Selbstzensur

Selbstzensur
1836 konnte ein erigierter Penis in einem französischen Bildband über Pompeji noch prominent gezeigt werden.
1877 fällt er kaum mehr auf.

Selbstzensur bezeichnet eine sich selbst auferlegte Zensur, z. B. Beschränkungen der Meinungs- und Publikationsfreiheit, die sich die Medien selbst auferlegen. Selbstzensur tritt unter anderem bei Verlegern, Journalisten, Filmproduzenten, Wissenschaftlern und Künstlern aus vielfältigen Motiven auf. Die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang können bei der Selbstzensur verschwimmen: so kann z. B. ein Journalist freiwillig eine Enthüllung zurückhalten, da er sich des Wahrheitsgrades unsicher ist, oder aber „freiwillig“, weil die von der Enthüllung betroffenen Personen die Macht haben, ihm im Falle der Veröffentlichung zu schaden. Man spricht in der Kritik an der Selbstzensur auch von „vorauseilendem Gehorsam“ und bildlich von der „Schere im Kopf“.[1]

Inhaltsverzeichnis

Selbstzensur in den Medien

Die Motive der Selbstzensur in den Medien sind vielfältig:

Selbstkontrollen, um einer Nachzensur zuvorzukommen

Vorzensur (Präventivzensur) darf in Deutschland laut Artikel 5 des Grundgesetzes von staatlicher Seite aus zwar nicht stattfinden, indes sind nach erfolgter Veröffentlichung Einschnitte, Indizierung oder Verbote möglich. Dies kann z. B. bei Verletzungen gegen das Persönlichkeitsrecht, Volksverhetzungen aber auch bei Behördenvorwürfen der Unzüglichkeit und Gewaltverherrlichung geschehen. Deshalb versuchen Autoren, einer solchen Nachzensur (Prohibitivzensur) durch selbst auferlegte Beschränkungen zuvorzukommen. So haben sich Mechanismen der Selbstzensur entwickelt, meist freiwillige Selbstkontrolle oder freiwillige Selbstverpflichtung genannt, wie z. B. Richtlinien für zu veröffentlichende Inhalte durch den Pressekodex, die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und die Selbstkontrolle der Unterhaltungssoftware.

Selbstzensur auf Druck des Veröffentlichungspartners

Auch Angst vor nachteiligen zivilrechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder beruflichen Folgen kann zur Selbstzensur führen. Allgemein ist der Journalist gezwungen bei einer Veröffentlichung als Abhängiger (in einem Medium, das einem nicht selbst gehört) auf die Vorlieben und Interessen des Veröffentlichers Rücksicht zu nehmen. Dies kann bei einem großen Medienunternehmen z. B. Rücksicht auf dessen Geschäftsinteressen auch in anderen Bereichen sein (etwa keine Kritik an Unternehmen die zum selben Konzern gehören). Bedeutend kann auch der Einfluss der Werbenden in dem Medium sein. Werbung bildet bei den meisten Medien die Haupteinnahmequelle und kann bei Wegfallen zur Insolvenz führen. Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten empfehlen daher Institutionen wie der Pressekodex oder der Medienkodex von Netzwerk Recherche eine klaren Trennung zwischen Werbung und den Artikeln.[2] Die Grenze zwischen Journalismus und PR verschwindet jedoch zunehmend.

Ein bedeutender werdendes Beispiel von Einschränkungen durch Veröffentlichungszusammenarbeiten ist der „eingebettete Journalismus“, wo der Journalist z. B. bei einer Militäreinheit selber mitfährt und berichtet. Um einer Militärzensur zuvor zu kommen, werden dabei sicherheitsrelevante Informationen (z. B. genaue Position) vermieden. Zugleich liegt eine günstige Berichterstattung im Sinne des Journalisten, damit er weiterhin die genehmigungspflichtige Position des eingebetteten Journalisten arbeiten darf. Auch andere Sicherheitsbedenken, z. B. bei dem Aufzeigen von Lücken in der Nahrungsmittelsicherheit wegen der Gefahr von Nachahmern, führen zur Forderung nach Selbstzensur in diesen Bereichen. [3]

Eine Selbstzensur kann auch stattfinden, wenn ein Medium seinen Lesern/Zuschauern keine Akzeptanz zutraut von ungewohnten Ansichten bzw. zur bisherigen Berichterstattung entgegengesetzte Positionen. Gesellschaftlich umstrittene Themen finden auf diese Weise oft nur wenig Resonanz in der öffentlichen Diskussion, Tabuthemen werden oft gar nicht erst aufgegriffen. Unabhängige Medien und Bürgerrechtsorganisationen (z. B. American Civil Liberties Union, Democracy Now kritisieren große Nachrichtenmedien deswegen oft als zu wenig mutig für kontroverse Beschreibungen, es wird nach dem Vorwurf eher eine Position zum Thema eingenommen und für diese Position einheitlich geworben.

In dem Buch Manufacturing consent kommen die Autoren Edward S. Herman und Noam Chomsky zu der Schlussfolgerung, dass allgemein die Eigentümerschaft von Medien durch Unternehmen zu mehr Selbstzensur und weniger Vielfalt führt.

Selbstzensur auf Druck von Außen

In nicht-autoritären Systemen sind physische Bedrohungen unüblich. Es kann jedoch durch Außeneinflüsse zu einer zukünftigen Karriereeinschränkung kommen sowie durch Rechtsprozesse es zu schweren finanziellen Schäden kommen.

Da z. B. der Axel Springer Verlag umfangreich gegen die kritischen Reportagen von Günter Wallraff über die Boulevardzeitung Bild vorging, war z. B. eine Dokumentation bereits vor rechtlichen Schritten aus Angst vor dem Verlag über 33 Jahre mit einem Sperrvermerk versehen. Erst als der Axel Springer Verlag 2010 ankündigte keine rechtlichen Schritte zu unternehmen, gab der Westdeutsche Rundfunk (WDR) den Film frei.[4] Der Journalist Thomas Schuler bezweifelte 2000 die Seriosität von Guido Knopps Professorentitel, da er ihn von der fragwürdigen Siewerth-Akademie habe, deren Führungspersonal laut Schuler unter anderem mit der rechten Organisation „Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis“ verbunden ist. Es wurden gegen den Artikel von Personen der Siewerth-Akadamie zahlreiche Rechtsmaßnahmen ergriffen und obwohl Schuler vor Gericht gewann, veröffentlichte die Berliner Zeitung den Artikel daraufhin vorsichtshalber nicht im öffentlich verfügbaren Archiv.[5]

Physische Bedrohungen führen zu einer besonders drastischen Selbstzensur, so ist in Diktaturen[6] eine Nachzensur wegen der Bedrohungsatmosphäre oft gar nicht erst nötig, auch durch mächtige außerstaatliche Unternehmungen, z. B. die Drogenkartelle in Mexiko[7], kann eine entsprechende Bedrohungsatmosphäre entstehen. Eine Selbstzensur kann vereinzelt auch aus Angst vor einzelnen gewaltbereiten Radikalen resultieren. So wurde Salman Rushdies 1988 in englischer Sprache erschienener Roman Die Satanischen Verse nach Drohungen aus islamistischen Kreisen zunächst von keinem deutschsprachigen Verlag angenommen. Es bedurfte einer Verlagsneugründung, „Artikel 19 Verlag“, allein zu dem Zweck, die Herausgabe dieses Romans in Deutschland doch noch zu ermöglichen.

Sprachliche/Politische Korrektheit und „Bleeping“

Insbesondere im Zeitalter globalisierter Kommunikation besteht eine erhöhte Gefahr, dass sich gesellschaftliche Gruppen durch eine Veröffentlichung verletzt fühlen; damit steigt vielfach auch die Gefahr durch einzelne Radikale, insbesondere im religiösen Bereich. In diesem Zusammenhang werden die Grenzen der künstlerischen Freiheit diskutiert und die Forderung wird laut, auf mögliche Verletzung religiöser Gefühle freiwillig zu verzichten.[8]

In dem Bestreben niemanden durch Worte zu verletzen oder auszugrenzen, also um Diskriminierung durch Sprechen und Schreiben zu vermeiden, haben sich bestimmte Sprachregelungen herausgebildet. Neben z. B. der Vermeidung von rassistischen/verhetzenden Bezeichnungen für gesellschaftliche Gruppen werden auch akustische Signale benutzt, welche als vulgär empfundene Ausdrücke oder verbale Beleidigungen in Sendungen übertönen („bleeping“).[9] Eine weitere Maßnahme ist die leicht zeitversetzte Ausstrahlung von 'Direktsendungen', um noch rechtzeitig Verstöße gegen den Kodex vor der Übertragung ausblenden zu können.[10]

Dieses insbesondere in US-Medien auftretende „bleeping“ ist jedoch teils auch rechtlich festgelegt. Eine New Yorker Revisionsgericht kippte jedoch 2010 die unter der Präsidentschaft von George W. Bush ausgeweitete strenge Zensur für das Fluchen und andere Unanständigkeiten in US- Radio- und Fernsehsendern.[11]

Selbstzensur in der Forschung

Eine Selbstzensur in der Forschung kann sowohl aus ethischen Beweggründen (z. B. bei der Erforschung von Waffen als auch im Rahmen der bioethischen und medizinethischen Diskussion[12]) als auch im Hinblick der Wirkungen auf die berufliche Zukunft erfolgen.

Einen starken Einfluss hat auch hier, wer bzw. welche Organisation das Projekt finanziert und was für Erwartungen an das Projekt gestellt werden. Wenn bestimmte Erwartungen für das Ergebnis der Studie existieren, kann der Wissenschaftler dieses Ergebnis (unabhängig vom Wahrheitsgehalt) gezielt herbeiführen, um auch in Zukunft finanziell gefördert zu werden.[13][14] In Deutschland fallen z. B. Studien in der Pharmaforschung teils weniger kritisch aus als im Ausland. Eine Ursache dafür ist, dass diese Forschung in Deutschland nahezu ausschließlich von Pharmaunternehmen betrieben wird, während z. B. in Italien die Pharmaunternehmen einen Teil ihrer Marketingausgaben in einen Fonds einzahlen. Aus diesem Fonds werden dann unabhängige Studien zur Arzneimittelanwendung finanziert.[15]

Eine Studie vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung zeigt, dass die zunehmende Bedeutung von Drittmitteln (und damit Abhängigkeit von dem Finanzier der Drittmittel) zu geringerer Vielfalt in der Forschung führt und die Wissenschaftler versuchen ihre Ergebnisse dem Mainstream anzugleichen.[16]

siehe auch

Anstand - Blasphemie - Bundesprüfstelle - Deutscher Presserat - Deutscher Werberat - Euphemismus - Filmzensur - Geschichte der Zensur - Hays Code - Medienethik - Pornobalken - Sprachtabu

Weblinks

Literatur

Einzelnachweise

  1. Es bedarf einer gewissen „Schere im Kopf“, DER SPIEGEL 7/1984
  2. Medienkodex von Netzwerk Recherche
  3. Jeanne Meserve: Milk-threat study issued over objections, CNN.com. 29. Juni 2005. Abgerufen am 20. August 2010. 
  4. WDR hebt Sperre für Wallraffs „Bild“-Film auf. auf: dwdl.de, 7. August 2010
  5. Thomas Schuler: Eine Recherche vor Gericht wird zur Recherche fürs Gericht. In: Thomas Leif: Mehr Leidenschaft Recherche: Skandal-Geschichten und Enthüllungsberichte; ein Handbuch zur Recherche und Informationsbeschaffung. VS Verlag, 2003, S. 73-83. Google Books-Ausschnitt; Ausschnitt des Buches mit komplettem Beitrag auf NetzwerkRecherche.de
  6. siehe z. B. Mediale Kreuzzüge. auf: Deutschlandradio Feature. 17. März 2009
  7. Andreas Knobloch: Medien im Visier: Mexikos Journalisten sind im Drogenkrieg zwischen die Fronten geraten. Präsident Calderón muß Scheitern eingestehen. In: junge Welt. 20. August 2010.
  8. Siehe dazu Artikel im STERN: Grass nennt dänische Zeitung „rechtsradikal“ - In dem vom Deutschen Presserat im Jahre 1973 erarbeiteten Pressekodex heißt es in Ziffer 10 bereits: „Veröffentlichungen in Wort und Bild, die das sittliche oder religiöse Empfinden einer Personengruppe nach Form und Inhalt wesentlich verletzen können, sind mit der Verantwortung der Presse nicht zu vereinbaren.“
  9. Siehe dazu in der englischsprachigen Wikipedia den Artikel en: Bleep censor
  10. „Die BBC hätte die Live-Programme zeitversetzt und mit entsprechender Zensur ausstrahlen sollen, kritisierten die Sittenwächter.“ Zitiert nach Spiegel Online Kultur: BBC muss sich für F-Wort entschuldigen
  11. tagesschau: In US-Medien darf wieder geflucht werden (nicht mehr online verfügbar), 14. Juli 2010
  12. So werden unter dem Stichworten „verantwortliche Wissenschaft“ und Wissenschaftsethik Rufe nach einer Selbstbeschränkung der Forscher laut. Vgl. „Der offene und freie Diskurs als Voraussetzung verantwortlicher Wissenschaft“ von Dieter Deiseroth
  13. Ayaz Nanji: Scientific Method: Self-Censorship, Study Finds Researchers Shy Away From Controversial Projects, CBS News. February 11, 2005. Abgerufen am 20. August 2010. 
  14. Daniel Schorn (July 30, 2006): Rewriting The Science, Scientist Says Politicians Edit Global Warming Research. CBS News. Abgerufen am 20. August 2010.
  15. Magazin Kontraste im Rundfunk Berlin-Brandenburg: Gefahr für Patienten - Keine unabhängigen Pharmastudien in Deutschland, 28. Mai 2009
  16. Bayerisches Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung: Neue Steuerungsmodelle befördern Mainstream-Forschung, 19. Juli 2010

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