische Gruppen, wie beispielsweise der Nordsternbund und die Serapionsbrüder. Das preußische Judenedikt von 1812 führte zur teilweisen rechtlichen Gleichstellung der in Preußen wohnhaften Juden. Obwohl ihnen der Zugang zum Offizierskorps, zur Justiz und zur öffentlichen Verwaltung bis zum Emanzipationsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1869 verwehrt blieb, waren Juden in Berlin vom 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts außerordentlich gut integriert. Aaron Bernstein, ein Teilnehmer der Revolution von 1848, war Mitbegründer der liberalen Reformgemeinde. Weitere nennenswerte Persönlichkeiten aus dieser Zeit sind unter anderem Wilhelm Beer, Paul Singer, Samuel Fischer, Leopold Ullstein und Max Liebermann, Gründungsmitglied der Berliner Secession. Siehe dazu auch „Kaiserjuden“.
Die älteste Berliner Synagoge befand sich in der Heidereutergasse, die wichtigste war die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße, sie diente bis 1938 als Hauptsynagoge und ist heute nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und Wiederaufbau Museum. Der Jüdische Friedhof vor dem Schönhauser Tor von 1827 wurde 1880 von dem Jüdischen Friedhof in Weißensee abgelöst, der zum größten jüdischen Friedhof Europas wurde. 1869 spaltete sich die Israelitische Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel ab, da die Jüdische Gemeinde mehr und mehr zum Reformjudentum tendierte. Adass Jisroel erwarb 1873 einen eigenen Friedhof in Weißensee, der ab 1880 von ihnen genutzt wurde.
20. Jahrhundert
Nach einem stetig ansteigenden Zuzug jüdischer Menschen aus dem osteuropäischen Raum, insbesondere aus Galizien seit 1870 stellte die jüdische Bevölkerung Berlins einen wichtigen Teil des städtischen Lebens dar. Viele von ihnen kamen zunächst bei Freunden und Verwandten rund um das Scheunenviertel unter. Das jüdische Leben in Berlin spielte sich aber nicht nur in den Synagogen und beim religiösen Brauchtum ab, sondern in allen Lebensbereichen. Unter den jüdischen Mitbürgern waren bekannte Künstler ebenso wie Intellektuelle, Wissenschaftler, Ärzte, Architekten, Fabrikanten aber auch einfache Arbeiter.
1904 wurde die Synagoge Rykestraße in Prenzlauer Berg eingeweiht, die heute die größte Synagoge Deutschlands ist.
Vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten waren 160.000 Mitglieder in jüdischen Gemeinden in Berlin eingeschrieben, ein Drittel der jüdischen Bevölkerung des Deutschen Reiches. Die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten begann mit der „Säuberung“ der Grenadierstraße im Berliner Scheunenviertel im März 1933. Es handelte sich um ein Pogrom der SS gegen die dort ansässige, meist ostjüdische Bevölkerung. Die Nationalsozialistische Führung versuchte mit ständigen Willkürakten fortan eine judenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung zu wecken. Auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 wurde dann die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. Hierzu gehörte die Berliner Fabrikaktion, in deren Folge Ende Februar/Anfang März 1943 es zum Rosenstraßen-Protest kam.
Nach der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Jüdischen Gemeinde von 1945 bis 1949 von Erich Nehlhans und nach dessen Verhaftung durch sowjetische Behörden von Hans Erich Fabian geleitet. Heinz Galinski war von April 1949 bis zu seinem Tod 1992 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (von 1953 bis 1989 der Westberliner jüdischen Gemeinde). Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 fusionierten auch die beiden Jüdischen Gemeinden (Ost- und Westberlin) zu einer gemeinsamen Gemeinde. Im Jahre 2006 erfolgte der Umzug vom bisherigen Gemeindessitz im Westteil der Stadt zurück an seinem ursprünglichen Ort in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte.
Die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin nach Galinski:
- 1992 bis Juni 1997: Jerzy Kanal,
- Juni 1997 bis Mai 2001: Dr. Andreas Nachama, Sohn von Oberkantor Estrongo Nachama,
- Mai 2001 bis Januar 2004: Dr. Alexander Brenner,
- Januar 2004 bis November 2005: Albert Meyer,
- November 2005 bis Januar 2008: Dr. Gideon Joffe.
- seit Januar 2008: Lala Süsskind
Seit 1989 wird alljährlich der Heinz-Galinski-Preis zur Förderung der deutsch-jüdischen Verständigung vergeben.
Nach Aussagen des AJC (American Jewish Committee) ist Berlin derzeit die weltweit am schnellsten wachsende jüdische Gemeinschaft. Dies ist bedingt durch die Zuwanderung von russischen Juden in den letzten Jahren. Mittlerweile sind über 80 % der Gemeindemitglieder eingewanderte Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist als Einheitsgemeinde organisiert, die sechs Gemeindesynagogen, sowohl orthodoxe als auch liberale, betreibt. Seit 2006 gibt es in Berlin auch eine sephardische Synagoge. Drei Rabbiner der jüdischen Gemeinde und mehrere weitere Rabbiner, darunter seit 2007 wieder eine Frau, arbeiten in Berlin. Schon vor der Shoa war bis zur ihrer Deportation 1942 die Rabbinerin Regina Jonas in der Neuen Synagoge tätig. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist mit mehr als 11.000 Mitgliedern[2] die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. Sie bietet ihren Mitgliedern eine weit gefächerte jüdische Infrastruktur, die alles enthält, was für ein jüdisches Leben notwendig ist. Neun Synagogen, zwei rituelle Tauchbäder, mehrere Schulen, Erwachsenenbildung, Pflegeheim, Betreutes Wohnen; Seniorenwohnheim und einen ambulanten Pflegedienst.
Daneben gibt es die kleine orthodoxe Gemeinde Adass Jisroel mit 1000 Mitgliedern sowie mehrere tausend Juden, die keiner Gemeinde angehören.[3]
Heutige Bedeutung und Aufgabe der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben sieht die Jüdische Gemeinde die soziale Unterstützung bedürftiger Mitglieder, insbesondere die Integration von Zuwanderern aus den GUS-Staaten, die heute mehr als drei Viertel der Mitglieder ausmachen. Für eine jüdische Erziehung stehen Kindern und Jugendlichen unter anderem die jüdische Kindertagesstätte, die Heinz-Galinski-Grundschule sowie die Jüdische Oberschule (Realschule und Gymnasium) offen. Außerdem gibt es ein Jugendzentrum und zahlreiche weitere Aktivitäten für jüdische Jugendliche.
Siehe auch
Literatur
- Berlin Museum (Hrsg.): Synagogen in Berlin – Zur Geschichte einer zerstörten Architektur. Teil 1: Die Gemeindesynagogen. Verlag Willmuth Arenhövel, Berlin, 1983
- Reinhard Rürup (Hrsg.): Jüdische Geschichte in Berlin. Bilder und Dokumente. Edition Hentrich, Berlin 1995, ISBN 3-89468-181-0
- Michael Brocke, Eckehart Ruthenberg, Kai Uwe Schulenburg: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin). Institut Kirche und Judentum, Berlin 1994, ISBN 3-923095-19-8
- Anatol Gotfryd: Der Himmel in den Pfützen - Ein Leben zwischen Galizien und dem Kurfürstendamm. wjs, Berlin 2005, ISBN 3-937989-04-8 (Vorwort von George Tabori)
- Bill Rebiger: Das jüdische Berlin. Kultur, Religion und Alltag gestern und heute. Jaron Verlag, Berlin 2007, ISBN 3-89773-137-1
Weblinks
- Homepage der Jüdischen Gemeinde
- Juden in Berlin
- Jüdisches Berlin
- Verein zur Förderung jüdischer Kultur
- Jüdisches Leben in Deutschland von 1914–2005. Ein Onlineangebot der Bundeszentrale für politische Bildung und des Deutschen Historischen Museums.
Quellen
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