- Zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer
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Die zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffer ist ein in der Demografie verwendetes Maß, das angibt, wie viele Kinder eine Frau durchschnittlich im Laufe des Lebens hätte, wenn die zu einem einheitlichen Zeitpunkt ermittelten altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern für den gesamten Zeitraum ihrer fruchtbaren Lebensphase gelten würden. Sie wird ermittelt, indem die altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern summiert und durch 1000 geteilt werden.
Synonyme und verwandte Begriffe
Gleichbedeutend mit zusammengefasster Fruchtbarkeitsziffer werden die Begriffe zusammengefasste Geburtenziffer, Gesamtfruchtbarkeitsrate und Fertilitätsrate verwendet.
Manchmal werden diese Begriffe auch für die mittlere endgültige Kinderzahl oder Kohortenfertilität verwendet, die sich dadurch unterscheidet, dass die altersspezifischen Fruchtbarkeitsziffern summiert werden, die zu dem Zeitpunkt gegolten haben, zu dem ein bestimmter Geburtsjahrgang tatsächlich das entsprechende Alter gehabt hat. Sie ist also realitätsnäher, hat aber den Nachteil, dass sie erst ermittelt werden kann, nachdem der betreffende Jahrgang das gebärfähige Alter weitgehend verlassen hat.
Zusammengefasste Fruchtbarkeitsziffern und mittlere endgültige Kinderzahlen können sich insbesondere unterschiedlich entwickeln, wenn sich das durchschnittliche Alter der Mütter verschiebt; Sondereffekte bei den zusammengefassten Fruchtbarkeitsziffern sind zum Beispiel durch wegen Krisen verschobenen und nachgeholten Geburten möglich. Allerdings werden aufgeschobene Kinderwünsche in der Praxis kaum vollständig nachträglich realisiert, schlagen also auch auf die mittlere endgültige Kinderzahl durch.
Großfamilien mit typisch hoher Nachkommenanzahl sind Kennzeichen der erhöhten Kohortenfertilität.
Zusammenhang zur Nettoreproduktionsrate
In modernen Gesellschaften mit geringer Säuglings- und Kindersterblichkeit geht man davon aus, dass rechnerisch etwa 2,1 Kinder pro Frau geboren werden müssen, um die Bevölkerung ohne Wanderung langfristig auf einem konstanten Niveau zu halten. Diese Zahl ist nicht exakt 2, weil das Geschlechterverhältnis bei der Geburt nicht 1:1 ist, sondern auf 1.000 Geburten nur etwa 485–490 Mädchen kommen, und weil auch in höher entwickelten Ländern einige Frauen sterben, bevor sie die Menarche erreicht haben. In China ist durch das sehr ungünstige Geschlechterverhältnis von 119 Jungen zu 100 Mädchen eine Fertilitätsrate von 2,38 zum Erhalt der Bevölkerung nötig, lässt man Migration und die Kindersterblichkeit außer Acht. In Wirklichkeit ist das Ersatzniveau daher höher.
Die Nettoreproduktionsrate berücksichtigt das, indem nur Töchter gezählt und die altersspezifischen Sterbeziffern eingerechnet werden, wobei Letztere allerdings ebenso wie die Fruchtbarkeitsziffern als konstant angenommen werden. Eine echte prognostische Aussage ist also in keinem Fall enthalten.
In Ländern, in denen die Kindersterblichkeit höher ist, ist zum Ausgleich eine höhere Fertilitätsrate erforderlich, um eine stabile Bevölkerungszahl zu gewährleisten. Da in einigen Regionen die Kindersterblichkeit bis zu 50 % beträgt, ist dort eine Fertilitätsrate von etwa 4 zur dauerhaften Erhaltung der Bevölkerungszahl notwendig.
Auch bei einer Fertilitätsrate unter 2,1 ist ein vorübergehendes Bevölkerungswachstum möglich, wenn die Sterblichkeitsrate gering ist und solang die gebärfähigen Jahrgänge stark besetzt sind. Nach einiger Zeit kommt es dann aber trotzdem zu einem Bevölkerungsrückgang, es sei denn die Zuwanderung von außen (siehe Migrationssaldo) gleicht den natürlichen Bevölkerungsverlust aus. Besonders deutliche Beispiele hierfür sind China und Thailand, aber auch in Deutschland und vielen anderen höher entwickelten Ländern war das lange Zeit der Fall oder ist derzeit so.
Unterschiede zwischen Fertilitätsrate und Kohortenfertilitätsrate
Obwohl Fertilitätsrate wie Kohortenfertilitätsrate ein Maß für die Reproduktion darstellen, unterscheiden sie sich deutlich.
Die Fertilitätsrate unterliegt innerhalb weniger Jahre mitunter großen Schwankungen. Die Fertilitätsrate eines Jahres wird unmittelbar durch politische Ereignisse beeinflusst. Dazu zählen zum Beispiel Krieg oder Wirtschaftskrisen, die Erfindung oder die Einschränkung von Verhütungsmitteln, aber auch positive Effekte wie zum Beispiel staatliche Familienförderung.
Die Kohortenfertilitätsrate unterliegt hingegen keinen schnellen Schwankungen, da in ihr alle Effekte zusammengefasst werden, die im Laufe von rund 30 Jahren auf die Fertilität eines Frauenjahrgangs wirken: So kann es sein, dass ein Frauenjahrgang von plötzlich auftretenden Änderungen nur in einem Teil der gebärfähigen Phase betroffen ist, der nächste Jahrgang dann aber ein Jahr länger und so fort. Auf diese Weise kann es auch zu einer Überschneidung von sich widersprechenden Effekten kommen. Beispielsweise beeinflusst das Timing (zum Beispiel Aufschieben) von Geburten unmittelbar die Fertilitätsrate, an der Kohortenfertilitätsrate ist dieses Timing aber nicht mehr erkennbar.
Entwicklung der Kohortenfertilitätsrate in Deutschland
Für die Kohortenfertilität liegen in Deutschland gesicherte Zahlen mindestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor. Für den Geburtsjahrgang 1850 betrug die Rate noch über 5. Doch schon ab dem Geburtsjahrgang 1870 setzte eine steile Abwärtsentwicklung ein. Bereits der Geburtsjahrgang 1905 erreichte nicht mehr das für den Bestandserhalt notwendige Niveau von 2,1. Dieser Zustand hielt sich bis zum Geburtsjahrgang 1930 bis 1940. Diese Frauenjahrgänge waren hauptsächlich verantwortlich für den Babyboom in der Zeit von 1955 bis 1965. Nach dem Geburtsjahrgang 1940 kam es zu einem weiteren Absinken auf ein Niveau von ca. 1,7 bis zum Geburtsjahrgang 1960. Für die folgenden Jahrgänge können noch keine endgültigen Zahlen angegeben werden, weil die Phase der Gebärfähigkeit (bis 45 Jahre) erst abgeschlossen sein muss, bevor man die Kohortenfertilität berechnen kann.[1]
Entwicklung der Fertilitätsrate in Deutschland
Die Fertilitätsrate zeigt die gleiche Entwicklungstendenz wie die Kohortenfertilitätsrate, allerdings ist wie oben erläutert der Einfluss der Tagespolitik deutlicher zu erkennen. Bereits ab zirka 1900 sank die Fertilitätsrate dramatisch. In der Zeit des Ersten Weltkriegs verstärkte sich die Abnahme noch. Nach dem Krieg stieg die Fertilitätsrate zwar wieder fast auf die Vorkriegswerte, setzte dann aber sofort die starke Abnahmetendenz der Vorkriegszeit fort. Nach 1933 kam es in den „Friedensjahren“ des Nationalsozialismus zwar wieder zu einem moderaten Anstieg. Der Zweite Weltkrieg führte dann aber wieder zu einem Rückgang, allerdings war dieser deutlich schwächer als im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg blieb die Fertilitätsrate bis 1955 auf einem Niveau unter 2,1 und überschritt diese Marke in West- und Ostdeutschland erst wieder in den Jahren 1955–1965. Zu dieser Zeit nahm der Babyboom seinen Lauf. Danach kam es sowohl in West- als auch Ostdeutschland zu einem Rückgang der Fertilitätsrate aufgrund des Pillenknicks. Seitdem liegt die Fertilitätsrate deutlich unter 2. In der DDR kam es von 1975 bis zirka 1985 erneut zu einem Anstieg der Fertilitätsrate, der allerdings nicht die Grenze von 2,1 und damit eine Nettoreproduktionsrate von 1 erreichte.
Unterschiede zwischen ländlichen Gebieten und Städten
Betrachtet man sich die Deutschlandkarte, fällt auf, dass ländliche Gebiete im Allgemeinen höhere Fertilitätsraten als kreisfreie Städte haben. Die Gründe dafür sind vielseitig. Der Studentenanteil spielt eine Rolle, da Studenten im allgemeinen erst nach Vollendung ihres Studiums Familien gründen. Daher sind die Fertilitätsraten in typischen Studentenstädten wie Würzburg oder Heidelberg besonders niedrig. Weiterhin ziehen viele Menschen, wenn sie Familien gründen, in suburbane oder ländliche Gebiete, da diese von den Menschen als kinderfreundlicher beurteilt werden. Sicherlich spielen auch die hohe religiöse Bedeutung der Familie über die christlichen Kirchen eine Rolle, die in ländlichen Gebieten mehr Einfluss besitzen, sodass ein gewisser sozialer Druck existieren kann, eher Kinder zu bekommen. Ausnahmen bilden Städte wie Erfurt oder Dresden, deren Grenzen weit gefasst sind und suburbane Gebiete einschließen. Ein hoher Migrantenanteil kann diese Verhältnisse auch umkehren, sichtbar in Ludwigshafen oder Offenbach. Diese Muster sind nicht auf Deutschland beschränkt, sondern international gültig.
Entwicklung der Fertilitätsrate weltweit
Die Zahl der Kinder bei Frauen im gebärfähigen Alter ist innerhalb von 35 Jahren weltweit fast auf die Hälfte geschrumpft. Heute (2010) bringen Frauen noch 2,6 Babys zur Welt. Im Zeitraum 1970 bis 1975 hatten Frauen im globalen Durchschnitt noch 4,7 Kinder.[2]
Wichtige Werte der Fertilitätsrate
Die angegebenen Werte beziehen sich auf das Kalenderjahr der Geburten, es handelt sich also um Angaben der gesamten Fertilitätsrate.
Übersicht der Fertilitätsraten
Land/ Kontinent 1966 1983 1995 2000 2002 2004 2006 Afrika 5,0 Ägypten 3,6 2,9 2,83 Äthiopien 5,9 5,3 5,22 Botswana 3,9 2,85 2,79 Burkina Faso 6,8 6,2 6,47 Kongo 6,6 6,37 Niger 7,5 6,75 Nigeria 6,5 5,53 Asien 4,8 China 1,8 1,8 1,72 1,73 Indien 3,4 3,2 2,8 Indonesien 2,7 2,44 Japan 1,8[3][4] 1,33 1,29 1,23 Europa 1,4 Belgien 1,66 1,62 1,64 1,64 Dänemark 1,4[3] 1,8 Deutschland (alle Bundesländer) 1,249 1,378 1,341 1,355 1,331 Deutschland (alte Bundesländer) 1,4[3][5] 1,339 1,413 1,371 1,372 1,341 Deutschland (neue Bundesländer) 1,9[5] 0,838 1,214 1,238 1,307 1,303 Finnland 1,73 1,83 Frankreich 2,0[5] 1,98 1,88 1,85 1,98 Griechenland 2,3[5] 2,3[5] 1,35 Großbritannien 1,8[3] 1,6 1,66 1,66 1,84 Irland 1,89 1,9 1,87 1,90 Island 2,1 1,92 Italien 2,5[5] 1,6[5] 1,17 1,24 1,26 1,33 1,40 Niederlande 1,70 1,66 Österreich[6] 2,66 1,56 1,42 1,36 1,39 1,42 1,41 Polen 1,30 1,39 Portugal 3,0[5] 2,1[5] 1,54 Rumänien 3,7[3][7] 2,5[3][4] 1,35 Schweden 1,64 Spanien 2,9[5] 2,0[5] 1,28 1,28 1,37 Tschechien 1,20 1,44 Lateinamerika 3,2 Brasilien 2,5 1,93 1,88 Mexiko 3,1 2,16 2,2 Nordamerika 2,0 Kanada 1,8[3][4] 1,61 USA 2,05 2,1 Siehe auch
- Geburtenziffer
- Geburtenkontrollkette
- Mortalität
- Bevölkerungswachstum
- Bevölkerungsrückgang
- Überalterung
- Alterspyramide
- Demographie
- Demographischer Übergang
- Generatives Verhalten
Einzelnachweise
- ↑ Statement von Präsident Roderich Egeler zur Pressekonferenz "Mikrozensus 2008 – Neue Daten zur Kinderlosigkeit in Deutschland", Statistisches Bundesamt
- ↑ [1]
- ↑ a b c d e f g Dieter Stempell, Weltbevölkerung 2000, Leipzig/Jena/Berlin 1985.
- ↑ a b c Angabe für 1980
- ↑ a b c d e f g h i j k Hannelore Jani: Die Mittelmeerländer waren Europas am schnellsten alternde Region. Gibt es eine erkennbare gemeinsame Strategie der „romanischen Länder“?
- ↑ Demographisches Jahrbuch 2004 Tabelle: 3.08 ISBN 3-902479-43-4 http://www.statistik.at/web_de/dynamic/statistiken/bevoelkerung/demographische_masszahlen/demographische_indikatoren/publdetail?id=48&listid=48&detail=23
- ↑ Angabe für 1967
Literatur
- Andreas Heigl: Demographic Fact Book. Hypo Vereinsbank (Hrsg.), München 2001.
- Johannes Kopp: Geburtenentwicklung und Fertilitätsverhalten. UVK 2002, ISBN 3-89669-969-5. Wissenschaftliche Abhandlung, die auch eine Erläuterung der demographischen Größen enthält.
- Dieter Stempell: Weltbevölkerung 2000. Leipzig/Jena/Berlin 1985.
- Thomas Weiss: Ökonomische Bestimmungsgrößen der Fertilität in westlichen Industrieländern. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.), Materialien zur Bevölkerungswissenschaft, Sonderheft 5. Wiesbaden 1986, ISSN 0178-918X.
Weblinks
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