- Mattium
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Mattium war das politische, kulturelle und geistige Zentrum des westgermanischen Volksstammes der Chatten, wahrscheinlich im Gebiet des heutigen Schwalm-Eder-Kreises in Nordhessen. Der römische Historiker Tacitus beschrieb in seinen Annalen dessen Zerstörung durch den römischen Feldherren Germanicus 15 n. Chr. Während die ältere Forschung Mattium mit der Altenburg bei Niedenstein gleichsetzte, geht man heute aufgrund neuer Erkenntnisse (Datierung der archäologischen Fundstücke) davon aus, dass diese Gleichsetzung falsch ist.
Inhaltsverzeichnis
Überlieferung nach Tacitus
Das chattische Siedlungsgebiet grenzte im Osten an das der Hermunduren und im Norden an das der Cherusker, im Westen an das der Marser und im Süden an das Römische Reich. Erstmals erwähnte der Geograph Strabon die Bauernkrieger Chatten. Durch ihre Nachbarschaft und zahlreichen Gefechte mit den Römern im Süden, aber auch durch die Beteiligung an der Varusschlacht, gingen die Chatten in die Geschichte ein. Wer zu dieser Zeit Häuptling der Chatten war, und ob sie überhaupt einen oder mehrere Häuptlinge hatten, ist historisch nicht belegbar. Strabon erwähnt die Chattenfürsten Arpus und Ucromirus, dessen Tochter Rhamis sowie eine chattische Priesterin namens Libes, die bei dem Triumph des Germanicus im Jahre 17 n. Chr. als Gefangene mitgeführt wurden [1]. Tacitus erwähnt neben Arpus einen Chattenfürsten namens Agdandestrius, der sich Tiberius gegenüber zum Giftmord an Arminius bereiterklärt habe[2], sowie im Zusammenhang mit der Bitte der Cherusker um Einsetzung eines Königs im Jahr 47 n. Chr. einen Actumerus, der der Generation des Arminius angehören dürfte[3]. Hauptquelle für die Existenz eines Ortes Mattium ist dessen Erwähnung bei Tacitus [4].
Die Niederlage der römischen Legionen unter Varus 9 n. Chr. und der Sieg des Arminius in der Schlacht am Teutoburger Wald bedeutete für die Chatten nicht das Ende der Bedrohung durch die Römer. Tiberius stieß 10 n. Chr. erneut zum Rhein vor und sicherte die römischen Stellungen. 13 n. Chr. wurde Tiberius durch Gemanicus abgelöst. Dessen Heer wuchs auf die größte Truppenstärke an einer Reichsgrenze Roms an. Nunmehr waren acht Legionen in Germanien stationiert. Die Chatten drangen unterdessen bis in die Wetterau vor.
Germanicus entschloss sich zu einem Gegenschlag, der zugleich eine Vergeltung für die Teilnahme der Chatten an der Varusschlacht sein sollte. Mit vier Legionen und 10.000 Mann Hilfstruppen folgte er 15 n. Chr. von Koblenz der bronzezeitliche Lahnstraße, die an der Ohmmündung die Lahn verließ und in nordöstlicher Richtung in die Weserstrasse mündete. Begünstigt durch anhaltende Trockenheit konnte Germanicus überraschend in die chattische Zentrallandschaft um das heutige Fritzlar einfallen.
Den Legaten Lucius Apronius ließ er zum Anlegen fester Wege und Schlagen von Brücken zurück, da er für den Rückmarsch ein Ansteigen der Lahn erwartete. Wäre Germanicus von Mogontiacum (Mainz) durch die Wetterau marschiert, hätte er bis auf die Ohm kein größeres Gewässer passiert, das eine ganze Pioniereinheit zur Sicherung des Rückweges erfordert hätte. Allerdings wäre ein Marsch durch die inzwischen chattisch besetzte Wetterau nicht unbemerkt geblieben.
Gleichzeitig beorderte Germanicus den Legaten Caecina mit dem niederrheinischen Heer in Stärke von vier Legionen und 5.000 Mann Hilfstruppen nach Haltern am See, mit dem Ziel, über den Hellweg die Cherusker und Marser daran zu hindern, die Chatten im Kampf gegen die Römer zu unterstützen.
Dieser plötzliche, unerwartete und schnelle Vorstoß überraschte die Chatten, die keine organisierte Gegenwehr außerhalb ihrer Hauptsiedlungen mehr leisten konnten. Gegenwehr leistete nur die chattische Jungmannschaft beim römischen Übergang der Adrana (Eder) bei Fritzlar. Sie durchschwammen den Fluss, wurden aber durch den Einsatz der römischen Wurfmaschinen und Pfeilschützen zurückgeschlagen.
Als Friedensbemühungen scheiterten, schlossen sich einige Chatten den Römern an, der größte Teil verstreute sich in die umliegenden Wälder. Es wurde nicht weiter gekämpft. Mattium war preisgegeben. Germanicus äscherte es ein und ließ das Land verwüsten. Wahrscheinlich stellten die Chatten nach der Zerstörung ihres Hauptheiligtums gänzlich die Gegenwehr ein. Auf dem Rückmarsch zum Rhein wurden die Römer, nach Tacitus, nicht weiter angegriffen.[5] Für Germanicus war die Zerstörung des Stammesheiligtums ausreichender Anlass, seinen Vorstoß in Rom als Sieg einer großen Schlacht anerkennen zu lassen.
Mattiaker
Möglicherweise leitet sich der Name der Mattiaker vom Ort Mattium ab. Dies wird neben der Ähnlichkeit des Namens aus der Erwähnung des Stamms direkt nach den ebenfalls von den Chatten abgespaltenen Batavern bei Tacitus, Germania 29 geschlossen.[6] Die Mattiaker saßen im Gebiet um das heutige Wiesbaden (Mattiacum oder Aquae Mattiacorum), das in römischer Zeit zum Hauptort der Civitas Mattiacorum wurde.
Heutige Verortung
Mattium konnte bis heute nicht exakt lokalisiert werden, es wird jedoch allgemein angenommen, dass es sich irgendwo in Nordhessen befindet, vermutlich in der Gegend nördlich von Fritzlar, da Germanicus vor der Zerstörung von Mattium noch die Eder überquerte.[7] Lange hatte man Mattium mit der Altenburg bei Niedenstein gleichgesetzt, doch die Datierungen der bisherigen archäologischen Funde brechen bereits vor der Zerstörung Mattiums durch Germanicus ab, was gegen diese Annahme spricht.[8]
Aus dem archäologischen Fundmaterial der Epoche ist eine genaue Identifizierung Mattiums mit einer eisenzeitlichen Siedlung oder Befestigung bislang nicht möglich. Die wenigen Hinweise stammen aus der Sprachforschung und verweisen auf die Orte Metze und Maden sowie den Bach Matzoff, von denen man annimmt dass sie sich vielleicht von Mattium herleiten.[9] Unklar bleibt auch, ob der Begriff caput gentis bei Tacitus sich auf eine einzelne Großsiedlung bezieht oder ob auch eine Art Stammesheiligtum sowie ein wirtschaftliches oder politisches Zentrum gemeint sind.[10]
Einige Historiker nehmen daher an, dass es sich bei Mattium nicht um eine begrenzte Örtlichkeit sondern um ein größeres Gebiet handelt, das aus diversen Einzelgehöften und Fliehburgen mit Ringwällen bestand. Die Altenburg wäre demnach ein Glied einer ganzen Ringwallkette gewesen, die möglicherweise die Ebene von Maden, mit der Mader Heide, und Metze umfasste. In diesen Gebiet befanden sich dann die wichtigsten religiösen, politischen, rechtlichen Stätten und Einrichtungen der Chatten.[11]
Literatur
- Werner Guth, "Mattium – Onomastische Überlegungen zu einem historischen Problem." In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 113, Kassel 2008, S. 1-16 Artikel Online
- Helmuth Schneider, Dorothea Rohde (Hrsg.): "Hessen in der Antike" Die Chatten - vom Zeitalter der Römer zur Alltagskultur der Gegenwart, euregioverlag, Kassel 2006 (mit Beiträgen von Klaus Grote, Jürgen Kneipp, Mathias Seidel, Armin Becker, Irina Görner, ua.) - Online-Leseprobe
- Armin Becker: Mattium. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 19, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, S. 443–444. (eingeschränkte Online-Version in der Google Buchsuche)
- Eckhart G. Franz (Hrsg.): Chronik des Landes Hessen. Chronik Verlag Dortmund , 1991 S.11.
- Karl Ernst Demandt: Geschichte des Landes Hessen. Stauda Verlag Kassel, 1981, S. 23, 31, 63, 84 f, 95 u. 115.
- Georg Wolff: Die geographischen Voraussetzungen der Chattenfeldzüge des Germanicus, in der Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 50, Kassel 1917, S. 53-123; hier: "Mattium" S. 112-119. Als Online-Publikation verfügbar (größtenteils veralteter Forschungsstand).
Einzelnachweise
- ↑ Geographie Kapitel 7, 1-4.
- ↑ Tacitus: Annalen Kapitel 2, 88.
- ↑ Tacitus: Annalen Kapitel 11, 16.
- ↑ Tacitus: Annalen Kapitel 1, 56.
- ↑ Tacitus, Annalen I, 56.
- ↑ Moritz Schönfeld: Mattiaci. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XIV,2, Stuttgart 1930, Sp. 2320–2322.; Wolfgang Jungandreas: Chatten. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 4, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1981, S. 378.; Harald von Petrikovits ebd. S. 379 (eingeschränkte Online-Version in der Google Buchsuche)
- ↑ Christian Hänger: Die Welt im Kopf: Raumbilder und Strategie im Römischen Kaiserreich. Vandenhoeck & Ruprecht 2001, ISBN 9783525252345, S. 211
- ↑ H.-G. Simon in D. Baatz, F.R. Herrmann: Die Römer in Hessen. Stuttgart 1989, S. 56
- ↑ Werner Guth, "Mattium – Onomastische Überlegungen zu einem historischen Problem." In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 113, Kassel 2008, S. 1-16 Artikel Online
- ↑ Zum Nachweis siehe Armin Becker: Mattium. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 19, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, S. 444. sowie Harald von Petrikovits: Chatten. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 4, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1981, S. 379. und Gerhard Mildenberger, ebd. S. 385-389.
- ↑ "Der Mittelpunkt des chattischen Stammes war, wie der Feldzug des Germanicus 15 n. Chr., zeigt Mattium, dessen Bezeichnung caput gentis, Haupt des Stammes, seine Bedeutung charakterisiert. Da Mattium im Namen Metze unbestritten enthalten ist, hat man beides zurecht auch örtlich gleichgesetzt, wobei nur zu berücksichtigen ist, dass auch das nahegelegene Maden (Mathanon) Mattium sprachlich benachbart ist und dass die ebenfalls in der Nähe gelegene Altenburg auf dem Zug des Germanicus zerstört wurde. Schon daraus ergibt sich, dass Mattium keine begrenzte Örtlichkeit, sondern ein ganzer Bezirk war, der die wichtigsten politischen, rechtlichen und religiösen Stätten und Einrichtungen des Stammes umschloss". In Karl Ernst Demandt: Geschichte des Landes Hessen. Bärenreiter Verlag 1959, S. 73 unten
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