Stellvertreter des Bundeskanzlers

Stellvertreter des Bundeskanzlers

Der Begriff des deutschen Vizekanzlers bezeichnet einerseits den Stellvertreter des Reichskanzlers während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik, andererseits den Stellvertreter des Bundeskanzlers in der Bundesrepublik Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Vizekanzler des Deutschen Kaiserreichs

Mit dem Stellvertretungsgesetz vom 17. März 1878 wurde der Reichskanzler ermächtigt, die Einsetzung eines Stellvertreters, der ihn im Falle einer Verhinderung vertritt bzw. seine Aufgaben wahrnimmt, beim Kaiser zu beantragen. Neben einem allgemeinen Stellvertreter, der für den gesamten Umfang der Geschäfte des Reichskanzlers ernannt wurde, konnten auch für einzelne Amtszweige, die der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reiches unterstehen, die Vorstände der obersten Reichsbehörden als Vertreter des Kanzlers im ganzen Umfang oder in einzelnen Teilen ihres Geschäftskreises berufen werden. Die Rechte des Reichskanzlers blieben jedoch unangetastet, er konnte auch während einer Stellvertretung alle Amtshandlungen selbst vornehmen. Durch ein Änderungsgesetz vom 28. Oktober 1918 wurde das Stellvertretergesetz an die neuen politischen Gegebenheiten angepasst, u. a. wurde dem Vizekanzler jederzeit Gehör im Reichstag zugesichert und die Vertretung für einzelne Amtszweige gestrichen.

allgemeine Stellvertreter des Reichskanzlers
Name Amtsantritt Ende der Amtszeit
Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode 1878 1881
Karl Heinrich von Boetticher 1881 1897
Arthur Graf von Posadowsky-Wehner 1897 1907
Theobald von Bethmann Hollweg 1907 1909
Clemens von Delbrück 1909 1916
Karl Helfferich 1916 1917
Friedrich von Payer 1917 1918

In der Regel oblag die allgemeine Vertretung des Reichskanzlers dem Staatssekretär des Reichsamtes des Innern, lediglich Stolberg-Wernigerode, Helfferich und von Payer bildeten hier eine Ausnahme. Gleichzeitig war die Hälfte der Vizekanzler auch Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums.

Vizekanzler der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik war der Stellvertreter des Reichskanzlers meist der Reichsinnen- oder der Reichsjustizminister. In der Weimarer Verfassung wird er nicht erwähnt.

allgemeine Stellvertreter des Reichskanzlers
Name Amtsantritt Ende der Amtszeit Partei
Eugen Schiffer (1860–1954) 13. Februar 1919 19. April 1919 DDP
Bernhard Dernburg (1865–1937) 30. April 1919 20. Juni 1919 DDP
Matthias Erzberger (1875–1921) 21. Juni 1919 3. Oktober 1919 Zentrum
Eugen Schiffer (1860–1954) 3. Oktober 1919 27. März 1920 DDP
Erich Koch-Weser (1875–1944) 27. März 1920 21. Juni 1920 DDP
Rudolf Heinze (1865–1928) 25. Juni 1920 4. Mai 1921 DVP
Gustav Bauer (1870–1944) 10. Mai 1921 14. November 1922 SPD
Robert Schmidt (1864–1943) 13. August 1923 3. November 1923 SPD
Karl Jarres (1874–1951) 30. November 1923 15. Dezember 1924 DVP
Oskar Hergt (1869–1967) 28. Januar 1927 12. Juni 1928 DNVP
Hermann Dietrich (1879–1954) 30. März 1930 30. Mai 1932 DStP
Franz von Papen (1879–1969) 30. Januar 1933 1. Juli 1934 parteilos

Nach dem Rücktritt Papens blieb das Vizekanzleramt während der Zeit des Nationalsozialismus unbesetzt.

Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland

Vertretungsbefugnis

Der Vizekanzler, offiziell als Stellvertreter des Bundeskanzlers bezeichnet, hat nach Art. 69 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Aufgabe, die Befugnisse des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland für den Fall seiner Verhinderung wahrzunehmen. Er rekrutiert sich aus dem Kreis der Bundesminister und wird vom Bundeskanzler ernannt, an dessen Weisungen er gebunden ist. Die Vertretungsvollmacht des Vizekanzlers erstreckt sich grundsätzlich auf alle Aufgaben bzw. Rechte des Kanzlers. Umstritten ist jedoch, ob dies auch für die Vertrauensfrage gilt.[1]

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es bisher nur einen Fall, bei dem der Vizekanzler kommissarisch das Amt des Bundeskanzlers ausübte: Walter Scheel war vom 7. bis zum 16. Mai 1974 amtierender Bundeskanzler, nachdem Willy Brandt zurückgetreten war und den Bundespräsidenten gebeten hatte, ihn von der Weiterführung seiner Aufgaben nach Art. 69 Abs. 2 GG sofort zu entbinden. Diese Regelung war nahe liegend, aber nicht zwangsläufig: Gemäß Art. 69 Abs. 3 GG kann jeder Bundesminister „auf Ersuchen des Bundeskanzlers oder des Bundespräsidenten“ verpflichtet werden, die Geschäfte bis zur Ernennung eines neuen Bundeskanzlers kommissarisch weiterzuführen. Dies gilt sowohl nach Rücktritt oder Tod des Bundeskanzlers als auch nach Neuwahl des Bundestages.

Mit kurzen Unterbrechungen (1982, 1992–1993, 2005–2007) ist seit 1966 stets der Bundesaußenminister auch Vizekanzler. Dies hat den diplomatischen Vorteil, dass der deutsche Bundesaußenminister als stellvertretender Regierungschef in der Regel das höchstrangige Mitglied auf Außenministerkonferenzen war. Da Deutschland aufgrund der Sondersituation der beschränkten Souveränität und staatlichen Teilung in zahlreiche internationale Organisationen vergleichsweise spät eintrat, konnte dadurch der deutsche Vertreter in der Rangliste mit den Vertretern der Gründungsstaaten der jeweiligen Organisation gleichziehen. Ein Nachteil der Verbindung ist, dass der Bundesaußenminister derjenige Minister ist, der am wahrscheinlichsten auf einer Auslandsreise ist, wenn das Bundeskabinett tagt. Praktisch aber muss sich ein Bundeskanzler eher selten vertreten lassen.

Meist zweitstärkste Regierungspartei

Da in einer Koalition meist die zweitstärkste Regierungspartei den Vizekanzler stellt (die stärkste stellt den Bundeskanzler), wird dieses Amt nur selten von einem Mitglied von CDU/CSU oder SPD besetzt. Von dieser Regel gab es bisher nur sechs Ausnahmen, von denen zwei zudem nur für einen kurzen Zeitraum galten: Nach der Bundestagswahl 1957, bei der die Unionsparteien die absolute Mehrheit errangen, stellte die CDU mit Konrad Adenauer und Ludwig Erhard sowohl den Kanzler als auch dessen Stellvertreter. Im November 1966 amtierte der CDU-Politiker Hans-Christoph Seebohm kurzzeitig als Vizekanzler. Mit Willy Brandt (1966 bis 1969), Franz Müntefering (2005 bis 2007) und Frank-Walter Steinmeier (seit 2007) wurden dreimal Sozialdemokraten zum regulären Vizekanzler ernannt, jeweils im Rahmen einer Großen Koalition unter Führung eines CDU-Bundeskanzlers. Der Sozialdemokrat Egon Franke war 1982 für zwei Wochen Stellvertreter des SPD-Bundeskanzlers Helmut Schmidt, nachdem die FDP-Minister von ihren Ämtern zurückgetreten waren, womit auch das Amt des Vizekanzlers vakant geworden war, das bis dahin der Liberale Hans-Dietrich Genscher inne hatte.

Liste der Vizekanzler seit 1949

Stellvertreter des Bundeskanzlers
# Name Amtsantritt Ende der Amtszeit Partei Ministeramt
1 Franz Blücher (1896–1959) 20. September 1949 29. Oktober 1957 FDP/FVP Marshallplan
2 Ludwig Erhard (1897–1977) 29. Oktober 1957 16. Oktober 1963 CDU Wirtschaft
3 Erich Mende (1916–1998) 17. Oktober 1963 28. Oktober 1966 FDP gesamtdeutsche Fragen
4 Hans-Christoph Seebohm
(1903–1967)
8. November 1966 30. November 1966 CDU Verkehr
5 Willy Brandt (1913–1992) 1. Dezember 1966 20. Oktober 1969 SPD Auswärtiges Amt
6 Walter Scheel (*1919) 21. Oktober 1969 16. Mai 1974 FDP Auswärtiges Amt
7 Hans-Dietrich Genscher (*1927) 17. Mai 1974 17. September 1982 FDP Auswärtiges Amt
8 Egon Franke (1913–1995) 17. September 1982 1. Oktober 1982 SPD innerdeutsche Beziehungen
9 Hans-Dietrich Genscher (*1927) 1. Oktober 1982 17. Mai 1992 FDP Auswärtiges Amt
10 Jürgen Möllemann (1945–2003) 18. Mai 1992 21. Januar 1993 FDP Wirtschaft
11 Klaus Kinkel (*1936) 21. Januar 1993 26. Oktober 1998 FDP Auswärtiges Amt
12 Joschka Fischer (*1948) 27. Oktober 1998 22. November 2005 GRÜNE Auswärtiges Amt
13 Franz Müntefering (*1940) 22. November 2005 21. November 2007 SPD Arbeit und Soziales
14 Frank-Walter Steinmeier (*1956) 21. November 2007 dato SPD Auswärtiges Amt

Einzelnachweis

  1. Hans D. Jarass, Bodo Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar. 8. Auflage. 2006, ISBN 3-406-54180-1 (Art. 69 Rn. 1). 

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