- MO.S.E-Projekt
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Das MO.S.E.-Projekt ( = modulo sperimentale eletromeccanico) ist ein derzeit in Bau befindliches bewegliches Flutschutzwehr. Es wird an den 3 Öffnungen (ital. bocche) der Lagune von Venedig installiert und soll das historische Zentrum Venedigs vor Acqua Alta schützen. Ähnliche Sperrwerke wurden bereits in London (Thames Barrier) und Rotterdam (Maeslant-Sturmflutwehr) erfolgreich in Betrieb genommen.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
1984 wurden erste Machbarkeitsstudien erstellt, die neben der Minimierung der Hochwasserschäden auch die hydrogeologische Gesamtsituation der Lagune zu berücksichtigen hatten. Zu diesem Zweck entstand im Auftrag der Venezianischen Wasserbehörde bei Padua ein fußballfeldgroßes Becken, in dem alle Inseln, alle Sandbänke, die Gezeitenverhältnisse und Fahrrinnen der Lagune detailgetreu nachgebaut wurden. Unter Beteiligung namhafter Wasserbauingenieure an der Universität Padua wurden dort die Auswirkungen von MO.S.E. auf die Feinmechanik des Wasserkreislaufs genauestens geprüft.
1996 wurde das Projekt dann durch die Regierung verabschiedet. Am 14. März 2003 nahm Silvio Berlusconi, der Ministerpräsident Italiens, den symbolischen Spatenstich zur größten Infrastrukturmaßnahme Italiens in der Nachkriegszeit vor. Doch der politische Alleingang und die wirtschaftliche Beteiligung Berlusconis am Projekt führten zu unzähligen Diskussionen und einem nationalen Streitthema.
Einer der größten Gegner von MO.S.E. ist Venedigs Bürgermeister, der parteilose Philosophieprofessor Massimo Cacciari. Selbst nach dem Beginn der Bauarbeiten gab er seinen Widerstand nicht auf und versagte den Bautrupps die kostenmindernde Nutzung von Teilen des Arsenals zur Fertigung wichtiger Bauteile für das Sperrwerk. Hier stand er auch in ständiger Konfrontation mit Giovanna Piva, der Leiterin des Magistrato alle Acque. Diese wurde am 1. Oktober 2008 von Prof. Patrizio Cuccioletta abgelöst, eine Annäherung der Standpunkte konnte bisher aber nicht erzielt werden.
Spätestens ab dem Jahre 2014 soll Venedig und seine Lagune vor den ständigen Hochwassern sicher sein.
Finanzierung
Die geschätzten Baukosten betragen nach derzeitigem Stand mindestens 4,67 Mrd. €. Experten befürchten aber, dass sie bis 2014 rund 6 Mrd. Euro erreichen werden. Die jährlichen Wartungskosten liegen ab der Fertigstellung bei ca. 20 Millionen €. Finanziert wird das Projekt überwiegend durch staatliche Gelder aus Rom, einem 1,5 Mrd. € - Darlehen bei der Europäischen Investitionsbank, Mitteln Venedigs und der UNESCO sowie zahlreicher Stiftungen.
Ausgeführt wird der Bau durch die Firmengemeinschaft Consorzio Venezia Nuova, einem Zusammenschluss der 30 größten Baufirmen Italiens. Sitz der Gesellschaft ist der Palazzo Morosini im Zentrum des historischen Venedigs Centro Storico. Zu dieser Firmengemeinschaft gehört auch die Finanzholding Fininvest S.p.A., die von der Familie Berlusconi betrieben wird.
Ursachen für den Bau
Der Anstieg des Meeresspiegels und das Absacken der Altstadt führen dazu, dass das Centro Storico, das seit 1987 zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, immer öfter überflutet ist.
Verantwortlich für das Absinken der Altstadt ist die Entnahme großer Mengen Grundwasser und Methans durch die Industrie auf dem Festland. Aber auch die Erweiterung der Fahrrinnen in der Lagune, das Verbreitern der bocche und die Raubfischerei sind verantwortlich. Die Fischer zerstören mit ihren Fangkörben die Vegetationsdecke am Meeresboden und somit können die nun schneller einströmenden Wassermassen die Sedimente leichter abtragen und aus der Lagune schwemmen.
Funktionsweise und Technik
Bei Sturmfluten mit einer Hochwassermarke über 110 cm sollen künftig die drei Lagunenzufahrten, die Bocca di Lido, die Bocca di Malamocco und die Bocca di Chioggia mit aufschwimmenden Barrieren verschlossen werden. Das Sperrwerk besteht insgesamt aus 78 beweglichen Elementen, 18 bei Chioggia, 19 bei Malamocco und 41 an der Bocca di Lido. Dort jedoch sind sie zwischen dem jeweiligen Ufer und einer künstlich geschaffenen Insel in der Mitte der Lagunenöffnung auf zwei Linien verteilt. In der Öffnung Lido - Treporti werden 20 und in der Öffnung Lido - San Nicolo 21 Fluttore montiert. Bei der Grundtechnik handelt es sich um keine revolutionär neue Erfindung. Die Tore großer Schiffsdocks werden schon seit langem nach diesem Prinzip bewegt. Die Klappen sind große Stahlkästen, die, wenn sie in ihren Schächten am Meeresboden liegen, randvoll mit Wasser gefüllt sind. Sollen sie geschlossen werden, drückt man mit Pressluft das Wasser heraus und die Tore richten sich auf.
So funktioniert auch MO.S.E., nur mit dem feinen Unterschied, dass alles von der Dimension her viel gewaltiger ist und man den Toren ein intelligentes Innenleben einbaut. Denn bei der Größe der einzelnen Tore (5 Meter dick, 20 Meter breit, 30 Meter lang bei einem Gewicht von 250 t) und den dadurch auftretenden Kräften muss das Auf und Ab der Schwimmkästen ganz präzise ablaufen. Diese liegen später mit nur 10 cm Abstand nebeneinander in ihrer Verankerung. Auf keinen Fall dürfen sich die einzelnen Elemente berühren oder gar verklemmen. Damit dies nicht passiert, wird erst in ihre Spitze hinter einem von oben herunter ragenden Schott Luft gedrückt, damit sich dort eine Luftblase bildet. So lässt sich jedes einzelne Tor vorne kontrolliert anheben. Die Klappen werden auch nicht gleichzeitig, sondern nacheinander vom Ufer aus beginnend, angeblasen um sie so nacheinander aus dem Wasser emporsteigen zu lassen.
Der Zeitrahmen vom ersten Anblasen bis zur richtigen Positionierung der gesamten Wehranlage beträgt 30 Minuten. Die ideale Position der Tore ist bei einer Schräglage von 45 Grad erreicht und kann im Extremfall eine Wasserdifferenz von 2 m zwischen Lagune und Adria herstellen. Geht es nach den Prognosen der Ingenieure, so kann das Sperrwerk in der Regel nach 4–5 Stunden mit dem Rückgang der Flut wieder abtauchen. Damit das alles reibungslos funktioniert, müssen die Schwimmklappen solide geführt und gelagert werden. Diese Aufgabe übernehmen überdimensionale Zargen. Diese sind Caissons aus Stahlbeton, 14 Meter hoch mit einer Grundfläche von 50 x 60 Metern pro Einheit. Befestigt werden daran später jeweils 3 Sperrklappen an 3,20 Meter hohen und 24 t schweren Scharnieren. In der Ruhestellung tauchen die Klappen vollständig in die Caissons ein. Um den Schiffsverkehr in die Lagune auch während der Hochwasserphasen zu gewährleisten, wird der Einlass Malamocco mit einer Schleuse (370 m lang für Schiffe bis zu 280 m Länge und einem Tiefgang bis zu 12 Metern) ausgerüstet. Kleinere Häfen und Schleusen sind auch für die beiden anderen Einlässe vorgesehen.
Einer der kleineren Häfen an der Bocca di Lido wird seit seiner Trockenlegung und Abdichtung im CSM-Verfahren als Baugrube für die Herstellung der Caissons genutzt. Das CSM-Verfahren (Cutter-Soil-Mixing) stellte sich nach umfangreichen Versuchen als das ideale Verfahren zum Abdichten des Lagunenuntergrunds heraus. Dieser besteht bis zu einer Tiefe von 28 Metern aus unverfestigten Sedimenten. Dies sind über 95 % Komponenten aus Ton- und Feinsanden mit einer Korngröße von 0,002 mm bis 0,063 mm (sogenannter Schluff). Beim CSM - Verfahren wird der Boden unter ständiger Zugabe geeigneter Suspensionen (bei MO.S.E. im ersten Arbeitsschritt Bentonit) verflüssigt und in einer 2. Phase durch die Zugabe von Zementsuspension gebunden. In die CSM-Einheit eingebaute Neigungssensoren ermöglichten gleichzeitig die plane Ausrichtung des Bodens bei einer maximalen Abweichung von 0,2–0,3 %.
Für die Errichtung der Spundwände hat die Firma HSP Hoesch Spundwand und Profil GmbH, eine 100 %ige Tochter der deutschen Salzgitter AG, Formteile im Gewicht von 15.500 t geliefert. Diese wurden angesichts des zu erwartenden hohen Wasserdrucks zusätzlich mit Spezialrohren im Gesamtgewicht von 7.700 t der Firma EUROPIPE verstärkt. Bei der Abdichtung der Spundwände kam ebenfalls das CSM-Verfahren erfolgreich zum Einsatz Für den Bau der gigantischen Caissons haben die verantwortlichen Ingenieure ein besonderes Verfahren entwickelt. Im späteren Schleusen- und Hafenbecken an der Bocca di Lido wurden riesige Stelenfelder angelegt. Auf den mannshohen Betonsäulen befindet sich die jeweilige Schalung. Alle Betonfertigteile bleiben bei diesem System jederzeit von unten zugänglich. Die fertigen Caissons können problemlos mit Hydraulikpressen angehoben und mit Hilfe von Rollen zur Verladung gezogen werden. Mit dem wohl größten Schwerlastaufzug Europas werden anschließend die bis zu 20.000 t schweren Fertigbauteile am Rand des Hafens zu Wasser gelassen, denn die MO.S.E.-Zargen erreichen schwimmend ihre späteren Liegeplätze. Die Caissons wurden hierzu bewusst mit zahlreichen Luftkammern ausgestattet, die ihnen ausreichend große Auftriebskräfte verleihen. Schlepper ziehen dann die Segmente an Ort und Stelle, wo sie mit Hilfe von GPS-Navigationshilfen ausgerichtet und langsam abgelassen werden. Dazu flutet man die Luftkammern. Zusätzliches Gewicht und damit weitere Stabilität soll nach dem Absetzen Ballast in Form von Schotter und Eisenschrott in einzelnen Hohlräumen bringen. Auf der Vorderseite werden Inspektionsgänge eingerichtet, von denen aus der Hebemechanismus und die Pressluftstränge gewartet werden können. Um alle Umweltauflagen zu erfüllen, müssen die Einbauten komplett im Meeresboden verschwinden, was - quer zur Fahrrinne - 14 Meter tiefe und 50 m breite Gräben erforderlich macht. Nur so wird der vorgegebene natürliche Wasserkreislauf zwischen Lagune und Adria nicht behindert. Diese Rinnen sind mittlerweile weitgehend fertiggestellt und verfestigt. Dazu mussten große Mengen Sand und Schlick ausgebaggert werden, etwa zweimal soviel wie das Volumen der Cheopspyramide. Die Aufstellflächen für die Caissons hat man zudem durch 40 Meter lange Rammpfähle verstärkt. Links und rechts der Gräben wurden auf dem Meeresboden Geotextilbahnen befestigt. Dadurch soll der Sedimentabtrag durch die Strömung in den Laguneneinfahrten verhindert werden. Bei Malamocco, der wichtigsten Zufahrt für Großschiffe in die Lagune, befindet sich die Sperranlage 14 m unter dem Meeresspiegel.
1.500 Spezialisten arbeiten z. Zt. auf den verschiedenen Baustellen in und vor der Lagune.
Bisher brauchte Venedig keine technischen Hilfen, um Höhenunterschiede in den Fahrrinnen zu bewältigen. Dies wird sich mit den Schleusensystemen ab 2014 aber grundlegend ändern. Zu diesem Zweck wurde ein Fahrsimulator entwickelt, mit dem bereits jetzt die Lotsen unter Leitung von Herrn Lauro Celentano auf die neuen Herausforderungen vorbereitet werden. Nachdem im Bereich der Schleusen nur „Schrittgeschwindigkeit“ erlaubt ist, entsteht für die Großtanker vor Malamocco eine gefährliche Drift. Schuld daran ist die Bora, ein kalter und böiger Fallwind aus Nordosten (Kroatien und Dalmatien) mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 250 km/h, dem die enormen Massen der Schiffe bei niedriger Geschwindigkeit eine gewaltige Angriffsfläche bieten.
Weblinks
Commons: MOSE Project – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienKategorien:- Sturmflutwehr
- Bauwerk in Venedig
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