- Freiheitsgrad
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Der Freiheitsgrad bezeichnet einen Parameter eines Systems. Die Eigenschaft, ein Freiheitsgrad zu sein, ergibt sich für einen Parameter daraus, Teil einer Menge von Parametern zu sein, die das System beschreiben. Das System muss dabei folgende Eigenschaften haben:
- Das System ist durch die Spezifizierung der Parameter eindeutig bestimmt.
- Wird ein Parameter weggelassen, so ist das System nicht mehr eindeutig bestimmt.
- Jeder Parameter kann verändert werden, ohne dass sich die anderen Parameter verändern.
Ein Mitglied einer solchen Menge von Parametern heißt Freiheitsgrad des Systems. Ein Freiheitsgrad ist also niemals eine Funktion der anderen Freiheitsgrade eines Systems. Die Anzahl der Freiheitsgrade eines Systems ist also festgelegt, jedoch kann ein Satz anderer Parameter genauso geeignet sein, das System zu beschreiben.
Inhaltsverzeichnis
Sprachgebrauch
Es haben sich zwei Bedeutungen des Begriffs Freiheitsgrad etabliert. Zum einen wird damit die (gesamte) Anzahl f der unabhängigen Parameter eines Systems bezeichnet, z.B. "Der Freiheitsgrad eines starren Körpers beträgt f = 6". Die einzelnen Parameter werden dann gelegentlich Freiheiten genannt. Meist werden aber auch diese Parameter selbst als Freiheitsgrade bezeichnet, z.B. "Ein starrer Körper besitzt f = 6 Freiheitsgrade."[1][2]
Physik
Unter einem Freiheitsgrad (selten auch Freiheit) eines physikalischen Systems versteht man eine unabhängige (verallgemeinerte) Koordinate, mit der das System beschrieben werden kann. Was mit dem Wort "unabhängig" gemeint ist, sieht man an einem Beispiel: Angenommen ein Teilchen könne sich nur entlang einer geraden Linie in der Ebene (z.B. auf einem Tisch) bewegen. Die Einschränkung, dass sich das Teilchen nur auf einer geraden Linie bewegen darf, bewirkt, dass die Koordinaten des Teilchens nicht mehr unabhängig voneinander sind. Die x-Koordinate und die y-Koordinate des Teilchens sind dann nicht mehr unabhängig voneinander, weil y = a + bx gilt. Wird nun entweder die x-Koordinate oder die y-Koordinate vorgegeben und sind die Zahlenwerte von a und b bekannt, dann kann die nicht vorgegebene Koordinate aus der Gleichung berechnet werden. Bemerkung: Die Gleichung y = a + bx ist ein Beispiel für eine holonome Zwangsbedingung.
Die Zahl der unabhängigen Freiheitsgrade ist eine Systemeigenschaft. Beispielsweise hat ein Massenpunkt drei Translationsfreiheitsgrade, also seine drei Raumkoordinaten. Ein starrer Körper hingegen besitzt neben den drei Translations- noch drei Rotationsfreiheitsgrade, letztere durch dessen Drehwinkel beschrieben.
Beispiele
Im Gelenk eines Mechanismus sind zwei Teile miteinander beweglich verbunden. Die Beweglichkeit wird durch die Anzahl f der gegenseitigen Freiheitsgrade charakterisiert.
- Figur 2: Drehgelenk: f=1
- Figur 3: Schraubgelenk f=1
- Figur 5: Drehschubgelenk (Plattengelenk) f=3
- Figur 6: Drehschubgelenk f=2
- Figur 7: Kugelgelenk f=3
Thermodynamik
Die Zahl der Freiheitsgrade eines Systems spielt auch in der Thermodynamik eine Rolle, da sich die Energie gleichmäßig auf die einzelnen Freiheitsgrade verteilt. Die Zahl der Freiheitsgrade geht daher auch in die Entropie ein, die ja letztlich ein Maß für die Zahl der erreichbaren Zustände ist. Thermodynamische Systeme haben generell sehr viele Freiheitsgrade, etwa in der Größenordnung von 1023. Es können allerdings viele gleichartige Systeme mit jeweils nur wenigen Freiheitsgraden zustande kommen, zum Beispiel 1023 Atome mit effektiv (s.u.) je drei Freiheitsgraden.
Man kann die innere Energie eines idealen Gases in Abhängigkeit von Temperatur (T) und Anzahl der Freiheitsgrade eines Gasteilchens (f) angeben. Im Normalfall eines einatomigen idealen Gases (N Teilchen) ergibt sich: .
Allgemein gilt: . Hierbei ist wichtig, dass zur Bestimmung von f innere Freiheitsgrade doppelt gezählt werden, da Schwingungen sowohl kinetische als auch potentielle Energie besitzen (s.u.).
Aufgrund der diskreten Energieniveaus der Quantenmechanik, können bei niedrigen Energien meist nicht alle Freiheitsgrade angeregt werden, da der erste angeregte Zustand bereits eine zu hohe Energie besitzt. Dadurch kann ein System bei einer gegebenen Energie effektiv weniger Freiheitsgrade haben. Zum Beispiel hat ein Atom bei Raumtemperatur effektiv nur die drei Translationsfreiheitsgrade, da die mittlere Energie so niedrig ist, dass atomare Anregungen praktisch nicht vorkommen.
Ein zweiatomiges Molekül wie molekularer Wasserstoff hat – neben den elektronischen Anregungen – sechs Freiheitsgrade: Drei der Translation, zwei der Rotation, und einen Schwingungsfreiheitsgrad (der allerdings bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählt). Rotation und Schwingung sind quantisiert und bei geringer Gesamtenergie eines Moleküls können energetisch höher liegende Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade nicht angeregt werden; man sagt, sie seien "eingefroren." So verhalten sich die meisten zweiatomigen Gase wie zum Beispiel Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff unter Normalbedingungen effektiv so, als hätten die Einzelmoleküle nur fünf Freiheitsgrade, was sich am Adiabatenexponenten ablesen lässt. Bei hohen Temperaturen sind dem System alle Freiheitsgrade zugänglich.
Komplexere Moleküle haben viel mehr Schwingungsfreiheitsgrade, und liefern somit einen höheren Beitrag zur Entropie.
Jedes Molekül hat 3n (n = Anzahl der Atome im Molekül) Freiheitsgrade, weil man für jedes Atom drei Koordinaten braucht um seine Position zu definieren. Diese kann man formal in Translations-, Rotations- und innere Schwingungsfreiheitsgrade einteilen.
Hierbei gilt:
- Für lineare n-atomige Moleküle:
- 3 Translationsfreiheitsgrade,
- 2 Rotationsfreiheitsgrade,
- 3n-5 Schwingungsfreiheitsgrade (die bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählen),
- Für n-atomige nicht lineare Moleküle:
- 3 Translationsfreiheitsgrade,
- 3 Rotationsfreiheitsgrade,
- 3n-6 Schwingungsfreiheitsgrade (die bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählen).
Für die Schwingungsfreiheitsgrade eines Moleküls gilt allgemein:
- fvib = 3A − ftrans − frot Freiheitsgrade für die innere Schwingungsenergie. A ist dabei die Gesamtzahl der Atome des Moleküls.
Stoff Freiheitsgrade Translation Rotation Schwingung (doppelt zu zählen) Summe Gasmolekül, 1-atomig 3 0 0 3 Gasmolekül, 2-atomig 3 2 3x2-5=1 7 Gasmolekül, 3-atomig linear 3 2 3x3-5=4 13 Gasmolekül, 3-atomig gewinkelt 3 3 3x3-6=3 12 1 Atom im Festkörper 0 0 3 6 Die thermodynamischen Freiheitsgrade der Zustandsgrößen auf makroskopischer Ebene ergeben sich für beliebige Systeme im Gleichgewicht über die Gibbssche Phasenregel.
Technik
Bei Gelenken beschreibt der Freiheitsgrad die Anzahl und Art der möglichen Bewegungen, die das Gelenk ausführen kann. Dabei stehen die sechs möglichen Freiheiten des oben genannten starren Körpers zur Verfügung. Innerhalb eines Gelenks lassen sich jedoch nur maximal fünf Freiheiten technisch umsetzen.
Die Zahl der Freiheiten eines Systems, das aus vielen Teilsystemen gebildet wird, ist die Summe der Freiheiten der Teilsysteme, sofern diese nicht durch Zwangsbedingungen (z. B. Fahrzeugkupplung: Der Anhänger kann sich nicht unabhängig vom Zugfahrzeug bewegen) eingeschränkt wird.
- Freiheitsgrad >0: beschreibt ein in sich bewegliches System (Mechanismus).
- Freiheitsgrad =0: beschreibt ein statisch bestimmtes System.
- Freiheitsgrad <0: steht für ein statisch überbestimmtes System, in dem starke innere Spannungen auftreten können („klemmt“).
- Siehe auch: Laufgrad
Statistik
Die Schätzung von Parametern ist eng verbunden mit der jeweils zur Verfügung stehenden Information. Die formale Anzahl von Informationen, zum Beispiel die Antworten von N Befragten, die zur Schätzung eines Parameters herangezogen werden, ist der Ausgangspunkt für die Festlegung der zur Verfügung stehenden Freiheitsgrade. Im allgemeinen ist die Anzahl der Freiheitsgrade gleich der formalen Anzahl unabhängiger Einzelinformationen minus der Anzahl der in die Berechnung des jeweiligen Parameters eingehenden zusätzlichen Parameter. Es gilt meist:
- Zahl der Freiheitsgrade = K - J - 1 mit
- K: Zahl der Beobachtungswerte
- J: Zahl der Regressoren (unabhängigen Variablen)
- Beispiel: Wird zum Beispiel die Varianz einer Verteilung mit n Werten bei vorgegebenem Mittelwert geschätzt, dann ist die Anzahl der Freiheitsgrade n-1, da die Formel zur Berechnung von Varianz den Mittelwert m als weiteren Parameter enthält. Zur Ermittlung der Freiheitsgrade der Varianz kann man sich überlegen, wie viele Messwerte man frei variieren könnte. Im Zähler der Varianzformel steht die Summe aller (x - m) im Quadrat, also der jeweilige Messwert x minus den Mittelwert m im Quadrat. Der Mittelwert ist dermaßen definiert bzw. errechnet, dass die Summe der Abweichung aller Messwerte von ihm Null ergibt. Die Summe aller (x - m), welche auch (mit Quadrierung) im Zähler der Varianzformel vorkommt, entspricht nun genau der Summe dieser Abweichungen vom Mittelwert und diese muss immer Null ergeben. Theoretisch könnten wir alle x-Werte bis auf einen (also n-1 Messergebnisse) frei verändern, solange ebendieser letzte x-Wert dazu führt, dass die Summe aller (x - m) Null ergibt. Somit hat die Varianz n-1 Freiheitsgrade.[3]
Zahlenbeispiel: Wir errechnen den Mittelwert aus drei Zahlen. Theoretisch können wir nun zwei der drei Zahlen frei verändern, solange die dritte Zahl so gestaltet ist, dass letztendlich immer derselbe Mittelwert errechnet wird. Z.B. 2;3;4 Mittelwert ist hier 3. Jetzt können wir die ersten beiden Zahlen frei verändern. Z.B. 10;1; als Mittelwert muss aber immer 3 herauskommen, deshalb kann die dritte Zahl hier nur -2 sein. Oder z.B.: 0; 1 die dritte Zahl muss dann 8 sein.
Kurz: Anzahl der frei wählbaren Elemente in einer bestimmten Berechnung, zum Beispiel Mittelwert aus 3 Zahlen → 2 Freiheitsgrade.
Mathematik
Wenn Nebenbedingungen die Punkte eines n-dimensionalen Raumes einschränken und an einem Punkt die Nebenbedingungen erfüllt sind, wobei die Matrix invertierbar ist, dann gibt es in einer genügend kleinen Umgebung von Funktionen y(x) mit so dass F(y(x),x) = 0 für alle x aus dieser Umgebung gilt. Da die Werte von x in dieser Umgebung nicht eingeschränkt sind, sind sie die bei k Nebenbedingungen verbleibenden n − k Freiheitsgrade.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Eberhard Brommundt, Gottfried Sachs, Delf Sachau: Technische Mechanik: Eine Einführung
- ↑ Wolfgang H. Müller, Ferdinand Ferber: Technische Mechanik für Ingenieure: Geeignet für die Bachelor-ausbildung
- ↑ Jürgen Bortz: Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. 6. Auflage. Springer, 2005, S. 138.
Weblinks
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