Horizontalrad-Wassermühle

Horizontalrad-Wassermühle
Schematischer Aufbau einer typischen Horizontalmühle

Eine Horizontalrad-Wassermühle (kurz Horizontalmühle, insbesondere im Alpenraum auch Stockmühle, in den Ostalpen auch Floder- oder Flottermühle, im englischsprachigen Raum auch Clack- oder Clickmühle, Norweger- oder Normannenmühle (engl. norse mill), seltener auch Löffelradmühle, Griechische Mühle, Türkische Mühle oder Balkan-Mühle genannt[1][2]) ist eine Wassermühle, bei der das Wasserrad horizontal (waagerecht) liegt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Funktionsweise und Typen

Mechanik und Mahlwerk

Typische Horizontalmühle in aufgeständerter Bauweise

Da das Wasserrad horizontal liegt, steht die Welle - der "Stock" - vertikal. Das Mahlwerk befindet sich - üblicherweise durch eine Zwischendecke vor Spritzwasser geschützt, in einem Raum über dem Rad. Entweder ist das Mühlengebäude hierfür aufgeständert und das Mühlrad liegt im Freien oder das Gebäude ist mindestens zweigeschossig ausgeführt.[1]

Horizontalmühlen zeichnen sich durch ihre kompakte Bauweise und ihre sehr einfache und robuste Mechanik aus. Die Welle ist ohne Getriebe direkt mit dem Läuferstein, dem oberen Stein des Mühlsteinpaares, verbunden. Da Antrieb und Mahlwerk starr verbunden sind, laufen sie mit der selben Drehzahl - Horizontalräder zählen zu den Schnellläufern.[1] Das Lager und mit ihm die gesamte Welle mit Wasserrad und Läuferstein kann über eine Hebelmechanik angehoben werden; so kann der Abstand zwischen den Steinen und somit die Feinheit des Mehls eingestellt werden.[1]

Manchmal wurden Horizontalmühlen außer als Mahlmühle auch für andere Zwecke eingesetzt bei denen eine vertikale Welle und eine hohe Drehzahl von Vorteil war, etwa als Steinmühle.

Wasserführung

Hinsichtlich der Wasserführung werden zwei grundsätzlich verschiedene Typen unterschieden:

Freistrahl-/Impulsrad

Bei Impuls-Horizontalrädern wird das Aufschlagwasser durch eine Rinne ("Fluder") mit starkem Gefälle (mindestens 30-45°), seltener auch ein geschlossenes Rohr, auf das Rad geleitet. Das Rad selbst liegt frei im Raum, der Wasserstrahl trifft als Freistrahl tangential auf die Schaufeln des Rades und versetzt es in Drehung. Durch seitliches Schwenken der Rinne oder einen anderen Leitapparat kann der Strahl abgelenkt und so die Kraft des Wassers reguliert werden.[1]

Technisch handelt es sich bei diesem Mühlrad um eine teilbeaufschlagte Impulsturbine, eine Vorstufe der modernen Pelton-Turbine. Das Rad nutzt nur die kinetische Energie des Wassers. Weiterentwickelte Räder haben löffelförmig profilierte Schaufeln, die im Vergleich zu Rädern mit geraden Flügeln eine bessere Ausnutzung der Energie des Stahls erlauben.

Da die Wirkung vor allem auf der hohen Geschwindigkeit und weniger auf der Menge des Wassers basiert, kommt dieser Typ vor allem an Gebirgsbächen mit relativ geringer oder stark schwankender Wassermenge bei großem Gefälle und entsprechend schneller Strömung zum Einsatz. Impulsräder sind wegen ihrer besonders einfachen Bauweise in gebirgigen Regionen verbreitet. Die Leistung eines einzelnen Rades ist gering; solche Mühlen versorgen deshalb meist nur wenige Wohneinheiten oder nur einen einzelnen Bauernhof.[3][1]

Eine besondere Form der Wasserführung wird bei den im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten anzutreffenden, sogenannten Aruba-Mühlen (hebräisch ‏Arubah‎ = Schornstein) angewandt: Das durch ein Aquädukt mit geringem Gefälle herangeführte Aufschlagwasser wird durch einen gemauerten Schacht vertikal herangeführt. In diesem Druckschacht baut sich nach unten hin ein statischer Druck auf, der erst in einer Düse in Geschwindigkeit umgesetzt wird. Das vermindert Reibungsverluste, die das Wasser erleiden würde, wenn es über die Länge einer Rinne kinetische Energie gewinnt. Aruba-Mühlen erreichen so die höchste Fallhöhe aller historischen Mühlen.[1]

Wannen-/Reaktionsrad

Einlaufkanal einer antiken, römischen Mühle mit horizontalem Reaktionsrad in Tunesien

Bei diesem seltener anzutreffenden Typ liegt das Rad eng eingeschlossen in einer steinernen oder hölzernen Wanne/Tonne (englisch tub, französisch cuve) am Ende eines Fallschachtes.[4] Durch die Anströmung und Form des Schachtes wird das Wasser in Drall versetzt wie in einem Strudel. Der Schacht dient wie bei der Aruba-Mühle zum Druckaufbau, der Druck wird jedoch nicht über eine Düse in Geschwindigkeit umgesetzt sondern im Wasserrad selbst abgebaut und in mechanische Arbeit umgewandelt.[1]

Technisch handelt es sich bei diesem Typ um eine vollbeaufschlagte Reaktionsturbine, ein Vorläufer der modernen Francis-Turbinen. Frühe Reaktions-Wasserturbinen wie die Fourneyron-Turbine oder die Henschel-Jonval-Turbine orientierten sich an diesem Wasserradtyp und hatten ebenfalls eine senkrechte Welle.[1]

Reaktionsräder eignen sich auch für geringeres Gefälle bei größeren Wassermengen und entwickeln dann eine entsprechend hohe Leistung. Trotz ihrer vergleichsweise aufwändigen Bauweise waren Reaktionswasserräder bereits den Römern bekannt und insbesondere im westlichen Mittelmeerraum verbreitet.[1][4]

Geschichte, geographische Verbreitung und Besonderheiten

Horizontalmühle so genannte Click-mill auf Orkney

Überreste von Horizontalmühlen findet man häufig in Schottland und auf den nördlichen und westlichen Inseln. Eine restaurierte und intakte Clickmühle steht auf der Orkneyinsel Mainland. Andere stehen bei Shawbost auf Lewis und bei Westing auf der Shetlandinsel Unst.[4]

Frühe Horizontalmühlen wurden in China, Frankreich, Griechenland, Irland, Norwegen, Persien und Rumänien entdeckt. Sie zeigen gegenüber schottischen eine abweichende Technik. Archäologische Zeugnisse aus Irland deuten darauf, dass die ersten Mühlen um 1200-1300 n. Chr. errichtet wurden. Bei der Ausgrabung der sächsischen Schichten in der Stadt Tamworth in Staffordshire fand man eine weitaus ältere Mühle mit zwei horizontalen Wasserrädern. Vermutlich stammen die europäischen Horizontalmühlen bereits aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Vielleicht findet sich der erste Hinweis auf eine solche in einem etwas undeutlichen griechischen Epigramm des Antipatros von Thessalonike aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.[4]

Horizontale und vertikale Mühlen waren in Griechenland bis zum 2. Weltkrieg verbreitet. Im Museum von Dimitsana auf dem Peloponnes steht eine horizontal betriebene Getreidemühle. Während der allgemeine Aufbau ähnlich zu demjenigen auf den Orkney und Shetland-Inseln ist, gibt es bei der Konstruktion des Wasserrades Unterschiede. Griechische Mühlen haben eine geringe Anzahl gekrümmter oder abgewinkelter Schaufeln aus Holz oder Metall. Die auf den Shetlands erfassten hölzernen Räder besitzen eine noch geringere Schaufelzahl, die indes oft keinen Winkel zur Vertikalen bilden. Räder aus Norwegen und von den Färöern haben, ähnlich wie die schottischen, wenige und gerade Schaufeln. Das von G. D. Hay dargestellte Rad von Huxter (Shetlands) hat neun flache Bretter, die unter einem kleinen Winkel zur Vertikalen stehen. Die Mühlen der Färinger besitzen acht flache Bretter, die entweder im kleinen Winkel oder vertikal stehen. Irische Räder haben etwa 20 Schaufeln und sind iberischen und persischen ähnlich. K. Williamson glaubt, dass die Räder der Färöer aus Norwegen stammen. Vermutlich ähnelten sie dem norwegischen Beispiel von G. Goudie. Das Rad hat acht leicht gekrümmte Schaufeln in einem kleinen Winkel zur Vertikalen.[4]

E. G. Curwen sieht die Entwicklung der horizontalen Räder irgendwo zwischen China und Südeuropa beginnen, von wo sie auf ungeklärtem Weg nach Nordeuropa gekommen seien. Dies wird bestritten, denn die Daten, 1. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland, 7. Jahrhundert n. Chr. in Irland und später in Skandinavien sind nur stimmig, wenn man den Fund in England außen vor lässt. Curwen stellt auch fest, dass die nordeuropäischen Räder im Uhrzeigersinn, die im Süden gegen den Uhrzeigersinn drehen.[4]

L. C. Hunter verweist darauf, dass horizontale Wasserräder bis vor wenigen Jahrzehnten in den südlichen Appalachen im Einsatz waren. Das nordamerikanische „Tub-wheel“ hat flache Blätter aus Holz, unterscheidet sich aber in einem wichtigen Detail von den übrigen. Das Rad läuft in einem runden Behälter, der den Zustrom des Wassers hemmt. Tub-wheels sind größer als die Räder der Shetlands. In einer Tabelle von O. Evans werden Räder mit bis zu sieben Fuß Durchmesser aufgeführt. Verglichen damit sind die rund drei Fuß für Shetlandmühlen gering. Hunter verweist auf Tests des französischen Ingenieurs J. F. d'Aubuisson de Voisins (1762-1841) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.[4]

J. F. d'Aubuisson stellte fest, dass Horizontalmühlen in Südeuropa, an der Tagesordnung waren. Er unterscheidet zwei Typen. Jene, bei denen ein Wasserstrahl das Rad beaufschlagt, wie in den griechischen oder nordischen Mühlen, und solche, bei denen das Rad in einer Wanne durch Verwirbelung des Wassers gedreht wurde. Er weist darauf hin, dass die wasserstrahlgetrieben häufiger in den Alpen und Pyrenäen betrieben wurden. An Flüssen, wie der Garonne oder der Aude, wo es viel Wasser, aber wenig Gefälle gibt, kamen Wannen-Mühlen (Moulins a cuve) zum Einsatz.[4]

Der Mühlentyp ist in den Ostalpen, vor allem in Kärnten als Flodermühle bekannt. Berühmt sind die funktionsfähigen Apriacher Stockmühlen bei Heiligenblut, unter dem Großglockner, die Mühlen am Mühlenwander- und Kneippweg Kaning bei Radenthein sowie die restaurierten Stockmühlen bei Kals und die leider bachlose Flodermühle im Freilichtmuseum Maria Saal. Auch die Höhlenmühlen von Le Locle am Col des Roches (Schweiz) waren ursprünglich Horizontalmühlen. In den Dörfern Fang und Chandolin sind Horizontalmühlen zu besichtigen. Beide werden vom Wildbach von Fang angetrieben. Die Mühle von Chandolin wurde im Jahr 2000 restauriert.

Literatur

  • Ralf Kreiner: Die vorindustrielle Turbinenmühle: Eine angepasste und ressourcenschonende Technik. In: Dorothea Schmidt, Reinhold Reith (Hrsg.): Kleine Betriebe, angepasste Technologie?: Hoffnungen, Erfahrungen und Ernüchterungen aus sozial- und technikhistorischer Sicht. Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt. Band 18, Waxmann-Verlag, 2002, ISBN 3830911769, S. 17-40 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  • Berthold Moog; The International Molinological Society (Hrsg.): The horizontal watermill : history and technique of the first prime mover. (= Bibliotheca molinologica ; Vol. 12). Sprang Capelle, 1994, ISBN 92-9134-017-0, DNB 943624835.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k Ralf Kreiner: Die vorindustrielle Turbinenmühle (siehe Literatur)
  2. Maʻhad al-Waṭanī lil-Turāth: Die Steinbrüche und die antike Stadt. In: Azedine Beschaouch, Deutsches Archäologisches Institut (Hrsg.): Simitthus. Band 1, Philipp von Zabern, Mainz 1993, ISBN 3805315007.
  3. Johannes Mager, Günter Meissner, Wolfgang Orf: Die Kulturgeschichte der Mühlen. Wasmuth, 1989, ISBN 3803018064.
  4. a b c d e f g h The Horizontal Waterwheel. Scottish Industrial Heritage Society, abgerufen am 12. April 2011 (englischsprachig).

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