Kanzlerbungalow

Kanzlerbungalow
Kanzlerbungalow 1979…
…und 2009

Als Kanzlerbungalow wird das ehemalige Wohn- und Empfangsgebäude des deutschen Bundeskanzlers in Bonn bezeichnet. Es wurde von 1964 bis 1999 zu diesem Zweck genutzt. Der Bungalow befindet sich im Park zwischen dem ehemaligen Bundeskanzleramt (heutiges Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und dem Palais Schaumburg, dem Bonner Dienstsitz des Bundeskanzlers. Es steht in etwa an der Stelle der ehemaligen Villa Selve, die 1955 abgebrochen wurde.[1]

Das Gebäude gilt als bedeutendes Beispiel der 1960er-Jahre-Architektur mit Traditionen bis zurück in die 1920er-Jahre und steht seit 2001 unter Denkmalschutz.

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard gab – noch in seiner Funktion als Wirtschaftsminister – die Residenz als Symbol weltoffener und moderner Gesinnung der Bundesrepublik Deutschland in Auftrag. Sein Vorgänger, Konrad Adenauer, war täglich von seinem Privathaus in Rhöndorf nach Bonn gekommen. So wurde der Architekt Sep Ruf, der mit Erhard befreundet war, beauftragt, ein repräsentatives und modernes Gebäude in der Tradition der klassischen Moderne im Park des damaligen Bundeskanzleramts, des Palais Schaumburg, zu errichten.[2] Der Bau gilt als herausragendes Beispiel westdeutscher Nachkriegsarchitektur. Die Baukosten betrugen rund zwei Millionen DM.[3]

Schwimmbecken im Innenhof

Der beabsichtigte Eindruck der Schwerelosigkeit führte zu einem Entwurf, der auf einer Stahlskelettkonstruktion mit Punktstützen und Flachdach beruhte. Es handelt sich um zwei gegeneinander versetzte Quadrate mit 24×24 Metern und 20×20 Metern Außenlänge, die jeweils über einen 8×8 Meter großen Atriumhof verfügen.

Das größere Quadrat ist den Repräsentationsfunktionen vorbehalten. Es verfügt neben der Eingangs- und Empfangshalle über ein Arbeitszimmer, einen großen Empfangsraum, einen Speiseraum, die Küche sowie ein Familienesszimmer, das zum Wohn- und Schlaftrakt überleitet.

Die Raumkonstruktion ist variabel und erlaubt Durchblicke. Schiebe- und Versenkwände erlauben flexible Raumkombinationen. So können beispielsweise ein Musikzimmer und eine Kamindiele abgetrennt werden.

Die Kanzler- und Gattin-Schlafräume im Wohnquadrat sind spiegelbildlich und haben jeweils Ankleide, Arbeitsecke, Schlafraum und Bad. Sie ziehen sich U-förmig um das Schlaf-Atrium mit Schwimmbassin. Weiterhin sind hier noch drei Dienstbotenzimmer mit Teeküche, zwei Gästezimmer, ein privater Wohnraum und der Personalaufenthaltsraum am Übergang zur Küche untergebracht.

Die Materialien sind dem Zeitgeist entsprechend edel und schlicht. Fußböden und Terrassen sind in Travertin gefliest, die Decken mit brasilianischer Kiefer abgehängt. Die Ausstattung wurde durch die verschiedenen Bewohner verändert und ergänzt.[4]

Nutzungsgeschichte

Bundeskanzler Brandt empfängt Schauspieler im Bungalow (1971)

Die Einstellung der Bundeskanzler zum Gebäude war unterschiedlich. Bundeskanzler Adenauer wird folgender Ausspruch zugeschrieben: "Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber der verdient zehn Jahre".[5] Auftraggeber Erhard lobte den Bau. Sein Nachfolger Kiesinger bemängelte fehlende Behaglichkeit und ließ mittelalterliche Kunstwerke und Stilmöbel aufstellen. Willy Brandt blieb in seiner Außenminister-Dienstvilla und nutzte den Bungalow nur für repräsentative Zwecke wie beispielsweise Empfänge. Helmut Schmidt wohnte acht Jahre hier.

Empfang im Kanzlerbungalow (1988)

Am längsten bewohnte Helmut Kohl den Kanzlerbungalow: mehr als 16 Jahre von 1982 bis 1999 (da der neue Kanzler Gerhard Schröder auf Grund des nahenden Umzuges nach Berlin nie in den Kanzlerbungalow einzog und deshalb Helmut Kohl wohnen ließ). Er zog Seidenstoff über die Klinkerwände, installierte einen Halogen-Sternenhimmel im Esszimmer und legte einen großen Perserteppich aus. Schröder überließ Kohl bis zum Regierungsumzug den privaten Schlafteil des Bungalows und nutzte nur sporadisch den Repräsentationsteil.[6][7][8]

Derzeitige Nutzung

Seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 steht das Gebäude leer; der Bundeskanzler hat allerdings im zum Gelände gehörenden Palais Schaumburg seinen Zweitsitz eingerichtet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist Ende 2005 in das umgebende Bundeskanzleramt und dessen Erweiterungsbauten eingezogen, jedoch nicht in den Kanzlerbungalow, da dieser sich nicht für die Nutzung durch das Ministerium eignet. 2003 wurde der Bungalow kurzzeitig für einige Sendungen des TV-Politmagazin Kanzlerbungalow des WDR genutzt.

Bernhard Heiliger: Figurenbaum (1957–58) im Park des Kanzlerbungalows

In Berlin war eigentlich vorgesehen, im so genannten Kanzlergarten des neuen Kanzleramtes wiederum eine Kanzlerresidenz zu errichten. Dazu kam es aus Kostengründen nicht. Stattdessen gibt es nur eine kleine Wohnung im obersten Stock des Mittelbaus, die von Gerhard Schröder nur unter der Woche benutzt wurde. Angela Merkel wohnt weiterhin in ihrer Privatwohnung in Berlin-Mitte.

Zwischen 2007 und 2009 sanierte und restaurierte die Wüstenrot-Stiftung das Gebäude.[9] Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland richtete eine kleine Dauerausstellung ein und bietet Gruppenführungen an. Darüber hinaus wird das Gebäude für weitere Veranstaltungen, wie Lesungen und Konzerte, genutzt.[10]

Literatur

Weblinks

 Commons: Kanzlerbungalow – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer. 1819–1914, Band 2, Katalog 1, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, S. 213–54
  2. Andreas Schätzke/Joaquín Medina Warmburg: Sep Ruf. Kanzlerbungalow, Bonn. Stuttgart/London 2009
  3. H. Riese: Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers (Kanzler-Bungalow). In: Mathias Schreiber (Hrsg.): Deutsche Architektur nach 1945. 40 Jahre Moderne in der Bundesrepublik. DVA, Frankfurt am Main 1986, S. 73 ff.
  4. Paul Swiridoff: Der Bungalow. Wohn- und Empfangsgebäude für den Bundeskanzler in Bonn. Neske Verlag, Pfullingen 1967 (Text von Erich Steingräber)
  5. "Palais Schaumbad" für die Kanzler, WDR-Mediabox, 2009
  6. Brennt nicht mal. In: Der Spiegel. Nr. 3, 1967, S. 20 (9. Januar 1967, online).
  7. http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/3964/wo_sich_die_kanzler_quaelten.html
  8. Süddeutsche Zeitung 16. April 2009
  9. Georg Adlbert, Der Kanzlerbungalow. Erhaltung, Instandsetzung, Neunutzung, Stuttgart/Zürich 2009
  10. Kanzlerbungalow, hg. v. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Wüstenrot-Stiftung, München u.a. 2009
50.7214611111117.1179138888889

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