KV62

KV62

KV62
Grabmal von Tutanchamun

Ort Tal der Könige
Entdeckungsdatum 4. November 1922
Ausgrabung Howard Carter
Vorheriges
KV61
Folgendes
KV63

Das altägyptische Grabmal KV62 im Tal der Könige (KV als Akronym für King's Valley) ist die Ruhestätte des Pharaos Tutanchamun aus der 18. Dynastie. Es gilt durch seine öffentlichkeits- und medienwirksame Entdeckung in fast unberührtem Zustand im Jahr 1922 durch den britischen Archäologen Howard Carter als die populärste Grabstätte in Ägypten.

Inhaltsverzeichnis

Architektur und Ausstattung

Grundriss von KV62
Schematische Darstellung des Grabes

Die Grabanlage besitzt trotz ihres vergleichsweise geringen Umfangs eine mit den traditionellen Gräbern des Tals vergleichbare Raumaufteilung und wird aufgeteilt in einen Zugangsweg (A) mit 16 Treppenstufen, einen absteigenden Korridor (B), eine daran anschließende rechteckige große Vorkammer (I) sowie eine sich links an der rückwärtigen Wand anschließende Seitenkammer bzw. Annex oder Anbau (Ia). An die große Kammer (I) schließt sich an der rechten nördlichen Seite eine Grabkammer (J) und ebenso eine östlich davon abzweigende Seitenkammer (Ja) an, die im fachlichen Sprachgebrauch auch als Schatzkammer bezeichnet wird. Abgesehen von der Grabkammer ist das gesamte Grab undekoriert.

Die umfassende Grabausstattung mit den in den Kammern I, Ia, J und Ja gefundenen 3500 weitgehend unversehrten Artefakten brachten wertvolle Erkenntnisse zumindest über die Lebensweise des königlichen Hofstaats und damit auch einen immensen wissenschaftlichen Fortschritt für die ägyptologische Forschung. So identifizierte Carter im Grabinventar des Königs neben Kleidung, Stoffen und zahlreichen Skarabäen bzw. Schmuckstücken aus Gold und Edelsteinen, Skulpturen, verschiedene Kosmetika, Salben, Weihrauch, Möbelstücke wie Stühle und Liegen, Brettspiele, Lampenbedarf, Nahrungsmittel, Ton- und Goldgefäße sowie Kriegsgerät und Jagdwaffen. Von den Fundstücken sind heute etwa 1700 im Ägyptischen Museum in Kairo ausgestellt, alle weiteren befinden sich in Magazinen des Museums sowie in Luxor.

Nach eingehender kunsthandwerklicher und fachwissenschaftlichen Untersuchung der Architektur, der Wandmalereien und Grabbeigaben, insbesondere aber der Schreine, deutet das Interieur auf ein überhastetes Begräbnis entsprechend der rituellen 70-Tage-Frist und auf überwiegend unpersönliche, vielerorts umgewidmete und rasch organisierte Grabausstattung hin. Für die ägyptologische Forschung ergeben sich hieraus zahlreiche Erkenntnisse über die politischen Umstände zum Todeszeitpunkt des Pharaos Tutanchamun.

Darüber hinaus gibt die Ausstattung in KV62 Aufschluss über die während der Regentschaft des Tutanchamun in Ägypten vollzogene religiöse und kulturelle Restaurationsphase von der Amarna-Periode zurück zu einer staatsreligiösen Verehrung des Amun-Re.

Die Vorkammer I

Entlang der rückwärtigen westlichen Wand waren hintereinander in Richtung auf die Grabkammer drei zeremonielle Barken aufgestellt.

Thronsessel des Tutanchamun, Ägyptisches Museum, Kairo

Unter der linken hinteren Barke stand der vergoldete und mit Fayenceeinlagen, Stein und buntem Glas verzierte Thronsessel Tutanchamuns. Die vordere Lehnenseite des Thrones zeigt eine Szene im Amarna-Stil, in der Anchesenpaaton, die Gemahlin des damals noch Tutanchaton genannten Pharaos, dem sitzenden König den Brustschmuck anlegt. Über ihnen schwebt die Sonnenscheibe Aton, die den beiden – symbolisiert durch Anch-Symbole – langes Leben verleiht. Die äußere Lehne des Thronsessels ist ebenfalls noch mit dem Geburtsnamen des Königs in der Amarna-Version versehen. Unter der mittleren Barke mit dem Erscheinungsbild einer stilisierten Kuh waren etwa zwei Dutzend ovale Behälter mit einer gipsartigen Oberfläche gestapelt, die für die Jenseitsreise des Königs tierische Nahrungsmittel enthielten. Die vorderste Zeremonienbarke war in Form einer hybriden Nilpferdgestalt entworfen.

In der linken südöstlichen Ecke konnte Carters Ausgrabung die Teile von vier intakten Streitwagen identifizieren, von denen zwei zu wohl zeremoniellen Verwendungszwecken Bemalungen aufwiesen. Der verschlossene Zugang zur Grabkammer J wurde links und rechts zur symbolischen Bewachung der Königsmumie von zwei schwarz lackierten und vergoldeten Holzstatuen in Überlebensgröße flankiert; eine davon trug eine sogenannte chat-Kopfbedeckung, die andere ein klassisches Nemes-Kopftuch. Davor war eine spektakulär gefertigte Truhe platziert, die in aufgemalten Szenen Tutanchamun bei der Jagd, sowie bei Feldzügen gegen Syrien und Nubien zeigen.

Der Annex Ia

Der hintere, etwa 17 Quadratmeter messende Anbau war von der Vorkammer durch eine Türverfüllung abgetrennt, dennoch fand Howard Carter die von Grabräubern durcheinandergeworfenen Grabbeigaben dort in derangiertem Zustand wieder. Unter den Gegenständen befand sich insbesondere umfangreiches Mobiliar wie Betten, Stühle und kleine Kommoden sowie zwei weitere Streitwagen.

Die Grabkammer J

Das Bodenniveau der Grabkammer liegt annähernd einen Meter tiefer als das der großen Vorkammer. Die Kammerwände sind zudem mit je einer rechteckigen Nische versehen, die – mit Kalksteinplatten verschlossen, verputzt und dekoriert – je einen magischen Ziegel enthielten und so eine symbolische Schutzfunktion für die königliche Mumie erfüllen sollten.

Der äußere der vier vergoldeten Schreine, Ägyptisches Museum, Kairo

Die Grabkammer enthielt vier ineinander gestellte Schreine und schließlich einen aus Quarzit gefertigten Sarkophag, an dessen Ecken die vier geflügelten Göttinnen Isis, Nephtys, Selket und Neith in den Stein gemeißelt waren. Der Sarkophag wurde zusammen mit der Mumie bis heute in KV62 belassen. Auf ihm ruhte ein Deckel aus Granit, der womöglich in antiker Zeit bei seiner Anpassung an das Behältnis geborsten war. Nach der Bergung der Bruchstücke entdeckte Carter wiederum drei goldbeschlagene anthropomorphe Särge. Der äußerste davon maß etwa 224 Zentimeter und bestand aus vergoldetem Zypressenholz. Der Bestimmungszweck des reich verzierten mittleren Sarges wird heute dem Begräbnis Tutanchamuns Vorgängers Semenchkare zugeordnet, da seine Kopfpartie deutlich andere Gesichtszüge als die der übrigen zeigt. Der innere Sarg war aus massivem Gold gefertigt, 110,4 Kilogramm schwer, 187,5 Zentimeter lang und enthielt neben der goldenen Totenmaske die mit Blumengirlanden und annähernd 150 religiösen Amuletten geschmückte Königsmumie.

Der gesamte Katafalk füllte durch sein Volumen zum Entdeckungszeitpunkt die Grabkammer fast vollständig aus. Um den Sarkophag aus der Grabkammer zu bergen, sah sich Carter gezwungen, nahezu die gesamte Südwand zwischen Grab- und Vorkammer zu entfernen.

Wanddekorationen

Die Grabkammerwände zeigen gegen den Uhrzeigersinn mythologische Szenen aus dem Buch der Toten, die Mundöffnungszeremonie und auszugsweise Darstellungen aus dem Amduatbuch sowie verschiedene Darstellungen des Pharaos zusammen mit Gottheiten.

Tutanchamuns Übergang in die Unterwelt wird beginnend mit dem Totenbuch auf der rechtsseitigen Ostwand symbolisch inszeniert. Die Wandmalerei und die Hieroglyphentexte schildern die Begräbnisprozession mit den im Grab gefundenen Begräbnisschreinen und -särgen und weisen die vollständig in weiß gekleideten Trauernden als hohe Beamte am Königshof aus.

Amduatbuch mit Himmelsbarke (Westwand), Tutanchamun und dessen Ka mit Osiris (Nordwand)

Die Dekoration der rückwärtigen Nordwand beschreibt dann in drei Szenen die Vorbereitung der Reise des Königs ins Jenseits. Der erste Abschnitt schildert die Mundöffnungszeremonie an dem osirisgestaltigen Tutanchamun zusammen mit Eje, der die für die 18. Dynastie typische blaue Krone (Chepresch) trägt und als Zeichen für die religiöse Priesterwürde in ein Tigerfell gekleidet ist. Außerdem wird der Name Ejes in den begleitenden Hieroglyphentexten in Kartuschenform dargestellt und der Hofbeamte damit als königlicher Nachfolger benannt. Die folgende Szene links davon zeigt eine Gegenüberstellung der Himmelsgöttin Nut mit Tutanchamun, die abschließend von einer Darstellung des Osiris gefolgt wird, der den Pharao mit Nemes-Kopftuch sowie dessen Ka ins Jenseits aufnimmt.

Die linksseitige Westwand enthält schließlich Teile des Amduatbuchs und damit die Reise des Pharaos zusammen mit dem Sonnengott in Gestalt eines Skarabäus in der Himmelsbarke. Darunter symbolisieren zwölf Paviane die zwölf Stunden der Nacht, durch die Tutanchamun nach altägyptischer Glaubensvorstellung in die Götterwelt gelangte.

Die Reise des Pharaos wird auf der teilweise von Howard Carter beschädigten Südwand dramaturgisch fortgesetzt. Tutanchamun wird von den Göttern Anubis und Hathor flankiert und auch in einer heute nicht mehr erhaltenen Szene von Isis und weiteren Unterweltgottheiten im Jenseits empfangen.

Die „Schatzkammer“ Ja

Der Kanopenschrein aus KV62

Als wichtigstes Fundstück der östlich an die Grabkammer angrenzenden Seitenkammer gilt der vergoldete und auf einem darüber konstruierten Baldachin mit Uräusschlangen besetzte Kanopenschrein Tutanchamuns, an dessen Seiten ebenfalls die vier Schutzgöttinnen Isis, Nephtys, Selket und Neith platziert worden waren. Der Schrein enthielt in vier Alabasterkrügen die aus dem Körper des Pharaos entfernten Eingeweide.

Außerdem befand sich in der Kammer eine vergoldete und lackierte Statue des ruhenden Anubis, der auf einen hölzernen Palankin (eine Art Sänfte) montiert und bei Begräbniszeremonien verwendet wurde.

Geschichte des Grabes

KV62 in der Antike

Die Grabstätte Tutanchamuns wurde ursprünglich im zentralen Wadi des Tals der Könige für einen hohen Beamten – vermutlich Tutanchamuns späteren Nachfolger Eje – oder Mitglied der königlichen Familie in der späten Hälfte der 18. Dynastie entworfen und in den Fels gehauen. Für den Pharao selbst war womöglich WV23 oder WV25 im westlichen Tal vorgesehen. Für das Begräbnis der Mumie Tutanchamuns wurden dann in KV62 eine Grabkammer und eine Nebenkammer hinzugefügt, ein Indiz für das plötzliche Ableben des Pharaos. Tutanchamuns Nachfolger Eje ließ sich schließlich im Grab WV23 bestatten, dessen Wandmalereien in der Grabkammer auffallende Parallelen zu denen in KV62 aufweisen.

Die Räume wurden womöglich in antiker Zeit unmittelbar nach dem königlichen Begräbnis mindestens zweimal geplündert, wovon drei unterschiedliche Versiegelungen an dem von Carter freigelegten Grabzugang, das derangierte Erscheinungsbild der Kammern I und Ia zum Entdeckungszeitpunkt sowie Inventarlisten auf verschiedenen Behältnissen zeugten und mit denen der Diebstahl einiger Artefakte nachgewiesen werden konnte. Die abschließende Wiederherstellung des Grabes wurde vermutlich unter der Regentschaft Pharao Haremhabs durchgeführt.

Da der Zugang zu KV62 unterhalb der Eingangsrampe des später angelegten Grabes von Ramses VI. (KV9) in die Talsohle gehauen wurde und der Abraum des ramessidischen Grabes und die darauf errichteten Arbeiterbehausungen den Zugang zu Tutanchamuns Grabstätte blockierten, blieb der Zugang zu der Anlage für Grabräuber über die Jahrtausende verborgen.

KV62 in jüngerer Zeit

Die Entdeckung durch Howard Carter

Carters Wohnhaus am Eingang zum Tal der Könige

KV62 wurde durch Howard Carter am 4. November 1922 im Auftrag seines Finanziers George Herbert, 5. Earl of Carnarvon, entdeckt, nachdem er am Fundort während seiner Grabungskampagne von 1905 bis 1906 Artefakte mit den Kartuschen Tutanchamuns hatte identifizieren können. Als Indiz für die Bestattung des Pharaos im Tal der Könige diente Carter gefundenes Einbalsamierungsmaterial sowie ein kleiner Fayencebecher mit dem Namen Tutanchamuns. Außerdem hatte er 1909 dem König und dessen Hofbeamtem Eje in einem von ihm entdeckten Depot Teile eines vergoldeten Streitwagens zuordnen können. Der amerikanische Archäologe Theodore M. Davis hatte das Tal der Könige dennoch für archäologisch erschöpft erklärt.

1914 hatte Carter schließlich vom Service des Antiquités de l’Egypte die Erlaubnis erhalten, im Tal der Könige Ausgrabungen durchzuführen, die wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges jedoch erst 1917 beginnen konnten. Zwischen den Gräbern Ramses II. und Ramses VI. legte er eine Arbeitersiedlung frei und konzentrierte sich daraufhin auf die umliegenden Gebiete, als Lord Carnarvon sich 1921 für die Beendigung der Finanzierungsvereinbarung entschied. Howard Carter konnte seine Grabungen nach Überredung Carnarvons jedoch fortsetzen und stieß mit einem Arbeiter am 4. November auf eine Treppenstufe.

Nach der Entdeckung der obersten von 16 Treppenstufen befreite der britische Archäologe den mit Nilschlamm angefüllten Eingang und fand eine intakte Versiegelung der antiken Talwächter vor, mehrere ovale Stempelabdrücke mit Anubis in Schakalgestalt über neun Gefangenen. Carter füllte den Zugang erneut mit Schutt und erwartete die Ankunft seines Geldgebers Lord Carnarvon und dessen Tochter Lady Evelyn am 23. November 1922. Carter und sein Grabungsteam erreichten dann am späten Nachmittag des 26. November eine zweite ebenfalls mehrfach versiegelte Blockierung, in die er ein etwa faustgroßes Loch schlug und eine Kerze zur Prüfung der Faulgase hinein hielt. Sein Bericht über diesen Moment ist wie folgt überliefert.

At first I could see nothing, the hot air escaping from the chamber causing the candle flame to flicker, but presently, as my eyes grew accustomed to the light, details of the room within emerged slowly from the mist, strange animals, statues, and gold – everywhere the glint of gold.

Howard Carter

Zuerst sah ich nichts, die aus der Kammer entweichende warme Luft ließ die Kerzenflamme flackern, aber dann, als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah ich Details des Raums aus dem Staub erscheinen, seltsame Tiere, Statuen und Gold, überall schien der Glanz des Goldes.

Howard Carter

Ab dem darauf folgenden Tag wurde KV62 von Carter und seinem wissenschaftlichen Team bis 1932 ausgegraben und sämtliche Fundstücke fotografiert und katalogisiert. Zu diesem Zweck wurden die Artefakte in ein provisorisches Laboratorium in der Nähe des Grabes Sethos II. transportiert. Zwischendurch nahm Harry Burton eine fotografische Archivierung der Fundstücke für das Metropolitan Museum of Art vor. Die Gegenstände der Vorkammer waren bei dieser langwierigen, aber wissenschaftlichen Vorgehensweise erst nach etwa 50 Tagen aus dem Grab entfernt. Bei der Bergung des königlichen Sarkophags aus der Grabkammer J beschädigte Carter im Durchgang zur Kammer I die westliche Zarge und zerstörte dabei Teile der Götterszenen der südlichen Grabkammerwand, die Tutanchamun zusammen mit Anubis und Hathor zeigen.

Konservierungsmaßnahmen

Als Reaktion auf die Flutschäden von 1994 im Tal der Könige wurden zahlreiche Schutzmaßnahmen gegen Witterungseinflüsse ergriffen. So wurden neben einer Überdachung des Grabeingangs und einer Umwallung je eine metallene Schutztür am oberen und unteren Ende des Korridors B und eine Zugangstreppe aus Metall installiert.

Siehe auch

Literatur

  • Howard Carter, Arthur C. Mace: The Discovery of the Tomb of Tutankhamen.
  • Zahi Hawass: King Tutankhamun. The Treasures Of The Tomb. Thames & Hudson, London 2007, ISBN 978-0-500-05151-1
  • Erik Hornung: Das Tal der Könige. C. H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47995-2
  • Kent R. Weeks, Araldo de Luca: Im Tal der Könige – Von Grabkunst und Totenkult der ägyptischen Herrscher. Weltbild, Augsburg 2001, ISBN 3-8289-0586-2
  • Nicholas Reeves: The Complete Tutankhamun: The King, the Tomb, the Royal Treasure. Thames & Hudson, London, ISBN 0-500-27810-5
  • Nicholas Reeves, Richard H. Wilkinson: The Complete Valley of the Kings. Thames & Hudson, London 1996
  • Alberto Siliotti: Guide to the Valley of the Kings and to the Theban Necropolises and Temples. A.A. Gaddis, Cairo 1996

Weblinks

 Commons: KV62 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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