Nukleare Teilhabe

Nukleare Teilhabe

Die nukleare Teilhabe ist ein Konzept innerhalb der Abschreckungspolitik der NATO, das Mitgliedsstaaten ohne eigene Nuklearwaffen in die Planung des Einsatzes von Nuklearwaffen und in den Einsatz der Waffen selbst durch die NATO einbezieht.

Zur nuklearen Teilhabe gehört, dass die beteiligten Staaten in einschlägigen Gremien mitberaten und entscheiden, dass sie technische Voraussetzungen zum Einsatz von Nuklearwaffen – zum Beispiel geeignete Flugzeuge – bereithalten und auf ihrem Territorium Nuklearwaffen lagern. Im Kriegsfall können die Teilhabestaaten Nuklearwaffen unter amerikanischer Kontrolle einsetzen.

Die im Rahmen der nuklearen Teilhabe in den nichtnuklearen Staaten gelagerten Waffen sollen im Frieden stets von amerikanischen Soldaten bewacht werden; über die zu ihrer Zündung nötigen Codes verfügt nur die amerikanische Führung. Im Kriegsfall sollen Kampfflugzeuge der Stationierungsstaaten mit diesen Waffen ausgerüstet werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die ersten Atom-Fliegerbomben wurden im März 1955 von US-Truppen in die Bundesrepublik gebracht, kurz darauf auch Atomsprengköpfe für Marschflugkörper und Kurzstreckenraketen sowie nukleare Artilleriegranaten und Atomminen. Sie waren jedoch ausschließlich für einen eigenen Einsatz durch die USA vorgesehen, zumal es offiziell noch kein bundesdeutsches Militär gab. Erst 1957 informierten die USA die deutsche Öffentlichkeit vom Vorhandensein der Waffen. Wenig später setzte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) gegen Proteste der Bewegung Kampf dem Atomtod die Möglichkeit durch, taktische Atomwaffenträger durch die Bundeswehr im Rahmen der Nuklearen Teilhabe für den Fall eines Krieges einzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt sah die NATO Atomwaffen noch als tatsächlich einsetzbare Waffen im Rahmen eines konventionell-nuklearen Krieges an, in etwa als „verstärkte Artillerie“. In den folgenden Jahren erhielt die Bundeswehr zahlreiche Trägersysteme für Atomwaffen. Beispielsweise sollte der Starfighter zunächst gänzlich ohne konventionelle Bewaffnung gekauft werden.

Diese Strategie wurde bereits während ihrer Umsetzung gegenstandslos, da angesichts der atomaren Aufrüstung der UdSSR die gegenseitige Zerstörung im Fall eines Ersteinsatzes von Atombomben zur Gewissheit wurde. Erst 1968 wurde eine neue NATO-Strategie verabschiedet, die auch einen rein konventionellen Schlagabtausch als Möglichkeit vorsah.

Nachdem der NATO-Doppelbeschluss ab Anfang der 1980er Jahre noch einmal zu einer massiven nuklearen Aufrüstung in Europa geführt hatte, zogen die USA nach dem Ende des Kalten Krieges die meisten ihrer Atomwaffen wieder ab. Auf den europäischen Fliegerhorsten waren bis dahin nur 208 der 437 NATO-Bunker gebaut oder in Auftrag gegeben worden. 1992 waren in Europa noch rund 700 US-Atomsprengköpfe gelagert. Großbritannien beseitigte seine Fliegerbomben bis Ende 1998 und bereits 1995 wurden auf den deutschen Fliegerhorsten Memmingerberg und Nörvenich die Nuklearwaffen abgezogen. 1990 erklärte die NATO ihre Atomwaffen offiziell zu „Waffen des letzten Rückgriffs“ und wandte sich damit in ihren Strategiedokumenten weitestgehend von deren tatsächlichem Einsatz ab.

Derzeit stellen von den drei Nuklearmächten der NATO (USA, Großbritannien, Frankreich) nur die Vereinigten Staaten Waffen für die nukleare Teilhabe an Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande und die Türkei zur Verfügung. Der Einsatz amerikanischer Atomwaffen durch NATO-Verbündete ist im Zweischlüssel-Abkommen (engl.: two party key control treaty oder two key international arms control treaty) geregelt, in dem festgehalten wurde, dass die nuklearen Gefechtsköpfe in der Befehlsgewalt der vor Ort anwesenden amerikanischen Überwachungsteams liegt, während die Trägersysteme im Besitz der Verbündeten sind, die auch die Bedienungsmannschaften stellen.[1] Die in Büchel in Deutschland gelagerten atomaren Fliegerbomben unterliegen diesem Zweischlüssel-Abkommen.

Es wird vermutet, dass in der Mitte der 1990er Jahre in Europa in diesem Rahmen schätzungsweise bis zu 480 Nuklearwaffen der USA gelagert wurden, davon etwa 150 auf dem US-Stützpunkt Ramstein und auf dem deutschen Luftwaffen-Fliegerhorst des JaboG 33 in Büchel.[2] Seit Januar 2007 gehen Experten davon aus, dass Ramstein von Atomwaffen geräumt ist.[3] Die Luftwaffe trainiert nur in Büchel im Rahmen der nuklearen Teilhabe den Einsatz von Kernwaffen durch Jagdbomber vom Typ Tornado.

Demonstration gegen Atomwaffen in Deutschland, August 2008 am Fliegerhorst Büchel

Kritik

Kritiker der nuklearen Teilhabe sind der Meinung, dass die Weitergabe und Stationierung von US-amerikanischen Atomwaffen in anderen NATO-Staaten im Rahmen der nuklearen Teilhabe den Atomwaffensperrvertrag verletzt. Mit der geplanten Weitergabe an die Luftwaffen dieser Staaten im Kriegsfall würde gegen Artikel I und II des Vertrags verstoßen, die die Weitergabe oder Annahme der unmittelbaren oder mittelbaren Verfügungsgewalt verbieten. Auch die Bewegung der blockfreien Staaten fordert mit Bezug auf diese Artikel die Beendigung der nuklearen Teilhabe.

Nach einer internen Studie im Auftrag der amerikanischen Luftwaffe der Federation of American Scientists (FAS) entsprechen im Jahre 2008 viele Atomwaffenlager nicht den minimalen Sicherheitsstandards des amerikanischen Verteidigungsministeriums, darunter unter anderem möglicherweise der Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel. Daraufhin plant das US-Militär, Atomwaffen auf weniger Standorte in Europa zu verteilen. Die Studie wurde in Auftrag gegeben, nachdem im August 2007 sechs Atomsprengköpfe ohne Wissen der amerikanischen Luftwaffe durch die Vereinigten Staaten geflogen wurden. Das Institut schätzt, dass sich 2008 rund 200 bis 350 US-Atombomben in Europa befinden, davon 10 bis 20 in Büchel.[4]

Bedeutende NATO-Atomwaffenlager 1995

Flughafen Ort Land
Militärflugplatz Kleine Brogel Peer Belgien
Fliegerhorst Büchel Büchel Deutschland
RAF Brüggen Niederkrüchten Deutschland
Flughafen Memmingen Memmingen Deutschland
Fliegerhorst Nörvenich Nörvenich Deutschland
Ramstein Air Base Ramstein-Miesenbach Deutschland
RAF Lakenheath Lakenheath Großbritannien
RAF Marham Marham Großbritannien
Flughafen Araxos Larissos Griechenland
Aviano Air Base Aviano Italien
Militärflugplatz Ghedi Ghedi Italien
Militärflugplatz Sigonella Catania Italien
Militärflugplatz Volkel Uden Niederlande
Balikesir Türkei
Incirlik AB İncirlik Türkei
Murted Türkei

Siehe auch: Sondermunitionslager

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Atomwaffen von A bis Z
  2. Otfried Nassauer: US-Atomwaffen in Deutschland und Europa http://www.bits.de/public/stichwort/atomwaffen-d-eu.htm
  3. SPIEGEL ONLINE - 9. Juli 2007 - USA haben Nuklear-Arsenal in Ramstein geräumt http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,493451,00.html
  4. Tagesschau: Atomwaffenlager nicht sicher genug? (nicht mehr online verfügbar) vom 21. Juni 2008

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