Lagrange-Gleichung

Lagrange-Gleichung

Die Lagrange-Funktion (nach Joseph-Louis Lagrange) ist ein zentrales Element zur Beschreibung von physikalischen Systemen im Lagrange-Formalismus der Klassischen Mechanik. Für konservative Systeme sowie für nicht-konservative Systeme mit einem generalisierten Potential und holonome Zwangsbedingungen lautet sie

L = T - V,\!

wobei T die kinetische und V die potenzielle Energie des betrachteten Systems bezeichnen.

Inhaltsverzeichnis

Mathematischer Ursprung

d'Alembertsches Prinzip in generalisierten Koordinaten

Das d'Alembertsche Prinzip kann geschrieben werden als

\sum^s_{k=1}\left[\frac{d}{dt}\frac{\partial T}{\partial \dot q_k}-\frac{\partial T}{\partial q_k}-Q_k\right]\delta q_k=0,

wobei qk die generalisierten Koordinaten, Qk die generalisierte Kraft, δqk die virtuelle Verrückung der k-ten generalisierten Koordinate und s die Anzahl der Freiheitsgrade bezeichnet.

Betrachtet man das d'Alembert'sche Prinzip für holonome Zwangsbedingungen, so kann man verwenden, dass die generalisierten Koordinaten qk unabhängig sind, wodurch die obige Summe in s einzelne Gleichungen zerlegt werden kann.

\frac{d}{dt}\frac{\partial T}{\partial \dot q_k}-\frac{\partial T}{\partial q_k}-Q_k=0, mit k = 1,...,s

Konservative Kräfte

In einem konservativen System gilt

Q = -\nabla V, also für die Komponenten: Q_k=-\frac{\partial V}{\partial q_k}

wodurch die Gleichungen umgeschrieben werden können zu

\frac{d}{dt}\frac{\partial T}{\partial \dot q_k}-\frac{\partial (T-V)}{\partial q_k}=0

Da die potenzielle Energie V nicht von den generalisierten Geschwindigkeiten \dot q_k abhängt, kann man auch schreiben

\frac{d}{dt}\frac{\partial (T-V)}{\partial \dot q_k}-\frac{\partial (T-V)}{\partial q_k}=0,

weil es bei der Ableitung wieder wegfällt. Dies sind nun jedoch gerade die Lagrange-Gleichungen für eine Funktion :

L(q_{1},\ldots,q_{s},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{s},t)=T(q_{1},\ldots,q_{s},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{s},t)-V(q_{1},\ldots,q_{s},t).

Spezielle nicht-konservative Kräfte

Lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges generalisiertes Potential V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t) in folgender Form schreiben

Q_{i}=-\frac{\partial V}{\partial q_{i}}+\frac{d}{dt}\frac{\partial V}{\partial\dot{q}_{i}}

bleiben die Euler-Lagrange-Gleichungen in ihrer gewohnten Form gültig

\frac{d}{dt}\frac{\partial (T-V)}{\partial \dot q_k}-\frac{\partial (T-V)}{\partial q_k}=0,

und die Lagrangefunktion ist nun:

L(q_{1},\ldots,q_{s},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{s},t)=T(q_{1},\ldots,q_{s},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{s},t)-V(q_{1},\ldots,q_{s},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{s},t)

Beispiele

Konservatives System: Masse im harmonischen Potential

Eine Masse m sei über zwei Federn mit Gesamt-Federkonstante D und festen Randbedingungen verbunden (siehe Bild).

Schwingungssystem: x ist die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage

Grundvoraussetzung zur Beschreibung des Problems im Lagrange-Formalismus ist das Aufstellen der Lagrange-Funktion, indem man die Terme für kinetische und potentielle Energie aufstellt.

T = \frac{1}{2}m\dot{x}^2   und   V = \frac{1}{2}Dx^2

Die Lagrange-Funktion lautet daher:

L = \frac{1}{2}m\dot{x}^2 - \frac{1}{2}Dx^2

Die Lagrange-Funktion wiederum wird zur analytischen Beschreibung des physikalischen Problems in die Euler-Lagrange-Gleichung eingesetzt, was dann auf Gleichungen führt, die den Bewegungsgleichungen in der Newtonschen Mechanik entsprechen. In unserem Beispiel lautet die generalisierte Koordinate einfach x, die Euler-Lagrange-Gleichung


{d\over dt}{\partial{L}\over \partial{\dot{x}}}={\partial{L}\over \partial x}

und daraus dann

\ \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\left(m\dot{x}\right)=-D x

führt auf die Bewegungsgleichung des Systems:

\ddot{x} = -\frac{D}{m} x.

Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist x(t)=A\cos(\omega t + \varphi), t ist die Zeit, \omega=\sqrt{D/m} die Kreisfrequenz. Die Amplitude A = const und Phase \varphi=\text{const} wird aus den Anfangsbedingungen bestimmt.

Nicht-konservatives System: Geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld

Eine Punktladung q Masse m bewege sich im elektromagnetischen Feld. Die generalisierten Koordinaten entsprechen den kartesischen Koordinaten in 3 Raumdimensionen.

Die Felder (Magnetfeld \mathbf{B} und elektrisches Feld \mathbf{E}) werden über das Skalarpotential φ und das Vektorpotential \mathbf{A} bestimmt:

\mathbf{B}(\mathbf{x},t)=\nabla\times\mathbf{A}(\mathbf{x},t)\ ,\quad\mathbf{E}(\mathbf{x},t)=-\frac{\partial\mathbf{A}(\mathbf{x},t)}{\partial t}-\nabla\phi(\mathbf{x},t)

Die kinetische Energie des Teilchens ist klassisch:

T(\dot{\mathbf{x}})=\frac{1}{2}m\dot{\mathbf{x}}^{2}

Das Potential ist hier allerdings geschwindigkeitsabhängig:

V(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=q\left(\phi(\mathbf{x},t)-\dot{\mathbf{x}}\cdot\mathbf{A}(\mathbf{x},t)\right)

Somit ist die Lagrangefunktion eines geladenen Teilchens im elektromagnetischen Feld:

L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=\frac{1}{2}\, m\,\dot{\mathbf{x}}^{2}-q\,\phi(\mathbf{x},t)+q\,\dot{\mathbf{x}}\cdot\mathbf{A}(\mathbf{x},t)

Die Euler-Lagrange-Gleichungen \frac{d}{dt}\nabla_{\dot{\mathbf{x}}}L-\nabla_{\mathbf{x}}L=0 führt auf die Bewegungsgleichung, auf deren rechter Seite die Lorentzkraft steht:

m\,\ddot{\mathbf{x}}=q\,\dot{\mathbf{x}}\times\left(\nabla\times\mathbf{A}(\mathbf{x},t)\right)-q\,\frac{\partial}{\partial t}\mathbf{A}(\mathbf{x},t)-q\,\nabla\phi(\mathbf{x},t)

Relativistische Mechanik

In der relativistischen Mechanik gilt L = TV nicht mehr. Dort ist die Lagrangefunktion für ein Teilchen mit Ruhemasse m0 und Geschwindigkeit \dot{\mathbf{x}} ohne Zwangsbedingungen gegeben durch:

L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=-m_{0}c^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}\,-\, V(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)

Die relativistische kinetische Energie T=\frac{m_{0}c^{2}}{\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}\,}-m_{0}c^{2} ist nicht mit dem ersten Term identisch.

Für ein N-Teilchensystem ist die Lagrangefunktion mit den generalisierten Koordinaten

L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=-\sum_{i=1}^{N}m_{0,i}c^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)}{c^{2}}}\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)

wobei n = 3Ns die Anzahl der Freiheitsgrade und s die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist.

Für kleine Geschwindigkeiten |\dot{\mathbf{x}}|\ll c kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln \sqrt{1-x}=1+x/2:

-m_{0}c^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}=-m_{0}c^{2}+\frac{m_{0}}{2}\dot{\mathbf{x}}^{2}

Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Euler-Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrangefunktion, kann man den konstanten ersten Term vernachlässigen und man erhält wieder die klassische kinetische Energie:

L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=\sum_{i=1}^{N}\frac{m_{0,i}}{2}\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)
L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=T(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • H. Goldstein: Klassische Mechanik. Wiley-VCH. ISBN 978-3527405893

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Euler-Lagrange-Gleichung — Der Lagrange Formalismus ist eine 1788 von Joseph Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrangefunktion, beschrieben wird. Dadurch wird… …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Formalismus — Der Lagrange Formalismus ist in der Physik eine 1788 von Joseph Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrangefunktion, beschrieben wird.… …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Multiplikator — Visualisierung der Lagrange Multiplikatorenregel. Die rote Linie stellt die Menge dar, auf der g(x,y) = c erfüllt ist. Die blauen Linien sind Höhenlinien f(x,y) = d für verschiedene Werte von d. An dem Punkt, an dem f unter der Nebenbe …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Ansatz — Visualisierung der Lagrange Multiplikatorenregel. Die rote Linie stellt die Menge dar, auf der g(x,y) = c erfüllt ist. Die blauen Linien sind Höhenlinien f(x,y …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Funktion — Die Lagrange Funktion (nach Joseph Louis Lagrange) ist ein zentrales Element zur Beschreibung von physikalischen Systemen im Lagrange Formalismus der Klassischen Mechanik. Für konservative Systeme sowie für nicht konservative Systeme mit einem… …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Methode — Visualisierung der Lagrange Multiplikatorenregel. Die rote Linie stellt die Menge dar, auf der g(x,y) = c erfüllt ist. Die blauen Linien sind Höhenlinien f(x,y …   Deutsch Wikipedia

  • Lagrange-Relaxierung — Visualisierung der Lagrange Multiplikatorenregel. Die rote Linie stellt die Menge dar, auf der g(x,y) = c erfüllt ist. Die blauen Linien sind Höhenlinien f(x,y …   Deutsch Wikipedia

  • Gleichung — Gleichung, 1) (Aequatio), die Zusammenstellung zweier gleicher Größen durch das Gleichheitszeichen, z.B. 6 + 4 = 2.5. Jede G. besteht aus zwei einander gleichen Theilen (Seiten, Membra aequationis), jeder aber kann aus mehreren Gliedern (Termini) …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Gleichung — Gleichung, die mathematische Bezeichnung für die Aussage, daß zwei Größen, etwa A und B, einander gleich sind, daß also jede von ihnen die andre ersetzen kann, in Zeichen: A = B. Man nennt A und B die beiden Seiten der G., und wenn A und B aus… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Gleichung — In der Mathematik ist eine Gleichung eine Aussage, in der die Gleichheit zweier Terme durch mathematische Symbole ausgedrückt wird. Dies wird durch das Gleichheitszeichen („=“) symbolisiert. Formal hat eine Gleichung die Gestalt T1 = T2 mit zwei… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”