- Kusszahl
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In der Geometrie ist die n-te Kusszahl (auch Kontaktzahl) die maximale Anzahl an n-dimensionalen Einheitskugeln, also Kugeln mit Radius 1, die gleichzeitig eine weitere solche Einheitskugel im euklidischen Raum berühren können, ohne dass Überschneidungen auftreten. Zusätzlich kann die Bedingung aufgestellt werden, dass die Mittelpunkte der Kugeln in einem Gitter liegen müssen (Gitterkusszahlen). Als Kusszahlenproblem ist das Fehlen einer allgemeinen Formel zur Berechnung der Kusszahlen bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Kusszahlen in verschiedenen Dimensionen
In einer Dimension ist die Einheitskugel eine Strecke, deren Endpunkte den Abstand 1 vom Ursprung haben. Hier kann an beide Endpunkte jeweils eine weitere Strecke angefügt werden, sodass die Kusszahl für eine Dimension offensichtlich 2 ist.
In der zweiten Dimension ist die Einheitskugel ein Kreis mit Radius 1. Anschaulich entspricht damit das Problem der Ermittlung der Kusszahl in dieser Dimension der Aufgabe, möglichst viele Münzen so anzuordnen, dass sie alle eine gleich große zentrale Münze berühren. Es ist leicht zu sehen (und zu beweisen), dass die Kusszahl für die zweite Dimension 6 ist.
In der dritten Dimension ist die Berechnung nicht so einfach; vgl. die Graphik rechts. Es ist leicht, zwölf Kugeln so anzuordnen, dass sie die zentrale Kugel berühren (beispielsweise so, dass ihre Mittelpunkte die Ecken eines Kuboktaeders bilden). Dabei bleibt aber eine Menge Platz übrig, und es ist nicht offensichtlich, dass dieser Platz nicht ausreicht, um eine dreizehnte Kugel hinzuzufügen. Tatsächlich ist so viel Platz vorhanden, dass zwei beliebige Kugeln aus den zwölf äußeren ihre Plätze tauschen können, ohne den Kontakt zur zentralen Kugel zu verlieren. Dieses Problem war Thema einer berühmten Streitigkeit zwischen den Mathematikern Isaac Newton und David Gregory, die beide 1692 anlässlich einer Diskussion zur Keplerschen Vermutung führten. Newton behauptete, das Maximum wäre zwölf, Gregory meinte, es wäre dreizehn. Im 19. Jahrhundert erschienen die ersten Veröffentlichungen,[1][2][3] die behaupteten, den Beweis für Newtons Behauptung zu enthalten. Nach heutigen Standards wurden formelle Beweise jedoch erst 1953 von Kurt Schütte und Bartel Leendert van der Waerden[4] und 1956 von John Leech[5] erbracht.
Erst Anfang des 21. Jahrhunderts wurde bewiesen, dass die Kusszahl für die vierte Dimension 24 ist.[6]
Ferner sind die Kusszahlen für die Dimensionen n = 8 (240) und n = 24 (196.560) bekannt; im 24-dimensionalen Raum werden die Kugeln auf den Punkten des Leech-Gitters platziert, sodass kein Platz übrig ist. Die folgende Tabelle gibt die bekannten Grenzen für die Kusszahl bis zur Dimension 24 wieder.[7]
Kusszahlen in den Dimensionen 1–12[8] Dimension Kusszahl untere Grenze obere Grenze 1 2 2 6 3 12 4 24 5 40 44 6 72 78 7 126 134 8 240 9 306 364 10 500 554 11 582 870 12 840 1.357 Kusszahlen in den Dimensionen 13–24 Dimension Kusszahl untere Grenze obere Grenze 13 1.130 2.069 14 1.582 3.183 15 2.564 4.866 16 4.320 7.355 17 5.346 11.072 18 7.398 16.572 19 10.688 24.812 20 17.400 36.764 21 27.720 54.584 22 49.896 82.340 23 93.150 124.416 24 196.560 Schätzungen zeigen, dass das Wachstum der Kusszahlen exponentiell ist; vgl. Graphik neben der Tabelle. Die Basis des exponentiellen Wachstums ist unbekannt. Die exakten Kusszahlen für die Dimensionen 8 und 24 wurden 1979 unabhängig von [9] und [10] ermittelt.
Über die Kusszahlen in noch höheren Dimensionen ist eher wenig bekannt; obere Schranken sind etwa für die Dimensionen n = 32 (276.032), 36 (438.872), 40 (991.792), 44 (2.948.552), 64 (331.737.984) und 80 (1.368.532.064) bekannt.[11]
Gitterkusszahlen in verschiedenen Dimensionen
Die exakten Gitterkusszahlen sind für die Dimensionen 1 bis 9 und für die Dimension 24 bekannt.[12][13] Die folgende Tabelle gibt die Gitterkusszahlen bzw. die bekannten unteren Grenzen bis zur Dimension 24 wieder:
Gitterkusszahlen in den Dimensionen 1–12 Dimension Gitterkusszahl 1 2 2 6 3 12 4 24 5 40 6 72 7 126 8 240 9 272 10 ≥ 336 11 ≥ 438 12 ≥ 756 Gitterkusszahlen in den Dimensionen 13–24 Dimension Gitterkusszahl 13 ≥ 918 14 ≥ 1.422 15 ≥ 2.340 16 ≥ 4.320 17 ≥ 5.346 18 ≥ 7.398 19 ≥ 10.668 20 ≥ 17.400 21 ≥ 27.720 22 ≥ 49.896 23 ≥ 93.150 24 196.560 Die Gitterpackungen für die Dimensionen 12 und 24 haben eigene Namen: Das Coxeter-Todd-Gitter[14] (nach Harold Scott MacDonald Coxeter und John Arthur Todd) für die Dimension 12 und das Leech-Gitter[15] (nach John Leech) für die Dimension 24.
Die allgemeine Form der unteren Grenze für n-dimensionale Gitterkennzahlen ist gegeben durch
,[16]
wobei ζ(n) die Riemannsche Zeta-Funktion ist. Diese Grenze wird durch den Satz von Minkowski-Hlawka (nach Hermann Minkowski und Edmund Hlawka) spezifiziert.
Siehe auch
Referenzen
- ↑ C. Bender: Bestimmung der größten Anzahl gleich Kugeln, welche sich auf eine Kugel von demselben Radius, wie die Übrigen, auflegen lassen. In: Archiv Math. Physik. (Grunert) Band 56, 1874, S. 302—306.
- ↑ S. Günther: Ein stereometrisches Problem. In: Archiv Math. Physik. Band 57, 1875, S.209—215.
- ↑ R. Hoppe: Bemerkung der Redaction. In: Archiv Math. Physik. (Grunert) Band 56, 1874, S. 307—312
- ↑ Schütte, van der Waerden: Das Problem der dreizehn Kugeln. In: Math. Annalen. Band 125, 1953, S. 325–334.
- ↑ Leech: The Problem of Thirteen Spheres. In: The Mathematical Gazette. Band 40, 1956, S. 22–23
- ↑ Oleg R. Musin: The kissing number in four dimensions. In: Annals of Mathematics. Vol. 168, Nr. 1, 2008, S. 1-32. arXiv:math/0309430
- ↑ Hans D. Mittelmann, Frank Vallentin: High accuracy semidefinite programming bounds for kissing numbers. arXiv:0902.1105
- ↑ Folge A001116 in OEIS
- ↑ Andrew M. Odlyzko, Neil J. A. Sloane: New bounds on the number of unit spheres that can touch a unit sphere in n dimensions. In: J. Combin. Theory. Ser. A, Band 26, 1979, Nr. 2, S. 210—214
- ↑ Vladimir I. Levenshtein: О границах для упаковок в n-мерном евклидовом пространстве. Nr. 6, Dokl. Akad. Nauk SSSR 245 1979. S. 1299—1303
- ↑ Yves Edel, E. M. Rains, N. J. A. Sloane: On Kissing Numbers in Dimensions 32 to 128. In: The Electronic Journal of Combinatorics. Band 5, Heft 1, 1998
- ↑ John Horton Conway, Neil J. A. Sloane: The Kissing Number Problem. und Bounds on Kissing Numbers. In: John Horton Conway, Neil J. A. Sloane: Sphere Packings, Lattices, and Groups. 2. Auflage. Springer-Verlag, New York 1993. S. 21–24 und 337—339, ISBN 0-387-98585-9.
- ↑ Neil J. A. Sloane, Gabriele Nebe: Table of Highest Kissing Numbers Presently Known. http://www.research.att.com/~njas/lattices/kiss.html
- ↑ Eric W. Weisstein: Coxeter-Todd-Gitter. In: MathWorld. (englisch)
- ↑ Eric W. Weisstein: Leech Gitter. In: MathWorld. (englisch)
- ↑ Eric W. Weisstein: Minkowski-Hlawka Theorem. In: MathWorld. (englisch)
Literatur
- Florian Pfender, Günter M. Ziegler: Kissing Numbers, Sphere Packings, and Some Unexpected Proofs. Notices of the American Mathematical Society, S. 873–883. [1]
- Eric W. Weisstein: Kissing Number. In: MathWorld. (englisch)
- Robert Calderbank: Interview with Neil Sloane (englisch)
- Christine Bachoc, Frank Vallentin: New upper bounds for kissing numbers from semidefinite programming. In: Journal of the American Mathematical Society. Band 21, 2008, S. 909–924. arXiv:math.MG/0608426
- John Horton Conway, Neil James Alexander Sloane, Eiichi Bannai: Sphere packings, lattices, and groups. Springer, 1999. ISBN 978-0-387-98585-5. eingeschränkte Online-Version (Google books)
- Casselman zum Kissing Number Problem und seiner Geschichte, Notices of the AMS, 2004, Heft 8, pdf Datei
Weblinks
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