Schloss Ziegenhain

Schloss Ziegenhain

Die Wasserfestung Ziegenhain ist ein barocker Festungsbau im Schwalmstädter Stadtteil Ziegenhain im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen. Nach den Militärbauten in Kassel, Gießen und Rüsselsheim war sie die viertgrößte Befestigungsanlage während des Dreißigjährigen Kriegs in Hessen. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Festung nicht eingenommen, widerstand allen Belagerungen und war daher Anlass für die Bildung des Sprichworts „So fest wie Ziegenhain“.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Um 950 wurde ein Bergfried errichtet. 1144 erbaute Graf Gottfried von Reichenbach-Wegebach eine neue Burg zwischen dem alten Bergfried und einer bereits bestehenden Rundburg, die er zu seiner Residenz machte und nach der er und seine Nachkommen sich dann Grafen von Ziegenhain nannten. Werner II. von Falkenberg erbaute 1363 „Das Steinerne Haus“ (heute Museum der Schwalm) als seinen Burgsitz. Nach dem Aussterben der Grafen von Ziegenhain mit dem Tod Johanns II. fiel die Grafschaft Ziegenhain 1450 an Landgraf Ludwig I. von Hessen. Die Burg wurde daraufhin 1470 zu einem landgräflichen Jagdschloss umgestaltet.

Philipp Soldan schuf für die Südseite des Schlosses im 16. Jahrhundert ein Renaissancesteinrelief. Darüber hinaus werden ihm plastische Gestaltungen im Inneren des Schlosses zugeschrieben.

Festungsausbau, Reformation, Dreißigjähriger und Siebenjähriger Krieg

Ziegenhain aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian 1655
Grundriss von Ziegenhain aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian 1655

1537 bis 1546 wurden unter Landgraf Philipp dem Großmütigen von Hessen die mittelalterliche Burg und Stadt nach Plänen des Festungsbaumeisters Hans Jakob von Ettlingen und des Baumeisters Balthasar von Germersheim zu einer strategischen Wasserfestung ausgebaut. Ein 6 Meter hoher Erdwall mit erhöhten Rondellen an den vier Ecken umgab nunmehr Schloss und Stadt. Diese wurden durch das 65 Meter breite, leicht abfallende Glacis getrennt. Hiermit wurde die Möglichkeit geschaffen, das umliegende Gelände mit dem Wasser der Schwalm zu fluten. Die Wasserfestung besaß nur einen einzigen Zugang über eine hölzerne Zugbrücke. In der Festungsanlage entstanden neben den Kasematten im Wall das Zeughaus, zwei Fruchthäuser, ein Brauhaus, das Archiv, Kasernen und eine Rossmühle. 1537 wurde Heinz von Lüder erster Kommandant der Festung Ziegenhain.

1539 wurde im Schloss Ziegenhain die „Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung“ beschlossen. Auf Einladung des Landgrafen Philipp des Großmütigen beschlossen hessische Theologen und die Reformatoren Adam Krafft und Martin Butzer unter dem Einfluss von Philipp Melanchthon, dass Kirchenälteste Mitverantwortung übernehmen, Jugendliche in christlicher Lehre mit abschließender Konfirmation in die christliche Gemeinde aufgenommen werden und Andersdenkende nicht verfolgt werden sollen. Gastfreundschaft und Bürgerdienste standen sowohl jüdischen wie auch konfessionslosen Bürgern zu. Damit wurde die Grundlage der evangelisch-lutherischen Kirche in Hessen begründet. Diese revolutionäre Verordnung verbreitete sich über Waldeck, Wittgenstein, Frankfurt und Göttingen sehr schnell an weitere Orte.

1542 erließ Landgraf Philipp den Burgfrieden für die Wasserfestung Ziegenhain. In seinem neu gefassten Testament vom 6. Oktober 1545 bestimmte er daraufhin seinen Söhnen … Heinzen von Luther (Heinz von Lüder) sollen sie zu Ziegenhain vor einen Hauptmann pleiben lassen …. Im Schmalkaldischen Krieg 1546-1547 verteidigte Heinz von Lüder während der fünfjährigen Gefangenschaft Landgraf Philipps die Festung, obwohl ihm durch Kaiser Karl V. angedroht worden war, ihn in Ketten aufhängen zu lassen. Lüder erwiderte dem Grafen Reinhard von Solms, der die Festung einnehmen wollte: "Der freie Landgraf hat mir die Festung übergeben. Und einem freien Landgrafen werde ich die Festung wieder übergeben." Nach der Freilassung Landgraf Philipps 1552 und dessen Rückkehr wurde Heinz von Lüder durch symbolisches Aufhängen an einer Goldkette im Beisein des Landgrafen am heutigen „Lüdertor“ belohnt. Der romantische Dichter August Kopisch würdigte diesem historischen Ereignis Heinz von Lüder sein Gedicht „Landgraf Philipp der Großmütige“.

"O wehe, Heinz von Lüder, wie ist um dich mir leid!
Du hast die Stadt verteidigt so tapfer lange Zeit!
Nun soll, bei Kaisers Bann,
sich selbst zu retten,
dich, seinen treu'sten Mann,
der Landgraf hängen in Ketten!
O Ziegenhain, unselige Stadt,
wo echte Treu solch Ende hat!":

Am 20. April 1598 wurde der spätere Kommandant der Bergfeste Hohentwiel, Konrad Widerholt, in Ziegenhain geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Ziegenhain und gewann dort erste militärische Eindrücke.

Von 1622 bis 1623 wurde durch die Errichtung von vier Ravelins die Festungsanlage zusätzlich verstärkt. Zudem wurde das Weichhaus umwallt. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Festung zwar nicht eingenommen, doch fielen 1631 bayrische und Tillysche Truppen in das Weichhaus ein. 1633 besuchte der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna die Festung.

Am 15. November 1640 wurde General Breda von dem Ziegenhainer Bürgerschützen Velten Muhly während der Belagerung Ziegenhains bei dem Dorf Riebelsdorf erschossen. Historisches Zeugnis ist das seither im Rathaus aufbewahrte „Bredaschwert“. 1843 wurde bei Riebelsdorf das Velten Muhly-Denkmal von der Stadt Ziegenhain gestiftet, welches die historische Begebenheit veranschaulicht. Eine Säule steht am Platz des Schützen, und am Platz des gefallenen General Breda wurde eine Pyramide errichtet.

Der Schafhof wurde 1669 als militärlogistische Versorgungsbasis errichtet und wurde als Depot genutzt.

Im Siebenjährigen Krieg wurde die nunmehr veraltete Festungsanlage französischen Truppen 1758 kampflos übergeben; dadurch wurden größere Zerstörungen vermieden. 1761 wurde die Festung jedoch durch die Beschießung hessischer Artillerie unter Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel zerstört. Der zum Katholizismus konvertierte Landgraf unterstützte im Siebenjährigen Krieg das preußische Bündnis. Durch die Beschießung wurden 47 Häuser sowie die Tuchmanufaktur der Befestigungsanlage stark beschädigt.

Sammelstelle hessischer Subsidientruppen für den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg

1769 wurden der Paradeplatz und die „Neue Wache“ errichtet. Von 1776 bis 1783 war der Paradeplatz Sammelplatz für die hessischen Subsidientruppen, die im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783 auf englischer Seite kämpften. Die Festung diente während dieser Zeit auf Anordnung von Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel als Rekrutendepot. Der Landgraf übertrug gegen Subsidien insgesamt 12.000 Hessen den Engländern für deren Krieg in Nordamerika. Literarisch wird diese historische Begebenheit in Johann Gottfried Seumes „Spaziergang nach Syrakus 1802“ verarbeitet. Der Theologiestudent wurde durch hessische Werber zum Militärdienst gezwungen, in Ziegenhain rekrutiert, und nach Amerika eingeschifft. 1813 erschienen seine Erinnerungen an seine Zwangsverpflichtung in seiner posthum veröffentlichten Biographie „Mein Leben“.

Napoleonischer Krieg und Ende der militärischen Nutzung

1776 bis 1783 wurde ein neuer Festungseingang mit Brücke gebaut. Im November 1806 wurde die Festung auf Befehl des hessischen Kurfürsten Wilhelm I. der napoleonischen Armee kampflos übergeben und schließlich 1807 auf Befehl Napoleons geschleift. Die Kasematten wurden gesprengt und die Tore niedergelegt. Nach der Rückkehr des Kurfürsten 1813 verlor die Festung jedoch zunehmend an Bedeutung. 1819 wurde auf Drängen der Bevölkerung das neue Südtor errichtet. 1832 wurde die Garnison durch Kurfürst Wilhelm II. aufgelöst. Der letzte Festungskommandant, Oberst von Harras, verstarb 1836 in Ziegenhain.

Nutzung als Justizvollzugsanstalt

Im Schloss Ziegenhain wurde 1842 ein Zwangsarbeitergefängnis mit 400 Gefangenen eingerichtet. Zwar wurde Ziegenhain 1831 Kreisstadt, doch wurde 1857 das hessische Staatsarchiv nach Marburg verlegt. 1882 wurde ein Gefängnis für weibliche Gefangene eingerichtet. 1905 zog der Deutsche Reichstag das Militärkommando zur Bewachung der königlichen Grafschaft Ziegenhain endgültig ab. 1989 wurde der libanesische Terrorist der Hisbollah Mohammed Ali Hamadi in der JVA Schwalmstadt inhaftiert. Nachdem 2003 der offene Vollzug ausgegliedert wurde, existiert in der JVA Schwalmstadt nur noch der geschlossene Vollzug. Heute ist die Wasserfestung Ziegenhain wesentlicher Bestandteil der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt-Ziegenhain.

Literatur

  • Eduard Brauns: Wander-und Reiseführer durch Nordhessen und Waldeck. A. Bernecker Verlag, Melsungen 1971
  • Tafeln an der Wasserfestung Ziegenhain

Weblinks

50.9119.2357Koordinaten: 50° 54′ 40″ N, 9° 14′ 6″ O


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