- Neuluthertum
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Das Neuluthertum war eine theologische Strömung des 19. Jahrhunderts innerhalb des lutherischen Protestantismus.
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Das Neuluthertum wurzelte in der Erweckungsbewegung und sah seine Aufgabe in "der wissenschaftlichen Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses" (Gottfried Thomasius). Das Festhalten an Schrift und Bekenntnis war Hauptmerkmal des Neuluthertums. Dabei kam es zur scharfen Abgrenzung gegen die Vernunft-Forderung des theologischen Rationalismus, aber auch gegen die Union der Lutheraner mit den Calvinisten (Claus Harms), wodurch sich das Neuluthertum von der Erweckung unterschied.
Entwicklung
Die Anfänge des neuen lutherischen Konfessionalismus werden in der Regel in Franz Volkmar Reinhards Reformationspredigt zum Neujahr 1800, die allerdings zuerst recht wirkungslos blieb, und in Claus Harms' Thesen zum Jubiläum der Reformation 1817 gesehen. Schon letzterer setzte sich scharf mit der Union auseinander. Weitere Vertreter waren August Hahn und Ernst Wilhelm Hengstenberg, deren Ansatz zur Repristination zu zählen ist.
In ähnlicher Weise, in der sich die Erweckung vom neulutherischen Antiunionismus abgrenzte, kam es auch zum Bruch mit vielen Altlutheranern, wie Johann Gottfried Scheibel. Erstmals in aller theologischen Differenzierung vertreten wurde das Neuluthertum in der Erlanger Schule. Ihre Mitbegründer Adolf Harless und Konrad Hofmann wirkten auch auf Leipzig. In Neuendettelsau fand sich in Wilhelm Löhe ein wichtiger Anhänger des neuen Luthertums.
In Sachsen wurde das Neuluthertum durch Andreas Gottlob Rudelbach, der von Grundtvig beeinflusst war, in Mecklenburg von Theodor Kliefoth, in Hessen von August Vilmar und in Berlin, versehen mit konservativen Zügen von den Brüder Leopold, Ernst Ludwig und Otto von Gerlach und Friedrich Julius Stahl vertreten. In Hannover fanden sich Ludwig Harms, Münchmeyer und Petri weitere Anhänger des Neuluthertums. Die Verbreitung in das deutschsprachige Baltikum gelang zuletzt durch Theodosius Harnack sowie Ernst Sartorius und Friedrich Adolf Philippi. In Dänemark, vor allem in Lund-Schweden fand sich das Neuluthertum mit starker Akzentuierung des Hegelschen Organismus-Gedankens und in geistiger Nähe zur Stahl-Gruppe bei Ebbe Gustaf Bring, Wilhelm Flensburg und Anton Niklas Sundberg.
Theologie
In Bezug auf die Schrift wird die Offenbarung im Neuluthertum nicht mehr als (aufgeschriebene) Lehre, sondern als lebendiges Wirken Gottes gesehen. Das Wort ist Träger Christi (Thomasius, Vilmar). Darauf baut sich eine »Zwei-Naturen-Lehre des Wortes« (Th.Heckel über Harless) auf, die die Beziehung zwischen Wort und Christus derjenigen zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur entsprechen lässt: »Im Christentum ist das Wort Fleisch geworden« (Höfling).
Dementsprechend liegt ein starker Akzent auf der Kirche (in extensu bei Löhe, allerdings in Ablehnung des Organismus-Gedankens). Die (fortschreitende) Bildung eines Verständnisses der Offenbarung manifestiert sich (in deutlicher Adaption Hegels) dann in der Bekenntnisbildung. Das Bekenntnis kann hier und da schon den Rang der Schrift erreichen (vielleicht bei Löhe). Es ist inhaltlich teilweise auf das Augsburger Bekenntnis begrenzt (Vilmar), teilweise das ganze Konkordienbuch umfassend verstanden (Thomasius).
Auch wird die Rezeption der Kirchenväter (vor allem der ersten fünf Jahrhunderte) wieder wichtig, in der die rückbezügliche »Katholizität« der Kirche gesichert ist (vor allem bei Löhe, Vilmar, Delitzsch und ebenso den katholischen Johann Adam Möhler und John Henry Newman). Von dieser gesicherten Tradition will man dann fortschreiten und die Weiterentwicklung betreiben (deutlich bei Löhe, auch bei Kliefoth, Vilmar, Thomasius u.a.). Ebenso wird die Eschatologie als eine unabgeschlossene betrachtet (Kliefoth, Luthardt).
In praktischer Konsequenz wurde lebhaft um das Verständnis von Amt und Kirche gerungen. Nach der Revolution (1848) stand dann die Verfassungsfrage der Kirche im Mittelpunkt: Entweder ist die Kirche als eine Versammlung der Gläubigen, congregatio sanctorum, zu betrachten (vor allem Höfling, auch alle Erlanger und Leipziger) oder sie ist eine »Anstalt« (Stahl), ein Mittel (Kliefoth, Stahl, Vilmar, Löhe). Zudem tauchte die Frage nach der Akzentuierung der unsichtbaren Kirche (Höfling u.a.) oder der sichtbaren Kirche (vor allem Stahl) auf. (Bei Löhe scheint die unsichtbare Teilmenge der sichtbaren zu sein). Das Amt wurde mehr oder weniger nahe dem allgemeinen Priestertum gesehen, teilweise aber als Gemeinde begründend verstanden (so Löhe gegen Harless). In den Hintergrund rückten Prädestination, Rechtfertigung und die Frage nach Gesetz und Evangelium.
Die erwecklichen Tendenzen wurden in der Akzentuierung der Wiedergeburt sichtbar, in der der Einzelne den objektiven Gehalt des Wortes subjektiv nachvollzieht. Der Akt, durch den die Wiedergeburt möglich wird, ist hiernach der Glaube. Die Wiedergeburt ist die »fortwerdende Menschwerdung Gottes« (Kliefoth, Thomasius). Das Neuluthertum wäre dann Erfahrungstheologie und die Erfahrung läge im objektiven Offenbarungsgeschehen, dass sich im subjektiven Glaubensakt ausdrückte, durch ihn hindurch sichtbar würde.
Aufgenommen wurden auf diese Weise romantische wie auch idealistische Inhalte. So wurde der Organismusbegriff und seine Vorstellung von der Entwicklung der Philosophie Georg W.F. Hegels und Friedrich Schellings entlehnt.
Der Verlauf des Neuluthertums ist dann aber durchaus heterogen. Es kann zur Restauration orthodoxer Bibeltheologie (»Biblizismus«) (so bei Friedrich Adolf Philippi und Carl F.W. Walther) oder zu Repristination (bei Hengstenberg) kommen.
Literatur
- Friedrich Wilhelm Kantzenbach/Joachim Mehlhausen: Neuluthertum. In: Theologische Realenzyklopädie 24 (1994), S. 327-341
Kategorien:- Christentum in Deutschland (19. Jahrhundert)
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