Königreich Benin

Königreich Benin
Rekonstruktion einer von den Briten erbeuteten Flagge des Königreichs Benin, die in den Archiven des National Maritime Museum aufbewahrt wird.[1]
Staatsgebiet des Königreiches Benin

Benin ist der Name eines von Edo-Völkern gegründeten Königreiches im Südwesten des heutigen Nigeria, das bis zum Jahre 1897 unabhängig war.

Die Amtssprache war Edo. Das Königreich gehört zu den am umfangreichsten dokumentierten vorkolonialen Reichen Westafrikas.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Das Zentrum des Königreichs Benin liegt am Unterlauf des Niger um seine gleichnamige Hauptstadt Benin, etwa 300 km östlich von Lagos. Zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung erstreckte sich das Reich vom Niger im Osten bis zur Atlantikküste (Bucht von Benin) im Westen. Im Norden grenzte es an das Königreich Oyo und reichte bis etwa auf die Höhe des Flusses Benue. Zeitweise kontrollierte Benin – bemüht um eine Ausdehnung des Reiches nach Westen – auch das Gebiet um das heutige Lagos.

Geschichte

Die Anfänge

Das Königreich Benin wurde circa 600 n. Chr. von der Ogiso-Dynastie gegründet, welche das Land bis zum 11. Jahrhundert beherrschte. Die heutige Dynastie, welche die gesellschaftliche Struktur des Staates und damit unser heutiges Bild vom Königreich Benin entschieden geprägt hat, ergriff die Macht im 12. Jahrhundert. Traditionellen Überlieferungen nach gebar eine Frau namens Erimwinde dem Yoruba-Adeligen Oranjan, Sohn von Obudawa, dem ersten König vom Königreich Oyo, einen Sohn namens Eweka. Während Oranjans Bemühungen, seine Heimatstadt Ife vom Land der Edo zurückzuerobern, soll er Erimwinde und Eweka zurückgelassen haben. Letzterer wurde einige Zeit später der erste Oba (Herrscher) von Benin und erhielt während seiner Herrschaft den Beinamen der Vielgeliebte. Auf diese Weise wurde das Königreich Benin mit den Yoruba verbunden. Es war bereits Eweka, der vor seinem Tode ein siebenköpfiges Königswahl-Komitee einrichtete und damit das Königreich zu einer Art Wahlmonarchie machte, wobei allerdings nur unter den männlichen Nachkommen oder Verwandten des vorhergehenden Königs gewählt werden durfte. Dieser „Staatsrat“ hatte nicht nur instanzgebende, sondern auch beratende Funktion.

Der Platz, an dem der heutige Palast von Benin steht, wurde von einem der nachfolgenden Herrscher namens Ewedo erobert. In seiner Zeit wurden umfangreiche Befestigungsanlagen errichtet und die Position des Oba gegenüber dem Adel gestärkt. Die Königswahl aber blieb erhalten. Unter Egbeka, dem neunten Oba, soll es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Oberhaupt und dem Staatsrat gekommen sein, welche das generelle politische System aber nicht veränderten.

Aufstieg und Sklavenhandel

Im 15. Jahrhundert kam es zu ersten Kontakten des Königreichs mit den Europäern (Portugiesen), welche damals vorwiegend an Handelsbeziehungen interessiert waren. Benin war damals, wie die meisten Gebiete der Region, vorwiegend landwirtschaftlich geprägt. Bedeutende Handelsgüter waren Palmöl, Pfeffer und Elfenbein. In dieser Zeit strebte das Königreich dem Zenit seiner Macht entgegen. Oba Ewuare (Ewuare der Große), der den Thron 1440 bestiegen hatte, machte zunächst bedeutende Eroberungen in den umliegenden Gebieten, ließ dann durch Straßenbau die Infrastruktur des Reiches verbessern und mit Hilfe herbeigerufener Kunsthandwerker die Hauptstadt verschönern. Der Herrscher des Nachbarreichs Ife schickte einen seiner gewandtesten Meister, den Schmied Iguehae, der in den Erzählungen über die Jahrhunderte hinweg wie ein Gott verehrt wurde. Von Einwanderern wie ihm lernten die Handwerker Benins die Bronzegusskunst, die sie mit ihrer bereits hoch entwickelten Holz- und Elfenbeinschnitzerei zu einem neuen Kunststil kombinierten. Die Benin-Kunst erlebte damals ihre Blütezeit. Als der regierende Oba auf Grund des Todes seiner zwei Söhne seinem Volk für drei Jahre eine Art Nationaltrauer erließ, die harte Lebenseinschränkungen mit sich brachte (Verbot von Kleidung, Körperwäsche und Kinderzeugung), kam es zu großen Unruhen im Reich und einer Verstimmung im Verhältnis zwischen Volk und Herrscher.

Im späteren 15. und frühen 16. Jahrhundert stieg das Interesse Portugals und Spaniens an Sklaven für ihre Kolonien in Amerika und am gesamten Golf von Guinea blühte der Sklavenhandel auf, besonders aber in Benin. Das Königreich entwickelte sich (neben der Goldküste und der Bucht von Biafra) zu einem der Hauptzentren des Sklavenhandels mit den Europäern. Reiche wie Benin (aber auch Dahomey) entwickelten sich zu Sklavenumschlagplätzen zwischen den inneren Gebieten Afrikas und den Sklavenmärkten an der Küste. Man schätzt heute, dass im Zuge des Sklavenhandels insgesamt 13 Millionen Menschen allein von den Küsten Westafrikas deportiert wurden, wovon ein nicht unbedeutender Teil auf Benin entfällt. Handelsnotizen zufolge wurden aus diesem Gebiet im 18. Jahrhundert jährlich etwa 35.000 Sklaven verschifft.

Im frühen 16. Jahrhundert unternahmen die Herrscher von Benin Versuche, ihre Macht entlang der heutigen Bucht von Benin westwärts auszudehnen. In diesem Zuge gelang es, in Eko (heute Lagos) durch Einsetzung einer den Königen von Benin hörigen Herrscherdynastie eine Art Satelliten-Königreich zu schaffen. Unter Okpame (auch Ozobwa genannt), dem 16. Oba von Benin, konnte das Staatsgebiet noch einmal um Eroberungen im Egba-Land erweitert werden.

Seit Ende des 17. Jahrhunderts gelang es Benin vor allem durch Tausch gegen Sklaven an nicht unbeträchtliche Mengen europäischer Schusswaffen zu kommen. Dadurch konnte sich das Königreich einen zusätzlichen Vorteil gegenüber Nachbarreichen verschaffen.

Im 18. Jahrhundert schränkte Benin den Handel mit den Europäern ein und konzentrierte sich auf die Kontrolle des Reiches und der umliegenden Regionen. Es kam verstärkt zu Streitigkeiten um den Thron, die das bis dahin sehr straff organisierte Reich und die staatliche Integrität schwächten und das Reich anfälliger für externe Interessen machten.

Verlust der Macht und Nachwirkungen

Während des frühen 19. Jahrhunderts führten humanistische Strömungen in Großbritannien und Frankreich zur Aufhebung der Sklaverei im Britischen Empire im Jahre 1833. Großbritannien sah sich ab dann zunehmend in der Rolle des Sklavenbefreiers und unternahm verschiedene Bemühungen, dem vor allem noch von Portugal aufrecht erhaltenen Sklavenhandel ein Ende zu setzen. Im späten 19. Jahrhundert nutzte Großbritannien diese Einstellung als Vorwand für Kolonialkriege gegen sklavenhaltende Königreiche am Golf von Guinea, unter anderem auch gegen das Königreich Benin in den 1890er-Jahren. Trotz gewisser Vorräte an Schusswaffen und einer straffen Organisation ihres Militärs waren die Verteidiger gegen die militärische Stärke der Eindringlinge machtlos. Das Königreich Benin wurde im Jahre 1897 durch die Briten – zum ersten Mal seit seiner Gründung – erobert.

Heute ist das Gebiet des Königreichs Benin im Staat Nigeria integriert, hat aber durch seine traditionellen Autoritätsstrukturen und seine ruhmreiche Geschichte immer noch einen bedeutenden Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen.

Während des Biafra-Kriegs wurde auf dem Gebiet des Königreichs Benin eine gleichnamige Republik ausgerufen, die Republik Benin, welche aber alsbald wieder in Nigeria integriert wurde.

Der Name Benin lebt heute noch im offiziellen Namen der Republique du Bénin weiter, welche allerdings historisch keine Verbindung zum Königreich Benin hat.

Gesellschaft und Staat

Die Gesellschaft im Königreich Benin war ethnisch uneinheitlich immer durch eine komplexe Hierarchie geprägt. Die Herrscherschicht wurde durch aristokratische Kreise gestellt. Die meisten der höchsten Ämter waren erblich. Der überwiegende Teil der Gesellschaft lebte europäischen Reiseberichten zufolge in einem sklavenähnlichen Verhältnis zum Herrscher. Menschen, vor allem Frauen, konnten als Tauschobjekte fungieren.

Der Oba und sein Hofstaat

Bronzeplatte aus Benin: Krieger mit Zeremonialschwert, 16.–18. Jahrhundert

Höchstes politisches und rituelles Oberhaupt des Königreichs Benin war der so genannte Oba. Seine Untertanen hielten ihn für gottähnlich und schrieben ihm eine Art mystische Macht zu, die seine Auserwähltheit rechtfertigte. Innerhalb seines Herrschaftsbreiches hatte er die rechtliche und administrative Gewalt inne und ein Handelsmonopol auf bestimmte Güter, vor allem auf die wertvollsten Ressourcen des Landes wie Elfenbein, Kupfer und Zinn (zur Bronzeherstellung). Für alle Untertanen, besonders für den Hofstaat, galten strenge Verhaltens- und Kleidungsregeln. Der Oba war nicht nur König, sondern auch oberste juridikative und religiöse Instanz sowie vorderster Protagonist bei allen traditionellen Riten. Aber obwohl er wie ein absolutistischer Herrscher auftrat, war seine Macht nicht unbegrenzt. Sie wurde durch den Rat der Orizama oder Uzama n Ihirin, der Königsmacher, begrenzt. Dieser Staats- beziehungsweise Kronrat bestand aus sieben Mitgliedern und hatte die Aufgabe, dem Oba mit ihrem Rat beizustehen, nach seinem Tode unter seinen beiden ältesten Söhnen oder seinen Brüdern einen Nachfolger zu wählen und die Einhaltung der strengen Sittengebote, welche auch das Dasein des Oba reglementierten, zu überwachen. Dazu gehörten unter anderem auch präzise Vorschriften zu Schlaf und Essenseinnahme des Oba. Die Uzama n Ihirin legitimierten ihre Macht durch angebliche Abstammung von der ersten Yoruba-Dynastie und vererbten ihre Titel und Ämter durch Erstgeburt. Dies gilt auch für das Amt des obersten Heerführers, welcher in der Hierarchie unmittelbar unter dem Staatsrat stand.

Der Oba befehligte einen straff durchorganisierten Hofstaat von Statthaltern, Palastkommandeuren, Gefolgsleuten und religiösen Oberhäuptern. Er hatte auf sie einen so großen Einfluss, dass viele von ihnen sich bei seinem Tode dafür entschieden, ihn ins Grab zu begleiten. Diese Unmittelbarkeit der Macht unterschied die Monarchie in Benin von dem der umliegenden Reiche, wo die Macht des Königs oft an der Gunst einflussreicher aristokratischer Sippen hing und Königsmorde keine Seltenheit waren. Die Hierarchie war aber im Laufe der Zeit nicht statisch, sondern entwickelte sich, was zum langen Bestand des Königtums und seiner Herrschaft beitrug.

Der Rang und die Würde eines Mitglieds der administrativen Schicht wurde durch speziellen Schmuck wie zum Beispiel Korallenketten gekennzeichnet.

Militär

Dem 1668 erstmals in Amsterdam publizierten Reisebericht des niederländischen Händlers Olfert Dapper zufolge war das Militär des Oba ähnlich straff organisiert wie der Hofstaat. Dapper berichtet, der Oba könne an einem Tage 20.000 Mann mobilisieren und in kaum weniger Zeit weitere 80.000. Die Armee wurde durch Edelleute kommandiert, welche unmittelbar dem Oba und dem obersten Heerführer unterstanden. Dapper schätzt ihre Zahl auf 300 bis 400.

Besondere Sitten und Rituale

Eine besondere Verehrung brachte man in Benin der Mutter des Königs entgegen. Sie hatte die wichtige Aufgabe, die Thronfolger zu erziehen. Auf Grund ihres naturgemäß besonderen Einflusses auf den Oba, schrieb die Sitte ihr vor, außerhalb des Palastbezirks zu leben. War ihr Sohn erst einmal inthronisiert, durfte er sie nie mehr wieder sehen und durfte nur über Dritte ihren Rat einholen.

In der Religion der Bewohner von Benin gab es einen Glauben an ein Weiterleben im Jenseits.

Der Tod des Oba war im Königreich Benin ein grausames Ereignis. Dem Reisebericht des Olfert Dapper nach musste das Grab des Königs so tief gegraben werden, bis die Arbeiter ins Wasser fallen und ertrinken. Erst dann wurde der Leichnam des Oba in Anwesenheit des gesamten Hofstaates ins Grab gelassen. Die Hofdiener sollen sich anschließend angeboten haben, ihren Herrscher ins Jenseits begleiten zu dürfen. Dieses Vorrecht wurde aber nur denjenigen gewährt, welche beim Oba zu seinen Lebzeiten am beliebtesten waren. Sie stiegen mit ihm in das Grab, welches anschließend mit einem schweren Stein verschlossen wurde.

Zu hohen Festen war es im Königreich auch üblich, Menschenopfer darzubringen. Zumeist handelte es sich um Sklaven, von denen man glaubte, dass sie im Jenseits ein besseres Schicksal erführen. Die Opferung erfolgte durch Enthauptung oder Erdrosseln. Diese Praxis soll vor allem im 19. Jahrhundert immer größere Ausmaße angenommen haben, als Berichten zufolge bis zu 23 Opfer am Tag dargebracht wurden.

Kunst und Architektur

Die Einwohner des Königreichs Benin waren und sind äußerst gewandte Kunsthandwerker. Die Benin-Kunst ist heute weltberühmt und sehr vielfältig. Ihre Grundelemente sind der Bronzeguss und die Bearbeitung von Holz und Elfenbein. Die bereits im 15. Jahrhundert fertiggestellte Mauer von Benin gilt als architektonische Meisterleistung und galt bis zu ihrer Zerstörung bei einem britischen Eroberungsfeldzug 1897 als das größte von Menschen erschaffene Befestigungswerk der Welt.

Bei der Eroberung von Benin durch die Briten 1897 wurden über 2000 Kunstgegenstände in Besitz genommen und nach London gebracht. Man nimmt an, dass es sich um den überwiegenden Teil der damals vorhandenen Objekte handelte. Knapp 600 davon wurden später auf einer Auktion in London durch Felix von Luschan für das Berliner Völkerkundemuseum erworben. 413 dieser Objekte wurden während des 2. Weltkriegs nach Schlesien evakuiert. Ihr Verbleib ist bis heute ungeklärt.

1910 fand der Afrikaforscher Leo Frobenius eine Reihe von Kunstgegenständen, die dem alten Benin zuzuschreiben sind. Ein ähnlicher Fund wurde 1938 bei Grabarbeiten im Gebiet des alten Königreichs entdeckt.

Siehe auch

Literatur

  • Eno Beuchelt, Wilhelm Ziehr: Schwarze Königreiche. Völker und Kulturen Westafrikas. W. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-8105-2605-3.
  • Olfert Dapper: Umbstaendliche und Eigentiliche Beschreibung von Afrika. Amsterdam 1668.
  • Jacob Uwadiae Egharevba: A Short History of Benin. 4. Auflage. Ibadan 1968.
  • Paula Ben-Amos Girshick: The Art of Benin. 2. Auflage. London 1995, ISBN 0-7141-2520-2.
  • Mechthildis Jungwirth: Benin in den Jahren 1485–1700. Notring, Wien 1968.
  • Joseph Ki-Zerbo: Die Geschichte Schwarz-Afrikas. 7. Auflage. Hammer, Wuppertal 1985, ISBN 3-87294-153-4.
  • Jacob E. Mabe: Das Afrika-Lexikon. Sonderausgabe. Ein Kontinent in tausend Stichwörtern. Metzler, Wuppertal 2004, ISBN 3-476-02046-0.
  • Thorsten Spahr: Benin. Künste und Traditionen der oralen Edo-Kultur ; Perspektiven und Grenzen der Interpretation als historische Quellen. Pro-Literatur-Verlag, Mammendorf 2006, ISBN 3-86611-247-5.
  • Leonhard Harding: Das Königreich Benin. Geschichte - Kultur - Wirtschaft. München 2010. ISBN 978-3-486-59757-8

Quellen (Übersetzung, Editionen):

  • Adam Jones: Olfert Dapper´s Description of Benin (1668). University of Madison, Madison 1998.
  • Thorsten Spahr: Benin um 1700. Kommentierte deutsche Neu-Übersetzung eines Briefes von David van Nyendael an Willem Bosman über das Königreich Benin nebst einer Synopsis des im Holländischen zuerst 1704 verlegten Originals und der zeitgenössischen Übersetzungen ins Englische (1705) sowie ins Deutsche (1708). Pro-Literatur-Verlag, Mammendorf 2006, ISBN 3-86611-208-4. (niederländisch, deutsch und englisch)

Bibliographie:

  • Thorsten Spahr: Benin Bibliographie – mehrfach systematisierte, bilingual kommentierte Bibliographie zur Geschichte der Edo-Kultur im Königreich von Benin (Süd-Nigeria). Pro-Literatur-Verlag, Mammendorf 2006, ISBN 3-86611-209-2. (deutsch und englisch)

Atlanten:

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Flagge des Königreiches Benin.

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