Mehrheitstext

Mehrheitstext

Mehrheitstext ist der Name einer Texttradition des Neuen Testaments, die sich auf eine Mehrheit von neutestamentlichen Handschriften stützt. Da diese Tradition vor allem von griechischen Handschriften aus dem Byzantinischen Reich bezeugt ist, spricht man auch vom Byzantinischen Reichstext. In wissenschaftlichen Textausgaben wird der Mehrheitstext mit den Kürzeln \mathfrak{M} oder Byz gekennzeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Schriften des Neuen Testaments liegen ursprünglich in griechischer Sprache vor. Als Grundlage des Mehrheitstextes gilt der so genannte Koine-Text (von griech. κοινή, allgemein). In der neutestamentlichen Textforschung wird diese Tradition mit \mathfrak{K} bezeichnet. Der Überlieferung nach soll dieser Text von Lukian von Antiochien (* um 250; † 312) erstellt worden sein. Er verbreitete sich nach der Konstantinischen Wende vom 4. Jahrhundert an sehr schnell im nordöstlichen Mittelmeerraum. Der Text hat dabei stilistische Glättungen und Überarbeitungen erfahren.

Die überwiegende Zahl der Handschriften mit dem Mehrheitstext sind Minuskeln, die nach dem 9. Jahrhundert entstanden. Der Mehrheitstext ist heute noch die Standardtextversion der Griechisch-orthodoxen Kirche.

Manuskripte

Codices
Zeichen Namen Datum Inhalt
A (02) Codex Alexandrinus um 400 Evangelien
C (04) Codex Ephraemi 5. Jahrhundert Evangelien
W (032) Codex Washingtonianus 5. Jahrhundert Matthäus 1-28; Lukas 8:13–24:53
Q (026) Codex Guelferbytanus B 5. Jahrhundert Lukas–Johannes
061 Unzial 061 5. Jahrhundert 1 Tim 3:15-16; 4:1-3; 6:2-8
Ee (07) Codex Basilensis 8. Jahrhundert Evangelien
Fe (09) Codex Boreelianus 9. Jahrhundert Evangelien
Ge (011) Codex Seidelianus I 9. Jahrhundert Evangelien
He (013) Codex Seidelianus II 9. Jahrhundert Evangelien
L (020) Codex Angelicus 9. Jahrhundert ApG, Kathol., Paulusbriefe
V (031) Codex Mosquensis II 9. Jahrhundert Evangelien
Y (034) Codex Macedoniensis 9. Jahrhundert Evangelien
Θ (038) Codex Koridethi 9. Jahrhundert Evangelien (außer Markus)
S (028) Vaticanus 354 949 Evangelien
Papyri

\mathfrak{P}73

Unzialen

Codex Cyprius, Codex Mosquensis I, Campianus, Petropolitanus Purp., Sinopensis, Guelferbytanus A, Guelferbytanus B, Nitriensis, Nanianus, Monacensis, Tischendorfianus IV, Sangallensis, Tischendorfianus III, Petropolitanus, Rossanensis, Beratinus, Athos Laurensis, Athos Dionysius, Vaticanus 2066, 047, 049, 052, 053, 054, 056, 061, 063, 064, 065, 093 (Acts), 0103, 0104, 0105, 0116, 0133, 0134, 0135, 0136, 0142, 0151, 0197, 0211, 0246, 0248, 0253, 0255, 0257, 0265, 0269 (mixed), 0272, 0273 (?).

Minuskeln

2, 3, 6 (Evangelien und Apostelgeschichte), 8, 9, 11, 12, 14, 15, 18, 21, 23, 24, 25, 27, 28 (außer Markus), 29, 30, 32, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 42, 44, 45, 46, 47, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 60, 61 (Evangelien und Apostelgeschichte), 63, 65, 66, 68, 69 (außer Paulus), 70, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 82, 83, 84, 89, 90, 92, 93, 95, 97, 98, 99, 100.

Mehrheitstext und Textus receptus

Einige relativ junge Handschriften des Mehrheitstextes aus dem 12. Jahrhundert bildeten auch die Hauptgrundlage für die griechische Bibelausgabe von Erasmus von Rotterdam im Jahr 1516. Diese Ausgabe wurde im Jahr 1633 durch die Herausgeber des Neudruckes als Textus receptus bezeichnet. Der Textus receptus ist also nicht identisch mit dem Mehrheitstext, beruht jedoch auf der gleichen Tradition. Je nach Edition unterscheidet sich der Textus receptus vom Mehrheitstext in bis zu 2000 Lesarten.

Beide Textformen haben erheblich an Bedeutung eingebüßt, nachdem zuerst Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Codex Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert mit den bedeutenden Papyrusfunden aus dem 3. und 2. Jahrhundert (vor allem \mathfrak{P}45, \mathfrak{P}75 und \mathfrak{P}66) wesentlich ältere Handschriften gefunden wurden. Diese gehören zum alexandrinischen Texttyp. Unter manchen konservativen, „bibeltreuen“ Christen werden Bibelausgaben auf der Grundlage dieser Texttradition abgelehnt und der Mehrheitstext oder der Textus receptus als verbindlich favorisiert. Insbesondere wissenschaftliche Ausgaben wie das Novum Testamentum Graece werden wegen ihrer Methode der eklektischen, d.h. für jede Textstelle einzeln aus allen Handschriften bewertenden Textauswahl kritisiert.

Textausgaben

  • William G. Pierpont, Maurice A. Robinson: The New Testament in the Original Greek. Byzantine Textform 2005. Southborough 2005 ISBN 0759800774
  • Zane C. Hodges, Arthur L. Farstad: The Greek New Testament According to the Majority Text. Nashville 1982 ISBN 0840749635

Literatur

  • Kurt Aland, Barbara Aland: Der Text des Neuen Testaments. 2. Aufl. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1989 ISBN 3-438-06011-6
  • Maurice A. Robinson, William G. Pierpont, John Jeffrey Dodson (Hrsg.): The Greek New Testament for Beginning Readers - Byzantine Textform. VTR, Nürnberg 2010 ISBN 978-3-941750-24-1

Weblinks

Siehe auch


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