Ludwig Gottlob Frege

Ludwig Gottlob Frege
Gottlob Frege

Friedrich Ludwig Gottlob Frege (* 8. November 1848 in Wismar; † 26. Juli 1925 in Bad Kleinen) war ein deutscher Mathematiker, Logiker und Philosoph.

Seine herausragende Leistung auf dem Gebiet der Logik besteht darin, als erster eine formale Sprache und, damit zusammenhängend, formale Beweise entwickelt zu haben. Er schuf dadurch eine wesentliche Grundlage für die heutige Computertechnik und Informatik. Im Bereich der Philosophie waren seine sprachphilosophischen Betrachtungen außerordentlich einflussreich. Unmittelbar beeinflusst hat er u. a. Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein, damit gilt er als einer der hauptsächlichen Wegbereiter der analytischen Philosophie, einer der wichtigsten Strömungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Gottlob Freges Eltern waren Alexander Frege und Auguste Bialloblotzky. Freges Vater war Mathematiklehrer und Direktor des Wismarer Lyzeums. Freges Mutter hatte wahrscheinlich polnische Vorfahren.

Frege besuchte das Gymnasium Große Stadtschule Wismar. Einer seiner Lehrer, Leo Sachse, hatte anscheinend einen großen Einfluss auf ihn. Der Name "Leo Sachse" wird später in Freges Schriften in Beispielen verwendet. Nachdem im Jahre 1866 sein Vater gestorben war, begann Frege 1869 sein Studium auf Sachses Rat hin an der Universität Jena. Hier lehrten unter anderem Ernst Abbe, der Frege in seiner wissenschaftlichen Karriere unterstützte, und der Philosoph Kuno Fischer, mit dessen Ideen Frege sich intensiv auseinandersetzte.

Blick auf das Hauptgebäude der Universität Jena

1871 wechselte Frege an die Universität Göttingen, wo er 1873 seine Doktorarbeit „Über eine geometrische Darstellung der imaginären Gebilde in der Ebene“ vorlegte. Frege kehrte nach Jena zurück, wo er sich 1874 bei Abbe über das Thema „Rechnungsmethoden, die sich auf eine Erweiterung des Größenbegriffes gründenhabilitierte. Er lehrte als Privatdozent. 1878 starb seine Mutter, im folgenden Jahr wurde er zum außerordentlichen Professor.

1887 heiratete Frege Magarete Lieseberg. Die Ehe blieb kinderlos und das Ehepaar Frege adoptierte einen Jungen, Paul Otto Alfred Frege (vormals Paul Otto Alfred Fuchs).

1896 wurde Frege in Jena zum ordentlichen Honorarprofessor berufen.

Freges wissenschaftliche Arbeit wurde durch die Entdeckung der Russellschen Paradoxie im Jahre 1902 in eine schwere Krise gestürzt (siehe auch unten). 1903 gestand Frege im Nachwort seiner 'Grundgesetze der Arithmetik' ein, dass durch Russell die "Grundlagen seines Baues erschüttert" worden seien.

1904 starb Freges Frau Margarete.

In den Folgejahren verfiel Frege in eine Depression, die sich unter anderem darin äußerte, dass er keine bedeutenden Arbeiten mehr publizierte. Außerdem zeigte sich ein verbissener Hass gegen die aufkommende demokratische Bewegung, gegen die Römisch-katholische Kirche, Franzosen und Juden.

Erst nach seiner Emeritierung im Jahre 1917 begann Frege wieder zu publizieren, weil er seine Lebenskrise zumindest teilweise überwunden hatte. Im Jahr 1923 rückte Frege von dem Logizismus, den er sein Leben lang verfolgt hatte, ab und versuchte nun, die Mathematik auf die Geometrie zu gründen. Bis zu seinem Tod konnte er diese neuen Ideen jedoch nicht mehr ausarbeiten.

In Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1924, die 1989 veröffentlicht wurden, äusserte sich Frege vor allem zu politischen Entwicklungen in Deutschland. Die Sozialdemokratie bezeichnet er dort als „Krebs“ und lastet ihr die „Verseuchung des deutschen Volkes“ an. Zur „Judenfrage“ merkt er an: "Man kann anerkennen, daß es höchst achtbare Juden gibt und es doch für ein Unglück halten, daß es so viele Juden in Deutschland gibt und daß diese volle politische Gleichberechtigung mit den Bürgern arischer Abkunft haben; aber wie wenig ist mit dem Wunsche geschehen, daß die Juden in Deutschland ihre politischen Rechte verlieren oder besser noch aus Deutschland verschwinden mögen.“ Und: „Wenn man Gesetze gegen die Juden geben will, muss man ein Kennzeichen angeben können, aus dem man sicher einen Juden erkennen kann.“ [1] Frege erwägt, ob Adolf Hitler der erwünschte, künftige starke Mann sein könnte.

Frege lehrte nach der Zeit in Göttingen durchgehend in Jena, dort wenig beachtet von Studenten und Kollegen. Immerhin gab es wissenschaftlichen Kontakt zum Literaturnobelpreis-Träger Rudolf Eucken und, wie erwähnt, mit Bertrand Russell. Freges einziger Student von Bedeutung war Rudolf Carnap, der sein Werk später in mancherlei Hinsicht weiterführte und bekannt machte.

Logik

Das Titelblatt der Begriffsschrift

Frege ist neben George Boole und Ernst Schröder einer derjenigen Logiker des 19. Jahrhunderts, die durch die Verbesserung der alten, nichtformalen Logik den Grundstein für die Erforschung der Grundlagen der Mathematik legten. Mit seiner revolutionären „Begriffsschrift“ aus dem Jahre 1879 begann eine neue Ära in der Geschichte der Logik, nachdem die durch Aristoteles begründete Syllogistik mehr als 2.000 Jahre lang als die exakteste Form logischen Schließens gegolten hatte. In der Tat umfasst Freges in axiomatischer Form entwickelte Logik bereits den Kernbestand der modernen formalen Logik, nämlich eine Prädikatenlogik zweiter Stufe mit Identitätsbegriff. Nach Wilhelm Ackermann und David Hilbert, die in ihren Arbeiten häufig Bezug auf seine Schriften nahmen, ist Freges wichtigster Beitrag daher die „Erfüllung des Bedürfnisses der Mathematik nach exakter Grundlegung und strenger axiomatischer Behandlung.“

Philosophie

Im Bereich der Sprachphilosophie unterscheidet Frege zwischen einem Sinn und einer Bedeutung, die jedem sprachlichen Zeichen zukommen. Freges Terminologie ist abweichend vom üblichen Sprachgebrauch und deshalb etwas irreführend, denn mit Bedeutung meint er den Bezug bzw. die Referenz eines Ausdrucks, während sein Sinn dem nahe kommt, was für gewöhnlich als Bedeutung bezeichnet wird. Frege kennt grundsätzlich drei verschiedene Arten von sprachlichen Ausdrücken: Eigennamen, Sätze und Begriffsausdrücke. Für jeden dieser Typen kann zwischen Sinn und Bedeutung unterschieden werden:

  • Eigennamen: Eigennamen sind für Frege Ausdrücke, die auf einen Gegenstand Bezug nehmen. Ein Eigenname kann einfach sein wie „die Venus“ oder komplex wie „der erste Mann auf dem Mond“. Die Bedeutung eines Eigennamens ist der Gegenstand, den er bezeichnet. Der Sinn eines Eigennamens liegt in der „Art seines Gegebenseins“, wie Frege sich ausdrückt. Die beiden Ausdrücke „3 + 5“ und „10 - 2“ bezeichnen beide die Zahl 8, sie haben also nach Frege dieselbe Bedeutung. Sie haben aber unterschiedlichen Sinn, da die Zahl 8 durch sie jeweils in unterschiedlicher Form gegeben ist (einmal als Ergebnis einer Addition, einmal als Ergebnis einer Subtraktion).
  • Sätze: Der Sinn eines Satzes ist nach Frege der durch ihn ausgedrückte „Gedanke“. Dieser Gedanke ist als objektiver Inhalt zu verstehen, Frege wehrt sich ausdrücklich dagegen, den Gedanken mit einer bloßen „Vorstellung“ gleichzusetzen. Nach Frege erfassen alle, die einen Satz verstehen, denselben Gedanken, nichtsdestoweniger können sie doch unterschiedliche Vorstellungen haben.
    Bei der Bestimmung der Bedeutung von Sätzen macht Frege Gebrauch vom später so genannten Frege-Prinzip, welches besagt, dass sich die Bedeutung eines Satzes nicht ändert, wenn einer seiner Bestandteile durch einen Ausdruck mit gleicher Bedeutung ersetzt wird.[2] Ersetzen wir in dem wahren Satz "Neil Armstrong war Amerikaner" den Eigennamen "Neil Armstrong" durch den bedeutungsgleichen "der erste Mann auf dem Mond", so erhalten wir "Der erste Mann auf dem Mond war Amerikaner", einen ebenfalls wahren Satz. Da sich Wahrheit bzw. Falschheit von Sätzen bei Ersetzung von Ausdrücken durch bedeutungsgleiche im Normalfall (vgl. unten) nicht ändern, bestimmt Frege zunächst als Bedeutung von Sätzen die so genannten "Wahrheitswerte", das Wahre und das Falsche. Nach Frege haben also alle wahren Sätze dieselbe Bedeutung, ebenso alle falschen. (Diese zunächst recht kontraintuitive These, dass es nur zwei mögliche Bedeutungen von Sätzen gibt, wird heute häufig im Rückgriff auf das sogenannte Slingshot-Argument (Steinschleuderargument) begründet.)
    Wie bereits angedeutet, gilt die Erhaltung des Wahrheitswertes bei Ersetzung bedeutungsgleicher Ausdrücke nur im Normalfall. Die Sätze "Frank glaubt, dass Neil Armstrong Amerikaner ist" und "Frank glaubt, dass der erste Mann auf dem Mond Amerikaner ist" haben jedoch nicht notwendigerweise denselben Wahrheitswert (insbesondere dann nicht, wenn Frank nicht weiß, dass Neil Armstong der erste Mann auf dem Mond ist), obwohl auch hier ein Ausdruck durch einen bedeutungsgleichen ersetzt wurde. Frege sagt daher, dass Nebensätze, die von Verben wie "glauben" abhängen, in "ungerader Rede" stehen. Sätze haben als Bedeutungen nur dann Wahrheitswerte, wenn sie in gerader Rede stehen. In der ungeraden Rede ist die Bedeutung eines Satzes nach Frege der durch ihn ausgedrückte Gedanke. Die Bedeutung eines Satzes in der ungeraden Rede ist demnach dasselbe wie sein Sinn in der geraden.
  • Begriffsausdrücke. Ein Begriffsausdruck entsteht dadurch, dass in einem Satz ein Eigenname weggelassen wird. Dadurch, dass man in dem Satz „Berlin ist eine Hauptstadt“ den Eigennamen „Berlin“ weglässt, entsteht der Begriffsausdruck „( ) ist eine Hauptstadt“. Solche Ausdrücke nennt Frege auch „ungesättigt“, womit er sagen will, dass sie einer Komplettierung durch einen Eigennamen bedürfen. Die Bedeutung eines Begriffsausdrucks ist ein Begriff. Für Frege ist dies eine Funktion, deren Werte Wahrheitswerte sind. Wird also die Funktion „( ) ist eine Hauptstadt“ beispielsweise auf Paris angewendet, so liefert sie den Wahrheitswert das Wahre (weil „Paris ist eine Hauptstadt“ wahr ist), bei Frankfurt liefert sie das Falsche (weil „Frankfurt ist eine Hauptstadt“ falsch ist). Über den Sinn eines Begriffsausdrucks findet sich bei Frege nicht viel, man kann aber vermuten, dass er darunter etwas wie die Definition des entsprechenden Begriffs versteht.

Mathematik

In der Philosophie der Mathematik ist Frege als scharfer Kritiker vorgefundener Ansätze hervorgetreten: In den Grundlagen der Arithmetik findet sich eine umfangreiche und einflussreiche Analyse v.a. der Theorien Immanuel Kants, der arithmetische Sätze als synthetische Urteile a priori auffasst, und John Stuart Mills, für den arithmetische Sätze durch Erfahrung bestätigte allgemeine Naturgesetze sind. Daneben ist Frege der Begründer eines neuen mathematikphilosophischen Programms, des Logizismus, dem zufolge die Sätze der Arithmetik sich auf logische Wahrheiten zurückführen lassen. Dieses Programm wird in den „Grundlagen der Arithmetik“ informell skizziert und in dem späteren Werk „Die Grundgesetze der Arithmetik“ streng formal durchgeführt. Dieses System enthält jedoch einen Widerspruch (die sogenannte Russellsche Antinomie), wie Frege in einem berühmt gewordenen Brief von Bertrand Russell aus dem Jahr 1902 erfahren muss. Frege sieht sein Lebenswerk gescheitert und zieht sich resigniert von der Logik zurück. Nichtsdestoweniger hat er durch seine Arbeit die wesentlichen Grundlagen geschaffen, auf denen andere, darunter insbesondere Russell selbst, aufbauen und das logizistische Programm vollenden können.

Werke

  • Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens, Halle a. S., 1879
  • Die Grundlagen der Arithmetik: eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl, Breslau, 1884
  • Funktion und Begriff: Vortrag gehalten in der Versammlung vom 9. Januar 1891 der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft, Jena, 1891
  • Über Sinn und Bedeutung, in Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, (1892): 25-50
  • Über Begriff und Gegenstand, in Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, XVI (1892): 192-205
  • Grundgesetze der Arithmetik, Jena: Verlag Hermann Pohle, Band I (1893), Band II (1903)
  • Was ist eine Funktion?, in Festschrift Ludwig Boltzmann gewidmet zum sechzigsten Geburtstage, 20. Februar 1904, S. Meyer (ed.), Leipzig, 1904, S. 656-666
  • Der Gedanke. Eine logische Untersuchung, in Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus I (1918-1919): 58-77
  • Die Verneinung, in Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus I (1918-1919): 143-157
  • Gedankengefüge, in Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus III (1923): 36-51

Siehe auch: Vollständiges Werkverzeichnis

Literatur

Primärtexte

  • Frege, Gottlob. Begriffsschrift. 1879. Nachdruck, Hildesheim: Olms, 1998. ISBN 3-487-00623-5
  • ——. Gottlob Freges Briefwechsel mit D. Hilbert, E. Husserl, B. Russell sowie ausgewählte Einzelbriefe Freges. Hrsg. Gottfried Gabriel, Friedrich Kambartel u. Christian Thiel. Hamburg: Meiner, 1980. ISBN 978-3-7873-0482-0
  • ——. Grundgesetze der Arithmetik. 2 Bde. 1893-1903. Nachdruck, Hildesheim: Olms, 1998. ISBN 3-487-09802-4
  • ——. Die Grundlagen der Arithmetik. 1884. Hrsg. Christian Thiel. Hamburg: Meiner, 1988. ISBN 978-3-7873-0719-7
  • ——. Schriften zur Logik und Sprachphilosophie: Aus dem Nachlaß. Hrsg. Gottfried Gabriel. 4. Aufl. Hamburg: Meiner, 2001. ISBN 978-3-7873-1575-8
  • ——. Funktion - Begriff - Bedeutung. Hrsg. von Mark Textor. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, 2. durchgesehene Aufl. 2007. ISBN 978-3-525-30603-1
  • ——. [Tagebuch], in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [DZfPh], Berlin 42 (1994) 6, S. 1067-1098

Sekundärtexte

  • Engler, Wolfgang: Pathologische Vernunft, in: DIE ZEIT, 05/1995 vom 27. Januar 1995
  • Gabriel, Gottfried/Kienzler, Wolfgang (Hgg.). Frege in Jena. Beiträge zur Spurensicherung. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997 (=Kritisches Jahrbuch der Philosophie Bd. 2, 1997). ISBN 3-8260-1440-5
  • Kreiser, Lothar. Gottlob Frege: Leben-Werk-Zeit. Hamburg: Meiner, 2001. ISBN 3-7873-1668-X
  • Kutschera, Franz von. Gottlob Frege: Eine Einführung in sein Werk. Berlin: de Gruyter, 1989. ISBN 3-11-012129-8
  • Mayer, Verena. Gottlob Frege. München: Beck, 1996. ISBN 3-406-38933-3
  • Stepanians, Markus. Gottlob Frege zur Einführung. Hamburg: Junius, 2001. ISBN 3-88506-347-6
  • Thiel, Christian. "Frege." In Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Hrsg. Jürgen Mittelstraß, Bd. 2, 553-558. Stuttgart: Metzler, 2005. ISBN 3-476-02101-7
  • Stuhlmann-Laeisz, Gottlob Freges "Logische Untersuchungen: Darstellung und Interpretation. - Darmstadt: Wiss. Buchges., 1995 (Werkinterpretationen). ISBN 3-534-10513-3

Weblinks

Fußnoten/Quellen

  1. Gottlob Frege: [Tagebuch], in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [DZfPh], Berlin 42 (1994), S. 1067-1098
  2. Ersetzen wir nun in [dem Satz] ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluss haben. - Frege "Über Sinn und Bedeutung" in Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung, Göttingen, 1980, S. 47


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