Anthony Burgess

Anthony Burgess
Anthony Burgess

John Anthony Burgess Wilson (* 25. Februar 1917 in Manchester; † 25. November 1993 in London), besser bekannt unter seinem Künstlernamen Anthony Burgess, war ein britischer Schriftsteller und Komponist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Burgess wurde in ein katholisches Elternhaus hineingeboren, das zerbrach, noch ehe er drei Jahre alt war: Im November 1918 starben kurz nacheinander seine Schwester und seine Mutter an der damals grassierenden Spanischen Grippe. Der Junge wurde darauf zunächst bei einer Tante untergebracht und kehrte erst in den Haushalt des Vaters zurück, als dieser sich 1922 wieder verheiratet hatte. Burgess empfand sich als einsam und vom Vater zurückgewiesen und beschäftigte sich früh mit Büchern. Als er auf die Schule kam, zunächst die St. Edmund’s Roman Catholic Elementary School, war er erstaunt, dass die anderen Kinder noch gar nicht lesen konnten. Er war schon dort ein Außenseiter und erst recht später als Katholik auf der Bishop Bilsborrow Memorial Elementary School in Moss Side. Seine guten Noten brachten ihn auf das Xaverian College. Das Flötensolo aus Prélude à l’après-midi d’un faune von Claude Debussy weckte in ihm den Wunsch, Musiker zu werden. Seine Familie lehnte das als brotlose Kunst ab, dennoch brachte er sich selbst das Klavierspielen bei. Als sein Vater 1938 starb, erbte Burgess nichts.

Zum Studium der Musik nicht angenommen, studierte er 1937–1940 Englische Literatur an der Manchester University und schloss 1940 mit dem Bachelor of Arts ab, mit einer Arbeit über Christopher Marlowes Doctor Faustus. 1942 heiratete er Lynne Isherwood. Er diente danach zunächst beim Royal Army Medical Corps und ließ sich dann zum British Army Education Corps versetzen. Auf Gibraltar stationiert, unterrichtete der sprachbegabte Burgess Deutsch, Französisch und Spanisch und wurde im benachbarten Spanien verhaftet, weil er Franco beleidigt hatte. Die in England zurückgebliebene Lynne wurde während der Verdunkelung von vier desertierten US-Soldaten überfallen und erlitt eine Fehlgeburt.

Burgess verließ den Militärdienst 1946 als Sergeant-Major (Feldwebel) und unterrichtete die nächsten vier Jahre an der Mid-West School of Education in der Nähe von Wolverhampton und am Bamber Bridge Emergency Teacher Training College bei Preston. Ende der 1950er Jahre arbeitete er als Englischlehrer am Gymnasium Banbury Grammar und leitete dort die schulische Theatergruppe. Während dieser Zeit und praktisch sein ganzes Leben lang schrieb er Musik, wobei die meisten Stücke allerdings nie veröffentlicht wurden.

1954 nahm Burgess eine Stelle als Lehrer beim British Colonial Service an und ging nach Malaya. Zunächst unterrichtete er in Kuala Kangsar in Perak am Malay College, genannt „das Eton des Ostens“. Nach einem Streit mit seinen Vorgesetzten wechselte Burgess zum Malay Teachers’ Training College in Kota Bharu, Kelantan. Als er nach kurzer Zeit fließend das Malaiische beherrschte, brachte ihm das eine Gehaltserhöhung ein. In seiner Freizeit schrieb Burgess die Romantrilogie The Long Day Wanes, die in Malaysia nicht erscheinen durfte und dort bis heute als unerwünscht gilt. Sein erstes veröffentlichtes Werk war English Literature: A Survey for Students, das er ebenfalls in dieser Zeit verfasste. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Heimat im Jahre 1958 nahm Burgess eine Stelle am Sultan Omar Ali Saifuddin College in Bandar Seri Begawan in Brunei an. Hier entstanden die ersten Entwürfe jenes Buches, das 1961 unter dem Titel Devil of a State erscheinen sollte. Der Schauplatz Brunei war darin durch ein fiktives ostafrikanisches Land, eine verfremdete Version von Sansibar, ersetzt; Burgess und vor allem sein Verleger wollten Verleumdungsklagen vermeiden.

Auf Borneo brach Anthony Burgess 1959 zusammen, während er Geschichte unterrichtete. Die Ärzte teilten ihm mit, einen unheilbaren Gehirntumor diagnostiziert zu haben, und legten ihm nahe, die noch bleibenden zwölf Monate gut zu nutzen. Burgess entschloss sich, dem Schreiben fortan Priorität zu geben, um seiner Frau etwas Persönliches zu hinterlassen (und veröffentlichte in den folgenden Jahren mehr als 50 Bücher). Er kehrte nach Großbritannien zurück, offiziell aus gesundheitlichen Gründen, doch war die koloniale Verwaltung in Brunei froh, den renitenten Burgess loszuwerden, der sich in Artikeln für die Brunei People’s Party eingesetzt hatte, die die Unabhängigkeit des Landes forderte, und der mit A. M. Azahari befreundet war, dem Führer dieser rebellischen Partei (drei Jahre später scheiterte dann der Aufstand der Volkspartei und löste einen Ausnahmezustand aus, der bis heute andauert).

Zuhause in London wurde der todkrank geglaubte Burgess in der Neurologie derart gründlich (und ergebnislos) untersucht, dass er diese Erlebnisse in einem rasch geschriebenen Buch namens The Doctor is Sick verarbeitete. Darin finden sich zahlreiche Beispiele für Slang, die bereits die künstliche Jugendsprache vorbereiten, die später in seinem berühmtesten Werk Clockwork Orange eine Rolle spielt. Er beschloss nun, nur noch zu schreiben, abgesichert durch eine Erbschaft seiner Frau und die Ersparnisse aus sechs Jahren Auslandseinsatz, bis sich seine Bücher – allen voran das 1962 erschienene Clockwork Orange – als eine Quelle wachsenden Wohlstandes erwiesen. Burgess begann 1963 eine Affäre mit der zwölf Jahre jüngeren Italienerin Liliana Macellari, die ihm 1964 einen Sohn gebar. Burgess lehnte es ab, seine Frau Lynne zu verlassen (die mittlerweile Alkoholikerin war), um ihren Cousin George Patrick Dwyer nicht bloßzustellen, den katholischen Bischof von Leeds. Erst nachdem Lynne am 20. März 1968 an Leberzirrhose gestorben war, erkannte er das Kind als seines an und heiratete Liliana. Sie übersetzte einen großen Teil seiner Werke ins Italienische.

Burgess’ wachsender Erfolg brachte das Paar angesichts der hohen Steuern dazu, ins Ausland zu gehen. Zunächst lebten sie bis 1970 in Lija, Malta, bis Probleme mit der dortigen Zensur sie nach Rom vertrieben, wo sie eine Wohnung kauften. Hinzu kamen Wohnsitze in Bracciano und Montalbuccio, eine Villa in der Provence, und schließlich ein Appartement in Baker Street, London.

Burgess nahm 1970 Lehraufträge an der Princeton University wahr und 1972 am City College of New York, wo er sich mit Joseph Heller anfreundete. Er unterrichtete Creative Writing an der Columbia University und war Writer-In-Residence an der University of North Carolina 1969 und an der University at Buffalo 1976. Er hielt 1975 Vorlesungen über den Roman an der University of Iowa. Schließlich ließ er sich in Monaco nieder, wo er 1984 die Princess Grace Irish Library mitbegründete. Viel Zeit verbrachte er auch in einem seiner Häuser in der Schweiz, einem Chalet zwei Kilometer außerhalb von Lugano.

Anthony Burgess starb 1993 als Multimillionär an Lungenkrebs im Hospital of St John & St Elizabeth in London. Seine Asche wurde in Monte Carlo beigesetzt.

Werk

Anthony Burgess’ Werk ist durch das Werk von James Joyce, aber auch durch seinen Katholizismus geprägt. In England ist dies eine Religion der Außenseiter, wodurch sich religiöse und gesellschaftliche Erfahrung nicht ausschließen, sondern miteinander eine Allianz eingehen, wie man sie auch bei anderen englischen katholischen Schriftstellern wie Graham Greene, W. Somerset Maugham und Gilbert Keith Chesterton vorfinden kann.

Sein – nicht zuletzt durch die Verfilmung von Stanley Kubrick – bekanntestes Werk ist A Clockwork Orange (1962, dt. Eine Uhrwerk-Orange bzw. Uhrwerk Orange oder auch Uhrwerk Mensch) über die Themen Freier Wille und Moral. Zu den Wurzeln des Buches gehört neben den Erlebnissen in der Armee natürlich auch jener Zwischenfall, bei dem Burgess' Frau Lynne ihr Kind verlor, und seine lebenslange Liebe zur Musik. In seiner Autobiographie You've Had Your Time beschreibt Burgess, wie er für eine beabsichtigte Schiffsreise mit der Alexander Radishchev der Baltic line nach Leningrad (die er 1963 zu Honey for the Bears verarbeitete) sein Russisch auffrischte ("started to re-learn Russian") und dadurch zu dem Slang Nadsat des Buches fand. Dass er sich in dem Anhang Glossary of Nadsat Language der amerikanischen Ausgabe für Hilfe mit dem Russischen der Freundlichkeit seiner Kollegin Nora Montesinos und einer Reihe von Korrespondenten für verpflichtet erklärte, erwähnt er dabei nicht.[1]

Burgess war außerdem neben seiner Muttersprache Englisch nach eigener Darstellung noch einer ganzen Reihe weiterer Sprachen mächtig, darunter Deutsch, Spanisch, Italienisch, Walisisch (Kymrisch) und Malaiisch.

Burgess ärgerte sich zunehmend darüber, auf den Roman A Clockwork Orange reduziert zu werden, und erklärte noch kurz vor seinem Tod, dass er diesen Roman (dem er auch seinen Wohlstand verdankte) lieber nie geschrieben hätte. Diese Haltung wird verständlich, wenn man sich die Spannbreite dieses außergewöhnlichen Schriftstellers vergegenwärtigt. Sie reicht von einem formal experimentellen Roman wie „Napoleon Symphony“ bis hin zu einem in seiner Verwendung von Genre-Konventionen geradezu waghalsigen eschatologischen Agenten-Roman „Tremor“. Sein persönlichstes Buch ist der Roman „Beard's Roman Women“ (dt. „Rom im Regen“), in dem er von einem Drehbuchautor erzählt, der frisch verwitwet eine Affäre mit einer jungen Frau begonnen hat und darauf mit der Wiederauferstehung seiner verstorbenen Frau konfrontiert wird.

Die Selbstverständlichkeit auch religiöser Geschehnisse im Alltag findet sich in seinem literarischen Hauptwerk, dem 1980 erschienen Roman „Earthly Powers“ (dt. „Der Fürst der Phantome“). Aus der Sicht eines katholischen homosexuellen Schriftstellers namens Toomey (dessen Vorbild William Somerset Maugham ist), der eine Wunderheilung des späteren Papstes Gregor bezeugen soll (dessen Vorbild der spätere Papst des Vatikanischen Konzils, Papst Johannes XXIII. ist), beschreibt Burgess in dieser Tour de Force durch das 20. Jahrhundert, in dem von den Nazi-Gräueln bis hin zu dem Massensuizid der Jones-Sekte der 70er Jahre kaum ein blutiger Schauplatz ausgelassen wird, in dem ihm eigenen Sprachwitz eine in Trivialitäten versunkene gottferne Welt, in der es paradoxerweise gerade die Überhöhungs- und Vollkommenheitsbestrebungen von religiösen und politischen Führern sind, die das Böse in die Welt hineintragen. Der Roman fand begeisterte Kritiken und wurde für den Booker-Preis nominiert, aber wie Burgess im 1990 erschienenen 2. Teil seiner Autobiographie „You've Had Your Time“ schrieb, war er nicht überrascht, dass er ihn nicht bekam: „It was evident for me, anyway, that my novel was no Booker material. It was hard reading for the jurors, and it smelt of the wrong properties, one of which was Catholic Europe“.

1981 entwickelte Burgess für den Film „Am Anfang war das Feuer“ (orig. «la guerre du feu») des Regisseurs Jean-Jacques Annaud eine dem Steinzeitmenschen und seinem Gaumen entsprechende Lautsprache.

So blieb Burgess mit seiner kunstvollen Synthese aus diabolischem Entertainment und ernstem Anliegen im Literaturbetrieb ein Außenseiter, dessen reiches Gesamtwerk überdies von dem glanzvollen Erfolg „A Clockwork Orange“ immer noch überstrahlt wird.

Veröffentlichungen

Romane

  • The Malayan Trilogy (auch The Long Day Wanes):
    • Time for a Tiger (1956)
    • The Enemy in the Blanket (1958)
    • Beds in the East (1959)
  • The Doctor is Sick (1960) – dt. Der Doktor ist übergeschnappt. Eine groteske Geschichte aus Londons Unterwelt (übersetzt von Inge Wiskott, Erdmann 1968), auch: Der Doktor ist defekt (1985), ISBN 978-3-608-95026-7
  • The Right to an Answer (1960)
  • One Hand Clapping (1961) – dt. Ein-Hand-Klatschen (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1980), ISBN 978-3-12-900511-8
  • Devil of a State (1961)
  • The Worm and the Ring (1961)
  • The Wanting Seed (1962)
  • A Clockwork Orange (1962) – dt. Uhrwerk Orange (übersetzt von Walter Brumm, Heyne 1972), auch Die Uhrwerk-Orange, ISBN 978-3-608-93519-6, übersetzt von Wolfgang Krege.
  • Honey for the Bears (1963) – dt. Honig für die Bären (übersetzt von Dorothea Gotfurt, Erdmann 1967)
  • Inside Mr Enderby (1963) – Enderby (1991), ISBN 978-3-608-95296-4 Erster Band der Enderby-Reihe, in der dt. Ausgabe sind die ersten beiden Bände enthalten.
  • The Eve of Saint Venus (1964)
  • Nothing like the Sun (1964)
  • Tremor of Intent (1965) – dt. Tremor (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1980), ISBN 978-3-12-900521-7
  • A Vision of Battlements (1966)
  • Enderby Outside (1968) – Enderby (Klett-Cotta, 1991) Zweiter Band der Enderby-Reihe.
  • Urgent Copy (1968)
  • MF (1971)
  • Napoleon Symphony (1974) – dt. Napoleonsymphonie, Roman in vier Sätzen (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1982), ISBN 978-3-608-95079-3
  • The Clockwork Testament, or Enderby’s End (1974) – dt. Das Uhrwerk-Testament (übersetzt von Walter Brumm, Heyne 1974) Dritter Band der Enderby-Reihe
  • Beard’s Roman Woman (1976) – dt. Rom im Regen (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1987), ISBN 978-3-608-95024-3
  • Abba, Abba (1977)
  • 1985 (1978) – dt. 1985 (übersetzt von Walter Brumm, Heyne 1982)
  • Earthly Powers (1980) – dt. Der Fürst der Phantome (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1984), ISBN 978-3-608-95215-5
  • The End of the World News (1982) – dt. Erlöse uns, Lynx (übersetzt von Joachim Kalka, Klett-Cotta 1986), ISBN 978-3-608-95216-2
  • Enderby’s Dark Lady (1984) Vierter Band der Enderby-Reihe
  • The Kingdom of the Wicked (1985) – dt. Das Reich der Verderbnis (übersetzt von Willi Winkler, Heyne 1985)
  • The Pianoplayers (1986) – dt. Der Mann am Klavier (übersetzt von Joachim Kalka, Klett-Cotta 1989), ISBN 978-3-608-95384-8
  • Carmen (1986)
  • Any Old Iron (1989) – dt. Belsazars Gastmahl (übersetzt von Joachim Kalka, Klett-Cotta 1996), ISBN 978-3-608-95817-1
  • The Devil’s Mode (1989)
  • Mozart and the Wolf Gang (1991)
  • A Dead Man in Deptford (1993) – dt. Der Teufelspoet (übersetzt von Wolfgang Krege, Klett-Cotta 1995), ISBN 978-3-608-93217-1

Monographie

  • Here Comes Everybody. Faber & Faber, London 1965. – dt. Ein Mann in Dublin namens Joyce. Übersetzt von Gisela und Manfred Triesch. Gehlen, Bad Homburg – Berlin – Zürich 1968.
  • Ernest Hemingway, vorgestellt von Anthony Burgess (übersetzt von Joachim A. Frank, Hoffmann und Campe 1980)
  • Shakespeare. Eine Biographie (übersetzt von Eugen Schwarz, Claassen 1982)
  • On Going To Bed – dt. Wiege, Bett und Récamier. Kleine Kulturgeschichte des Liegens (übersetzt von Bernd Weyergraf, Südwest 1985)
  • A Long Trip To Teatime – dt. Der lange Weg zur Teetasse (übersetzt von Harry Rowohlt, Haffmans 1985)
  • Flames Into Being – dt. D. H. Lawrence. Ein Leben in Leidenschaft (übersetzt von Stefan Weidle, Kellner 1990)

Literatur

  • Thomas Nöske: Clockwork Orwell. Über die kulturelle Wirklichkeit negativ-utopischer Science Fiction. ISBN 3-928300-70-9.

Verfilmungen

Drehbuch

Literarische Vorlage

Linguistische Beratung

Wirken als Komponist

Weniger bekannt ist, dass Burgess sein Leben lang auch komponiert hat. Zu seinen Werken gehören unter anderem

  • Blooms of Dublin, Oper (1981)
  • drei Sinfonien (1937, 1956 und 1975)
  • Concertino für Klavier und Schlagzeug (1951)
  • Konzert für Klavier und Orchester (1976)
  • Kammermusikwerke
  • Lieder

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://accidentalrussophile.blogspot.com/2006/03/anthony-burgess-clockwork-orange-and.html

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