- Ossip Flechtheim
-
Ossip K. Flechtheim (* 5. März 1909 als Ossip Kurt Flechtheim in Nikolajew, Ukraine; † 4. März 1998 in Berlin) war ein deutscher Hochschullehrer und Autor. Der Jurist und Politikwissenschaftler war einer der Begründer der Futurologie in Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Ossip K. Flechtheim wuchs ab 1910 im westfälischen Münster auf. Sein Vater war als Kaufmann im Getreidehandel tätig. Beide Eltern waren jüdisch. Ossip Flechtheim war nicht religiös interessiert. Er war konfessionsloser Humanist und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in West-Berlin Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband e.V. (später Humanistischer Verband Deutschlands).
Nach dem Abitur in Düsseldorf zog es ihn dem Zeitgeist folgend in die KPD, aufgrund der ideologischen Enge dieser Partei nach fünf Jahren schon wieder zum Austritt. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten in Freiburg im Breisgau, Paris und Köln. Dort schrieb er seine erste Promotion (Dr. jur.) im Jahr 1934. Von 1931 bis 1933 absolvierte er sein juristisches Referendariat beim Oberlandesgericht Düsseldorf.
Verfolgung und Emigration
1933 wurde er aus politischen (Mitgliedschaft in der Widerstandsgruppe Neu Beginnen) und rassischen Gründen (seiner jüdische Abstammung wegen) aus dem Öffentlichen Dienst entlassen. 1935 kam es zu einer Inhaftierung von insgesamt 22 Tagen, die er nur glücklichen Umständen zufolge abwenden konnte. Er ging in die Schweiz, wo er sein Studium in Genf fortsetzte und mit dem Diplom 1939 abschloss.
1939 emigrierte er in die USA und arbeitete dort zunächst am Horkheimer-Institut für Sozialforschung der Columbia University in New York City. Dort lernte er u.a. Erich Fromm, Herbert Marcuse und Isaac Asimov kennen. Später war er als Dozent und schließlich als Professor an verschiedenen Hochschulen tätig. 1942 heiratete er Lili Therese Faktor, die Tochter des ehemaligen Chefredakteurs des Berliner Börsenkuriers.
Prägung der Futurologie
Den Begriff „Futurologie“ als systematische und kritische Behandlung von Zukunftsfragen hat Flechtheim bereits 1943 in den USA wissenschaftlich geprägt. Bis 1943 lehrte er an der Universität von Atlanta. Als viele seiner schwarzen Studenten zum Kriegsdienst eingezogen wurden, wechselte er für seine Lehrtätigkeit an das Colby und das Bates College (Maine).
1946 kehrte er für einige Monate als Sektions- und Bürochef beim Amt des US-Hauptanklägers für Kriegsverbrechen in Berlin nach Deutschland zurück. Von 1947 bis 1951 führte er seinen Beruf als Hochschullehrer in den Vereinigten Staaten fort. 1948 erschien sein Werk über "Die KPD in der Weimarer Republik".
Tätigkeit als Hochschullehrer in Berlin
Von 1952 bis 1959 war er ordentlicher Professor an der Deutschen Hochschule für Politik. Durch die Integration der Einrichtung in die Freie Universität Berlin erhielt er eine C4-Professur für Politikwissenschaft am dortigen Otto-Suhr-Institut, welche er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1974 ausfüllte.
Politisches Engagement
Er war Mitgründer des linksliberalen Republikanischen Clubs in Berlin, war zeitweilig Mitglied der SPD, später der Grünen. Er publizierte eine Vielzahl von Büchern und Zeitungsartikeln (u.a. Frankfurter Rundschau und Die Zeit), war Gründungsmitglied und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitglied des PEN Clubs, im Konzil der Friedensforscher und im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung. Aktiv unterstütze er die Internationale der Kriegsdienstgegner / innen e.V. nicht nur durch seine Mitgliedschaft. Am 9. August 1985 antwortete er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Frage, was er am meisten verabscheue: "die Unmenschlichkeit" und den Krieg der Menschen gegeneinander.
1981 übernahm Flechtheim den Ehrenvorsitz des Berliner IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Dieses unabhängige und gemeinnützige Forschungsinstitut war 1981 gegründet worden, um die wissenschaftliche Zukunftsforschung in Deutschland zu etablieren.
Im Mai 1986 wurde er von der Humanistischen Union mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichnet. 1989 wurde er von der Freien Universität Berlin mit einer Ehrendoktorwürde und vom Berliner Senat mit der Ernst-Reuter-Medaille geehrt.
Er starb am Vorabend seines 89. Geburtstages in seiner Wahlheimat Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Berliner Friedhof Dahlem.
Schriften (Auswahl)
- Ausschau halten nach einer besseren Welt. Biographie, Interview, Artikel. Berlin 1991, ISBN 3-320-01622-9
- Marx heute: pro und contra. Hoffmann und Campe, Hamburg 1983, ISBN 3-455-08728-0
- Ist die Zukunft noch zu retten?, Hoffmann und Campe, Hamburg 1987, ISBN 3-455-08627-6
- Ossip K. Flechtheim / Wolfgang Rudzio / Fritz Vilmar / Manfred Wilke: Der Marsch der DKP durch die Institutionen. Sowjetmarxistische Einflußstrategien und Ideologien. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1980, 272 S., ISBN 3-596-24223-1 (Fischer-Taschenbücher; 4223: Informationen zur Zeit)
- Futurologie - Der Kampf um die Zukunft. Bonn 1980, ISBN 3-8012-0046-9
- Zeitgeschichte und Zukunftspolitik. Hoffmann und Campe, Hamburg 1974, ISBN 3-455-09108-3
- Bolschewismus 1917 bis 1967. Von der Weltrevolution zum Sowjetimperium. Europa Verlag, Wien 1967
- Weltkommunismus im Wandel. Verlag Wissenschaft & Politik, Köln 1965
- Eine Welt oder keine?: Beiträge zur Politik, Politologie und Philosophie. Europäische Verl.-Anst., Frankfurt am Main 1964
- Von Hegel zu Kelsen: rechtstheoretische Aufsätze. Duncker & Humblot, Berlin 1963
- Die KPD in der Weimarer Republik. Bollwerk-Verlag, Offenbach am Main 1948
Preise und Ehrungen
Flechtheim war langjähriges Mitglied des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD). Der HVD hat im Jahr 2003 zu seinen Ehren den Ossip K. Flechtheim-Preis ins Leben gerufen. Der Preis wird alle zwei Jahre für herausragendes Engagement zur Förderung von Aufklärung, Toleranz und Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft vergeben und ist mit 2.500 Euro dotiert.
Literatur
- Christian Fenner (Hrsg.): Systemwandel und Demokratisierung. Festschrift für Ossip K. Flechtheim. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1975. ISBN 3-434-00257-X
- John H. Herz u.a.: Ossip K. Flechtheim zum 80. Geburtstag. Arani-Verlag, Berlin 1989
- Wolfram Beyer (Hrsg.): Zur Theorie und Praxis des Humanismus – Kriegsdienste verweigern, Pazifismus heute (Hommage an Ossip K. Flechtheim). November 2000, Herausgegeben im Auftrag der IDK (Internationale der Kriegsdienstgegner/innen) und des HVD (Humanistischer Verband Deutschlands, LV Berlin)
- Mario Keßler: Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler und Zukunftsdenker (1909–1998). Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2007.
Weblinks
Personendaten NAME Flechtheim, Ossip K. ALTERNATIVNAMEN Flechtheim, Ossip Kurt KURZBESCHREIBUNG Jurist, Politikwissenschaftler und Begründer der Futurologie in Deutschland GEBURTSDATUM 5. März 1909 GEBURTSORT Mykolajiw, Ukraine STERBEDATUM 4. März 1998 STERBEORT Berlin
Wikimedia Foundation.