Stressreaktion

Stressreaktion

Stressreaktion ist die körperliche und seelische Reaktion auf die Einwirkung von Stressoren, welche das innere Gleichgewicht (Homöostase) verletzen. Zu unterscheiden sind die Reaktionen auf akute und andauernde Belastungen. Zugehörige Begriffe sind „Hyperarousal“ und „akute Stressreaktion“.

Die Stressreaktion ist eine durch die Evolution geformte, sehr schnelle Anpassungsmöglichkeit des Körpers an auftretende Gefahrensituationen, mit dem Ziel, das Überleben zu sichern. Es wird Energie bereitgestellt, um eine Reaktion zu ermöglichen, die der Situation angemessen ist: Angriff, Flucht oder Erstarrung, welche sich im Rahmen der Evolution als überlebenssichernd bewährt haben. Als weitere Wirkung wird die Aufmerksamkeit auf die Gefahrensituation fokussiert und andere energieverbrauchende Körperprozesse unterdrückt, da sie in der akuten Situation unnötig oder behindernd sind.

Die erste wissenschaftliche Erforschung der Stressreaktion ist die 1915 von Walter Cannon beschriebene „Fight-or-flight“-Antwort.[1][2]

Der Mediziner Hans Selye schuf als Modell der menschlichen Reaktion auf chronische Belastungen das „Allgemeine Anpassungssyndrom“ (1936).[3]

Fliehen oder kämpfen ist für Schwangere und Mütter von Kleinkindern evolutionär wenig sinnvoll, und Cannon hatte für seine Forschung auch hauptsächlich männliche Ratten verwendet. Als weitere Reaktionsmöglichkeit auf chronischen Stress fanden Shelley Taylor und Kolleginnen (2000) die „Tend and befriend-Reaktion“, die aus der Sorge um den Nachwuchs (tend= sich kümmern) und der Schaffung eines sozialen Netzwerkes (befriend= sich anfreunden) besteht. Sie ist bei Frauen etwas häufiger anzutreffen als bei Männern.[4]

Neueren Forschungsergebnissen zufolge kann man nicht von einer einheitlichen Stressreaktion sprechen, da Art und Mechanismen der Reaktion auf psychischen Stress sich je nach Art des Stressors und der dadurch ausgelösten Emotion unterscheiden.[5] Insbesondere zeigte sich in einer Studie, dass Überraschung und Schock mit einer erhöhten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und zugleich eines verringerten Prolaktinspiegels einhergingen, Wut und Demütigung hingegen mit einer erhöhten Ausschüttung von Prolaktin und verringertem Cortisol.[6][5] Tendenziell geht eine Erhöhung des Prolaktinspiegels mit passivem Coping einher, eine Verringerung mit aktivem Coping.[7]

Ist die Stressreaktion vorübergehend und nicht sehr intensiv, spricht man von Resilienz.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines Anpassungssyndrom

Hauptartikel: Allgemeines Anpassungssyndrom

Die körperliche Reaktion auf anhaltende Belastung wird nach Hans Selye, einem „Vater der Stressforschung“, in drei Phasen unterteilt.

1. Phase: Schockphase

Die erste Phase heißt Schockphase und folgt auf die akute Einwirkung des Stressors. An körperlichen Veränderungen machen sich arterieller Blutunterdruck (Hypotonus), Körpertemperaturabsenkung, Unterzuckerung des Blutes (Hypoglykämie), verminderte Harnabsonderung, Verringerung der Elektrolyte Chlorid, Natrium und Kalium im Blut, sowie eine Vermehrung der Lymphozyten bemerkbar.

2. Phase: Widerstandsphase

Diese Phase wird abgelöst durch die Widerstandsphase, Hierbei folgt, vermittelt durch das sympathische Nervensystem, eine rasche Ausschüttung des Hormons Adrenalin. Adrenalin setzt Glucose und freie Fettsäuren aus den Energiespeichern der Leber, der Muskulatur und des Fettgewebes frei. Es kommt zu einer Stimulation der Herztätigkeit und der Atmung. Der Blutdruck erhöht sich. Zudem werden andere stressabhängige Hormone, wie Cortisol und Wachstumshormone freigesetzt. Sie bewirken eine Stabilisierung der stressinduzierten Stoffwechselvorgänge, insbesondere bei chronischem Stress.

3. Phase: Erschöpfungsphase

Wirken die Stressoren unvermindert stark ein, kommt es irgendwann zur Erschöpfungsphase, die im schlimmsten Fall mit dauerhaften Schädigungen, Zusammenbruch des Organismus und Tod enden kann.

Physiologie zur Phase 2

Leistungssteigerung der Muskeln

Hierzu werden die Skelettmuskeln vermehrt mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, die für die Bereitstellung von Energie in Form von ATP durch die Oxidation von Glukose und Fett benötigt werden.

Eine Steigerung der Durchblutung der Muskeln erfolgt durch Steigerung des Blutdrucks, der Umlaufgeschwindigkeit des Blutes und durch Erweiterung der Blutgefäße der Muskeln.

Die Steigerung des Blutdruckes erfolgt durch Erhöhung der Schlagfrequenz und des Schlagvolumens des Herzens und durch Verengung der herznahen Blutgefäße.

Der vermehrte Sauerstoffbedarf wird durch Verstärkung der Atmung (Ventilation) und durch Ausschwemmen roter Blutkörperchen aus den blutbildenden Geweben gedeckt.

Der erhöhte Nährstoffbedarf wird durch Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe und von Glukose aus dem Glykogenvorrat der Muskeln und der Leber gedeckt.

Hemmung der Ruheorgane

Die Darmmuskulatur wird entspannt, die Verdauung gehemmt. Lymphatische Organe wie Thymusdrüse, Milz und Lymphknoten vermindern die Antikörperproduktion. Entzündungen in den Geweben werden gehemmt.

Weitere Reaktionen

  • Die allgemeine Erhöhung des Grundumsatzes führt zu einer Erhöhung der Körperkerntemperatur. Dadurch verlaufen die notwendigen chemischen Reaktionen schneller. Andererseits muss einer Überhitzung durch vermehrte Produktion von Schweiß entgegen gewirkt werden.
  • Erweiterung der Pupillen
  • Die Niere hält Wasser zurück
  • Die Kontraktion der Haarbalgmuskeln führt zur Aufrichtung der Haare („Gänsehaut“)

Steuerung der Stressreaktion

Über den Sympathikus: Über die Sinnesorgane gelangen Informationen über Stressoren in das Großhirn und ins limbische System. Hier findet die Bewertung der Situation als Stress-Situation statt. Signale an den Hypothalamus lösen Nervenimpulse an den Sympathikus aus.

Die Aktivität des Sympathikus verändert die Aktivität der Organe:

a) Aktivitätsorgane

b) Ruhorgane

Gleichzeitig aktiviert der Sympathikus das Nebennierenmark, welches Adrenalin ausschüttet.

Mit Hilfe von Adrenalin und Noradrenalin: Das Adrenalin und Noradrenalin verstärken die Wirkung des Sympathikus:

  • Steigerung der Leistung des Herzens durch Erhöhung der Kontraktionsfähigkeit;
  • Förderung des Glykogenabbau in Muskeln und Leber;
  • Mobilisierung der Fettsäuren des Fettgewebes;
  • Erweiterung der Blutgefäße in den Skelettmuskeln;
  • Verengung der Blutgefäße der Eingeweide;
  • Unterdrückung der Insulinausschüttung.

Über die Hypothalamus – Hypophysen-Achsen: Der Hypothalamus aktiviert einerseits den Sympathikus, andererseits ist er Ausgangspunkt einer Kaskade von Hormonen, die die Stress-Reaktion verstärken und erweitern: Die vom Hypothalamus ausgeschütteten Hormone werden als releasing hormons (Liberine) bezeichnet, da sie in der nachgeschalteten Hypophyse die Freisetzung entsprechender Hormone, der Tropine, bewirken. Diese Hormone wirken wieder auf weitere Hormondrüsen, die ihrerseits Hormone ausschütten. Diese Hormone wirken auf ihre Zielorgane ein, gleichzeitig hemmen sie Hypophyse und Hypothalamus. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass eine Stress-Reaktion bei fehlenden Stressoren auch wieder abgeschaltet werden kann.

Steigerung des Grundumsatzes: Hormonkaskade der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse:
Hypothalamus → TRF → Hypophyse → TTH → Schilddrüse → Thyroxin

TRH = Tyreotropin releasing hormon (früher statt Hormon: Faktor)
TTH = Tyreotropes Hormon (oder TSH = Tyrea stimulating hormon)

Das Thyroxin fördert langfristig (Halbwertszeit 6 Tage) den oxidativen Stoffwechsel, erhöht die Körpertemperatur und stimuliert den Sympathikus.

Hemmung des Immunsystems: Hormonkaskade der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse:
Hypothalamus → CRF → Hypophyse → ACTHNebennierenrindeCortisol

CRF = Corticotropin releasing factor
ACTH = Adreneocorticotropes Hormon

Cortisol hemmt das Immunsystem, unterdrückt Entzündungen, aktiviert den Glykogenabbau in den Muskeln, die Neubildung von Glukose in der Leber und hemmt die Ausschüttung der Hormone von Hypothalamus und Hypophyse.

Schmerzunterdrückung: Die Hypophyse produziert auch Endorphine, die die Schmerzempfindung dämpfen und die Körpertemperatur steigern.

Einzelnachweise

  1. Walter B. Cannon: Wut, Hunger, Angst und Schmerz: Eine Physiologie der Emotionen, aus d. Engl. übers. von Helmut Junker. Hrsg. von Thure von Uexküll. München, Berlin, Wien: Urban und Schwarzenberg 1975 (Erste engl. Ausgabe 1915)
  2. W. B. Cannon Bodily Changes in Pain, Hunger, Fear and Rage: An Account of Recent Researches into the Function of Emotional Excitement, Appleton, New York, 1915 harvardsquarelibrary
  3. Hans Selye Stress. Lebensregeln vom Entdecker des Stress-Syndroms. Rowohlt TB-V., Rnb. (Mai 1986) ISBN 978-3499170720 (u. div. a. Bücher von H.Selye)
  4. E. Aronson, T. D. Wilson, R. M. Akert: Sozialpsychologie. Pearson Studium. 6. Auflage 2008. ISBN 978-3-8273-7359-5, S. 504
  5. a b L. G. Sobrinho u.a.: Cortisol, prolactin, growth hormone and neurovegetative responses to emotions elicited during an hypnoidal state, Psychoneuroendocrinology, Januar 2003, 28(1):1-17. PMID 12445833
  6. L. G. Sobrinho: Prolactin, psychological stress and environment in humans: adaptation and maladaptation, Pituitary, 2003, 6(1):35-9, PMID 14674722
  7. T. Theorell: Prolactin – a hormone that mirrors passiveness in crisis situations, Integr Physiol Behav Sci. 1992 Jan-Mar;27(1):32-8. PMID 1576086

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