- Soziokulturelles Existenzminimum
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Als Existenzminimum (auch: Notbedarf) bezeichnet man die Mittel, die zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse notwendig sind, um physisch zu überleben; dies sind vor allem Nahrung, Kleidung, Wohnung und eine medizinische Notfallversorgung.
Wie die Armutsdefinition ist die Definition des Existenzminimums immer kulturspezifisch und relativ.
Das soziokulturelle Existenzminimum garantiert über das physische Existenzminimum hinaus ein Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Inhaltsverzeichnis
Situation in den deutschsprachigen Ländern
Deutschland
In seinem Kernelement betrifft der Begriff "Existenzminimum" zunächst die physiologische Existenz des Bürgers. „Dieses Kernelement ist Gegenstand des originären verfassungsrechtlichen Leistungsanspruchs aus Art. 1 Abs. 1 GG.“[1]
Ein neuer Ansatz zu dieser aktueller werdenden Problematik ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Soziokulturelles Existenzminimum[2]
Aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 1, Absatz 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) in Verbindung mit dem Sozialstaatspostulat des Artikel 20 leitet sich in Deutschland die sozialstaatliche Praxis ab[3] [4], den Sozialhilfesatz als minimale Grundversorgung jedem Bedürftigen zu gewährleisten.
- Hauptartikel: Sozialhilfe (Deutschland)
- Siehe auch: Prozesskostenhilfe; Beratungshilfe
In der Praxis der deutschen Sozialversicherung gibt es den Begriff des soziokulturellen Existenzminimums. Es ist ein statistisch berechneter Wert, der für die Höhe der Regelsätze des Arbeitslosengeld II, der Grundsicherung und der Hilfe zum Lebensunterhalt entscheidend ist. Es entspricht den Ausgaben des ärmsten Fünftels der nach ihren Nettoeinkommen geordneten Einpersonenhaushalte, bereinigt um die Sozialhilfeempfänger. Soziokulturell bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nicht die Preise eines politisch gesetzten Warenkorbes berücksichtigt werden, sondern die durch Befragungen ermittelten tatsächlichen Ausgaben. An den statistisch ermittelten Werten werden (zum Teil: hohe) Abschläge vorgenommen, um zwischen Erwerbstätigen und Beziehern der Grundsicherungsleistung einen deutlichen Abstand zu schaffen (das sogenannte Lohnabstandsgebot[5]). Kritiker bemängeln, dass infolge von sachlich nicht gerechtfertigten Abschlägen das (real erforderliche) soziokulturelle Existenzminimum erheblich unterschritten wird.[6] [7] [8]
- Hauptartikel: Arbeitslosengeld II
Schuldrechtliches Existenzminimum
Das pfändungsfreie Existenzminimum [9] liegt ab dem 1. Juli 2005 gemäß § 850c ZPO bei einer Alleinstehenden Person bei 989,99 € netto, was ca. 1.400 € brutto monatlich bzw. jährlich brutto 16.800 € entspräche. Bei acht Stunden täglich ergibt das einen Stundenlohn von 8,10 € brutto. Nachtrag: Seit dem 1. Juli 2007 gemäß § 850c ZPO geändert, liegt es nun bei einer Alleinstehenden Person bei 930,00 € netto.
- Hauptartikel: Pfändungsfreigrenzen in Deutschland
- Siehe auch: Düsseldorfer Tabelle (Unterhaltsberechnung)
In der europäischen Sozialcharta ist das angemessene (Mindest-)Entgelt mit 68% des nationalen Durchschnittlohns taxiert, der in Deutschland nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bei 15,89 € brutto liegt und somit zu einem angemessenen Entgelt von 10,80 € brutto pro Stunde führt.
Nach dem SGB II ist der rechnerische Bedarf für eine vierköpfige Familie bei 1.105 €, zuzüglich der tatsächlichen angemessenen Unterkunftskosten z. B. von ca. 450 € = 1.555 € Gesamtbedarf. Wenn die beiden Kinder (483 €) nicht berücksichtigt werden, sind es immer noch 1.072 € netto bzw. ca. 1.370 € brutto (7,92 € pro Std.) für ein Ehepaar ohne Kinder.
Darstellung der im Jahr 2008 steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminima und der entsprechenden einkommensteuerlichen Freibeträge (in Euro)[2] Vgl. Seite 5, Übersicht 3 (PDF) Allein-
stehendeEhepaare Kinder Regelsatz (pro Jahr) 4.140 7.464 2.676 Kosten der Unterkunft
(pro Jahr)2.364 4.020 804 Heizkosten (pro Jahr) 636 792 168 sächliches
Existenzminimum7.140 12.276 3.648 steuerlicher
Freibetrag7.664*) 15.328 3.648*) *) Grundfreibetrag für Alleinstehende: vgl. Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29. Dezember 2003, BGBl. I S. 3076; Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes: vgl. Zweites Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001, BGBl. I S. 2074. Steuerrechtliches Existenzminimum
Das einkommensteuerliche Existenzminimum darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht geringer sein als das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum. Es ist für alle Steuerpflichtigen in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen (Grundfreibetrag).[10], [11], [12], [13][14]
Für das Berichtsjahr 2008 beziffert die Bundesregierung den sozialhilferechtlichen Mindestbedarf ("sächliches Existenzminimum") für einen Alleinstehenden auf insgesamt 7.140 Euro jährlich (basierend auf einem Regelsatz in Höhe von monatlich 345 Euro, vgl. Sechster Existenzminimumbericht).[2] Für Ehepaare beträgt das sächliche Existenzminimum 12.276 Euro. Für ein Kind wird das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum[15] [16] auf 3.648 Euro beziffert. Das einkommensteuerliche Existenzminimum (Grundfreibetrag) beläuft sich für Alleinstehende auf 7.664 Euro. Der Grundfreibetrag für Ehepaare beträgt 15.328 Euro. Der Kinderfreibetrag beträgt 3.648 Euro; hinzu kommt ein Freibetrag für den Betreuungs- und den Erziehungsbedarf in Höhe von 2.160 Euro, so dass sich die Freibeträge pro Kind auf insgesamt 5.808 Euro summieren.
Allerdings wird nicht berücksichtigt, dass die Kranken- und Pflegeversicherung ebenfalls zu den existenzsichernden Aufwendungen zählen.
- Hauptartikel: Grundfreibetrag
Existenzminimumbericht der Bundesregierung
Der Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern (kurz: Existenzminimumbericht) wird seit 1995 von der deutschen Bundesregierung zunächst alle drei, inzwischen alle zwei Jahre vorgelegt. Er legt die aktuelle Höhe des steuerbefreiten Existenzminimums fest. Daran orientiert sich auch das Kindergeld.
- Hauptartikel: Grundfreibetrag
Österreich
Eine andere Definition des Existenzminimums als in Deutschland ergibt sich aus der Existenzminimumverordnung der Republik Österreich, in der das nichtpfändbare Einkommen festgelegt wird. Eine Ausnahme bilden die Väter: Unterhaltsforderungen gegen Väter sind auch zulässig, wenn deren Existenzminimum um 25% unterschritten wird. (Beispiel: Existenzminimum-Verordnung 2002 - ExMinV 2002, Republik Österreich). Danach hängt das Existenzminimum vom eigenen Einkommen ab.
Schweiz
Zu unterscheiden sind in der Schweiz de lege lata das sozialhilferechtliche und das schuldbetreibungsrechtliche Existenzminimum.
Anspruch auf Sozialhilfe zur Abdeckung des Existenzminimums hat jeder Mensch in der Schweiz, solange er sich nicht illegal im Land aufhält.
Das Existenzminimum berechnet sich oftmals an den Mietkosten einer einfachen, zweckmäßigen Wohnung, den Krankenkassenprämien inklusive Selbstbehalt sowie rund CHF 1000 für einen Ein-Personen-Haushalt bzw. CHF 1500 für einen 2-Personen-Haushalt. Bei Menschen, die einer Arbeitstätigkeit nachgehen oder in Ausbildung sind, wird ein Zuschlag für berufsbedingte Auslagen gewährt. Einen Anhaltspunkt geben die unverbindlichen Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Die einzelnen Kantone und Gemeinden berechnen die Höhe des Existenzminimums unterschiedlich.
Wurde einer Person gemäß dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) der Lohn gepfändet, kommen bei der Berechnung des Existenzminimums die schuldbetreibungsrechtlichen Richtlinien zur Anwendung. Diese Richtlinien können kantonal unterschiedlich ausgestaltet sein.
Hilfsangebote diverser nichtstaatlicher Organisationen
Eine konkrete Hilfe für Menschen, die finanziell am Existenzminimum leben, können Projekte von diversen nichtstaatlichen Organisationen sein. Zum Beispiel karitative Einrichtungen wie Kleiderkammern oder Suppenküchen, aber auch Einrichtungen die grundsätzlich allen Menschen offenstehen, wie z. B. der so genannte Umsonstladen.
Zitat (Anfang des 20. Jahrhunderts)
- Das Existenzminimum aus ökonomischer Sicht (Alfred Marshall: Handbuch der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart/Berlin 1905, S. 115.)[17]
„Der zur Erhaltung der vollen Leistungsfähigkeit notwendige Existenzbedarf eines gewöhnlichen Landarbeiters oder ungelernten städtischen Tagelöhners und seiner Familie [...] besteht, so kann man sagen, aus einer guten Wohnung mit mehreren Zimmern, aus warmer Kleidung mit etwas Wechsel in Unterkleidern, frischem Wasser, reichlicher Getreidenahrung, mäßig viel Milch, Fleisch, ein wenig Tee etc. und aus etwas Bildung und Erholung; schließlich ist erforderlich, dass die Arbeit seiner Frau genug Zeit lässt, um ihr die ordentliche Erfüllung ihrer Pflichten als Mutter und Gattin zu ermöglichen. Wenn ungelernte Arbeiter in irgend einer Gegend eines dieser Dinge entbehren müssen, so wird ihre Leistungsfähigkeit in der selben Weise leiden, wie die eines Pferdes, das nicht sorgfältig gepflegt wird, oder einer Dampfmaschine, welche ungenügend gespeist wird. Jede Konsumtion bis zu dieser Grenze ist absolut produktive Konsumtion.“
Weblinks
- Einführung und vertiefende Informationen zum Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter
- Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe
- Kinder am Existenzminimum
- Menschenwürde und Existenzminimum, Prof. Dr. Volker Neumann (PDF-Datei; 95 KB)
- Das Recht auf Sicherung des Existenzminimums unter europäischem und innerstaatlichen Druck, PD Dr. J. Martinez (PDF-Datei)
Einzelnachweise
- ↑ (Wörtliches Zitat:) José Martínez Soria: Das Recht auf Sicherung des Existenzminimums unter europäischem und innerstaatlichen Druck, Göttinger Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 43, S. 15 (PDF), abgedruckt in JZ 2005, S. 644-652
- ↑ a b c Sechster Existenzminimumbericht: BT-Drucksache 16/3265; Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2008 (PDF-Datei, ca. 198 KB), 02. November 2006
- ↑ Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Prof. Dr. Volker Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, Seite 3 f. (PDF-Datei; 95 KB)
- ↑ Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 82, 60, 85 = Rdnr. 104 ff. in BVerfGE 82, 60 - Steuerfreies Existenzminimum (der sogenannte Kindergeld-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes)
- ↑ Vgl. dazu auch - Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 100, 271 - Lohnabstandsklausel (27.04.1999)
- ↑ Matthias Frommann: Warum nicht 627 Euro? Zur Bemessung des Regelsatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für das Jahr 2005 (PDF-Datei), abgedruckt in: NDV Juli 2004
- ↑ Rudolf Martens: "Neue Regelsatzberechnung 2006" (PDF-Datei); Der Paritätische Wohlfahrtsverband, 19. Mai 2006
- ↑ Speziell zu den Kosten für Haushaltsenerge - Helga Spindler: Notwendige Energiekosten müssen übernommen werden - Arme brauchen genug Energie, Neue Rheinische Zeitung, Online-Flyer Nr. 139 vom 26.03.2008
- ↑ Vgl. BT-Drucksache 14/6812 - Gesetzentwurf der Bundesregierung; Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, Seite 8 (PDF-Datei; ca. 1,8 MB)
- ↑ Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 82, 60, 85 = Rdnr. 104 ff sowie BVerfGE 82, 60, 94 = Rdnr. 128 ff. in BVerfGE 82, 60 - Steuerfreies Existenzminimum
- ↑ Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 99, 246 - Kinderexistenzminimum = Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. November 1998: BVerfG, 2 BvL 42/93 vom 10.11.1998
- ↑ Reiner Sans: Das Bundesverfassungsgericht als familienpolitischer Ausfallbürge, in: Das Online-Familienhandbuch, 18. Juni 2004
- ↑ Marie-Luise Hauch-Fleck: Rechnen, bis es passt / Die Bundesregierung manipuliert das Existenzminimum – zum Schaden aller Steuerzahler, DIE ZEIT (Nr. 01/2007), 28. Dezember 2006
- ↑ BVerfG, 2 BvL 1/06 vom 13.2.2008, Absatz-Nr. (1 - 147), http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20080213_2bvl000106.html
- ↑ Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 99, 273 - Kinderexistenzminimum III
- ↑ Vgl. dazu Rdnr. 91 ff. (= BVerfGE 99,216 <241>) in: Deutschsprachiges Fallrecht (DFR): BVerfGE 99, 216 - Familienlastenausgleich II = Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. November 1998: BVerfG, 2 BvR 1057/91 vom 10.11.1998
- ↑ Zitiert nach (Quelle): Seite 48 (bzw. Seite 2 von 11 der PDF-Datei), Fußnote 3 in: Zehn Jahre Existenzminimumbericht - eine Bilanz, Monatsbericht des BMF, Oktober 2005 (PDF-Datei, ca. 184 kB)
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