Neue Alpentransversale

Neue Alpentransversale
Die neuen Basistunnel der NEAT im europäischen Schienenverbund

Die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) ist ein Grossprojekt der Schweiz, das zur Verbesserung des Eisenbahn-Transitverkehrs in Nord-Süd-Richtung dient, um eine Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene zu erreichen. Die Abkürzung NEAT wurde später durch den sprachunabhängigen Namen „AlpTransit“ abgelöst. In deutschsprachigen Zeitungen ist nach wie vor die Bezeichnung „Neat“ gebräuchlich.

Inhaltsverzeichnis

Politische Rahmenbedingungen und Entscheidungen

  • In den Sechzigerjahren evaluiert die Kommission Eisenbahntunnel durch die Alpen (KEA) verschiedene Basistunnel-Projekte und empfiehlt den umgehenden Bau eines Gotthardbasistunnels, wofür die SBB 1975 ein Bauprojekt einreichen. Einwände der Ostschweizer Kantone, die aufgrund des historischen Ostalpenbahn-Versprechens Anspruch auf eine Alpenquerung via Splügen, San Bernardino oder Tödi-Greina erheben, verzögern die Beschlussfassung. 1983 erklärt der Bundesrat das Ansinnen, u.a. wegen einer gebremsten Verkehrsentwicklung, für nicht dringlich.
  • Ab 1986 werden in neuen Evaluationsstudien fünf Varianten untersucht, die je aus einer durchgehenden Flachbahn vom nördlichen Alpenrand bis zur südlichen Landesgrenze bestehen. Wiederum schwingt die Variante Gotthard obenauf, die als einzige eine halbwegs befriedigende Wirtschaftlichkeit erwarten lässt.
  • Aus politischen Gründen und gegen den Einspruch der SBB und weiterer Fachkreise beschliesst der Bundesrat 1989 die Realisierung einer so genannten Netzvariante, d.h. einer Kombination von Rumpfprojekten der Achsen Gotthard und Lötschberg(-Simplon). In einer intensiven Propagandakampagne wird diese Lösung in der Folge als einzige für das ganze Land akzeptable Linienführungswahl dargestellt. Die Ostschweiz erhält zwar keinen Alpentunnel, dafür aber das Versprechen einer direkten Anbindung an die Gotthardachse durch einen Hirzeltunnel. Der charismatische Vorsteher des Verkehrsdepartements (~Verkehrsminister), Bundesrat Adolf Ogi, wirbt im ganzen Land für diese Lösung und erhält dafür 1991 den Segen des Parlaments.
  • 2. Mai 1992 – Abschluss des Transitabkommens mit der EU, dessen Bestandteil unter anderem das NEAT-Konzept ist. Dieses wird am 16. Dezember 1992 vom Parlament genehmigt.
  • 27. September 1992 – Annahme des Bundesbeschlusses über den Bau der schweizerischen Eisenbahn-Alpentransversale, kurz Alpentransit-Beschluss, durch das Schweizer Stimmvolk mit 64 % Ja-Stimmen, nachdem das Referendum dagegen erhoben wurde.
  • 20. Februar 1994 – Das Schweizer Volk nimmt die Eidgenössische Volksinitiative zum Schutze des Alpengebietes vor dem Transitverkehr, kurz Alpen-Initiative, in einer Volksabstimmung an. Der Alpenschutz ist von nun an in der Verfassung verankert.
  • 1994 – Der Vorsteher des Finanzdepartements, Bundesrat Otto Stich, warnt vor einem finanziellen Debakel und fordert einen vorläufigen Verzicht auf den Lötschberg-Basistunnel im Rahmen einer Etappierung.
  • 24. April 1996 – Der Bundesrat beschliesst, nunmehr in neuer Zusammensetzung, wiederum einen Kompromiss: Beide Achsen sollen gleichzeitig realisiert werden, jedoch nur in redimensionierter Form. Die meisten der bis dahin geplanten Zufahrtslinien werden zurückgestellt, nur die drei Basistunnel am Gotthard, Ceneri und Lötschberg werden gebaut, letzterer allerdings nur einspurig.
  • 29. November 1998 – Das Schweizer Stimmvolk bejaht mehrheitlich die Vorlage über den Bau und die Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs, kurz FinöV. Darin enthalten sind Bestimmungen, wie das redimensionierte NEAT-Projekt, die erste und die zweite Etappe der Bahn 2000, der Anschluss der Ost- und der Westschweiz an das europäische Hochgeschwindigkeitsverkehrsnetz sowie die Lärmsanierung des Schienennetzes finanziert werden sollen.
  • Ende 2003 erkennen die zuständigen Behörden des Bundes, dass das 1998 beschlossene Finanzierungskonzept von zu optimistischen Annahmen ausging. Die Erstellungskosten der NEAT sind seither markant gestiegen, die Ertragserwartungen drastisch zurückgegangen. Es wird eine Gesamtschau der Eisenbahnprojekte angekündigt und als erste Sofortmassnahme eine weitere Redimensionierung der NEAT eingeleitet, welcher die Tunnelprojekte am Zimmerberg (Anteil NEAT) und am Hirzel zum Opfer fallen. Zur Begrenzung der erwarteten Betriebsdefizite wird die Einführung weiterer strasssenseitiger Massnahmen wie etwa einer Alpentransitbörse ins Auge gefasst.
  • In den seit Jahren laufenden Verhandlungen mit Italien zur südlichen Fortsetzung der Neat sind kaum Fortschritte zu verzeichnen. 2007 werden die unterschiedlichen Standpunkte an die Öffentlichkeit getragen. Das Schweizer Fernsehen wirft provokativ die Frage auf, ob die Schweiz und Italien aneinander vorbeiplanen.

Bestandteile der NEAT

Gotthardachse

Skizze der Gotthard-Achse der Neuen Eisenbahn Alpen Transversale NEAT
NEAT-Baustelle bei Sedrun

Hauptachse ist die Strecke ZürichMailand, die im Transitverkehr DeutschlandItalien eine sehr wichtige Rolle spielt. Hier gilt es besonders auf der stark belasteten, sehr steilen und kurvenreichen Gotthardlinie eine Entlastung zu schaffen.

Mit dem Gotthard-Basistunnel (GBT), der Erstfeld mit Bodio verbindet, entsteht hier mit 57 km der längste Tunnel der Welt. Bisheriger Rekordhalter ist der Seikan-Tunnel in Japan mit 53.9 km. Durch die Ausführung als zwei getrennte Tunnelröhren und mit allen Zugangstunneln ergibt sich eine Gesamttunnellänge von 153.5 km.

Nach Fertigstellung (voraussichtlich im Jahre 2016) wird er die Fahrzeit auf der Strecke Zürich–Mailand um eine Stunde verringern, wobei im Tunnel mit 200 km/h gefahren werden soll. Theoretisch sind auch höhere Geschwindigkeiten (bis 250 km/h) denkbar.

Weitere Bestandteile der NEAT-Gotthardachse sind die etwa 7.5 km lange offene, südlich an den GBT anschliessende Neubaustrecke Gotthard-Süd bei Biasca, und der 15.4 km lange Ceneri-Basistunnel (CBT) zwischen Bellinzona und Lugano. Nur zusammen mit dem Ceneri-Basistunnel kann das Prinzip der Flachbahn vollständig umgesetzt werden.

Die Multifunktionsstelle Sedrun wird nicht, wie es der Kanton Graubünden gefordert hatte, zu einer Haltestelle (Porta Alpina) ausgebaut.

Die Baukosten für die Gotthardachse wurden 1998 mit 7,72 Mrd. CHF beziffert. Bis Mitte 2008 erhöhten sich die prognostizierten Endkosten auf 11.87 Mrd. CHF (Preisstand 1998, ohne Teuerung, Mehrwertsteuer und Bauzinsen). Die zusätzlichen Kosten von 4.15 Mrd. CHF kommen einerseits durch Zusatzbestellungen (Verbesserungen für Bevölkerung & Umwelt, Sicherheit und Stand der Technik sowie politisch bedingte Verzögerungen) im Wert von 2.83 Mrd. CHF sowie Mehrkosten (Geologie, Vergaben und Bauausführung) in der Höhe von 1.33 Mrd. CHF zustande.

Lötschbergachse

Südportal Lötschberg Basistunnel, Rhône

Auf der BernLötschbergSimplon-Linie verbindet der Lötschberg-Basistunnel (LBT) seit dem 16. Juni 2007 mit einer Länge von 34.6 km Frutigen im Kanton Bern mit Raron im Kanton Wallis. Anfänglich, in der so genannten Ertüchtigungsphase, verkehrten hauptsächlich Güterzüge, seit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember 2007 auch Reisezüge, wodurch die Fahrzeit Bern-Brig-Mailand um eine Viertelstunde verkürzt worden ist. Verbindungen zwischen der Deutschschweiz und dem Mittelwallis sind dank verbesserter Anschlüsse um bis zu einer Stunde verkürzt worden.

In der 2007 vollendeten Ausbaustufe ist ein Drittel der Strecke zweispurig befahrbar. In einem weiteren Drittel wurde die zweite Röhre im Rohbau fertiggestellt; sie dient als Fluchtstollen. Die Gesamttunnellänge (mit Zugangstunneln) beträgt 88,1 km. Die Kosten für den LBT wurden mit 1998 mit 3,2  Mrd. CHF prognostiziert. Ende 2006, d.h. kurz vor Vollendung, wurden sie mit 4,3 Mrd. CHF beziffert.

Durch die Inbetriebnahme des LBT wird die traktionsrelevante Maximalneigung der Lötschberg-Simplon-Achse in Nord-Süd-Richtung von 27 auf 15 Promille verringert. In der Gegenrichtung muss weiterhin die 25 Promille steile Simplon-Südrampe überwunden werden. Da die von Süden kommenden Güterzüge also ohnehin mit geringerer Anhängelast verkehren, können sie ohne nennenswerten Mehraufwand auch am Lötschberg über die bisherige Bergstrecke geleitet werden, zumal diese auf einem Gleis bereits in den 1990er Jahren auf Huckepackprofil umgebaut wurde. Dadurch werden die aus dem bloss einspurigen Ausbau des LBT resultierenden Einschränkungen stark relativiert. Der Fahrplan 2008 bietet dennoch für den Güterverkehr relativ ungünstige Bedingungen, wobei vor allem die für eine gute Betriebsqualität nötigen Pufferzeiten nicht genügen.[1] Anhand der Fahrplangrafik lässt sich allerdings erkennen, dass eine namhafte Erhöhung der Güterkapazität bei stärkerer Priorisierung des Güterverkehrs durchaus möglich wäre.[2]

Ausbau Surselva

Zum NEAT-Projektteil Ausbau Surselva gehören der Tunnel Disentis, aber auch Verbesserungen an den Infrastrukturen wie der Ausbau des Bahnhofs Disentis, eine neue Kreuzungsstelle sowie Verbesserungen an den Stromanlagen. Die Arbeiten wurden 2002 beendet. Für diesen Teil wurden 105 Mio. CHF beantragt.

Anschluss Ostschweiz

Zum Anschluss der Ostschweiz an die NEAT gehören der Zimmerberg-Basistunnel (ZBT) und ein Tunnel durch den Hirzel (Verbindung zwischen der linksufrigen Zürichseelinie und der Gotthardlinie). Der Bau der zweiten Etappe des Zimmerberg-Basistunnels und des Hirzeltunnels wurde jedoch aus finanziellen Gründen zurückgestellt. Gemäss Bundesbeschluss von 1998 sollen für diese beiden Tunnel insgesamt 850 Mio. CHF aufgewendet werden.

Ausbauten St. Gallen–Arth-Goldau

Teilweiser Ausbau der Strecke auf Doppelspur auf der Strecke der Schweizerischen Südostbahn zwischen St. Gallen und Arth-Goldau. Von den für dieses Projekt beantragten 74 Mio. CHF wurden nur 5 Mio. freigegeben, die übrigen 69 Mio. wurden vorerst gesperrt.

Streckenausbauten im übrigen Netz

Für Streckenausbauten am übrigen Netz wurden insgesamt 550 Mio. CHF zugesprochen, dies beinhaltet zahlreiche Verbesserungen an den Zufahrtsstrecken der beiden Hauptachsen Lötschberg und Gotthard.

Gesamtkosten

Vor der eidgenössischen Volksabstimmung im Jahre 1992 wurden die Kosten mit CHF 8 Milliarden (Preisstand 1990) relativ gering eingeschätzt. 2001 ging der Bundesrat davon aus, dass die Projektkosten der NEAT rund 14,7 Milliarden CHF betragen werden (Preisstand 1998, ohne Finanzierungskosten für Teuerung, Mehrwertsteuer und Bauzinsen). Im Jahr 2005 sprach man von bis zu 22 Milliarden CHF [1]. In einem Zeitungsinterview Ende September 2006 sprach Max Friedli, der Direktor des Bundesamts für Verkehr, gar von möglichen 24 Milliarden [2]. Die beiden letztgenannten Schätzungen beziehen sich auf die Gesamtkosten inkl. Teuerung, Mehrwertsteuer und Bauzinsen. Definitiv werden diese erst nach Abschluss des Projekts (ca. 2017) feststehen. Während des Baus werden halbjährlich Prognosen erarbeitet. Die neuesten Werte (April 2007) beziffern sich auf [3]:

  • Projektkosten: rund 17,2 Milliarden CHF (Preisstand 1998)
  • Projektkosten-Risiken: rund 1,8 - 2,8 Milliarden CHF (Preisstand 1998)
  • Finanzierungskosten (Teuerung, Mehrwertsteuer und Bauzinsen): rund 4 Milliarden CHF (Preisstand effektiv)
  • Gesamtkosten (Projekt- und Finanzierungskosten): rund 23 - 24 Milliarden CHF (Preisstand effektiv).

Diese Gelder sollen dem FinöV-Fonds (gemäss Volksbeschluss vom 29. November 1998) entnommen werden, welcher gespeist wird:

NEAT 1, Phase 1

Das Parlament hat beschlossen, dass die NEAT in zwei Phasen gebaut werden soll. Für den Bau der ersten Phase hat es die Kredite beschlossen und freigegeben. Folgende Projekte werden in der ersten Phase gebaut:

NEAT 1, Phase 2

Für den Bau der Projektteile der zweiten Phase hat das Parlament die Kredite gesperrt. Wegen der Kostensteigerung will der Bundesrat auf die Projekte der 2. Phase verzichten bzw. sie nicht im Rahmen der NEAT 1 finanzieren. [4] Das Parlament wird darüber 2008 beschliessen:

  • Zimmerberg-Basistunnel (ZBT) (zwischen Nidelbad und Litti)
  • Hirzeltunnel (Verbindung des linken Zürichseeufers mit Arth-Goldau)
  • Streckenausbauten auf den Zufahrten zum Gotthard-Basistunnel

NEAT 2

Bereits heute gibt es mehr oder weniger konkrete Planungen, die Nord-Süd-Transversalen nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels weiter auszubauen (frühestens ab 2030) [5]. Zu diesen Projekten gehören:

  • die allenfalls zurückgestellten Projekte von NEAT 1
  • der Urmibergtunnel im Kanton Schwyz
  • der Axentunnel zwischen Brunnen SZ und Flüelen
  • Variante Berg lang im Kanton Uri; diese steht im direkten Zusammenhang mit dem Axentunnel, da sie in diesen mündet
  • der Riviera-Tunnel zwischen Osogna und Claro
  • die Bahnumfahrung Bellinzona
  • die Verlängerung des Ceneri-Basistunnels in Richtung Süden
  • teilweise oder vollständig doppelspuriger Ausbau des Lötschberg-Basistunnels
  • ein zusätzliches Südportal des LBT bei Steg VS und Autoverladebahnhöfe in Heustrich BE und Steg
  • der Niesenflankentunnel zwischen Spiez und Frutigen
  • der Mundbachtunnel als südliche Verlängerung des LBT bis Brig.

Sollten die Projekte der NEAT 2 auf der Gotthardachse vollständig umgesetzt werden, dann

  • soll sich die Fahrt von Zürich nach Mailand von derzeit gut dreieinhalb auf zweieinviertel bis zweieinhalb Stunden verringern;
  • würden von der dann noch rund 200 Kilometer langen Strecke Zürich-Chiasso ca. achtzig Prozent in Tunneln verlegt [6].

Einzelnachweise

  1. Pro Bahn Schweiz, Ressort Güterverkehr: Güterverkehr: Gegenwind im Basistunnel
  2. Olivier Bayard, Walter Flühmann, Adrian Mosimann: Der künftige Betrieb der Lötschberg-Simplon-Achse. In: Schweizer Eisenbahn-Revue/Eisenbahn-Revue International. Ausgabe 02/2007, Februar 2007, S. 72-79.

Literatur

  • Simon Löw (Hrsg.): Geologie und Geotechnik der Basistunnels am Gotthard und am Lötschberg. Verlag Vdf Hochschulen AG, Zürich 2006, ISBN 3-7281-3082-6
  • Werner Rutschmann: Neue Eisenbahn-Alpentransversale Gotthard-Basislinie. Von den ersten Studien zum Bauprojekt 1974 - Opfer der Politik und des Kleinmutes. Stiftung Historisches Erbe der SBB, Bern 2004, ISBN 3-03-300315-X
  • Markus Höschen: Nationaler Starrsinn oder ökologisches Umdenken? Politische Konflikte um den Schweizer Alpentransit im ausgehenden 20. Jahrhundert. Meidenbauer Verlag, München 2007, ISBN 978-3-89975-644-9

Siehe auch

Weblinks


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