Abklingbecken

Abklingbecken
Schemagrafik eines Siedewasserreaktors (Typ General Electric Mark I) 1, 27: Brennelemente im Abklingbecken (5) bzw. 1: im Reaktordruckbehälter (gelb); 26: Kran für Brennelementetransport
Brennelementelager in der Reaktorhalle des russischen Kernkraftwerks Balakowo; Blick auf die Lücke in der Wand zwischen Reaktorbehälter und Abklingbecken. Im oberen Bereich ist in hellblau die Brennelementwechselmaschine zu sehen.

Abklingbecken (auch Nasslager oder Brennelementelager) sind mit Wasser gefüllte Becken in Kernkraftwerken, in denen die im Kernreaktor verbrauchten (abgebrannten), anfänglich hochradioaktiven Brennelemente zum Abklingen, das heisst zur Verminderung der restlichen Strahlungsaktivität und Temperatur (Nachzerfallswärme) bis zur Transportfähigkeit mehrere Jahre gelagert und gekühlt werden können.[1]

Abklingbecken liegen in der Regel in unmittelbarer Nähe des Reaktors, da die Brennelemente beim Transport vom Reaktorkern zum Abklingbecken dauernd gekühlt werden müssen. Auch aus Strahlenschutzgründen müssen die Brennelemente ständig von genügend Wasser umgeben sein. Die Mindestüberdeckung mit Wasser beträgt ca. 2 Meter.

Inhaltsverzeichnis

Abklingprozess

Beleuchtung, Tscherenkow-Licht, Brennstäbepackung im Reaktorkern des schweizerischen Kernkraftwerk Gösgen

Die Brennelemente kommen mit einer durch die Zerfallswärme entstehenden Temperatur von über 100 °C aus dem Reaktor ins Abklingbecken. Da das als Kühlmittel benutzte Wasser als Moderator wirkt, müssen im Abklingbecken zusätzlich Neutronenabsorber vorhanden sein, um eine Kritikalität zu vermeiden.

Während der Lagerung zerfallen die bei der Kernspaltung im Reaktor gebildeten, größtenteils kurzlebigen Radionuklide. Die dabei frei werdende Energie wird in Form von Wärme an das umgebende Wasser abgegeben und über Kühlkreisläufe abgeführt. Dabei ist hier oft und gut das Phänomen des so genannten Tscherenkow-Lichts zu beobachten: eine bläuliche Leuchterscheinung, die beim Durchgang schneller Elektronen durch Wasser hervorgerufen wird. Unter normalen Umständen beträgt die Wassertemperatur im Abklingbecken weniger als 50 °C.[2]

Die Brennelemente verbleiben im Abklingbecken, bis ihre Radioaktivität und damit die entstehende Nachzerfallswärme so weit abgenommen hat, dass sie transportiert werden können. Begrenzend ist hierbei sowohl die Dosisleistung als auch die Wärmeleistung, da es gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte für die äußere Dosisleistung und die Oberflächentemperatur bei den Transportbehältern (wie etwa beim CASTOR) gibt. Nach dem Abklingen werden die Brennstäbe entweder der Wiederaufarbeitung oder der Zwischenlagerung mit Ziel der Endlagerung zugeführt.

Umlagerung der Brennelemente

Modell des deutschen Kernkraftwerks Emsland, das Abklingbecken liegt rechts vom Reaktorbehälter, die Brennelemente darin in brauner Farbe; gut zu sehen ist der Schlitz in der Wand für den Transport der Brennelemente vom (wassergefluteten) Reaktorbehälter zum Ablingbecken

Zur Umlagerung von (abgebrannten) Brennelementen aus dem Reaktor werden zunächst der Beton-Deckel des Biologischen Schildes und bei Reaktoren, bei denen sich das Abklingbecken nicht im Containment befindet, der Deckel des Sicherheitsbehälters (engl. Containment, in der Schemagrafik orange) geöffnet und zur Seite gelegt. Anschließend wird der Reaktordruckbehälter(RDB) bis zum Flansch gefüllt und drucklos gehalten. Dann wird der 60-100 Tonnen schwere RDB-Deckel[3] (Nr. 2 der Schemagrafik) per Kran (Nr. 26 in der Abbildung) nach oben abgehoben. Der Reaktorkern ist somit von oben zugänglich. Nach dem Öffnen des RDB wird das Transportbecken, also der Bereich über dem Reaktordruckbehälter (gelb), mit Wasser geflutet bis der Wasserstand auf der selben Höhe ist wie der des Abklingbeckens. Wenn das der Fall ist, wird durch Entfernen der Lagerbeckenschleuse eine Verbindung zwischen RDB und Abklingbecken hergestellt. Die stark strahlenden Brennelemente sind durch die große Wasserüberdeckung ausreichend abgeschirmt.
Die Brennelemente können mit der Brennelementwechselmaschine (ein spezieller Kran auf einer Fahrbrücke oberhalb der Becken) durch die Lagerbeckenschleuse in der Wand des (im Normalbetriebs trockenen) Transportbeckens aus dem Reaktorbehälter in das benachbarte Abklingbecken gehoben werden. Dort lagern sie dann in einem Aufbewahrungsgestell (Abb., Nr. 27).

Lagermengen

Die Kapazität umfasst aus betrieblichen Gründen und für Notfälle mindestens eine Reaktorfüllung Brennelemente, mittels Lagergestellen wird die Kapazität für weitere Lagermengen hergestellt (konventionelle Lagerung).
Auf dem Wege der so genannten Kompaktlagerung wird die Lagerkapazität nochmals um ein Mehrfaches erweitert, hierbei wird durch den Einbau von Absorbermaterial in die Lagergestelle eine engere Belegung mit Brennelementen ermöglicht.[4]

Angesichts fehlender Endlager und qualifizierter Transportbehälter werden Abklingbecken über den betrieblich notwendigen Lagerbedarf der jeweiligen Kraftwerke hinaus als Zwischenlager für verbrauchte Brennelemente verwendet. So sind die deutschen Abklingbecken durchschnittlich zu 83% gefüllt, das des Kernkraftwerkes Isar I sogar zu 91%.[5]

Lagerzeit

G. Schmidt vom Ökoinstitut Darmstadt bezeichnet wegen der zur Lagerung notwendigen aktiven Kühl- und Reinigungssysteme mit der für sie benötigten Energie eine Dauer von maximal vier Jahren für die so genannte Nasslagerung als geeignet; diese bestätigt der Leiter für interne Kommunikation des Kernkraftwerks Grohnde.[6]

Nach Angaben des Chemikers Michael Sailer, ehemaliger Leiter der deutschen Reaktor-Sicherheitskommission, lagern in den Abklingbecken deutscher Kernkraftwerken die Brennelemente ca. 5 Jahre, in denen des japanischen Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi ca. 15 Jahre.[7]

Mangels geeigneter Endlager werden z.B. auch in den USA die dort vorgesehenen 5 Jahre deutlich überschritten.[8]

Risiken

Im Nachhall des Atom-Desasters von Fukushima erhob sich zur etwaigen Minimierung der Risiken von Kernkraftwerken der Vorschlag, Abklingbecken zukünftig räumlich von Reaktoranlagen zu trennen.
Bei der derzeit (2011) weltweit am weitesten fortgeschrittenen Planung eines möglichen Endlagers für Atommüll in Forsmark (S) ist eine Vorgabe, abgebrannte Kernbrennstäbe möglichst wenig transportieren zu müssen.

Einwirkungen von außen

Bei Kernkraftwerken mit internen Abklingbecken befinden sich diese stets direkt neben dem Flutraum des Reaktors, um die Brennelementhandhabung zu erleichtern, und somit innerhalb des Reaktorgebäudes. Der Schutz gegen Einwirkungen von außen hängt damit von der Gebäudekonstruktion des Reaktorgebäudes ab, die in Deutschland ab Mitte der 1980er Jahre beispielsweise den Schutz gegen Flugzeugabsturz berücksichtigt. Bei Druckwasserreaktoren befindet sich das Becken innerhalb des Sicherheitsbehälters.

Externe Abklingbecken - wie man sie beispielsweise in den USA oder in Frankreich häufig findet - sind in der Regel nicht gegen z. B. Flugzeugabstürze etc. abgesichert.

Kühlung

Brennelemente im Abklingbecken des italienischen Kernkraftwerks Caorso

Bei einem Leck oder Ausfall der Kühlung kann das Becken durch Auslaufen bzw. Verdampfung (teilweise) trockenlaufen. In diesem Fall können sich die dort gelagerten Brennelemente übermäßig erhitzen. Ist im Becken dabei noch Wasser vorhanden, kann bei ca. 800 °C das Zircaloy der Hüllrohre mit dem Wasser(-dampf) in einer exothermen Redox-Reaktion zu Zirconiumoxid und Wasserstoff reagieren und sich in kurzer Zeit ein explosives Knallgasgemisch bilden.

Bei kompletter Trockenlegung der Brennstäbe können diese in Brand geraten, was eine Zerstörung der Brennelemente zur Folge hat. Auch bei diesem Szenario wird Radioaktivität freigesetzt; zusätzlich werden mit dem entstehenden Rauch die verschiedenen in den verbrauchten Brennelementen vorhandenenen Radionuklide in die Atmosphäre freigesetzt (Kamineffekt, siehe Katastrophe von Tschernobyl). Die einzige Gegenmaßnahme ist das rechtzeitige Nachfüllen kühlen Wassers, um den Wasserspiegel im Becken ausreichend hoch für die notwendige Kühlung zu halten. Da das Wasser neben der Kühlwirkung auch als Abschirmung für die radioaktive Strahlung der Brennelemente im Becken dient, ist im Falle eines zu niedrigen Wasserspiegels ein Auffüllen zusätzlich durch unter Umständen starke radioaktive Strahlung erschwert. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass bei hoher Brennstofftemperatur durch die Wassernachspeisung die oben erwähnte Wasser-Zirkaloy-Reaktion gestartet wird.

In einer infolge der Nuklearkatastrophe von Fukushima erstellten Studie bewertet die schweizerische Atomaufsichtsbehörde Ensi die Sicherheitslage für die Kühlmöglichkeiten der Brennelementlager, sprich der Abklingbecken, in den Kernkraftwerken Beznau I und II sowie Leibstadt am Hochrhein als "nicht ausreichend".[9]

Undichtigkeiten

Auch in Abklingbecken können sich Unfälle ereignen und Radioaktivität, z. B. über entweichendes Kühlwasser, freigesetzt werden. So wird beim Becken des Kernkraftwerks Indian Point derzeit beobachtet, dass unter den Grenzwerten liegende Mengen von Tritium, Cäsium und Strontium ins Grundwasser gelangen und von dort weiter in den Hudson River verschleppt werden.[10]

Wasserstoffbildung

Im Normalbetrieb kann sich durch Radiolyse in der Nähe der eingelagerten Brennelemente das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Damit sich keine größeren Ansammlungen dieser beiden Gase (Knallgas) unter dem Dach des Abklingbeckens sammeln können, muss die Luft von dort kontinuierlich abgesaugt werden, da ansonsten gegebenenfalls nach einiger Zeit Explosionsgefahr besteht.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Begriff der Woche: Brennelement, GRS - Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, abgerufen am 25. März 2011.
  2. Fort Calhoun Nuclear Station. Used Fuel Storage. Utilities Service Alliance (USA), abgerufen am 24. März 2011 (englisch).
  3. http://www.areva-np.com/scripts/info/publigen/content/templates/show.asp?P=415&L=DE
  4. nux.ch, nux-nummer 4, September 1978: Die Sache mit den Brennelementen im Bassin (18. Mai 2011)
  5. wdr.de, monitor, 7. April 2011, Markus Schmidt, Jan C. Schmitt: Außer Kontrolle: Die brisanten Interna zu Fukushima (11. April 2011)
  6. dradio.de, Deutschlandfunk, Forschung Aktuell, 26. Juli 2011, Julia Beißwenger: 200 Meter im Castor: Das Akw Grohnde in Niedersachsen (31. Juli 2011)
  7. Michael Sailer im Podcast-Interview vom 18. März 2011 (ab 1:22:20), abgerufen am 25. März 2011.
  8. Typically, waste must sit in pools at least five years before being moved to a cask or permanent storage, but much of the material in the pools of U.S. plants has been stored there far longer than that. http://www.foxnews.com/us/2011/03/22/ap-impact-spent-fuel-storage-sites-packed/ (Archivversion), Meldung von Associated Press vom 22. März 2011 auf Fox News, abgerufen am 28. April 2011.
  9. badische-zeitung.de, Lokales, Kreis Waldshut, 7. Mai 2011, bz: Atomaufsicht übt Kritik (7. Mai 2011)
  10. Frequently Asked Questions About Indian Point Groundwater Leakage. What are the levels of radioactive contamination seen from the monitoring wells?. U.S. Nuclear Regulatory Commission (NRC), abgerufen am 24. März 2011 (englisch).

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Abklingbecken – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Abklingbecken — Ạb|kling|be|cken 〈n. 14〉 Wasserbecken, in dem verbrauchte Brennelemente zur Abfuhr der Nachwärme u. der Radioaktivität vor ihrer Weiterbehandlung zwischengelagert werden * * * Ạb|kling|be|cken, das (Reaktortechnik): durch dicke Betonschichten… …   Universal-Lexikon

  • Nuklearkatastrophe von Fukushima — Satellitenfoto der Reaktorblöcke 1 bis 4 (von rechts nach links) am 16. März 2011 nach mehreren Explosionen und Bränden. Als Nuklearkatastrophe von Fukushima werden eine Reihe von katastrophalen Unfällen und schweren Störfällen im… …   Deutsch Wikipedia

  • Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima — Die Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima schildert den Ablauf der Ereignisse im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I) ab dem 11. März 2011 und deren Folgen im Zeitverlauf. Alle Uhrzeiten sind in japanischer Ortszeit angegeben …   Deutsch Wikipedia

  • Systemzustand während der Nuklearkatastrophe von Fukushima — Während der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurden im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi verschiedene Daten und Messwerte zum Zustand der Kraftwerkssysteme erfasst. Sie zeigen, wie die üblichen Werte des Normalbetriebs im Zeitverlauf überschritten… …   Deutsch Wikipedia

  • Areva EPR — Fotomontage des im Bau befindlichen EPR (links im Bild) im Kernkraftwerk Olkiluoto Der EPR ist der größte Kernkraftwerkstyp des französischen Nuklearkonzerns Areva. Früher als European Pressurized Water Reactor vermarktet, ist die Abkürzung EPR… …   Deutsch Wikipedia

  • Chronologie der Katastrophe in Japan von 2011 — Die Chronologie der Katastrophe in Japan von 2011 soll einen zeitlichen Überblick über die Ereignisse nach dem Tōhoku Erdbeben 2011 am 11. März im Nordosten Japans geben. Neben den Folgen des in Japan historisch größten bekannten Erdbebens samt… …   Deutsch Wikipedia

  • Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi — f1 Kernkraftwerk Fukushima Daiichi Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (2007) Lage …   Deutsch Wikipedia

  • Strahlungsbelastung durch die Nuklearunfälle von Fukushima — Strahlungsmesswerte aus der Präfektur Fukushima vom 11. März bis zum 18. April 2011 Die Strahlungsbelastung durch die Nuklearunfälle von Fukushima ist ein wesentlicher Teil der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Ab dem 12. März 2011 kam… …   Deutsch Wikipedia

  • Kernkraftwerk Fessenheim — f1 Kernkraftwerk Fessenheim …   Deutsch Wikipedia

  • Windscale-Brand — Am 10. Oktober 1957 kam es in einem britischen Kernreaktor in Windscale (heute Sellafield, Großbritannien) zu einem Brand. Dieser setzte eine Wolke mit erheblichen Mengen radioaktiven Materials frei, die sich über Großbritannien und über das… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”