Virgo-Galaxienhaufen

Virgo-Galaxienhaufen
Karte des Sternbilds Jungfrau mit dem Virgo-Galaxienhaufen

Der Virgo-Galaxienhaufen ist ein großer Galaxienhaufen mit mindestens 1300, vermutlich aber über 2000 Galaxien, dessen Zentrum sich in einer Entfernung von etwa 65 Millionen Lichtjahren von der Erde befindet.

Der Haufen bildet ferner das Zentrum des lokalen Superhaufens, der daher auch Virgo-Superhaufen genannt wird. Die Lokale Gruppe, der Galaxienhaufen, dem unsere Milchstraße angehört, ist Teil dieses Superhaufens.

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Galaxien im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens mit Namen und scheinbaren Helligkeiten.
Die beiden größten Objekte auf diesem Bild sind die elliptischen Galaxien M84 und M86.

Das erste Mitglied des Virgo-Galaxienhaufen wurde im Februar 1771 von Charles Messier entdeckt.[1] Heute ist bekannt, dass es sich bei dem nebligen Wölkchen, das Messier damals katalogisierte, um Verwechslungen mit Kometen zuvorzukommen, tatsächlich um die elliptische Riesengalaxie Messier 49 handelte. Später trug Messier weitere helle Mitgliedsgalaxien, die in den Jahren 1779 bis 1781 zum Teil von seinem Freund Pierre Méchain entdeckt worden waren, (darunter die Riesengalaxie Messier 87, die auch als Virgo A bekannt ist) in seinen Katalog ein.

Messier trug in seinen Katalog insgesamt 16 Galaxien ein, die heute als Mitglieder des Virgohaufens identifiziert sind: M49, M58, M59, M60, M61, M84, M85, M86, M87, M88, M89, M90, M91, M98, M99, und M100. Der März des Jahres 1781 kann daher als der Zeitpunkt der Entdeckung des Galaxienhaufens angegeben werden, denn Messier selbst trug in seinen Notizen hinter dem Eintrag für M91 die folgenden Sätze ein (übersetzt nach Kenneth Glyn Jones): [2]

„Das Sternbild Jungfrau und speziell sein nördlicher Teil ist eines der Sternbilder, das die meisten Nebel beinhaltet. Der Katalog beinhaltet 13, die bestimmt wurden, nämlich die Nummern 49, 58, 59, 60, 61, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90 und 91. All diese Nebel scheinen keine Sterne zu beinhalten und können bei gutem Wetter und während des Meridiandurchgangs gesehen werden. Auf die meisten dieser Nebel wurde ich von Herrn Méchain aufmerksam gemacht.“

Messier hat also schon damals erkannt, dass diese Nebel eine Gruppe bilden und dass es sich nicht um Sternhaufen handelt. Die Natur der Galaxien als Sternensysteme außerhalb unserer Milchstraße konnte er, fast 150 Jahre vor der ersten Beobachtung von Einzelsternen im Andromedanebel, natürlich nicht erkennen.

Die helle Sombrerogalaxie M104, die dieser Gruppe durch ihre Lage am Himmel scheinbar angehört, ist allerdings kein Mitglied des Haufens, da sie uns näher ist als die anderen Mitgliedsgalaxien des Haufens.

Ausdehnung, Abstand und Morphologie

Am Himmel erstreckt sich der Galaxienhaufen über ein Gebiet von etwa 8 Grad in den Sternbildern Jungfrau und Haar der Berenike. Durch das Hubble Space Telescope gelang es im Jahre 1994 erstmals Cepheiden in Mitgliedern des Virgohaufens aufzulösen. Mittels der Perioden-Helligkeits-Beziehung dieser Sterne gelang damit eine genaue Abstandsmessung von 65 Millionen Lichtjahren, so dass daraus ein ungefährer Durchmesser der Gruppe von etwa 9 Millionen Lichtjahren errechnet werden kann.[3] Wie alle Galaxienhaufen ist der Virgo-Haufen aber nicht als abgeschlossenes System mit einer klar definierten Grenze zu verstehen. Die Ausläufer des Haufens gehen vielmehr nahtlos in die Großstruktur des Superhaufens über, und die hier angegebene Ausdehnung bezieht sich daher nur auf den Bereich der helleren Galaxien.

Der Haufen besteht aus einer durchschnittlichen Mischung von Spiralgalaxien und elliptischen Galaxien. Die Spiralgalaxien verteilen sich allerdings über ein zigarrenfömiges (prolates) Ellipsoid, das etwa viermal so lang wie breit ist [4] und vermeiden das Zentrum des Haufens. Dies ist eine typische Erscheinung in stark bevölkerten Galaxienhaufen, da die Spiralstruktur im dichten Zentrum des Haufens durch starke Gezeitenkräfte zerstört wird.

Die elliptischen Galaxien verteilen sich dagegen symmetrischer und verdichten sich zum Zentrum des Haufens stark. Der zentrale Bereich beinhaltet die drei elliptischen Riesengalaxien M49, M60 und M87. Die größte dieser drei Galaxien, M87, ist etwa 10 mal so groß wie die anderen beiden und hat eine Masse von etwa 6 Billionen Sonnenmassen innerhalb eines Radius von 50 kpc.[5]

Die Verteilung aller bekannten Galaxien des Haufens des zentralen Bereichs weisen kein eindeutig definiertes Zentrum auf. Die drei Riesengalaxien bilden vielmehr die Mittelpunkte von Untergruppen: Haufen A um M87 im geometrischen Zentrum des Haufens ist die mit Abstand größte dieser Gruppen mit etwa 100 Billionen Sonnenmassen [3], bzw. die gut 300fache Masse unserer Milchstraße, Haufen B um M49 im Süden bildet ein auffälliges Unterzentrum und Haufen C um M60 ist schließlich eine vergleichsweise kleine Gruppe im Osten von Haufen A. Die große Untergruppe Haufen A zerfällt dabei wiederum auffällig in zwei Teile: die Hauptgruppe um den Riesen M87 und eine kleinere Gruppe um M84 und M86, die mit einigen anderen hellen Galaxien eine lineare Struktur bilden, die nach ihrem Entdecker Markarjan’sche Kette genannt wird (der Anfang die Markarjan'schen Kette mit M84, M86 und dem Paar NGC 4435 und NGC 4438 ist im obigen Bild zu sehen). Neben den drei großen Untergruppen bilden die weiter außen liegenden Spiralgalaxien mit ihren Begleitern physikalische Unterstrukturen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Spiralgalaxie M100 weit nördlich des Zentrums.

Die Gesamtmasse des Galaxienhaufens kann mit dem so genannten Virialsatz der Himmelsmechanik und modernen Erweiterungen dieses Satzes aus den Pekuliargeschwindigkeiten, d.h. aus den Abweichungen der Einzelgeschwindigkeiten der Mitglieder gegenüber dem Schwerpunkt, berechnet werden. Da diese Pekuliargeschwindigkeiten z.T. sehr hoch sind (bis zu 1,600 km/s im Falle der Galaxie IC 3258) erhält man so einen Wert für die Gesamtmasse, der mit etwa 1,2 Billiarden Sonnenmassen[6] deutlich über dem Wert liegt, den man aus einer Zählung und Gewichtung der Galaxien nach Leuchtkraft erwarten würde. Dieser Effekt gilt als einer der ältesten Hinweise auf die Existenz so genannter dunkler Materie.

Wie bereits erwähnt bilden Galaxienhaufen keine echten abgeschlossenen Untersysteme. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich z.B. die zigarrenförmige Struktur der Spiralgalaxien des Virgo-Haufens noch weiter ausdehnt und eventuell sogar in Ausläufern bis in den Coma-Galaxienhaufen, Zentrum des benachbarten Superhaufens, reicht. Filamentartige Ausläufer derselben Struktur scheinen sich auch bis in den Bereich der Coma-Sculptor-Wolke zu ziehen, die unsere Lokale Gruppe beinhaltet.[3]

Virgo Infall

Der enorme Massereichtum des Virgo-Haufens führt zu einer gravitativen Anziehung der restlichen Galaxien des lokalen Superhaufens. Die Tatsache, dass unsere Lokale Gruppe Teil des Virgo-Superhaufens ist, führt dazu, dass die gravitative Anziehung des Virgo-Haufens sich mit dem allgemeinen kosmologischen Hubblefluss überlagert. Die kosmologische Rotverschiebung der Galaxien des Virgohaufens ist daher mit etwa 1000 km/s deutlich geringer, als man es bei der gegebenen Entfernung erwarten würde.[3][7][8] Mit einem modernen Wert für die Hubble-Konstante H0=73 km/s/Mpc wären etwa 1400 km/s zu erwarten – dieser Wert wird z.B. vom mit etwa 60 Mio. Lichtjahr fast gleichweit entfernten masseärmeren Fornax-Galaxienhaufen ziemlich genau erreicht. Die Differenzgeschwindigkeit zwischen dem Hubblefluss und der tatsächlichen Geschwindigkeit der Lokalen Gruppe entspricht einer relativen Bewegung auf den Virgo-Haufen zu und trägt die englische Bezeichnung Virgo Infall.

Dem Virgo Infall überlagert ist die Bewegung des Virgo-Haufens als Zentrum des lokalen Superhaufens selbst. Der Virgo-Haufen bewegt sich auf den Hydra-Centaurus-Superhaufen und der Gesamtkomplex aller benachbarten Superhaufen wird schließlich in Richtung des Großen Attraktors gezogen, dessen Zentrum der Norma-Galaxienhaufen bildet. Die Geschwindigkeitsvektoren all dieser Bewegungen addieren sich zu einer Gesamtgeschwindigkeit der Lokalen Gruppe von etwa 600 km/s in eine Richtung zwischen Virgo-Haufen und Großem Attraktor.[8]

Galaxien im Virgohaufen

Es gibt etwa 30 Galaxien im Virgohaufen, die heller als die 10,5. Größenklasse sind:[2]

Galaxie Typ Mag
NGC 4192 = M98 SbI-II 10m,13
NGC 4216 SbII 9m,98
NGC 4254 = M99 ScI 9m,84
NGC 4303 = M61 ScI 9m,67
NGC 4321 = M100 ScI 9m,37
NGC 4365 E2 10m,5
NGC 4374 = M84 S0 9m,27
NGC 4382 = M85 S0 9m,22
NGC 4406 = M86 S0 9m,18
NGC 4429 S0 10m,16
NGC 4438 SBa 10m,08
NGC 4442 E5p 10m,48
NGC 4450 Sb 10m,12
NGC 4459 E2 10m,40
NGC 4472 = M49 E4 8m,37
Galaxie Typ Mag
NGC 4473 E4 10m,22
NGC 4477 S(B)a 10m,42
NGC 4486 = M87 E1 8m,62
NGC 4501 = M88 Sb+I 9m,52
NGC 4526 E7 9m,64
NGC 4535 S(B)c 9m,82
NGC 4548 = M91(?) SBb 10m,19
NGC 4552 = M89 E0 9m,81
NGC 4569 = M90 Sb+ 9m,48
NGC 4579 = M58 Sb 9m,78
NGC 4596 SBa 10m,48
NGC 4621 = M59 E3 9m,79
NGC 4654 = IC3708 ScII 10m,46
NGC 4649 = M60 E1 8m,83
NGC 4762 SB0 10m,22

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Französisches Original des Messier-Kataloges bei SEDS http://messier.seds.org/xtra/Mcat/mcat1781.html
  2. a b Virgo-Haufen bei SEDS
  3. a b c d THE VIRGO CLUSTER - HOME OF M87. Arbeiten zum Virgo -Haufen von B. Bingli. Abgerufen am 14. Oktober 2007.
  4. M. Fukugita, S. Okamura, N. Yasuda: Spatial distribution of spiral galaxies in the Virgo Cluster from the Tully-Fisher relation. In: ApJ. 309, 1993, S. L39.
  5. David Merritt: The distribution of dark matter in the halo of M87. In: The Astronomical Journal. 106, Nr. 6, Dezember 1993, S. 2229–2242. Bibcode: 1993AJ....106.2229M. doi:10.1086/116796.
  6. Fouqué, P.; Solanes, J. M.; Sanchis, T.; Balkowski, C.: Structure, mass and distance of the Virgo cluster from a Tolman-Bondi model. In: Astronomy and Astrophysics. 375, Nr. 3, 2001, S. 770–780. Bibcode: 2001A&A...375..770F. doi:10.1051/0004-6361:20010833. arXiv:astro-ph/0106261.
  7. NASA/IPAC Extragalactic Database. Results for Virgo Cluster. Abgerufen am 14. Oktober 2007.
  8. a b F. Combes et al.: Galaxies and Cosmology, Springer A&A Library (1995), Kapitel 11.6: Large Scale Motions. Virgo Infall

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