Wényánwén

Wényánwén
Klassisches Chinesisch

Gesprochen in

ehemals China
Sprecher (ausgestorben)
Linguistische
Klassifikation
Sprachcodes
ISO 639-1:

-

ISO 639-2: (B) - (T) -
SIL:

-

Das klassische Chinesisch (chin. 文言文, Wényánwén „Literatursprache“) im engeren Sinne bezeichnet die geschriebene und wohl auch gesprochene Sprache Chinas während der Zeit der Streitenden Reiche (5.–3. Jahrhundert v. Chr.). Im weiteren Sinne umfasst dieser Begriff auch die bis ins 20. Jahrhundert benutzte chinesische Schriftsprache.

Das klassische Chinesisch gilt als Vorläufer aller modernen sinitischen Sprachen und bildet die letzte Phase des Altchinesischen. In der geschriebenen Sprache löste es im 5. Jahrhundert v. Chr. das präklassische Altchinesisch ab. Seit der Qin-Dynastie wurde das klassische Chinesisch allmählich zu einer toten Sprache, die als literarische Sprache jedoch bis in die Neuzeit Bestand hatte.

Inhaltsverzeichnis

Überlieferung

Das klassische Chinesisch ist durch zahllose Texte überliefert. Neben Inschriften aus allen Zeiten seit der Spätzeit der Östlichen Zhou-Dynastie (770-221 v. Chr.) sind vor allem eine große Anzahl literarischer Texte zu nennen, deren Bedeutung für die chinesische Kultur nicht überschätzt werden kann. Von besonderer, kanonischer Bedeutung sind die konfuzianistischen Vier Bücher; auch Schriften anderer philosophischer Richtung wie die Schriften des Mozi sowie das Daodejing entstanden in der klassischen Phase. Ebenfalls zu nennen sind historische Texte, darunter das Zuozhuan sowie sonstige literarische Werke, beispielsweise die „Kunst des Krieges“ des Sunzi. Alle diese Werke beeinflussten die chinesische Literatur späterer Zeiten sehr stark, was die Konservierung des klassischen Chinesisch als Literatursprache begründet.

Geschichte und Verwendung

Das klassische Chinesisch beruht auf der gesprochenen Sprache der Endphase der Zhou-Dynastie, der Spätphase des Altchinesischen. Nach der Zeit der Qin-Dynastie entfernte sich das gesprochene Chinesisch zunehmend vom klassischen Chinesisch, das − auch aufgrund der in ihm verfassten Literatur mit ihrer immensen Bedeutung für die konfuzianische Staatsdoktrin späterer Zeiten − kanonische Bedeutung erhielt und bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts als Schriftsprache in der Literatur und in amtlichen Dokumenten Verwendung fand. Zwar zeigen jüngere Texte in klassischem Chinesisch Einflüsse der entsprechenden gesprochenen Sprache, insgesamt zeigen jedoch alle diese Texte gemeinsame Merkmale, die sie deutlich von jüngeren Formen des Chinesischen abgrenzen.

Seit dem 20. Jahrhundert wird als Schriftsprache vor allem modernes Hochchinesisch benutzt, doch man findet auch in modernen Texten häufig Zitate und Passagen in klassischem Chinesisch, vergleichbar den juristischen Texten im Deutschen, die lateinische Phrasen enthalten. Auch kennt der Volksmund viele Anekdotenwörter (chin. 成語 / 成语, chéngyǔ), die meist aus vier Morphemen bestehen und die grammatischen Strukturen des klassischen Chinesisch aufweisen.

Klassisches Chinesisch wird zwar an den Schulen gelehrt, die Kompetenz der Schüler umfasst jedoch meist nur das Leseverständnis, nicht das Verfassen von Texten. Dennoch nimmt auch die Lesekompetenz in Bezug auf klassisches Chinesisch in der Bevölkerung ab.

Regionale Verbreitung

Dialekte

Bereits in der Antike war das chinesische Sprachgebiet in mehrere Varietäten aufgeteilt, die sich während der klassischen Zeit auch in der geschriebenen Sprache niederschlugen. Pulleyblank 1995 unterscheidet dabei die folgenden Dialekte:

  • einen der präklassischen Sprache nahestehenden Dialekt
  • einen in Lu beheimateten Dialekt, der u.a. in den Analekten des Konfuzius und dem Buch Mencius Verwendung fand
  • den Dialekt von Chu
  • einen späteren Dialekt, der bereits auf eine Standardisierung hinweist

Seit der Qin-Dynastie, als das klassische Chinesisch zunehmend zu einer toten Sprache wurde, fand eine starke Vereinheitlichung der klassischen Sprache statt, während sich im gesprochenen Chinesisch die regionalen Unterschiede verstärkten.

Verbreitung außerhalb von China

Nicht nur China, sondern auch Korea, Vietnam und Japan verfügen über die Tradition des klassischen Chinesisch, wobei anzumerken ist, dass jeweils eine unterschiedliche Lesung der Silben der Schriftzeichen tradiert ist. Dies liegt in der Anpassung der jeweils übernommenen Sprachentwicklungsstufe des Chinesischen und dessen Anpassung an die phonetische Struktur der Zielsprache begründet. Besonders komplex ist diese Situation in Japan, wo zu verschiedenen Zeiten aus dem Chinesischen Aussprachen entlehnt wurden und so im modernen Japanisch verschiedene Stadien des Chinesischen konserviert sind. Koreanisch und Vietnamesisch haben eigene, komplette Aussprachesysteme. Auf Koreanisch werden beispielsweise die Schriftzeichen für wényán als mun ŏn 문언, auf Vietnamesisch als văn ngôn und auf Japanisch als kanbun かんぶん gelesen.

Schrift

Hauptartikel: Chinesische Schrift

Das System der chinesischen Schrift der klassischen Periode unterscheidet sich nicht wesentlich von der Schrift anderer Perioden: auch im klassischen Chinesisch steht ein einzelnes Zeichen (in der Regel) für ein einzelnes Morphem. Von der größten Veränderung der Schrift nach der klassischen Periode, der Einführung der Kurzzeichen in der Volksrepublik China, wurde das klassische Chinesisch nicht erfasst; es wird weiterhin ausschließlich mit den traditionellen Langzeichen geschrieben.

Phonologie

Da die chinesische Schrift weitgehend lautunabhängig ist, lässt sich die Phonologie des antiken Chinesisch nur indirekt rekonstruieren. Zusätzlich ist zu beachten, dass sich die Aussprache des klassischen Chinesisch zusammen mit der Aussprache der gesprochenen Sprache wandelte. Für das Verständnis der Grammatik des klassischen Chinesisch ist jedoch hauptsächlich die Lautung der späten Zhou-Zeit von Bedeutung. Hierfür gibt es im Wesentlichen fünf Quellen:

  • die Reime des Shijing aus der frühen Zhou-Dynastie
  • Rückschlüsse aus der Anwendung phonetischer Elemente zur Bildung von Zeichen
  • das Qieyun (601 n. Chr.), das die Zeichen nach Anlaut und Reim ordnet
  • Schreibungen chinesischer Namen in fremden Schriften, chinesische Transkriptionen fremder Namen und Wörter, chinesische Lehnwörter in fremden Sprachen
  • Vergleich der modernen chinesischen Dialekte

Von diesen Quellen ausgehend lassen sich zwei Zustände rekonstruieren: das Altchinesische, das einen einige Jahrhunderte vor die klassische Zeit zurückreichenden Zustand reflektiert sowie das im Qieyun wiedergegebene Mittelchinesisch. Diese Rekonstruktionen sind in besonderem Maße mit dem Namen Bernhard Karlgrens verbunden, der aufbauend auf den besonders während der Qing-Dynastie von chinesischen Gelehrten gewonnenen Erkenntnissen als erster versuchte, mithilfe von aus der europäischen Linguistik bekannten Lautgesetzen die Phonologie des antiken Chinesisch zu rekonstruieren. Inzwischen existieren eine ganze Reihe weiterer Rekonstruktionsversuche, von denen allerdings keiner eine allgemeine Zustimmung erlangt hat.

Das Lautinventar des Altchinesischen ist stark umstritten, hinsichtlich der Silbenstruktur sind jedoch einige Aussagen möglich. So wird davon ausgegangen, dass sowohl im An- als auch im Auslaut Konsonantencluster möglich waren, während im Mittelchinesischen im Anlaut nur einfache Konsonanten und im Auslaut sogar nur eine sehr begrenzte Auswahl von Konsonanten erlaubt war. Ob das Altchinesische eine Tonsprache war, ist umstritten; die Mehrheit der Wissenschaftler führt die mittelchinesischen Töne jedoch auf die Einwirkung bestimmter Endungskonsonanten zurück. Im Mittelchinesischen dagegen existierten bereits vier Töne, aus denen sich die meist wesentlich komplexeren modernen Tonsysteme ableiten.

Zur Transkription

Es wurde zwar verschiedentlich versucht, das Klassische Chinesisch mithilfe rekonstruierter Lautformen zu transkribieren, aufgrund der großen Unsicherheiten hinsichtlich der Rekonstruktion ist ein solches Vorgehen jedoch fraglich. Daher wird im Folgenden die Lautumschrift Pinyin benutzt, welche die Aussprache der modernen chinesischen Hochsprache Putonghua wiedergibt. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lautungen des Hochchinesischen in Bezug auf das klassische Chinesisch nicht selten irreführend sind und etymologische Zusammenhänge verschleiern.

Grammatik

Die folgende Darstellung der wesentlichen grammatischen Strukturen des klassischen Chinesisch orientiert sich an der Sprache der Zeit der Streitenden Reiche, auf Besonderheiten späterer Texte wird nicht eingegangen. Die zitierten Sätze stammen zumeist aus klassischen Texten dieser Zeit.

Morphologie

Das moderne Chinesisch ist eine weitgehend isolierende Sprache, die abgesehen von einigen Affixen wie dem Pluralsuffix  / , men keine Morphologie kennt. Auch das klassische Chinesisch ist im wesentlichen isolierend, allerdings waren in der klassischen Periode einige Wortbildungsprozesse, die sich heute nur noch lexikalisiert finden, wohl teilweise noch produktiv. Die folgende Tabelle bietet Beispiele einiger besonders häufiger morphologischer Prozesse:

Grundwort Abgeleitetes Wort
Zeichen Hochchinesisch Altchinesisch nach Baxter 1992
(IPA)
Bedeutung Zeichen Hochchinesisch Altchinesisch nach Baxter 1992
(IPA)
Bedeutung
Änderung der Artikulationsart des Anlauts[1]
jiàn *kens sehen xiàn *gens erscheinen
囑/屬 zhǔ *tjok zuweisen shǔ *djok zugehörig sein
Suffix *-s
Zur Bildung von Substantiven
duò *lɐk messen *lɐks Maß
zhī *ʈje wissen 知/智 zhì *ʈjes Weisheit
nán *nɐn schwierig nàn *nɐns Schwierigkeit
xíng *grɐŋ gehen xíng *grɐŋs Verhalten
Zur Bildung von Verben
wáng *wjɐŋ König wàng *wjɐŋs herrschen
hǎo *xuʔ gut hào *xu(ʔ)s lieben
è *ʔɐk böse *ʔɐks hassen
*w(r)jɐʔ Regen *w(r)jɐ(ʔ)s regnen
*ɳjɐʔ Frau *ɳjɐ(ʔ)s zur Frau geben
Infix *-r-
háng *gɐŋ Reihe xíng *grɐŋ gehen

Das Wort ist im klassischen Chinesisch einsilbig, jedoch konnten durch Partial- und Totalreduplikationen neue, zweisilbige Wörter entstehen, die entsprechend auch mit zwei Schriftzeichen geschrieben werden: 濯濯 zhuózhuó „glänzend“, 螳螂 tángláng „Gottesanbeterin“ zu 螳 táng „Fangschrecke“.

Auch Wortkombinationen, deren Gesamtbedeutung sich aus den Bedeutungen der Komponenten nicht direkt ableiten lässt, bilden mehrsilbige Lexeme: 君子 jūnzǐ „edler Mensch“ aus 君 jūn „Fürst“ und 子 zǐ „Kind“.

Eine besondere Gruppe bilden einsilbige Wörter, die aus einer phonologisch bedingten Fusion zweier, in der Regel „grammatischer“, Wörter entstanden sind: 之於 zhī-yú und 之乎 zhī-hū> 諸 zhū; 也乎 yě-hū > 與 yú / 邪, 耶 yé.

Syntax

Wortarten

Im Chinesischen werden traditionell zwei große Wortklassen unterschieden: 實字 shízì „volle Wörter“ und 虛字 xūzì „leere Wörter“. Shizi sind Träger semantischer Information, wie Substantive und Verben; Xuzi dagegen haben vorwiegend grammatische Funktion.

Die Abgrenzung von Wortarten fällt im klassischen Chinesisch jedoch nicht leicht, da etymologisch verwandte Wörter, die aus syntaktischer Sicht unterschiedlichen Wortklassen angehören, oft weder graphisch noch phonetisch unterschieden werden. So steht 死 sǐ für die Verben „sterben“, „tot sein“ und die Substantive „Tod“ und „Toter“. Dies führte so weit, dass einige Sinologen gar die Ansicht vertraten, das klassische Chinesisch besäße überhaupt keine Wortarten. Dies wird gewöhnlich abgelehnt, dennoch sind die Unsicherheiten in der Abgliederung von Wortarten in der klassisch-chinesischen Grammatik allgegenwärtig.

Shizi

Substantive

Substantive dienen gewöhnlich als Subjekt oder Objekt eines Satzes; daneben können sie auch das Prädikat eines Satzes bilden (siehe unten). In manchen Fällen treten sie auch als Verben mit der Bedeutung „sich verhalten wie…“ oder ähnlich sowie als Adverbien auf: 君君, 臣臣, 父父, 子子 jūn jūn, chén chén, fù fù, zǐ zǐ „Der Fürst verhalte sich wie ein Fürst, der Minister wie ein Minister, der Vater wie ein Vater, der Sohn wie ein Sohn.“[2]

Verben

Die Grundfunktion der Verben ist das Prädikat, als das sie in vielen Fällen schon ohne Zunahme weiterer Wörter oder Partikeln einen vollständigen Satz bilden können. Wie in anderen Sprachen lassen sich auch im klassischen Chinesisch transitive und intransitive Verben unterscheiden. Unter den intransitiven Verben bilden die Zustandsverben, die den Adjektiven anderer Sprachen entsprechen, eine besondere Gruppe. Die Unterscheidung transitiver und intransitiver Verben fällt jedoch vielfach schwer, da sich von intransitiven leicht transitive Verben ableiten lassen:

  • 王死 wáng „der König starb“ (intransitiv) (, wáng „König“; , „sterben“)
  • 王死之 wáng zhī „der König starb für ihn“ (transitiv) (, zhī „ihn“)
  • 臣臣 chén chén „der Lehensmann war ein (echter) Lehensmann“ (intransitiv) (, chén „Lehensmann; Lehensmann sein“)
  • 君臣之 jūn chén zhī „der Fürst machte ihn zum Lehensmann (transitiv) (, jūn „Fürst“; , zhī „ihn“)

Eine besondere Gruppe der Adjektive sind die Numeralia, die sich syntaktisch als Verben verhalten. Wie Verben können sie ein Prädikat oder ein Attribut bilden und werden mit , negiert:

  • 五年 wǔ nián „fünf Jahre“
  • 年七十 nián qí-shí „die Jahre waren siebzig“ = „es waren siebzig Jahre“

Xuzi

Pronomina

Das System der Personalpronomina ist in der ersten und zweiten Person erstaunlich reich, in der dritten Person findet sich dagegen – abgesehen von Einzelfällen – kein Pronomen in Subjektsfunktion. Das Subjektspronomen der 3. Person wird meist ausgelassen oder von einem Demonstrativpronomen vertreten. Wie bei den Substantiven werden auch bei den Personalpronomina weder Genera noch Numeri unterschieden, dies unterscheidet das klassische Chinesisch sowohl von vorausgehenden wie von folgenden Formen des Chinesischen. Insgesamt finden sich hauptsächlich die folgenden Formen:

Erste Person , , , , , zhèn , áng
Zweite Person , ěr , , ér , , ruò
Dritte Person , zhī ,

Es lassen sich zwar syntaktische Unterschiede in der Verwendung dieser Formen ausmachen; außerhalb der dritten Person, wo qí als Subjekt und – meist – als Attribut sowie zhī als Objekt verwendet wird, sind jedoch auch schlechter kontrollierbare Faktoren wie Dialektvariationen und der Status des Sprechers gegenüber dem Angesprochenen von Bedeutung.

Ein besonderes Phänomen des klassischen Chinesisch ist die Quasipronominalisierung. Hierbei werden Substantive wie Pronomina der ersten oder zweiten Person gebraucht: , chén „Ich“ (eigentlich „Lehensmann“; Lehensmann zum König), , Eure Majestät „wáng“ (eigentlich „König“), , „Herr, Sie“ (eigentlich „Herr“; allgemeine höfliche Anrede).

Satz

Verbale Prädikate

Sätze mit verbalem Prädikat sind zwar sehr einfach, können aber durch verschiedene Vorgänge zu recht komplexen Sätzen erweitert werden. Die normale Satzstellung ist Subjekt − Verb − Objekt (SVO), wie die Beispiele des folgenden Absatzes zeigen.

Objekte und Komplemente

Ein Verb kann je nach Verb bis zu zwei Objekte haben, die beide unmarkiert auftreten können:

天下
tiān zhī tiānxià
Himmel geben ihm
(Indirektes Objekt)
Welt
(Direktes Objekt)
„Der Himmel gibt ihm die Welt.“[3]

Das direkte Objekt kann auch mit dem Koverb 以 yǐ „mittels“ eingeleitet werden:

天下
Yáo tiānxià Shùn
Yao mittels Welt
(Direktes Objekt)
geben Shun
(Indirektes Objekt)
Yao gab die Welt Shun.“[4]

Das indirekte Objekt kann ebenso wie verschiedene adveriale Bestimmungen auch als Lokativobjekt mit 於 yú eingeleitet werden. Die folgenden Beispiele können die zahlreichen Funktionen des Lokativobjekts nur unvollständig erfassen:

天下 許由
Yáo ràng tiānxià Xǔyóu
Yao abgeben Welt
(Direktes Objekt)
zu Xuyou
(Indirektes Objekt)
„Yao hinterließ die Welt dem Xuyou.“[5]
wáng zhǎo shàng
König stehen auf Teich Oberseite
„Der König stand über dem Teich.“[6]
guó cháng sāng
bekommen Land gewöhnlich durch Trauerfall
„Man erhält das Land gewöhnlich durch einen Trauerfall.“[7]

Statt eines nicht belegten *於之, yú zhī „zu/in/bei/… ihm/ihr“ findet sich die Form , yān:

Qiáo jiāng yàn yān
Qiao Futurmarker zerquetschen durch ihn
„Ich, Qiao, werde von ihm (d.h. einem Firstbalken) zerquetscht werden!“[8]

Koverben

Eine Spezialität des klassischen wie des modernen Chinesisch sind die sogenannten Koverben, die oft vor dem eigentlichen Prädikat stehen und verschiedene adverbiale Bestimmungen ausdrücken können, ihrer Natur nach aber Verben sind:

勝負
zhī shèng fù
ich Koverb „mittels“ dies wissen Sieg und Niederlage satzfinale Aspektpartikel
„Damit sage ich Sieg und Niederlage voraus.“[9]
世子
shìzǐ Chǔ fǎn
Kronprinz Koverb „von, aus“ Chu zurückkehren
„Der Kronprinz kam aus Chu zurück.“[10]

Nominale Prädikate

Im Gegensatz zu anderen Formen des Chinesischen existiert im Klassischen Chinesisch eine besondere Gruppe von Sätzen, in denen sowohl Subjekt als auch Prädikat Nominalphrasen sind. Hierbei wird gewöhnlich die Partikel yě an das Satzende gestellt, eine Kopula wird aber nicht benötigt:

文王
Wén Wáng shī
König Wen ich, mein Lehrer Partikel
„König Wen ist mein Lehrer.“[11]

Die Negation erfolgt mit der negativen Kopula , fēi, wobei , entfallen kann:

fēi
du (Quasipronomen) nicht sein ich
„Du bist nicht ich.“[12]

Nominalphrasen

In Nominalphrasen steht der Kopf immer am Ende, Attribute können durch , zhī markiert werden, das zwischen Kopf und Attribut steht:

Wáng zhī zhū chén
König Partikel die verschiedenen Minister
„die verschiedenen Minister des Königs“[13]

Soll der Kopf der Nominalphrase ungenannt bleiben, wird statt , zhī das Morphem , zhě benutzt:

sān jiā zhě
drei Familie Partikel
„die (Mitglieder) der Drei Familien“[14]

Verben können nominalisiert werden, indem ihr Subjekt als Attribut und sie als Kopf einer Nominalphrase realisiert werden:

  • 王來, wáng lái „der König kommt“ > 王之來, wáng zhī lái „das Kommen seitens des Königs; die Tatsache, dass der König kommt“ (, wáng „König“; , lái „kommen“)

Umgekehrt kann auch das Prädikat als Attribut eingesetzt werden, wodurch Konstruktionen entstehen, die in ihrer Funktion Relativsätzen entsprechen:

  • 王來, wáng lái „der König kommt“ > 來之王, lái zhī wáng „der kommende König“ (wörtlicher: „der König des Kommens“)

In den gleichen Funktionen kann dann auch , zhě verwendet werden:

  • 來者, lái zhě „derjenige, der kommt“
zhī zhě yán
wissen Partikel nicht sprechen
„wer weiß, der spricht nicht“[15]

Relativsätze, deren Objekt mit dem externen Bezugswort identisch ist, können mit der Partikel , suǒ gebildet werden: (zur Syntax dieses Zitats vergleiche den Abschnitt Nominale Prädikate)

suǒ fēi suǒ qiú
Partikel bekommen nicht Partikel suchen Aspektpartikel
„was (man) bekommen hat“ „was (man) gesucht hat“
„Was (man) bekommen hat, ist nicht das, was (man) gesucht hat.“[16]

Thematisierung und Fokussierung

Das klassische Chinesisch kann Satzglieder thematisieren und fokussieren, indem es diese an den Satzanfang stellt, wo sie besonders markiert werden können. Hierzu dienen Partikeln wie , zhě, , oder , :

Erster Teil Zweiter Teil
jūn hán mín hán
Quasipronomen „Ihr, Du“ Thematisierungsmarker nicht frieren Aspektpartikel Volk Thematisierungsmarker frieren Thematisierungsmarker
„Du frierst nicht, aber das Volk friert.“[17]
Thematisierte Nominalphrase Nachsatz 1 Nachsatz 2
rén zhī dào huò yóu zhōng chū huò yóu wài
Mensch Attributpartikel Weg, Dao Thematisierungspartikel manchmal von innen herausgehen manchmal von außen hereinkommen
„Was den Dao des Menschen anbelangt, so kommt er manchmal von innen und manchmal von außen.“[18]

Aspekt, Modus, Tempus, Diathese

Grammatische Kategorien des Verbs wie Aspekt, Modus, Tempus, Diathese und Aktionsart bleiben in allen Formen des Chinesischen nicht selten unmarkiert. 王來, wáng lái kann also „der König kommt“, „der König kam“, „der König wird kommen“, „der König möge kommen“ etc. bedeuten. Selbst die Diathese, die Opposition Aktiv − Passiv, kann unmarkiert bleiben: 糧食, liáng shí „Proviant wird gegessen“ statt des semantisch ausgeschlossenen „Proviant isst“.

Es finden sich jedoch auch verschiedene Konstruktionen und Partikeln, von denen die wichtigsten im Folgenden vorgestellt werden.

Der Aspekt kann im klassischen Chinesisch durch zwei komplementäre, am Satzende stehende, Partikeln ausgedrückt werden. , drückt wie das moderne , le eine Veränderung, , dagegen einen allgemeinen Zustand aus:

寡人
guǎrén zhī bìng bìng
Unsere Majestät Attributpartikel Leiden schlimm Aspektpartikel
„Das Übel Unserer Majestät ist schlimm(er) geworden.“[19]
xìng shàn shàn
die menschliche Natur nicht gut sein nicht nicht gut sein Aspektpartikel
„Die menschliche Natur ist weder gut noch nicht gut.“[20]

Weitere Tempus-, Aspekt- und Modusunterscheidungen können durch vor dem Verb stehende Partikeln markiert werden:

Satz 1 Satz 2 Satz 3
孟子
jiāng zhī Chǔ guò Sòng ér jiàn Mèngzǐ
Futurmarker gehen Chu vorbeikommen Song und sehen Mencius
„Als er (Herzog Wen) im Begriff war, nach Chu zu gehen, kam er an Song vorbei und sah Mencius.“[21]

Zur Unterscheidung des Passivs vom Aktiv genügt oft die Nennung des Agens als Lokativobjekt, wie folgende Stelle aus dem Buch Mencius verdeutlicht:

Satz 1
(aktiv)
Satz 2
(passiv)
láo xīn zhě zhì rén láo zhě zhì rén
sich bemühen Herz Nominalisierungspartikel regieren Mensch sich bemühen Kraft Nominalisierungspartikel regieren Präposition Mensch
„Wer sich mit dem Herzen bemüht, der regiert Andere“ „Wer sich mit Kraft bemüht, der wird von Anderen regiert“[22]

In seltenen Fällen werden zum Ausdruck des Passivs auch Hilfsverben wie , jiàn (eigentlich „sehen“) benutzt: 盆成括見殺., Pénchéng Kuò jiàn shā „Pencheng Kuo wurde getötet.“[23] (, shā „töten“).

Komplexe Sätze

Para- und hypotaktische Beziehungen zwischen Sätzen können im klassischen Chinesisch unmarkiert bleiben:

  • 不奪不饜, bù duó bù yàn „Wenn sie nicht rauben, sind sie nicht gesättigt.“, wörtlich „(sie) rauben nicht – (sie) sind nicht gesättigt“[24]

Daneben bestehen jedoch auch verschiedene Methoden, um solche Beziehungen zu markieren. Eine sehr häufige Möglichkeit besteht in der Nutzung der Konjunktion , ér, die neben einer rein koordinierenden Funktion Sätzen auch eine adverbiale Funktion geben kann:

  • 坐而言, zuò ér yán „Er sprach, während er saß.“ (, zuò „sitzen“; , yán „sprechen“)[25]
Von , ér untergeordneter Satz Hauptsatz
míng ér gōng zhī
tönen lassen Trommel dann angreifen ihn
„Greife ihn unter Trommelschlägen an.“[26]

Konditionalsätze werden besonders häufig markiert, indem der folgende Hauptsatz mit der Konjunktion , „dann“ eingeleitet wird:

rén mín zhì
nicht menschlich sein dann Volk nicht herbeikommen
„Handelt man nicht menschlich, kommt das Volk nicht herbei.“[27]

Lexikon

Das Lexikon des klassischen Chinesisch unterscheidet sich wesentlich von dem des modernen Chinesisch. In quantitativer Hinsicht umfasst das klassische Chinesisch der Zeit der Streitenden Reiche nur etwa 2000 bis 3000 Lexeme, wozu noch eine große Anzahl an Personen- und Ortsnamen hinzukommt. Zusätzlich zu dem aus dem Proto-Sinotibetischen ererbten und dem schon in vorklassischer Zeit aus Nachbarsprachen entlehntem Wortmaterial wurden auch in klassischer Zeit Wörter aus nichtchinesischen Sprachen entlehnt. So wurde das Wort 狗 gǒu „Hund“, das erstmals in der klassischen Periode auftauchte und später das alte Wort 犬 quǎn „Hund“ verdrängte, vermutlich aus einer frühen Form der südlich von China beheimateten Hmong-Mien-Sprachen übernommen. Nach der Qin-Dynastie nahm der Wortschatz des klassischen Chinesisch beträchtlich zu, zum einen durch Aufnahme von Lehnwörtern, aber auch durch Übernahme von Wörtern aus der gesprochenen Sprache.

Einzelnachweise

  1. Dieser Effekt wird auch auf ein nasales oder glottales Präfix zurückgeführt.
  2. Lunyu 12/11
  3. Mencius 5A/5
  4. Mencius 5A/5
  5. Zhuangzi 1.2.1
  6. Mencius 1A/2
  7. Guoyu
  8. Zuozhuan Xiang 31/12
  9. Sunzi, Bingfa 1/2/6
  10. Mencius 3A/1
  11. Mencius 3A/1
  12. Zhuangzi 17.7.3
  13. Mencius 1A/7
  14. Lunyu 3/2
  15. Daodejing 56/1
  16. Mao-Kommentar zu Shijing 43
  17. Xinxu Cishe 6
  18. Guodian Yucong 1.9, zitiert nach Thesaurus Linguae Sericae
  19. Yanzi Chunqiu 1/12/1
  20. Mencius 6A/6
  21. Mencius 3A/1
  22. Mencius 3A/4
  23. Mencius 7B/29
  24. Mencius 1A/1
  25. Mencius 2B/11
  26. Lunyu 11/17
  27. Guoyu 2/15

Literatur

Grammatiken und Lehrbücher

  • Gregory Chiang: Language of the dragon. A classical Chinese reader. Zheng & Zui Co., Boston, MA 1998-. ISBN 0887272983; ISBN 9780887272981
  • Michael A. Fuller: An Introduction to Literary Chinese. Harvard Univ. Asia Center, Cambridge u.a., 2004. ISBN 0-674-01726-9.
  • Robert H. Gassmann: Grundstrukturen der antikchinesischen Syntax. Eine erklärende Grammatik (Schweizer Asiatische Studien 26, Bern, Peter Lang 1997); ISBN 3-906757-24-2.
  • Robert H. Gassmann, Wolfgang Behr: Antikchinesisch. Teil 1: Eine propädeutische Einführung in fünf Element(ar)gängen; Teil 2: 30 Texte mit Glossaren und Grammatiknotizen; Teil 3: Grammatik des Antikchinesischen (Schweizer Asiatische Studien 18, Bern, Peter Lang 2005); ISBN 3-03910-843-3.
  • Edwin G. Pulleyblank: Outline of Classical Chinese Grammar (Vancouver, University of British Columbia Press 1995); ISBN 0-7748-0505-6 / ISBN 0-7748-0541-2.
  • Paul Rouzer: A New Practical Primer of Literary Chinese. Harvard Univ. Asia Center, Cambridge u.a., 2007. ISBN 0-674-02270-X.
  • Harold Shadick, Ch’iao Chien [Jian Qiao]: A First Course in Literary Chinese (3 Bde.) Ithaca, Cornell University Press 1968; ISBN 0-8014-9837-6, ISBN 0-8014-9838-4, ISBN 0-8014-9839-2. (Wird an mehreren Universitäten im deutschsprachigen Raum als Lehrbuch verwendet.)
  • Ulrich Unger: Einführung in das Klassische Chinesisch. (2 Bände) Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1985 ISBN 3-447-02564-6

Phonologie

  • William H. Baxter: A Handbook of Old Chinese Phonology. Trends in Linguistics, Studies and monographs No. 64 Mouton de Gruyter, Berlin / New York 1992. ISBN 3-11-012324-X
  • Bernhard Karlgren: Grammata serica recensa. Museum of Far Eastern Antiquities, Stockholm 1957 (von historischem Interesse)
  • Edwin G. Pulleyblank: Lexicon of reconstructed pronunciation in early Middle Chinese, late Middle Chinese, and early Mandarin. UBC Press, Vancouver 1991. ISBN 0-7748-0366-5 (modernste Rekonstruktion des Mittelchinesischen)

Wörterbücher

  • Seraphin Couvreur: Dictionnaire classique de la langue chinoise Imprimerie de la mission catholique, Ho Kien fu 1911
  • Herbert Giles: Chinese-English dictionary Kelly & Walsh, Shanghai 1912
  • Robert Henry Mathews: Mathews’ Chinese-English dictionary China Inland Mission, Shanghai 1931; Nachdrucke: Harvard University Press, Cambridge 1943 etc.).
  • Instituts Ricci (Hg.): Le Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise Desclée de Brouwer, Paris 2001. ISBN 2-220-04667-2. Vgl. Le Grand Ricci.
  • Werner Rüdenberg, Hans Otto Heinrich Stange: Chinesisch-deutsches Wörterbuch Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 1963.
  • Ulrich Unger: Glossar des klassischen Chinesisch. Harrassowitz, Wiesbaden 1989, ISBN 3-447-02905-6 (beschränkt sich im Gegensatz zu den anderen hier genannten Wörterbüchern auf die Zeit der Streitenden Reiche)

Weblinks

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