- Physikochemie
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Die Physikalische Chemie (kurz: PC) ist neben der anorganischen und der organischen Chemie eines der “klassischen” Teilgebiete der Chemie. Sie behandelt den Grenzbereich zwischen Physik und Chemie, insbesondere um die Anwendung von Methoden der Physik auf Objekte der Chemie. Während in der Präparativen Chemie Fragestellungen der Methodik der chemischen Synthese bekannter und neuer Substanzen im Vordergrund stehen, versucht die Physikalische Chemie mit Hilfe theoretischer und experimenteller Methoden die Eigenschaften von Stoffen und deren Umwandlung zu beschreiben, mit dem Ziel, für alle relevanten Vorgänge allgemein gültige mathematische Formeln mit klar definierten Einheiten und exakten Zahlenwerten aufzustellen.
Naturgemäß besteht eine große Nähe zur Physik (insbesondere zur Molekülphysik) und die Klassifikation eines Forschungsthemas als "Physik" oder "Chemie" ist häufig wenig eindeutig. Trotzdem wird teilweise je nach Schwerpunktsetzung zwischen Physikalischer Chemie und Chemischer Physik unterschieden. Die Physikalische Chemie liefert die theoretischen Grundlagen für die Technische Chemie und die Verfahrenstechnik. Chemiker die vorwiegend im Bereich der Physikalischen Chemie tätig sind, werden als Physikochemiker bezeichnet. Die Physikalische Chemie gehört zum Pflichtprogramm in jedem Chemiestudium.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Physikalische Chemie wurde um 1890 vor allem von Svante Arrhenius, Jacobus Henricus van 't Hoff, Wilhelm Ostwald und Walther Nernst begründet. Im angelsächsischen Raum gilt Josiah Willard Gibbs als Begründer der Physikalischen Chemie mit seinem 1867 veröffentlichten Artikel "On the Equilibrium of Heterogeneous Substances", in dem er die grundlegenden Konzepte Freie Energie, chemisches Potential und Phasenregel entwickelte. Wilhelm Ostwald war auch erster Herausgeber der 1887 gemeinsam mit van 't Hoff gegründeten Zeitschrift für physikalische Chemie und hatte in Leipzig den ersten deutschen Lehrstuhl für Physikalische Chemie inne. Das erste eigenständige Institut für Physikalische Chemie wurde 1895 von Walther Nernst, der sich bei Ostwald habilitiert hatte, in Göttingen gegründet. Weitere spezifisch der Physikalischen Chemie gewidmete Institute folgten dann in rascher Folge in Leipzig (1897), Dresden (1900), Karlsruhe (1903), Breslau, Berlin (1905) und andernorts. Wilhelm Ostwald gründete 1894 die Deutsche Elektrochemische Gesellschaft, die 1902 in Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Angewandte Physikalische Chemie umbenannt wurde. In England wurde 1903 die Faraday Society (heute Faraday Division der Royal Society of Chemistry) gegründet. Inzwischen beschäftigen sich unzählige Universitäts- und mehrere Max-Planck-Institute mit Physikalischer Chemie.
Weitere Details finden sich unter Geschichte der Chemie, eine Liste bedeutender Physikochemiker befindet sich hier.
Teilgebiete
Die physikalische Chemie ist in verschiedene Teilgebiete gegliedert, in denen unterschiedliche Phänomene untersucht werden. Die wichtigsten sind Theoretische Chemie, Thermodynamik, Kinetik, Spektroskopie und Elektrochemie.
Theoretische Chemie
In der Theoretischen Chemie versucht man mit Hilfe der Mathematik oder von Computersimulationen und Rechnungen die Eigenschaften von einzelnen Molekülen oder makroskopischen Stoffmengen vorauszusagen. Die Quantenmechanik liefert die Grundlagen zum Verständnis des Aufbaus der Materie und der chemischen Bindung, während die Statistische Thermodynamik die Verknüpfung mit der makroskopischen Thermodynamik liefert.
Chemische Thermodynamik
In der Thermodynamik oder Wärmelehre geht es um die Beschreibung chemischer Reaktionen aus energetischer Sicht. Die makroskopischen Größen eines Stoffes, wie Energie, Enthalpie und Entropie werden in ihrer Abhängigkeit vom Druck und der Temperatur untersucht. Die Thermodynamik befasst sich ausschließlich damit, unter welchen Umständen chemische Reaktionen ablaufen können, gibt aber keine Hinweise auf Reaktionsgeschwindigkeiten oder Reaktionsmechanismen.
Kinetik
Die Kinetik beschäftigt sich mit dem zeitlichen Ablauf chemischer Reaktionen (Reaktionskinetik) oder von Transportvorgängen (z. B. Diffusion, Stoffabscheidung an Oberflächen, Katalyse). In der Kinetik werden sowohl der makroskopische Verlauf einer Reaktion (Makrokinetik) als auch der genaue Verlauf einer Reaktion in den einzelnen Elementarreaktionen untersucht (Mikrokinetik).
Spektroskopie
Spektroskopie ist ein Sammelbegriff für eine Klasse experimenteller Verfahren, die untersuchen, wie eine Probe Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung (Radiowellen, Mikrowellen, Infrarot, sichtbares Licht, UV, Röntgen) aufnehmen oder abgeben kann. Ziel der Spektroskopie ist es, aus dem erzielten Spektrum Rückschlüsse auf die Probe zu ziehen, zum Beispiel auf deren innere Struktur (zwischenmolekulare Kraft), stoffliche Zusammensetzung oder Dynamik.
Elektrochemie
Die Elektrochemie beschäftigt sich mit den Eigenschaften geladener Teilchen, insbesondere Ionen sowie den Auswirkungen von elektrischem Strom auf Stoffe. Die wichtigsten Untersuchungsgebiete der Elektrochemie sind wässrige Lösungen von Ionen, die sogenannten Elektrolyte und die Vorgänge an der Grenzfläche zwischen Elektrolyten und Elektroden. Technisch wichtige Anwendungen der Elektrochemie sind die Brennstoffzelle und die Abscheidung von Metallen auf Oberflächen in der Galvanotechnik.
Relevanz in der Technik und im Alltag
Die Physikalische Chemie beschäftigt sich mit vielen Objekten, die großes Anwendungspotential besitzen oder von entscheidender Bedeutung für die Lebensqualität der Menschheit sind.
- Im Bereich Reaktionskinetik erhielten Paul J. Crutzen, Mario J. Molina und Frank Sherwood Rowland den Nobelpreis für ihre Forschung über den Reaktionsmechanismus der Bildung und Zersetzung von Ozon.
- In praktisch jedem Auto arbeitet eine Lambda-Sonde im Katalysator, die ständig eine Abgasanalyse durchführt und die Kraftstoffeinspritzung anpasst, um möglichst wenig unverbrannten Kraftstoff auszustoßen und damit die Effizienz zu erhöhen.
- Für die Entwicklung neuartiger Akkus für Laptops und Mobiltelefone ist elektrochemisches Wissen unabdingbar.
- Im Bereich Wirkstoffentwicklung für die Pharmazeutische Industrie kommen immer mehr Methoden der Theoretischen Chemie zum Einsatz.
- Die Physikalische Chemie ist eine der Schlüsseldisziplinen der Nanotechnologie.
- Die Methoden der Oberflächenchemie erlauben Einblicke in den Ablauf der Ammoniaksynthese, ohne die die Kunstdüngerherstellung nicht möglich und die weltweite Nahrungsmittelproduktion weit schwieriger wäre.
Literatur
Allgemeine Lehrbücher
- P. W. Atkins: Physikalische Chemie. Wiley-VCH, 2006, ISBN 978-3-527-31546-8.
- G. Wedler: Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Wiley-VCH, 2004, ISBN 3-527-31066-5.
- T. Engel, P. Reid: Physikalische Chemie. Pearson Studium, 2006, ISBN 978-3-8273-7200-0
- D. A. McQuarrie, J. D. Simon, J. Choi: Physical Chemistry, A Molecular Approach. University Science Books, 1997, ISBN 0-935702-99-7.
- W. Bechmann, J. Schmidt: Einstieg in die physikalische Chemie für Nebenfächler. Teubner, 2005, ISBN 3-8351-0035-1
- W. J. Moore, D. O. Hummel, G. Trafara, K. Holland-Moritz: Physikalische Chemie. Walter de Gruyter, 1999, ISBN 3-11-010979-4.
- R. Brdicka: Grundlagen der physikalischen Chemie. Wiley-VCH, 1990, ISBN 3-527-29684-0.
- R. A. Alberty, R. J. Silbey: Physical Chemistry. John Wiley and Sons, 1997, ISBN 0-471-10428-0.
- G. M. Barrow: Physical Chemistry. McGraw-Hill Education, 1996, ISBN 0-07-005111-9.
- R. G. Mortimer: Physical Chemistry. Academic Press, 2000, ISBN 0-12-508345-9.
- R. Stephen Berry, Stuart A. Rice, John Ross: Physical Chemistry. 2nd ed., Oxford University Press, 2000, ISBN 0-19-510589-3.
- Georg Job, Regina Rüffler: Physikalische Chemie - Eine Einführung nach neuem Konzept mit zahlreichen Experimenten. Teubner Studienbücher Chemie, 2008, ISBN 978-3-8351-0040-4.
Spezielle Lehrbücher
- Theoretische Chemie#Literatur
- Thermodynamik#Literatur
- Statistische Mechanik#Literatur
- Kinetik (Chemie)#Literatur
- Elektrochemie#Literatur
- Oberflächenchemie#Literatur
- Spektroskopie#Literatur
Physikalisch-chemische Fachzeitschriften
- Bunsen-Magazin der Deutschen Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie
- Chemical Physics / Chemical Physics Letters (engl.) ISSN 0009-2614
- ChemPhysChem (engl.) – A European Journal of Chemical Physics and Physical Chemistry ISSN 1439-4235
- Journal of Chemical Physics (JCP) (engl.) ISSN 0021-9606
- Journal of Physical Chemistry A (JPC A) (engl.) – Molecules, Spectroscopy, Kinetics, Environment & General Theory (A) ISSN 1089-5639 (A)
- Journal of Physical Chemistry B (JPC B) (engl.) – Condensed Matter, Materials, Surfaces, Interfaces & Biophysical Chemistry (B) ISSN 1520-6106 (B)
- Journal of Physical Chemistry C (JPC C) (engl.) – Nanomaterials and Interfaces ISSN 1932-7447
- Physical Chemistry Chemical Physics (PCCP) (engl.) ISSN 1463-9076
- Zeitschrift für Physikalische Chemie (ZPC) ISSN 0942-9352
- weitere Zeitschriften
Weblinks
- Walther Nernst: Die Ziele der physikalischen Chemie (Festrede 2. Juni 1896. Digitalisat/Faksimile)
- Aktuelle Wochenschau zum Jahr der Chemie 2003 – ein Einblick in aktuelle physikochemische Forschung
- Das Berufsbild des Physikochemikers, Deutsche Bunsen-Gesellschaft für Physikalische Chemie
- Physical Chemists – Berufsfeldbeschreibung der American Chemical Society
Siehe auch
- Portal:Chemie
- Portal:Physik
- Portal:Werkstoffe
- Kategorie:Physikalische Chemie
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