Kaiserlich Russische Marine

Kaiserlich Russische Marine
Russische Seekriegsflagge

Die Kaiserlich Russische Marine (russisch Российский императорский флот) waren die Seestreitkräfte des Russischen Kaiserreichs. Diese bestand ausgehend von ihren Vorgängern im 17. Jahrhundert bis zur Oktoberrevolution im Jahr 1917.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Goto Predestinatsia, Flaggschiff der Azovflotte bis 1711

Die Aufstellung der regulären Russischen Marine erfolgte während der Regentschaft von Peter I. durch François Le Fort. Während der zweiten Asow-Kampagne von 1696 gegen die Türken, stellten die Russen zum ersten Mal zwei Schlachtschiffe, vier Brander, 23 Galeeren und 1300 als Strug bezeichnete Kanonenruderboote mit Hilfssegeln, die auf den Werften in und um Woronesch gebaut worden waren, in Dienst. Nach der siegreichen Beendigung des Asow-Feldzuges legte der Zar eine Aufstellung von Umlageregelungen zur Beschaffung der zum Flottenbau benötigten Mittel seiner Bojarenduma vor, die daraufhin am 20. Oktober 1696 einen Beschluss zum Aufbau einer Marine fasste. Dieses Datum gilt als offizieller Geburtstag der regulären russischen Marine. (Siehe Petrinische Reformen)

Während des Großen Nordischen Krieges von 1700–1721 stellten die Russen die Baltische Flotte auf. Die Konstruktion der geruderten Flotte fand in den Jahren 1702–1704 auf Werften (im Delta der Flüsse Sjas, Luga und Olonka) statt. Um die eroberte Küstenlinie verteidigen und die feindlichen Seeverbindungen in der Ostsee angreifen zu können, schufen die Russen eine Flotte unter Segeln aus russischen und importierten Schiffen. 1703–1723 lag der Hauptstützpunkt der Baltischen Flotte in Sankt Petersburg und später in Kronstadt. Weitere Stützpunkte wurden in Wyborg, Helsinki, Reval und Åbo geschaffen. Zunächst war der Wladimirskij Prikas (Владимирский приказ) für den Schiffbau zuständig, später der Admiraltejskij Prikas (Адмиралтейский приказ). Die Marineoffiziere kamen aus dem Adel und die gemeinen Seeleute aus den Reihen der normalen Rekruten der Armee. Der Dienst in der Flotte war lebenslang. Im Jahre 1701 wurde die "Schule für mathematische und navigatorische Wissenschaften" eingerichtet, an der ausländische Lehrer wirkten (Prof. Farwharson aus Aberdeen); an ihr stellten allerdings Kinder adliger Familien eine Minderheit dar. Die Schüler wurden häufig ins Ausland geschickt, um den Dienst in fremden Flotten zu lernen. Ebenso war es üblich, Ausländer für den Dienst in der Russischen Marine anzuwerben (seit 1698 – Große Russische Ambassade). 1718 wurde die oberste Marinebehörde Russlands geschaffen: das Admiralitätskollegium (Адмиралтейств-коллегия).

1722 hatte die Kaiserliche Russische Marine 130 Segelschiffe, darunter 36 Linienschiffe, 9 Fregatten, 3 Schnauen (шнява < ndl. snauw) (ein leichter Zweimaster, der Aufklärungs- und Verbindungszwecken diente), 5 Bombardierschiffe und 77 Hilfsschiffe. Die geruderte Flotte bestand aus 396 Schiffen, darunter 253 Galeeren und Halbgaleeren (sogenannte skampawei (скампавея); modifizierte dreimastige Brigantine) und 143 Brigantinen. Die Schiffe wurden in 24 Werften auf Stapel gelegt, darunter die in Woronesch, Kasan, Perejaslaw, Archangelsk, Olonez, Sankt Petersburg und Astrachan.

Die organisatorischen Prinzipien der Kaiserlichen Russischen Marine, erzieherische und Übungsmethoden zur Vorbereitung des zukünftigen Kaders, sowie Methoden der Durchführung militärischer Aktionen wurden in Anlehnung an Dienstvorschriften und seerechtliche Bestimmungen flottenführender Staaten im „Seereglement“ (Устав Морской, 1720) zusammengefasst. Peter der Große, Fjodor Apraxin, Akim Senjawin, Naum Senjawin, Michail Golizyn und andere werden allgemein als besonders wichtig für die Entwicklung russischer Kriegführung zur See betrachtet. Die Hauptprinzipien der Seekriegführung wurden ferner von Grigori Spiridow, Fjodor Uschakow und Dmitri Senjawin entwickelt.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts strebte Russland nach der Vorherrschaft im Schwarzen Meer und führte die Russisch-Türkischen Kriege. Zur Verstärkung der russischen Flotte setzte Kaiserin Katharina im Jahre 1770 den englischen Admiral Sir Charles Knowles als Generalintendant der russischen Admiralität ein, der den Ausbau der russischen Marine stark vorantrieb und im Jahre 1774 auf eigenen Wunsch im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand entlassen wurde. Zum ersten Mal sandte Russland nun seine Geschwader von der Ostsee zu den entfernten Kriegsschauplätzen. Admiral Spiridows Geschwader errang die Vorherrschaft in der Ägäis durch Vernichtung der türkischen Flotte in der Seeschlacht von Çeşme 1770. Im Jahr 1771 eroberte die russische Armee die Küsten der Straße von Kertsch und die Festungen von Kertsch und Yenikale (gehört heute zu Kertsch). Nachdem sie die Donau erreicht hatten, stellten die Russen die Donau-Militärflottille auf, um die Donaumündung zu bewachen. 1773 segelten die Schiffe der Asow-Flottille (1771 neuaufgestellt) ins Schwarze Meer. Der Russisch-Türkische Krieg von 1768–1774 endete für Russland siegreich: es erhielt die Küsten des Asowschen Meeres und einen Teil der Schwarzmeerküste zwischen den Flüssen Bug und Dnister. Die Krim wurde unter russischem Protektorat unabhängig erklärt und sollte 1783 Teil Russlands werden. 1778 gründeten die Russen den Hafen von Chersones. In dieser Stadt wurde das erste Schlachtschiff der Schwarzmeerflotte 1783 in Dienst gestellt. Ein Jahr später gab es schon ein Geschwader.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts/ frühen 19. Jahrhundert hatte die Kaiserliche Russische Marine die drittgrößte Flotte in der Welt nach Großbritannien und Frankreich. Die Schwarzmeerflotte besaß fünf Schlachtschiffe und 19 Fregatten (1787), die Baltische Flotte 23 Schlachtschiffe und 130 Fregatten (1788). Im frühen 19. Jahrhundert bestand die russische Marine aus der Baltischen und der Schwarzmeerflotte, der Kaspischen Flottille, der Weißmeerflottille und Ochotsk-Flottille. 1802 wurde das Ministerium der Marinestreitkräfte eingerichtet (1815 in Marineministerium umbenannt).

1826 bauten die Russen ihr erstes bewaffnetes Dampfschiff Ischora (Ижора, 73,6 kW/100 PS), ausgestattet mit acht Kanonen. 1836 konstruierten sie die erste Raddampferfregatte der russischen Marine, die

Das erste russische U-Boot „Delphin“
Postkarte von 1904

Russlands langsame technische und wirtschaftliche Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass es bei der Konstruktion von Dampfschiffen hinter die anderen europäischen Länder zurückfiel. Bei Ausbruch des Krimkrieges 1853 verfügte Russland über die Baltische und die Schwarzmeerflotte, die Archangelsk-Flottille, die Kaspische Flottille und die Kamtschatka-Flottille (zusammen 40 Linienschiffe, 15 Fregatten, 24 Korvetten und Briggs, 16 Dampffregatten, etc.). Die Gesamtzahl des Personals betrug 91.000 Mann. Dennoch hatte das reaktionäre System einen fortschrittlichen Effekt auf die Entwicklung der russischen Marine. Dies traf besonders auf die Baltische Flotte zu, die bekannt war für ihren strengen militärischen Drill. Dank der Admiräle Michail Petrowitsch Lasarew, Pawel Nachimow, Wladimir Kornilow und Wladimir Istomin wurden die Seeleute der Schwarzmeerflotte in der Kunst der Kriegführung und der Aufrechterhaltung militärischer Traditionen unterwiesen, die zur Zeit des Admirals Fjodor Uschakow geformt worden waren. In der Schlacht von Sinope 1853 vernichtete die überlegene Schwarzmeerflotte (6 Linienschiffe, 2 Fregatten – 720 Kanonen) unter Admiral Nachimow das türkische Geschwader (7 Fregatten, 3 Korvetten, 2 Dampfer, 2 Briggen, 2 Transportschiffe – insgesamt 510 Kanonen). Infolge dieser türkischen Niederlage traten die mit der Türkei verbündeten Westmächte (Großbritannien und Frankreich) in den Krimkrieg ein. Während der Belagerung von Sewastopol 1854–1855 wurden die meisten Schiffe der Flotte in Küstengebieten versenkt, um damit den Weg für die Schiffe der Gegner zu versperren. Der Frieden von Paris beschränkte Russlands Schwarzmeerflotte auf die Größe der türkischen Flotte im Schwarzen Meer (1871 aufgehoben).

Seit 1860 verlor die russische Segelflotte ihre Bedeutung und wurde langsam mit Dampfschiffen ersetzt. Nach dem Krimkrieg begann Russland mit der Konstruktion von dampfgetriebenen Panzerschiffen, Monitoren und seegestützten Batterien. Diese Schiffe verfügten über schwere Artillerie und Panzerung, aber hatten weder gute Seetüchtigkeit noch Geschwindigkeit und große Reichweite. 1861 bauten die Russen ihr erstes stahlgepanzertes Kanonenboot Opyt (Опыт). 1869 begannen sie mit dem Bau eines der ersten seegängigen Ironclads Pjotr Weliki (Пётр Великий).

1895 setzte sich die Flotte folgendermaßen zusammen:

  • Baltische Flotte: 5 Geschwaderpanzerschiffe; 10 gepanzerte Kreuzer 1. Klasse; Kreuzer 2. Klasse: 1 gedeckter Kreuzer, 2 ungepanzerte, 2 Schulschiffe; 9 ungepanzerte Kreuzer 3. Klasse, 1 Schulschiff; 1 gepanzertes Fahrzeug zur Küstenverteidigung; 3 Kanonenboote 1. Klasse, 10 2. Klasse; 5 Torpedokreuzer; 19 Hochseetorpedoboote; 4 Küstentorpedoboote; 88 Hafentorpedoboote; 6 Transportschiffe; außerdem kaiserl. Yachten (3), Hafenfahrzeuge, Zollflottille und Dampfbarkassen.
  • Schwarzmeerflotte: 4 Geschwaderpanzerschiffe; 1 ungepanzerter Kreuzer 2. Klasse; 6 ungepanzerte Kreuzer 3. Klasse; 2 Küstenpanzer (Popowken); 3 Torpedokreuzer; 11 Hochseetorpedoboote; 5 Küstentorpedoboote; 9 Hafentorpedoboote; 9 Transportschiffe. Außerdem die Freiwillige Flotte, die hauptsächlich im Frieden die Transporte von Soldaten und Arrestanten zum Amurgebiet übernahm, im Krieg aber als Kreuzerflottille verwandt werden sollte: 9 Dampfschiffe
  • Flottille des Kaspischen Meeres: 2 Kanonenboote, mehrere Dampfer und Hafenfahrzeuge.
  • Sibirische Flotte: 2 Kreuzer 2. Klasse; 2 Kanonenboote 1. Klasse; Küsten- und Hafentorpedoboote je 5; 1 Hafenfahrzeuge; 2 Transportschiffe; außerdem noch mehrere kleine Dampfer, Schoner und Barkassen.
  • Amudarja-Flottille: 1 Dampfschiff, 2 Barkschiffe und mehrere kleinere Fahrzeuge.
Kreuzer Aurora (1900)

Im Russisch-Japanischen Krieg 1904 bis 1905 wurden große Teile der sibirischen Flotte (Seeschlacht im Gelben Meer) und auch der zu Hilfe eilenden Ostsee-Flotte (Seeschlacht bei Tsushima) vernichtet. Die russische Marine als vormals weltweit drittgrößte Flotte fiel auf den sechsten Platz zurück. Der Fokus der russischen Flottenaktivitäten verlagerte sich vom Fernen Osten zurück zur Ostsee. Obwohl zahlenmäßig überlegen, trat die Baltische Flotte jedoch im Ersten Weltkrieg entgegen den Vorstellungen ihres ersten Befehlshabers, Admiral Nikolai von Essen, nie zur Offensive an, sondern wurde von deutschen Kräften unter Prinz Heinrich von Preußen bis zum Kriegsende weitgehend blockiert und blieb untätig.

An der Oktoberrevolution 1917 waren Matrosen insbesondere der Baltischen Flotte maßgeblich beteiligt. Den Startschuss feuerte am 25. Oktober der Kreuzer Aurora, der noch heute als Museumsschiff in Sankt Petersburg liegt.

Siehe auch

Literatur

  • Cracraft, James: The Revolution of Peter the Great, 2003
  • Cross, Anthony Glenn : By the banks of the Neva: chapters from the lives and careers of the British in Eighteenth-century Russia, Glasgow 1997
  • Phillips, Edward J.: The Founding of Russias Navy. Peter the Great and the Azov Fleet, 1688–1714. Westport 1995
  • Pinl, Harald: Der Kriegsschiffbau Russlands zwischen 1725 und 1762. Langenhagen 2003
  • Stoelzel, Heinz: Die russische Marine in der Zarenzeit. Vortrag bei der 11. Historisch-Taktischen Tagung der Flotte am 30. November 1967, 1967

Weblinks


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