Kostümkunde

Kostümkunde

Die Kostümkunde untersucht nicht nur die Kleidung, sondern auch die Frisuren, Schminke und Accessoires wie Schmuck einer Kultur.

Inhaltsverzeichnis

Umfang des Fachgebiets

Für die Kostümkunde sind zwei Dimensionen zu berücksichtigen: Die geographische und die historische. Sie beschäftigt sich also mit

  • dem Kostüm einer bestimmten Region zu einer bestimmten Zeit (z. B. Deutschland im 16. Jh.)
  • dem Kostüm einer bestimmten Region und seinem Wandel in der Zeit oder (z. B. Japan von der Heian-Zeit bis zur Meiji-Zeit)
  • dem Kostüm verschiedener Regionen zu einer bestimmten Zeit (z. B. alle Welt um 1880)

Somit ist Kostümkunde eine Sonderform der Kultur- und Sozialgeschichte. Es bestehen auch Verbindungen zur Wirtschaftsgeschichte (Textilindustrie als Wirtschaftszweig), zur Soziologie, zur Psychologie und insbesondere Sozialpsychologie (Kleidung als Ausdruck des Selbstempfindens) und nicht zuletzt zur Trachten- bzw. Heimatkunde.

Die Modesoziologie hingegen beschäftigt sich nicht nur mit dem Wandel des Kostüms, sondern mit allen der Mode unterliegenden Phänomenen und verfolgt zudem ein anderes (eben ein soziologisches) Erkenntnisinteresse.

Die Kostümkunde ist einerseits Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften (z. B. für die Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft), andererseits benötigt sie die Vorarbeit anderer Wissenschaften (z. B. Archäologie, Ägyptologie, Mediävistik, Wirtschaftsgeschichte) für den Zugang zum Quellenmaterial.

Quellen

Als Quellen dienen erhaltene Textilfragmente und Kleidungsstücke, zeitgenössische Abbildungen und zeitgenössische Texte (darunter Belletristik ebenso wie Haushaltsinventare). Folglich steigt die Quantität wie die Qualität der kostümgeschichtlichen Information mit der Verfügbarkeit, Quantität und Realitätsnähe dieser Quellen.

Erhaltene Textilien

Die beste Quelle sind naheliegenderweise erhaltene Textilien, da sie im Gegensatz zu Texten und Abbildungen nicht durch die Wahrnehmung und Absicht eines Autors gefiltert sind, uns also unverfälscht vor Augen treten - scheinbar. Denn da textile Artefakte in besonderem Maß unter schädlichen Umwelteinflüssen leiden, verändern sich im Lauf der Zeit Form und Farbe, der Stoff wird brüchig und verrottet. Je nachdem, wo ein Textil die Jahrhunderte oder Jahrtausende verbracht hat und wie es gefärbt wurde, kann der heutige Farbeindruck völlig verfälscht sein und wichtige Teile fehlen.

Jüngere Textilien (ab dem 16./17. Jh.) sind oft besser erhalten, weil sie von Anfang an absichtlich aufbewahrt wurden. In diesem Fall muss berücksichtigt werden, dass sie gewöhnlich aus einem besonderen Grund aufbewahrt wurden (z. B. weil sie besonders kostbar waren), während andere, alltägliche Kleidungsstücke den Weg alles Irdischen gingen. Hinzu kommen Kleidungsstücke, die in späterer Zeit umgearbeitet wurden, um dem veränderten Modegeschmack zu entsprechen oder - das gibt es recht häufig - um als historisierendes Theater- oder Faschingskostüm herzuhalten.

Schließlich stellt sich das Problem der Datierung und Deutung: Ohne zusätzliches Material ist es schwierig, ein Textil genau zu datieren, Rückschlüsse auf den sozialen Status des Trägers oder die Verwendung des Kleidungsstückes (Alltags-, Feiertags- oder Zeremonialgewand?) zu ziehen. Solche Informationen können im Fall von archäologischen Funden zumindest näherungsweise aus Begleitfunden (z. B. Schmuck) abgeleitet werden; für jüngere Artefakte werden Text- und Bildquellen herangezogen.

Abbildungen

Bildliche Darstellungen sind auf vierfache Weise gefiltert:

  • Verschiedene Menschen nehmen das gleiche Objekt auf unterschiedliche Weise wahr, d. h. der Künstler hat das Kleidungsstück auf eine besondere, ihm eigene Weise wahrgenommen. (Ein Extrembeispiel, das bei Künstlern allerdings eher selten sein dürfte, wäre Farbenblindheit.)
  • Der Künstler hat nur das reproduziert, was ihm 1. wichtig erschien und 2. mit der verwendeten Technik darstellbar war. Manche Dinge lassen sich mit Ölfarbe besser darstellen als mit Pastellkreide und umgekehrt.
  • Der Künstler hatte eine bestimmte, uns meist nicht bekannte Absicht und bediente sich gewisser künstlerischer Freiheiten, um sie zu verfolgen.
  • Die Motivauswahl und Darstellungsweise ist z. T. wirtschaftlich bedingt (der zu portraitierende Kunde zahlt, und wer zahlt, schafft an), durch Strömungen der Kunst (z. B. Manierismus) oder beruht auf uns meist nicht bekannten, individuellen Faktoren.

Dem kulturell geprägten Teil dieser Filter kann durch Kenntnis des jeweiligen Zeitgeistes gegengesteuert werden, dem individuell geprägten nur durch Kenntnis der Vita des Künstlers. Daher sind Bildquellen umso brauchbarer, je mehr Information über den Zeitgeist und den Künstler gibt und je mehr Abbildungen es von der Hand verschiedener Künstler gibt, und das ist erst mit dem Ende des Mittelalters der Fall.

Trotz all dieser Caveats haben Bildquellen gegenüber erhaltenen Textilien den Vorzug, dass sie die vollständige Kleidung inklusive Schmuck und Frisur abbilden und meist (indem der Künstler und/oder der Abgebildete bekannt ist) einen sozialen Bezugsrahmen bieten. Im Vergleich zu Texten wirken sie direkt und ohne sprachliche Missverständnisse: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“

Texte

Bei Texten gilt im Wesentlichen das über Abbildungen gesagte. Dazu kommt das Problem des Textverständnisses: Ein Text kann übersetzt sein (dann wirkt der Übersetzer als zusätzlicher Filter) oder in einer alten Version der Muttersprache des Lesers vorliegen, in der gewisse Wörter andere Bedeutungen haben als heute oder deren damalige Bedeutung verlorengegangen ist - was dem Leser möglicherweise nicht bekannt ist und so zu Fehlinterpretationen führt. Im Gutfall kann die Bedeutung einiger Wörter mit Hilfe anderer Textquellen erschlossen werden.

Nicht zeitgenössische Quellen

Bisher war implizit von Quellen die Rede, die der untersuchten Epoche entstammen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es aber auch kostümgeschichtliche Werke, die mit den gleichen Quellen arbeiten wie der heutige Kostümkundler, diesen aber weniger misstrauisch gegenüberstehen. Da es nicht leicht ist, an die zeitgenössischen Quellen heranzukommen, werden diese Quellen aus zweiter Hand oft allzu unkritisch zitiert. Die Folge sind häufig Gerüchte, die von einer Veröffentlichung zur nächsten weitergetragen werden, ohne dass jemals der Wahrheitsgehalt überprüft wurde.

Stilepochen

Die kostümkundliche Epocheneinteilung folgt im Allgemeinen derjenigen der Kunstgeschichte der jeweils untersuchten Kultur. In der europäischen Kostümgeschichte wird die Unterteilung mit der Beschleunigung des Modewandels am Beginn der frühen Neuzeit kleinteiliger als in der Kunstgeschichte und löst sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts völlig von allen bekannten Epocheneinteilungen. Zu den einzelnen Epochen und deren Beschreibung siehe Kostümgeschichte.

Literatur

  • Max von Boehn: Die Mode. (mehrere Bände), Bruckmann, München 1923
  • Annemarie Bönsch: Formengeschichte europäischer Kleidung, Böhlau Verlag, Wien 2011 ISBN 978-3-205-78610-8
  • d'Alembert Diderot u. a.: Recueil des Planches sur les Sciences, les Arts Liberaux, et les Arts Mechaniques. Paris 17??-1771.
  • Thérése Dillmont: Encyclopädie der weiblichen Handarbeiten. Verlag von Th. de Dillmont, Mulhouse 1908.
  • Wiebke Koch-Mertens: Der Mensch und seine Kleider. Teil 1: Die Kulturgeschichte der Mode bis 1900. Teil 2: Die Kulturgeschichte der Mode im 20. Jahrhundert. Winkler, München 2000.
  • Carl Köhler, bearb. von Emma Sichart: Praktische Kostümkunde. (2 Bände), Bruckmann, München 1926.
  • Bruno Köhler: Trachtenkunde. (2 Bände), Reclam, Leipzig ca. 1890.
  • Gisela Krause, Gertrud Lenning: Kleine Kostümkunde. Schiele u. Sch., Berlin 1998.
  • Ingrid Loschek: Reclams Mode- und Kostümlexikon. Reclam, Ditzingen 1999.
  • Hermann Weiss: Kostümkunde. Handbuch der Geschichte der Tracht, des Baues und des Geräthes der Völker. Stuttgart 1860 (Digitalisat: Bd. 1, Bd. 2)
  • Waffen- und Kostümkunde, Fachzeitschrift

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