Matthias Domaschk

Matthias Domaschk

Matthias Domaschk (* 12. Juni 1957 in Görlitz; † 12. April 1981 in Gera) war ein Vertreter der Bürgerrechtsbewegung der DDR und Stasiopfer.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Domaschk begann 1974 eine Ausbildung zum Feinmechaniker beim VEB Carl Zeiss Jena. Seit 1975 war er in der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte engagiert. 1976 beteiligte er sich an Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR, es kam zu ersten Verhören durch das MfS. 1977 organisierte er Hilfsaktionen (Briefe und Pakete) für verhaftete Jenaer Oppositionelle und fuhr in konspirativer Weise mit seiner damaligen Lebensgefährtin Renate Groß nach Prag, wo beide der neu gegründeten Charta 77 in Prag über die Ereignisse in Jena berichteten. Wegen seines politischen Engagements wurde er vom Abiturkurs exmatrikuliert, konnte jedoch seine Facharbeiterausbildung zu Ende bringen.

Ehemaliges Wohnhaus von Matthias Domaschk und Renate Groß (Am Rähmen 3, Jena)

Danach leistete er bis 1979 Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee und arbeitete anschließend als Maschinist im Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie in Jena. 1980 nahm er an Treffen der Initiativgruppe für einen Sozialen Friedensdienst sowie an Ost-West Treffen zwischen ehemaligen Jenaern und Akteuren der Jungen Gemeinde in Polen teil. Mit seinem Jenaer Freund Peter Rösch besuchte er Danzig, wo Kontakte zur polnischen Solidarność hergestellt werden sollten. Ein Spitzel der Staatssicherheit berichtete am 23. März 1981, kurz vor seinem Tod, seinem Führungsoffizier Roland Mähler, Domaschk wolle den politisch zwangsexmatrikulierten Philosophiestudenten Siegfried Reiprich als „ideologischen Kopf“ einer Terrorgruppe nach dem Vorbild der italienischen Roten Brigaden gewinnen. Der Bericht war falsch, die vorstellbare Wirkung tragisch.

Am 10. April 1981 war er mit Rösch unterwegs zu einer Geburtstagsfeier nach Ost-Berlin. Am gleichen Wochenende sollte hier der X. Parteitag der SED stattfinden. Auf Befehl des MfS (Kampfkurs) wurden Domaschk und Rösch im Zug verhaftet und nach ersten Verhören in Jüterbog am nächsten Tag in die Untersuchungshaftanstalt des MfS nach Gera verbracht. Der Vorwurf: sie hätten Störaktionen während des Parteitages geplant.

In Gera schrieb Domaschk dann am 12. April nach stundenlangen Verhören eine handschriftliche Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Mitarbeit für das MfS. Kurz danach, vor seiner offiziellen Entlassung gegen 14.00 Uhr, kam er im Besucherraum der MfS-Untersuchungshaftanstalt unter ungeklärten Umständen ums Leben. Die Angaben zur Todeszeit variieren in den MfS-Akten um 15 Minuten. Laut offizieller Version des MfS beging Domaschk Suizid. Das wird von Freunden bis heute stark bezweifelt.

Wirkungsgeschichte

Die Nachricht „Matz ist tot!“ sprach sich wie ein Lauffeuer herum, vor allem im Süden der DDR. Viele Jugendliche wollten an der kurzfristig anberaumten Beerdigung teilnehmen, Dutzende kamen (die Stasi zählt 107 Trauergäste), ein paar Tage später wären es Hunderte gewesen. Während der Beerdigung auf dem Nordfriedhof in Jena drohten Stasileute am Rande, dass nichts im Westen publiziert werden dürfe; trotzdem fand die Nachricht ihren Weg nach West-Berlin zu jungen Leuten aus Jena, die 1977 ausgebürgert worden waren, und in westliche Medien.

Domaschks Freunde Roland Jahn, Petra Falkenberg und Manfred Hildebrandt machten zu seinem ersten Todestag mit einer Trauerannonce, die sie zudem heimlich an gut frequentierten Orten im Stadtgebiet anbrachten, auf seinen ungeklärten Tod aufmerksam.[1]

Eine Gedenk-Plastik, die der Jenaer Bildhauer Michael Blumhagen Ostern 1982 auf dem Johannisfriedhof aufstellte, wurde wenig später vom Staatssicherheitsdienst gestohlen.

Die Frage, ob Domaschk wirklich Suizid beging, einem Unfall zum Opfer fiel oder aber ermordet wurde, konnte bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden, weil die verantwortlichen MfS-Offiziere nach wie vor schweigen oder ihrerseits von der „Domaschk-Lüge“ sprechen. Im November 2000 kam es zum letzten Prozess, bei dem sein Freund Peter Rösch als Zeuge aussagte. Die Anklage der Freiheitsberaubung wurde nach DDR-Polizeigesetz verhandelt, da aus den vorhandenen Indizien, die gegen Suizid sprachen, weder eine von außen herbeigeführte Todesfolge noch eine eindeutige Rechtsbeugung nachgewiesen werden könne, so die damals zuständige Staatsanwaltschaft Gera. Sie hat deshalb die Strafanzeige der Freiheitsberaubung mit Todesfolge abgewiesen. Die MfS-Offiziere wurden zu geringen Tagessätzen wegen Freiheitsberaubung verurteilt. Für die Hinterbliebenen und Freunde steht fest, dass das MfS für den Tod Domaschks verantwortlich ist.

Matthias Domaschk Ehrengrab Jena 2011

In Jenaer Stadtteil Lobeda-West ist eine Straße nach Matthias Domaschk benannt. An seinem 30. Todestag wurde auf dem Jenaer Nordfriedhof im Urnenhain IIIa ein Ehrengrab eingeweiht.[2]

Zwei aus der DDR-Opposition hervorgegangene Archive, die sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur verschrieben haben, tragen seinen Namen: das Matthias-Domaschk-Archiv in der Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. in Berlin und das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk", e. V. in Jena.[3]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Interview mit Roland Jahn, in: Horch und Guck, Sonderheft Matthias Domaschk, 2003, S. 64-66 "Matz hat mich im Gefängsnis in Gedanken begleitet."
  2. Thomas Beier: Neues Ehrengrab für Matthias Domaschk am Nordfriedhof, in: TLZ vom 13. April 2011
  3. http://www.thueraz.de/index.php?id=19

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