- Bergen-Belsen-Prozess
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Bereits im September 1945 fand der erste Bergen-Belsen-Prozess (englisch Belsen Trial - Trial against Josef Kramer and 44 others) gegen deutsche Kriegsverbrecher statt, der von einem britischen Militärgericht vom 17. September bis zum 17. November 1945 in der Turnhalle Lindenstraße 30 in Lüneburg durchgeführt wurde. Dieser Prozess richtete sich gegen SS-Angehörige sowie einige Kapos des KZ Bergen-Belsen, die von der britischen Armee nach der Übergabe des Lagers Mitte April 1945 festgenommen wurden. Vor der Festnahme wurden drei SS-Männer bei Fluchtversuchen erschossen und einer verübte Suizid. Von den etwa 77 festgenommenen Angehörigen des Lagerpersonals starben 17 bis zum 1. Juni 1945 an Typhus.[1]
Im Gegensatz zu zwei weiteren Bergen-Belsen-Prozessen stieß dieser erste Kriegsverbrecher-Prozess auf deutschem Boden auch international auf großes Interesse und wurde von rund 200 Journalisten und Prozessbeobachtern verfolgt. In diesem Prozess wurden auch Taten mitverhandelt, die Beschuldigte zuvor im KZ Auschwitz-Birkenau verübt hatten, und eine breitere Öffentlichkeit erfuhr dabei von Selektionen, Gaskammern und Krematorien.
Inhaltsverzeichnis
Anklage
Angeklagt wurden 48 Mitglieder der ehemaligen Lagerverwaltung. Drei beschuldige SS-Männer schieden wegen Krankheit vor der Verhandlung aus (Nikolas Jenner, Paul Steinmetz und Walter Melcher). Von den verbleibenden 45 Personen waren 17 SS-Männer, 16 SS-Aufseherinnen und elf Funktionshäftlinge, die von Mithäftlingen belastet wurden. Elf der SS-Aufseherinnen waren erst seit 1944 tätig gewesen und vorher von Industriefirmen für Außenlager von Auschwitz angeworben worden. Die meisten Beschuldigten waren erst ab Februar 1945 in Bergen-Belsen eingetroffen, manche auch nur zwei Tage vor der Befreiung dort angekommen.[2] Nur wenige Angeklagte hatten eine wesentliche Funktion innegehabt.
Angeklagte
Zu den Angeklagten im Prozess gehörten untere Anderem:
- Josef Kramer, Lagerkommandant im KZ Bergen-Belsen, zuvor Lagerkommandant des KZ Auschwitz-Birkenau,
- Fritz Klein, Lagerarzt im KZ Bergen-Belsen, der bei Selektionen und Deportationen aktiv mitgewirkte,
- Franz Hößler, stellvertretender Lagerkommandant im KZ Bergen-Belsen, zuvor Schutzhaftlagerführer in dem KZ Auschwitz-Birkenau und dem KZ Dora-Mittelbau,
- Johanna Bormann, KZ-Aufseherin in Bergen-Belsen und Auschwitz, Mitglied des SS-Gefolge,
- Elisabeth Volkenrath, zuvor Oberaufseherin im KZ Auschwitz,
- Irma Grese, zuletzt Arbeitsdienstführerin im KZ Bergen-Belsen,
- Stanisława Starostka, eine zur Gehilfin der Lagerverwaltung aufgestiegene Insassin, die von den Häftlingen als „Stana die Prüglerin“ gefürchtet wurde,
- Erich Zoddel, der Lagerälteste.
- Hertha Bothe, nach diversen kurzzeitigen Tätigkeiten als Aufseherin leitete sie das Waldkommando
- Peter Weingartner, fungierte er als Blockführer im Frauenlager
- Hilde Lohbauer, gehörte dem Arbeitsdienst an und beaufsichtigte Arbeitskommandos
- Ansgar Pichen, war Leiter der Lagerküche
- Helena Kopper, Funktionshäftling
- Xaver Stärfel, leitete im April 1945 den Todesmarsch vom KZ-Außenlager Kleinbodungen in das KZ Bergen-Belsen
- Wilhelm Dörr, Stellvertreter von Xaver Stärfel
- Oskar Schmitz
- Ignatz Schlomowicz, Funktionshäftling
- Karl Francioh, wegen seiner in Bergen-Belsen begangenen Verbrechen angeklagt
- Hertha Ehlert, wegen Beihilfe zum Totschlag schuldig gesprochen
Rechtsgrundlagen
Rechtsbasis der Anklage aller Bergen-Belsen-Prozesse war der „Königliche Auftrag“ (“Regulations for the Trial of War Criminals made under Royal Warrant) vom 14. Juni 1945 für britische Militärgerichte. Zurückgegriffen wurde auf das schon zur Tatzeit geltende Völkerrecht, so dass der Rechtsgrundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ nicht verletzt war. [3] Die vor dem Internationalen Militärgerichtshof in den Nürnberger Prozessen gültige Rechtsprechung, insbesondere der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, spielte hier noch keine Rolle.
Die beiden Hauptpunkte der Anklage betrafen Kriegsverbrechen als Verletzung von Kriegsgesetzen und Kriegsgebräuchen sowie Misshandlungen, die zum Tode von Staatsangehörigen der Alliierten geführt hatten. Differenziert wurde nach individuell nachweisbaren brutalen Übergriffen oder Mord einerseits und der generellen Beteiligung am mörderischen Konzentrationslager-System andererseits. Mitgliedern der SS und der Lager-Wachmannschaft wurde eine gemeinschaftliche Verschwörung („conspiracy“) vorgeworfen, die den Beschuldigten die billigende Teilnahme an einem System von Tötungen, Grausamkeiten und inhumaner Vernachlässigung unterstellte und eine Schuldvermutung implizierte. Bei keinem der Beschuldigten kam es jedoch allein wegen „conspiracy“ zu einer Verurteilung.[4]
Prozessdurchführung
Verschiedentlich wurde – auch von britischer Seite – über die brutale Behandlung der SS-Angehörigen berichtet, die im Celler Gefängnis auf ihren Prozess warteten.[5]
Der Prozessablauf gestaltete sich folgendermaßen:
- 1. Zeugenvernehmung durch die Anklagevertretung
- 2. Verlesung der schriftlichen Zeugenaussagen
- 3. Anhörung der Sachverständigen und Zeugen der Verteidigung
- 4. Anhörung der Angeklagten
- 5. Schlussplädoyers der Anklagevertretung und Verteidigung
- 6. Verkündung der Urteile
Zudem wurde auf Anforderung der Anklagevertretung am 20. September 1945 der von britischen Soldaten gedrehte Film über die Befreiung des KZ Bergen-Belsen vorgeführt, der die katastrophalen Zustände und die Massengräber im Lager veranschaulicht.[6]
Als unzureichend und fragwürdig erwies sich die eilige Vorbereitung der Anklage. Keiner derjenigen SS-Leute, die am 13. April geflohen waren, wurde gesucht, gefasst und angeklagt, obwohl Häftlinge sofort eine Namensliste zusammengestellt hatten. Nachdem die Anklage zunächst die kollektive Mitverantwortung und Mitschuld als ausreichenden Strafgrund erachtete, bemühte sie sich dann doch den einzelnen Angeklagten individuelle Straftaten nachzuweisen. Als Beweismaterial wurden oft „Eidesstattliche Erklärungen“ von Häftlingen vorgelegt, die nicht mehr als Zeugen greifbar waren; andere Zeugen verwickelten sich im Kreuzverhör in Widersprüche oder konnten den angegebenen Täter nicht identifizieren. So wurde der Häftling Oskar Schmitz fälschlich als SS-Mann angeklagt und bekam bis Prozessbeginn keine Gelegenheit, diesen Irrtum aufzuklären.[7]
Da die Gerichtssprache Englisch war, mussten Dolmetscher auf Englisch, Deutsch und Polnisch zwischen dem Gericht und den Angeklagten übersetzen. Dadurch verlängerte sich die ursprünglich auf zwei bis vier Wochen angesetzte Prozessdauer erheblich. Den Vorsitz des Militärgerichtes übernahm Major General Berney-Ficklin, der, wie auch seine beisitzenden Richter - bis auf einen zivilen juristischen Beirat - , während der Verhandlung eine Uniform trug. Die Anklagevertretung setzte sich aus vier britischen Offizieren zusammen. Im Gegensatz zu den 40 deutschen Angeklagten, wurden die fünf polnischen Angeklagten von polnischen Verteidigern vertreten.[6]
Den deutschen Angeklagten wurden britische Offiziere - ausnahmslos Juristen - als Offizialverteidiger zugewiesen, die Widersprüchlichkeiten in Orts- und Zeitangaben, Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten bemängelten. Einige Verteidiger wurden als Sympathisanten der faschistischen „British Union“ von Sir Oswald Mosley bezeichnet, weil sie sich antisemitischer Stereotypen bedienten: „Bedenken Sie“, wandte sich einer der Verteidiger an den Richter, „dass diese Menschen es mit dem Abschaum der Ghettos von Ost-Europa zu tun hatten.“ [8] Man habe es wohl zunächst einmal mit dem Abschaum der SS zu tun, erwiderte der amtierende Richter.
Von Verteidigern wurde geltend gemacht, die Inhaftierung der Beschuldigten sei nicht Rechtens gewesen: im „Waffenstillstandabkommen“ für die kampflose Übergabe sei ein freier Abzug vereinbart worden. Die entsprechende Formulierung war jedoch nur für die Wehrmachtsangehörigen eindeutig. Außerdem – so argumentierten die Ankläger – sei das Abkommen durch die Vernichtung der Lagerregistratur und Schusswaffengebrauch am 15. April verletzt worden. Der Historiker Eberhard Kolb argumentierte in der Rückschau: „Es hätte als eine einzigartige Verhöhnung des Leidens und Sterbens der Zehntausende erscheinen müssen, wenn die Engländer [...] das SS-Kommandaturpersonal unbehelligt hätten abziehen lassen...“ [9]
Den Richtern wird eine sachliche Verhandlungsführung bescheinigt. Ihre sorgfältige Beweisaufnahme habe die mangelhafte Vorbereitung des Prozesses großenteils ausgleichen können.[10]
Alle Angeklagten plädierten auf "nicht schuldig".[11]
Urteil und Wertungen
Die Verkündung der Urteile erfolgte am 17. November 1945. Im Ergebnis wurden elf Angeklagte zum Tod durch Erhängen verurteilt, die schwerer Körperverletzungen an Gefangenen überführt worden waren. Die Urteile wurden am 13. Dezember 1945 durch Albert Pierrepoint in Hameln vollstreckt. Die Hinrichtung erfolgte mit einem Galgen, der über zwei Falltüren verfügte. Es wurden immer zwei Verurteilte gleichzeitig gehängt, nur die drei Frauen wurden einzeln hingerichtet. Zudem wurden eine lebenslange und 18 zeitige Haftstrafen verhängt und 15 Angeklagte wurden freigesprochen.
Fast alle Haftstrafen wurden in den folgenden Jahren wegen guter Führung oder aufgrund von Begnadigungen um ein Drittel gekürzt. [12]
Irma Grese schrieb fünf Tage vor ihrer Hinrichtung: „Doch man wird auch nicht den Triumph haben, dass ich mich auch nur einen Finger breit erniedrige.[...] Denn ich erfüllte für mein Vaterland die Pflicht.“[13] Solche „Suggestion der Rechtschaffenheit“ zeigte sich auch in den Verteidigungsstrategien anderer: Die Unfreiwilligkeit der Dienstaufnahme, die eigene unbedeutende Position, dem unausweichbaren „Befehl von oben“ und dem „nur seine Pflicht“ tun oder auch das angebliche Bemühen, die Schikanen anderer abzuschwächen. Jörg Friedrich schrieb: „In der Lüneburger Turnhalle zeichnete sich bereits das Muster des NS-Prozesses ab, einer Veranstaltung, zu der mehr oder minder kleine Leute geschleppt werden, die sich unterdessen flugs in Opfer verwandelt haben: Opfer der Zeit, Opfer ihrer Befehlsgeber und, wie jedermann ersichtlich, Opfer ihrer weit überforderten Moral.“[14]
Eberhard Kolb wertet den Prozess trotz einiger auch von ihm aufgezeigter Mängel als fair: „Man muss sich in die Atmosphäre des Jahres 1945 zurückversetzen und die aufgebrachte öffentliche Meinung der Siegerstaaten, die ein summarisches Verfahren und kategorische Schuldsprüche verlangte, um voll würdigen zu können, mit welch vorbildlicher verfahrensmäßiger Fairness der Belsen-Prozess durchgeführt wurde; schon allein die lange Dauer des Prozesses – in den alliierten Ländern immer wieder heftig kritisiert – und die am Schluss des Prozesses gefällten Urteile – in den alliierten Ländern ebenfalls zum Teil scharf kritisiert – sind ein Beweis dafür, dass das Urteil nicht bereits vor Beginn des Prozesses feststand und dass die Beweisaufnahme nicht eine bloße Farce darstellte.“[15]
Die 45 Urteile im Einzelnen
Angeklagter Funktion Rang Anklagepunkte: Belsen (B) - Auschwitz (A) Urteil Josef Kramer Lagerkommandant SS-Hauptsturmführer A + B Todesurteil, hingerichtet Franz Hößler stellvertretender Lagerkommandant SS-Obersturmführer A + B Todesurteil, hingerichtet Fritz Klein Lagerarzt SS-Hauptsturmführer A + B Todesurteil, hingerichtet Peter Weingartner Blockführer SS-Hauptscharführer A + B Todesurteil, hingerichtet Karl Francioh Leiter der Lagerküche SS-Rottenführer B Todesurteil, hingerichtet Ansgar Pichen Leitende Funktion Lagerküche SS-Mann B Todesurteil, hingerichtet Xaver Stärfel unbekannt SS-Hauptscharführer B Todesurteil, hingerichtet Wilhelm Dörr unbekannt SS-Oberscharführer B Todesurteil, hingerichtet Irma Grese Arbeitsdienstführerin und Rapportführerin SS-Oberaufseherin A + B Todesurteil, hingerichtet Elisabeth Volkenrath Oberaufseherin SS-Oberaufseherin A + B Todesurteil, hingerichtet Johanna Bormann Arbeitskommando Schweinestall SS-Aufseherin A + B Todesurteil, hingerichtet Erich Zoddel Funktionshäftling Lagerältester B Lebenslänglich, in einem anderen Verfahren im August 1945 von einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet Wladislaw Ostrowski Funktionshäftling Kapo B 15 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1955 Helena Kopper Funktionshäftling Blockälteste B 15 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1952 Otto Kulessa Blockführer SS-Scharführer B 15 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1955 Heinrich Schreirer Blockführer Politische Abteilung SS-Oberscharführer A + B 15 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1950 Hertha Ehlert Häftlingsbekleidungskammer - stellvertretende Oberaufseherin SS-Aufseherin A + B 15 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1953 Hilde Lohbauer Funktionshäftling Kapo A + B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1950 Antoni Aurdzig Funktionshäftling Blockältester B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1952 Johanne Roth Funktionshäftling Kapo Stubenälteste B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1950 Stanislawa Staroska Funktionshäftling Kapo A 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1950 Ilse Forster Küchenpersonal SS-Aufseherin B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1951 Hertha Bothe Waldkommando SS-Aufseherin B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1951 Irene Haschke Küchenpersonal SS-Aufseherin B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1951 Gertrud Sauer unterschiedliche Tätigkeiten SS-Aufseherin B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1951 Anna Hempel Küchenpersonal SS-Aufseherin B 10 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1951 Gertrud Fiest Aufseherin im Frauenlager (Abschnitt 2) SS-Aufseherin B 5 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1949 Medislaw Burgraf Funktionshäftling Blockältester Stubendienst B 5 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1949 Frieda Walter Küchenpersonal SS-Aufseherin B 3 Jahre Haftstrafe – Entlassung 1948 Hilda Lisiewitz unterschiedliche Aufgaben SS-Aufseherin B 1 Jahr Haftstrafe – Entlassung 1946 Georg Kraft Lagerführer und Koch SS-Unterscharführer A + B Freispruch Josef Klippel Leitende Funktion Lagerküche SS-Sturmbannführer B Freispruch Fritz Mathes Küchenpersonal SS-Hauptscharführer B Freispruch Karl Egersdörfer Lebensmittellager SS-Unterscharführer B Freispruch Ilse Lothe Funktionshäftling Kapo B Freispruch Oskar Schmitz Funktionshäftling Lagerältester Lager 2 B Freispruch Ignatz Schlomowicz Funktionshäftling Blockältester B Freispruch Anton Polanski Funktionshäftling Häftlingsarzt B Freispruch Walter Otto Lagerelektriker SS-Oberscharführer B Freispruch Erich Barsch Sanitätsdienstgrad SS-Unterscharführer B Freispruch Ida Forster Küchenpersonal SS-Aufseherin B Freispruch Klara Opitz Küchenpersonal SS-Aufseherin B Freispruch Charlotte Klein u.a. Küchenpersonal SS-Aufseherin B Freispruch Hildegard Hahnel unterschiedliche Tätigkeiten SS-Aufseherin B Freispruch Ladislaw Gura SS-Rottenführer unter Arrest Kapo B Freispruch - während des Prozesses erkrankt Der zweite Bergen-Belsen-Prozess
Vor einem britischen Militärgericht wurde in einem zweiten „Bergen-Belsen-Prozess“ vom 16. bis zum 30. Mai 1946 in Celle gegen neun Personen verhandelt. Dieser in der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Nachfolgeprozess unterschied sich von den anderen Kriegsverbrecherprozessen, die von der britischen Militärgerichtsbarkeit durchgeführt wurden, da gegen die einzelnen Angeklagten nacheinander verhandelt wurde, so dass in der Regel die Verfahren nur ein oder zwei Tage andauerten. Den Vorsitz des Militärgerichtes übernahm Major Glendinning, dem drei britische Militärs (Major Tabaschnik, Major Clarke, Captain Baker) und der polnische Lieutenant Szwedzicki beigeordnet waren.[16]
Dieser Prozess war ursprünglich für 22 Beschuldigte geplant, die sich im Vorjahr noch nicht im britischen Gewahrsam befunden hatten oder die aus Krankheitsgründen noch nicht verhandlungsfähig waren. Da die meisten schwerwiegenden Straftaten in anderen Besatzungszonen begangen und besser dort abgeurteilt werden sollten, wurde schließlich nur gegen zehn Personen Anklage erhoben, von denen einer wegen einer Personenverwechslung ausschied. Es standen dabei auch SS-Leute vor Gericht, die sich nur wenige Tage in Bergen-Belsen aufgehalten hatten, da sie als Transportleiter mit „Evakuierungszügen“ von Außenlagern des KZ Neuengamme ins Lager gekommen waren.
Vier der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und gegen fünf Angeklagte wurde eine zeitige Haftstrafe verhängt. Unter den zum Tode verurteilten Angeklagten befand sich Walter Quakernack, der 1941 im KZ Auschwitz an der ersten Vergasung sowjetischer Kriegsgefangener mitgewirkt hatte. Zum Tode verurteilt wurde auch Karl Heinrich Reddehase, der das Außenlager Hambühren-Waldeslust geführt hatte. Für Blockführer Heinz Heidemann setzte sich mit einem Gnadengesuch nahezu die gesamte Einwohnerschaft seines Heimatdorfes ein.[12] Der polnische Kapo Kasimir Cegielski konnte erst 1946 in Amsterdam gefasst werden. Wegen Misshandlungen von Häftlingen, teilweise mit Todesfolge, wurde gegen ihn vor einem britischen Militärgericht in Lüneburg nachverhandelt. Nach fünftägigem Prozess wurde er am 18. Juni 1946 zum Tode verurteilt.[17]
Die Todesurteile wurden am 11. Oktober 1946 im Gefängnis in Hameln durch Erhängen vollstreckt. Wie auch schon im ersten Bergen-Belsen-Prozess nahm der Henker von England, Albert Pierrepoint, die Hinrichtungen vor. Die verhängten Zeitstrafen wurden später um die Hälfte oder gar zwei Drittel gekürzt.
Die neun Urteile im Einzelnen
Angeklagter Funktion Rang Urteil Heinz Lüder Heidemann Blockführer SS-Rottenführer Todesurteil, hingerichtet Walter Quackernack Lagerführer Außenlager Hannover-Linden SS-Oberscharführer Todesurteil, hingerichtet Karl Reddehase Blockführer SS-Sturmscharführer Todesurteil, hingerichtet Kasimir Cegielski Kapo Funktionshäftling Todesurteil, hingerichtet Theodor Wagner SS-Oberscharführer 20 Jahre Haftstrafe, Entlassung 1954 Karl Schmitt Blockführer SS-Rottenführer 15 Jahre Haftstrafe, Entlassung 1951 Gertrud Heise SS-Oberaufseherin 15 Jahre Haftstrafe, nach Revision im August 1946: 7 Jahre Haftstrafe Martha Linke SS-Aufseherin 12 Jahre Haftstrafe, nach Revision im August 1946: 7 Jahre Haftstrafe Anneliese Kohlmann Aufseherin im KZ Neuengamme SS-Aufseherin 2 Jahre Haftstrafe - Entlassung 1946 Der dritte Bergen-Belsen-Prozess
Ein dritter „Bergen-Belsen-Prozess“ fand vom 14. bis zum 16. April 1948 im Hamburger Curiohaus statt; er wird daher auch als einer der Curiohaus-Prozesse geführt. Einziger Angeklagter war der Kommandeur der Wachkompanie in Bergen-Belsen, Julius Kurt Meyer. Im Unterschied zu den vorangegangenen Verfahren war ein ziviler deutscher Rechtsanwalt als Verteidiger zugelassen.
Meyer wurde vorgeworfen, an Misshandlungen alliierter Häftlinge mitgewirkt und am Tode einer Polin ursächlich beteiligt gewesen zu sein. Meyer bestritt diesen Vorwurf mit der zutreffenden Begründung, als Führer der Wachkompanie habe er keinen freien Zugang innerhalb des Lagers gehabt.[18] Obwohl die Zeugenaussagen nicht übereinstimmten und die Verteidigung auf eine mögliche Personenverwechslung hinwies, wurde Meyer zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Auch in diesem Prozess hatten sich zahlreiche Menschen für den angeklagten SS-Mann eingesetzt, der „ein netter Mensch“ und vor dem Krieg „schon gegen Hitler“ gewesen sei.[19] - Meyer wurde im Dezember 1954 aus der Haft entlassen.
Folgeprozesse
Nach dem Muster dieses Prozesses führten die Briten insgesamt 314 Prozesse gegen 989 deutsche Staatsangehörige, die zwischen 1939 und 1945 bei Kriegsverbrechen mitgewirkt hatten, durch. 43 weitere Prozesse betrafen italienische und österreichische Staatsangehörige. Sie verhandelten Verbrechen gegen alliierte Zivilisten und alliierte Militärpersonen, einschließlich KZ-Häftlingen. Sie betrafen daher oft Lagerpersonal größerer und kleinerer NS-Arbeits- und Vernichtungslager. Einbezogen waren auch Verbrechen gegen Zivilisten, die als Zwangsarbeiter verschleppt oder zur Vergeltung für Partisanenaktionen ermordet worden waren.
Der letzte britische Prozess gegen einen NS-Verbrecher richtete sich gegen General Erich von Manstein und dauerte vom 23. August bis 19. Dezember 1949.
Literatur
- Claudia Taake: Angeklagt. SS-Frauen vor Gericht. Bis, Universität Oldenburg 1998, ISBN 3-8142-0640-1, (Schriftenreihe des Fritz-Küster-Archivs), (Zugleich: Oldenburg, Univ., Diplomarbeit).
- Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen als „Pflichterfüllung“? Die Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen am Beispiel des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. In: Kurt Buck: Die frühen Nachkriegsprozesse. Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Edition Temmen, Bremen 1997, ISBN 3-86108-322-1, (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 3).
- United Nations War Crimes Commission (Hrsg.): Law reports of trials of war criminals, selected and prepared by the United Nations War Crimes Commission. 3 Bände. William S. Hein Publishing, Buffalo NY 1997, ISBN 1-57588-403-8, (Reprint der Originalausgabe von 1947–1949). Als PDF verfügbar: [1]
Weblinks
- Erster Bergen-Belsen-Prozess: Angeklagte und Urteile
- Mazal: Erster Bergen-Belsen-Prozess: Protokolle (englisch)
- Zweiter Bergen-Belsen-Prozess
- Fotos und Funktionen der Angeklagten
Einzelnachweise
- ↑ Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. S. 112 f.
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen als ‚Pflichterfüllung’? Die Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen am Beispiel des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Die frühen Nachkriegsprozesse. Bremen 1997, ISBN 3-86108-322-1, S. 40
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 40
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 41
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 42
- ↑ a b Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. S. 52 f.
- ↑ Eberhard Kolb: Bergen-Belsen. Vom ‚Aufenthaltslager’ zum Konzentrationslager 1943 – 1945. 5. erw. und überarb. Aufl. Göttingen 1996, S. 58f / Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 42f
- ↑ Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. Frankfurt/M 1984, ISBN 3-596-24308-4, S. 123 / Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 42 mit Anm. 32
- ↑ Eberhard Kolb: Bergen-Belsen... S. 54
- ↑ Reinhard Kolb: Bergen-Belsen..., S. 59
- ↑ Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. S. 54
- ↑ a b Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 43
- ↑ zitiert nach Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 38
- ↑ Jörg Friedrich: Die kalte Ambestie. S. 123
- ↑ Eberhard Kolb: Bergen-Belsen... S. 56/57
- ↑ Claudia Taake: Angeklagt: SS-Frauen vor Gericht. S. 105 f.
- ↑ Second Besen Trial auf www.www.jewishvirtuallibrary.org
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 44
- ↑ Alexandra-Eileen Wenck: Verbrechen... S. 44
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