Sinologie

Sinologie

Die Sinologie („Chinawissenschaften“ oder „Chinakunde“; chinesisch 漢學 / 汉学 hànxué) ist ein wissenschaftliches Fachgebiet, zählt zu den Sprach- und Kulturwissenschaften und beschäftigt sich seit dem 16. Jahrhundert mit der chinesischen Sprache, Schrift, Philosophie und Geschichte.

Am Anfang der Sinologie standen christliche Missionare, die für ihre Arbeit in China die chinesische Sprache und Kultur studierten. Die ersten Übersetzungen chinesischer Klassiker erschienen demnach auch auf Latein. Umgekehrt übersetzten sie die Bibel ins Chinesische und schrieben Berichte über das bis dahin unbekannte China, die in Europa mit großem Interesse aufgenommen wurden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Sinologie

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde erstmals in Paris ein Lehrstuhl für dieses Fach eingerichtet. Heute existieren auch an etwa 30 Hochschulen im deutschsprachigen Raum Einrichtungen zur Sinologie. Die Geschichte der deutschsprachigen Sinologie beleuchtet Helmut Martin in seinem Sammelband Chinawissenschaften.[1] Im Mittelpunkt stehen dabei Untersuchungen zur Chinaforschung während der Nazizeit, in der DDR und während der Studentenbewegung der 1960er und 1970er Jahre.

Die Sinologie ist in Deutschland eine noch recht junge Disziplin. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts begann man überhaupt, sich wissenschaftlich mit China zu beschäftigen. In den Jahren 1829–1831 erwarb der Orientalist Carl Friedrich Neumann in Guangzhou 12000 chinesische Bände, die er nach München verschiffte und die die Grundlage der Ostasiatischen Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek sowie der Staatsbibliothek zu Berlin bilden. Bahnbrechend in der Chinaforschung waren die geologisch-geographischen Forschungsreisen Ferdinand von Richthofens ab den frühen 1860er Jahren. Ab 1833 lehrte Wilhelm Schott in Berlin Chinesisch und chinesische Philosophie. 1887 wurden das u. a. dem chinesischen Sprachunterricht dienende Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin und die ersten sinologischen Seminare eingerichtet („Sina“, wahrscheinlich abgeleitet von der Qín-Dynastie 221 v. Chr. ist das lateinische Wort für China). 1889 wurde der erste deutsche Lehrstuhl für Sinologie an der Universität Leipzig eingerichtet, erster ordentlicher Professor war Hans Georg Conon von der Gabelentz, erst 1912 folgte ein Lehrstuhl in Berlin unter J. J. M. de Groot und 1914 am Kolonialinstitut in Hamburg unter Otto Franke.

Während der Kolonialzeit wuchs aus naheliegenden Gründen das Interesse an der chinesischen Kultur. Das Exil vieler Chinawissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus schadete der Sinologie nachhaltig.

Aktuelle Lage der Sinologie

Seit der Öffnungspolitik der Volksrepublik China in den 1980er Jahren zählt die Sinologie eigentlich nicht mehr zu den Orchideenfächern. Damals wurden den Studienanfängern im Fach Sinologie gute Berufsaussichten prophezeit. Heute schließen jährlich etwas weniger als 200 Personen (davon mehr als 70 Prozent Frauen) das Studium ab und sehen sich vor einer ungewissen beruflichen Zukunft, denn sie wurden nicht zu einem konkreten Beruf ausgebildet. Sie sind weder Dolmetscher noch Wirtschaftsfachleute, deshalb bieten sich kombinierte Studiengänge an, bei denen aber keine Sinologen ausgebildet werden, sondern Chinesisch eher eine Zusatzqualifikation ist. Daher werden anstelle von Sinologen meist Kaufleute und Techniker ohne ausreichende Kenntnisse der landesspezifischen Kultur und Mentalität nach China gesandt, was allerdings viele Unternehmungen von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Zurzeit sind in Deutschland etwa 1.900 deutsche und 440 ausländische Studierende im Fach Sinologie (inkl. Koreanistik) immatrikuliert (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2002). Weniger als 500 Studienanfänger/innen nehmen jährlich das Studium neu auf. Zum Vergleich: In Anglistik sind dies jährlich 10.000 Studenten und Studentinnen. Anders als in Anglistik müssen angehende Sinologen keine Vorkenntnisse ihres Studienfachs mitbringen. Gute Englischkenntnisse sind aber empfehlenswert, da viele Lehrbücher nur auf Englisch verfügbar sind.

Vor der Öffnungspolitik konnten selbst Sinologie-Professoren oft nicht besonders gut Chinesisch sprechen und waren zum Teil nie in China. Heute ist es gängig, meist nach dem Grundstudium einen Teil des Studiums in China oder Taiwan zu verbringen. Die offizielle Regelstudienzeit (ohne Auslandssemester) liegt bei neun Semestern, wobei der Durchschnitt in Göttingen und Würzburg bei 10 Semestern, in Tübingen aber bei 15 Semestern (Magister) liegt. Dabei stellt das Erlernen des Chinesischen die größte Herausforderung dar, weitere Schwierigkeiten erklären sich durch die große historische Tiefe und geographische Breite der Chinaforschung.

Durch die Einführung des Bachelor-Studiengangs an mehreren deutschen Universitäten konnte die Regelstudienzeit zwar auf drei Jahre deutlich gesenkt werden, allerdings geht diese Verkürzung mit einer Eingrenzung der Studieninhalte einher. Daher ist in diesen Studiengängen eine Spezialisierung auf bestimmte Teilbereiche des Fachs nötig. So klammert der Bachelor Modern China in Würzburg die klassische Schriftsprache aus und konzentriert sich inhaltlich auf die jüngste Geschichte und die gegenwärtige soziale, politische wirtschaftliche und kulturelle Situation Chinas. Für die Studierenden, die sich umfassend mit China auseinandersetzen wollen, bietet sich daher im Anschluss der Besuch eines Master-Studiengangs an.

Leider entspricht in den meisten chinawissenschaftlichen Studiengängen das Lehrangebot in chinesischer Sprache nicht dem Umfang, der erforderlich ist, um Chinesisch auf akademischem Niveau aktiv in Wort und Schrift so anwenden zu können, dass auch ein Masterstudium im chinesischen Sprachraum angeschlossen werden könnte (laut Fachverband Chinesisch wären dies 1200-1600 Kontaktstunden). Häufig konzentriert sich die Sprachausbildung mangels Personal daher immer noch primär auf passive Lesekompetenz im Chinesischen. Ein Chinaaufenthalt ist zwar selten fest im Studienplan vorgeschrieben, aber schon aus Gründen der Vertiefung der Sprachkompetenz dringend zu empfehlen.

Die aktuelle Lage Chinas und die sehr häufige Erwähnung des Landes in den deutschen Medien tragen einen Teil dazu bei, dass die Studentenzahlen von Jahr zu Jahr gerade in den verkürzten Studiengängen steigen.

Die Arbeitsbedingungen von forschenden Landeskundlern stehen prinzipiell in einer Wechselbeziehung zwischen ihrer Person und ihrem Forschungsgegenstand. Dabei sind die Auswirkungen insbesondere hinsichtlich der Bewältigung möglicher kognitiver Dissonanz des Forschers von Region zu Region sehr unterschiedlich. Besonders sozialwissenschaftlich arbeitende Sinologen sind sich bewusst, dass ihre Veröffentlichungen ihre Arbeitsbedingungen in der Volksrepublik China auch existentiell beeinflussen können, da in der Volksrepublik hinsichtlich der Freiheit der Forschung andere Voraussetzungen herrschen, als sie beispielsweise in Deutschland anzutreffen sind.[2] Dieser Umstand ist einerseits eine besondere Herausforderung für die betroffenen Forscher, bietet aber andererseits immer noch die Möglichkeit, in einer Meta-Sinologie durch die „Beobachtung der Beobachter“ (Niklas Luhmann) Kenntnisse über China zu gewinnen.

Wissenschaftliche Einrichtungen der Sinologie

Wissenschaftliche Gesellschaften der Sinologie

  • Deutsche Vereinigung für Chinastudien e.V. (DVCS)
  • Deutsche China-Gesellschaft e.V.
  • Fachverband Chinesisch e.V. (FaCh)
  • European Association of Chinese Studies
  • Deutsche Gesellschaft für Asienkunde e.V.

Wissenschaftliche Publikationsorgane der Sinologie

  • Berliner China-Studien
  • Berliner China-Hefte
  • Journal of Current Chinese Affairs
  • Monumenta Serica
  • T'oung Pao (通報), gegr. 1890, erste internationale Zeitschrift für Sinologie.

Forschungsinstitute

  • Institut für Asienstudien des GIGA German Institute for Global and Area Studies

Hochschulen mit Sinologie-Studiengängen im deutschsprachigen Raum

Sinologie in Deutschland

Siehe auch

Literatur

  • René Etiemble, L'Europe chinoise, Paris : Gallimard, “Bibliothèques des Idées” :
    • Tome I. De l'Empire romain à Leibniz, 1988, 438 p.
    • Tome II. De la sinophilie à la sinophobie, 1989, 402 p.
  • Etiemble, Les Jésuites en Chine. La querelle des rites (1552-1773), Paris : Julliard, “Archives” 25, 1966, 301 p.
  • Bernhard Führer: Vergessen und verloren. Die Geschichte der österreichischen Chinastudien. edition cathay 42, Projekt-Verlag, Bochum 2001, ISBN 3-89733-017-2.
  • Jacques Gernet: Chine et christianisme La première confrontation . Paris : Gallimard, coll. “Bibliothèque des Histoires”, 1991, 342 p.
  • David B. Honey: Incense at the Altar: Pioneering Sinologists and the Development of Classical Chinese Philology, New Haven: American Oriental Society, 2001. (Siehe auch die Rezension dieses Werks durch E.G. Pulley im Journal of the American Oriental Society, Vol. 122, No. 3 (Jul.-Sep., 2002), pp. 620-624, verfügbar über JSTOR).
  • Louis Lecomte: Un Jésuite à Pékin, Nouveaux mémoires sur l’état présent de la Chine, 1684-1692 , Paris : Phébus, 1990, 554 p.
  • Christina Leibfried: Sinologie an der Universität Leipzig : Entstehung und Wirken des Ostasiatischen Seminars 1878 - 1947, Leipzig : Evang. Verl.-Anst., 2003
  • David E. Mungello: Curious Land: Jesuit Accommodation and the Origins of Sinology, University of Hawai'i Press, 1989, ISBN 0824812190
  • Jonathan D. Spence: The Chan’s Great Continent, China in Western Minds, Norton & Co., 1998

Einzelnachweise

  1. Helmut Martin, Christiane Hammer (Hg.): „Chinawissenschaften. Deutschsprachige Entwicklungen. Geschichte. Personen. Perspektiven.“ (=Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg 303). Hamburg 1999, ISBN 3-88910-214-X
  2. Carsten A. Holz, „Wie Chinaexperten korrumpiert werden“, Merkur, Heft 7, Juli 2007; Original: „Have China Scholars All Been Bought?“, Far Eastern Economic Review, April 2007

Weblinks


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