- Riemannsche ζ-Funktion
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Die riemannsche ζ-Funktion (Zeta-Funktion nach Bernhard Riemann) ist eine Funktion, die in der analytischen Zahlentheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, eine wichtige Rolle spielt. Ihre Bedeutung liegt darin, dass ihre Nullstellen im Komplexen Auskunft über Primzahlen, ihre Verteilung und über deren Eigenschaften geben. Zudem ist sie eine bedeutende Dirichlet-Reihe, die in vielen Disziplinen Anwendungen hat.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Für komplexe Zahlen , deren Realteil größer als 1 ist, ist die Zeta-Funktion definiert durch die Dirichlet-Reihe
Diese Formel ist trotz ihrer Beschränkung des Definitionbereiches auf die um 1 verschobene rechte Hälfte der komplexen Zahlenebene die Basis für alle anderen Darstellungen der Zeta-Funktion. Um die Riemannsche Zeta-Funktion für alle Zahlen der komplexen Zahlenebene (mit Ausnahme der Zahl 1) berechnen zu können, bedient man sich des Konzepts der analytischen Fortsetzung.
Euler-Produkt
Die ζ-Funktion lässt sich aufgrund der eindeutigen Zerlegung natürlicher Zahlen in Primzahlen für auch als Produkt (Euler-Produkt) schreiben:
Funktionalgleichung
Auf ganz gilt als Identität zwischen meromorphen Funktionen
Aus dieser geht durch einfache Umformung die alternative Darstellung
für alle s in hervor.
Eigenschaften
Die ζ-Funktion ist eine in ganz holomorphe Funktion, das bedeutet, dass sie an allen Stellen außer s = 1 ableitbar ist. Darüber hinaus ist sie in ganz meromorph.
An der Stelle s = 1 besitzt sie (aufgrund der Divergenz der harmonischen Reihe) einen Pol erster Ordnung mit Residuum 1, d.h. es gilt:
Universalitätssatz von Woronin
Nach dem Universalitätssatz von Woronin ist die Riemannsche ζ-Funktion im Stande, jede beliebige (holomorphe) Funktion in einer nullstellenfreien Kreisscheibe mit Radius 1/4 beliebig genau zu approximieren.
Formal ausgedrückt: sei U eine zusammenhängende, kompakte Teilmenge (Gebiet) des Streifens .
Sei nun eine in ganz U holomorphe Funktion, die außerdem für kein verschwinde. Es existiert dann für jedes ein , so dass
für alle .
Die Aussage, dass sich die ζ-Funktion selbst über den Universalitätssatz approximieren lässt, ist äquivalent zur Riemannschen Vermutung.[1]
Erzeugende Funktion
Die erzeugende Funktion der Folge ζ(n) mit n = 2,3,4,5,... für alle | z | < 1 ist:
wobei ψ(z) hier die Digamma-Funktion und γ die Euler-Mascheroni-Konstante bezeichnet. Reduziert man die Reihe auf alle geraden Terme, so ergibt sich[2]:
Ableitung
Ein Ableitungsausdruck der ζ-Funktion ergibt sich aus gliedweiser Differenzierung ihrer Dirichletreihe:
Somit ist ihre Ableitung die Dirichlet-erzeugende Funktion der Folge an = − ln n.
Für die k -te Ableitung gilt allgemein:
Hierbei sei natürlich wieder Res > 1 vorausgesetzt.
Spezielle Funktionswerte
Funktionswerte für gerade natürliche Zahlen
Für eine positive ganze Zahl n ist
Beispielsweise ist
Diese Formeln wurden von Euler entdeckt und 1735 in seiner Arbeit De Summis Serierum Reciprocarum erstmals veröffentlicht. Das Auffinden des Werts von ζ(2) ist auch als das Basler Problem bekannt.
Daneben gibt es auch eine höchst bemerkenswerte Rekursionsformel
für natürliche Zahlen , die allerdings Euler noch nicht bekannt war.[3]
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig gewählte Zahl quadratfrei ist, ist gleich , genauer: Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zufällig gewählte Zahlen kleiner als N teilerfremd sind, konvergiert für gegen diesen Wert.
Allgemeiner: Die Wahrscheinlichkeit, dass n (zufällig) gewählte Zahlen teilerfremd sind, ist . [4]
Funktionswerte für ungerade natürliche Zahlen
Über den Wert der Zeta-Funktion für ungerade natürliche Zahlen ist nur sehr wenig bekannt. Beispielsweise weiß man, dass die Apéry-Konstante ζ(3) irrational ist.
Die Dezimalentwicklungen der ersten ungeraden Zeta-Werte sind:
Funktionswerte für nichtpositive ganze Zahlen
Aus der Funktionalgleichung und Eulers Formel für gerade Zeta-Werte gelangt man für eine natürliche Zahl n > 0 zu:
Aus Bn = 0 für ungerade n geht schließlich die für alle natürlichen Zahlen k > 0 gültige Darstellung
hervor, mit deren Hilfe man insbesondere
ableiten kann. Weitere Werte sind
Funktionswerte für halbzahlige Argumente
Auch die Funktionswerte für halbzahlige Argumente sind interessant, und zwar gilt
Dieser Wert wird u. a. in der Physik bei der Berechnung der kritischen Temperatur für die Ausbildung eines sog. Bose-Einstein-Kondensats und in der Spinwellen-Theorie bei magnetischen Systemen benötigt.
- ,
- .
Nullstellen
Triviale Nullstellen
Aus der Produktdarstellung kann man leicht folgern, dass für gilt. Zusammen mit der Funktionalgleichung ergibt sich, dass die einzigen Nullstellen außerhalb des kritischen Streifens
die „trivialen“ Nullstellen sind.
Die Riemannsche Vermutung
Die Lage der Nullstellen im kritischen Streifen hängt eng mit Aussagen über die Verteilung der Primzahlen zusammen. Beispielsweise ist die Aussage, dass auf dem Rand des kritischen Streifens keine Nullstellen liegen, ein möglicher Zwischenschritt beim Beweis des Primzahlsatzes. Weitere Vergrößerungen des „nullstellenfreien Bereiches“ implizieren Restgliedabschätzungen im Primzahlsatz. Riemann vermutete im Jahr 1859, dass alle Nullstellen auf der parallel zur imaginären Achse verlaufenden Geraden liegen. Diese so genannte riemannsche Vermutung konnte bislang weder bewiesen noch widerlegt werden.
Der Verlauf der Zeta-Funktion in der komplexen Ebene, besonders entlang von parallel zur imaginären Achse verlaufenden Streifen, wird wegen des Zusammenhangs mit der Primzahlverteilung und des davon unmittelbar betroffenen sogenannten Faktorisierungsproblems seit kurzem auch gezielt mit physikalischen Methoden untersucht, und zwar mit Interferenz-Methoden analog zur Holographie. Man teilt dazu die definierende Summe in zwei Teile mit positiver bzw. negativer Phase auf, ψ bzw. ψ*, die man anschließend zur Interferenz bringt. [5]
Die Imaginärteile der „ersten“ Nullstellen sind beispielsweise
±k ±Im ρk 1 14,134725141734693790… 2 21,022039638771554993… 3 25,010857580145688763… 4 30,424876125859513210… Über die Eigenschaften dieser Imaginärteile (Irrationalität, Transzendenz, …) ist bis heute nahezu nichts bekannt. [6]
Andere Ausdrücke für die ζ-Funktion
Dirichletsche η-Funktion
Die Reihe
(Dirichletsche η-Funktion) liefert für und den Ausdruck
Integraldarstellung
Zu dieser gelangt man über den folgenden Rechenweg mittels Benutzung der geometrischen Reihe:
Daraus ergibt sich mit der Definition der Gamma-Funktion Γ für die Beziehung
Eine weitere Integraldarstellung, welche sogar für gilt, ist gegeben durch
Der Ausdruck
mit dem Ganzzahlwert ist ebenfalls für gültig.[8] Diese Formel ergibt sich aus der Summenformel im weiter unten stehenden Abschnitt bezüglich für .
Summenformel
Zerlegt man das erste Integral aus dem vorherigen Abschnitt in die beiden Intervalle und , so erhält man über eine Transformation unter Zuhilfenahme der Bernoulli-Zahlen Bν, die über
für definiert sind, die Summenformel
Darstellung für die komplexe Zahlenebene
Für die analytische Fortsetzung auf existieren verschiedene Ansätze, von denen einige im folgenden aufgeführt werden.
Summenformel
Hierfür greift man auf die Euler-MacLaurin-Summenformel,
zurück, wobei f als Mindestvoraussetzung eine auf dem Intervall [1,N] q-mal differenzierbare Funktion ist, Bν(x) die Bernoulli-Polynome sind und [x] den ganzzahligen Anteil von x darstellt.[9] Indem man mit der Summenformel umwandelt, erhält man den Ausdruck
Diese Formel gilt nicht nur für die Ebene , sondern sogar für (wobei natürlich wieder sei). Durch die freie Wahl von kann man den Definitionsbereich beliebig ausdehnen und hat damit einen Ausdruck für ganz .[9]
Integraldarstellung
Für alle erhält man die Integralrelation
die auch zur numerischen Berechnung der Zeta-Funktion herangezogen werden kann.[10] Ein ähnlicher Ausdruck ergibt sich über die Integraldarstellung der Lerchschen Zeta-Funktion:
Reihenentwicklung
Die Laurentreihe um s = 1 hat die Form
- ;
bei den Koeffizienten
handelt es sich um die Stieltjes-Konstanten, wobei γ0 = γ die Euler-Mascheroni-Konstante ist,[7] für die sich daraus insbesondere der Ausdruck
ergibt.
Helmut Hasse hat die von Konrad Knopp veröffentlichte und auf ganz definierte Reihe
1930 bewiesen.
Produktentwicklung
Über den Produktsatz von Weierstraß für holomorphe Funktionen ist es möglich, die Zeta-Funktion anhand ihrer Nullstellen über ein Produkt der Form
explizit zu rekonstruieren, wobei f(s) eine auf das Produkt multiplizierte und meist elementare Funktion darstellt. Im Falle der Zeta-Funktion ergibt sich für f die Funktion und somit unter Verwendung der trivialen sowie nicht-trivialen Nullstellen:
Unter Zuhilfenahme der Produktentwicklung der Gamma-Funktion
erhält man das Hadamard-Produkt[11], benannt nach seinem Entdecker Jacques Hadamard, das global in konvergiert:
Beziehung zur Polygammafunktion
Espinosa und Moll haben 2003 die Differentialgleichung
mit der Digammafunktion ψ(z) und der auf komplexe Ordnungen s verallgemeinerten Polygammafunktion ψs(z) aufgezeigt.[12] Unter Ausnutzung der Beziehung
zur Hurwitzschen Zeta-Funktion und Einsetzen in die allgemeinere Relation
gelangt man zu
Damit gehören die Nullstellen der ζ-Funktion zu den Lösungen ρ der Gleichung
Beziehung zur Thetafunktion
Eine weitere Möglichkeit, die Riemannsche ζ-Funktion analytisch fortzusetzen, ist eine Umtransformation des Integrals
mittels der jacobischen Theta-Reihe, die man klassisch über
definiert. Für den speziellen Theta-Nullwert
oder alternativ
erhält man die nützliche Transformationsformel
die sich mittels Fourier-Transformation ableiten lässt. Mit der Substitution x = πtn2 in das obere Integral erhält man über die gewöhnliche Mellin-Transformation:
Mit Hilfe einer erneuten Substitution t = 1 / x in das erste Integral und der Theta-Transformationsformel erhält man:
Zusammengefasst ergibt dies:
Dieser Ausdruck konvergiert in ganz und ist unter der Abbildung invariant, d.h.
hieraus kann die schon oben erwähnte Funktionalgleichung der ζ-Funktion gewonnen werden.
Verallgemeinerungen und andere Zeta-Funktionen
Es wurden diverse Funktionen betrachtet, deren Definition der der Riemannschen Zeta-Funktion ähnelt; diese wurden dann auch „Zeta-Funktion“ mit dem Namen ihres „Entdeckers“ genannt. Insbesondere sei hier auf die Dedekindsche Zeta-Funktion, die Hurwitzsche Zeta-Funktion und die Lerchsche Zeta-Funktion verwiesen, siehe auch Liste aller Zeta-Funktionen.
Literatur
Zur Mathematik:
- Harold Edwards: Riemann’s Zetafunction. Dover, 2001, ISBN 0-486-41740-9.
- Eugen Jahnke: Tafeln höherer Funktionen. Teubner, Stuttgart 1966.
- Peter Meier, Jörn Steuding: Wer die Zetafunktion kennt, kennt die Welt!. In: Spektrum der Wissenschaft Dossier 6/2009: „Die größten Rätsel der Mathematik“. ISBN 978-3-941205-34-5, S. 12–19.
- Jürgen Neukirch: Algebraische Zahlentheorie. Springer, Berlin 1992, ISBN 3-540-54273-6.
- Edward Charles Titchmarsh: The Theory of the Riemann Zeta-Function. 1951.
- Don Zagier: Zetafunktionen und quadratische Körper. Springer, Berlin; Heidelberg; New York 1981, ISBN 3-540-10603-0 (Teil 1, insbesondere § 4).
Zur Geschichte:
- Marcus du Sautoy: Die Musik der Primzahlen. Auf den Spuren des größten Rätsels der Mathematik. 4 Auflage. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52320-X.
Weblinks
Commons: Riemannsche ζ-Funktion – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien- Zetagrid
- Graph der Riemannschen Zeta-Funktion (Animation)
- Bernhard Schiekel: Zeta-Funktionen in der Physik - eine Einführung (PDF-Datei; 2.4 MB)
Die folgenden Arbeiten sind englisch, aktuell und verschaffen einen schnellen Überblick:
- Xavier Gourdon, Pascal Sebah: Definition (PDF-Datei; 68 kB)
- Xavier Gourdon, Pascal Sebah: Allgemeines (PDF-Datei; 97 kB)
- Xavier Gourdon, Pascal Sebah: Numerische Berechnung (PDF-Datei; 162 kB)
- Xavier Gourdon, Pascal Sebah: Nullstellen (PDF-Datei; 112 kB)
- P. Cerone: Bounds for Zeta and Related Functions. Journal of Inequalities in Pure and Applied Mathematics, Band 6, Nr. 5, 2005 (enthält Abschätzungen der Zetafunktion für ungerade n; PDF-Datei; 248 kB)
- Funktionswerte für
Einzelnachweise
- ↑ Jörn Steuding: On the Universality of the Riemann zeta-function, Seite 54.
- ↑ Jonathan M. Borwein, David M. Bradley, Richard E. Crandall: Computational strategies for the Riemann zeta function, Seite 254.
- ↑ Reinhold Remmert: Funktionentheorie I. Springer-Verlag Berlin et al. 1984, ISBN 3-540-12782-8, Seite 234.
- ↑ Julian Havil: Gamma. Springer-Verlag Berlin et al. 2007, ISBN 978-3-540-48495-0, Seite 79.
- ↑ siehe z. B. W. Merkel et al.: Factorization of Numbers with Physical Systems. In: W.P. Schleich und H. Walther (Hrsg.): Elements of Quantum Information. Wiley-VCH-Verlag, Weinheim 2007, Seite 339 bis 353
- ↑ Julian Havil: Gamma. Springer-Verlag Berlin et al. 2007, ISBN 978-3-540-48495-0, Seite 226.
- ↑ a b c d Dragan Miličić: Notes on Riemann's Zeta Function.
- ↑ Jörn Steuding: On the Universality of the Riemann zeta-function, Seite 3.
- ↑ a b Hans Rademacher: Topics in Analytic Number Theory. Springer-Verlag Berlin et al. 1973, ISBN 3-540-05447-2.
- ↑ Mathematik-Online-Kurs: Numerik - Numerische Integration der Riemannschen Zeta-Funktion
- ↑ André Voros: More Zeta Functions for the Riemann Zeros, CEA, Service de Physique Théorique de Saclay (CNRS URA 2306), Seite 6.
- ↑ Oliver Espinosa and Victor H. Moll: A Generalized Polygamma Function auf arXiv.org e-Print archive 2003.
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