Naturwissenschaft und Religion

Naturwissenschaft und Religion
Wissenschaft und Religion in Harmonie, Tiffany- Fenster namens Education (1890).

Naturwissenschaft und Religion (oder: Wissenschaft und Religion, engl. Science and Religion) ist ein interdisziplinäres Gebiet der Forschung, das die Interaktionen zwischen Wissenschaft und Religion untersucht. Hierbei wird unter Wissenschaft in erster Linie die Naturwissenschaft verstanden, insbesondere Physik, Kosmologie, Evolutionsbiologie, Genetik und Neurologie, aber auch Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftsgeschichte und seltener die Psychologie. Religion meint einerseits die traditionellen Religionen, allen voran das Christentum, aber auch spirituelle Aspekte, insbesondere die Gottesfrage.

Inhaltsverzeichnis

Gegenstand der Forschung

Als akademisches Forschungsgebiet ist Naturwissenschaft und Religion in den 1960ern Jahren in Amerika und Europa aufgekommen. Als Begründer dieses interdisziplinären Gebiets gilt der Physiker und Theologe Ian Barbour (*1923),[1] der 1966 das grundlegende Werk Issues in Science and Religion veröffentlichte.

Das themenübergreifende universitäre Fach untersucht die Beziehungen der beiden sich konkurrenzierenden Ansichten. Zu den Untersuchungen gehört auch die Frage, weshalb die Naturwissenschaft in der judäo-christlichen Kultur entstand. Zudem werden neue Konzepte und Modelle erarbeitet, die das Verhältnis der beiden Sichtweisen zu relativieren versuchen. Am Rande hierher gehören auch Untersuchungen, wie diejenige, wo an tibetischen Mönchen mittels Neurologie nachgewiesen werden konnte, dass Meditation, eine verbreitete spirituelle Praxis im Buddhismus und Hinduismus, starke Auswirkungen auf das Hirn hat.[2] Zu den bedeutenden Vertretern dieses umfassenden Gebiets im deutschsprachigen Raum gehören derzeit der Theologe Hans Küng (*1928) sowie die Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) und Hans-Peter Dürr (*1929).

Neben der universitären Forschung beschäftigen sich auch religiöse Institutionen mit der Frage des Verhältnisses zwischen Wissenschaften und Religion, sowie Autoren von Esoterika und New Age-Literatur.

Interaktionsmodelle

Um die verschiedenartigen Verhältnisse zwischen Wissenschaft und Religion besser einordnen zu können, erarbeiteten verschiedene Forscher Interaktionsmodelle, so die vier Beziehungsmodelle Konflikt, Kontrast, Kontakt, Konfirmation von John Haught, die acht Modelle von Ted Peters, die in vier Konfliktmodelle und vier Kooperationsmodelle geteilt werden. Auch Ian Barbour spricht von vier Modellen.[3] Diese Interaktionsmodelle ermöglichen eine wissenschaftlichere Fokussierung der vielfältigen Beziehungen, anstelle der öffentlichen Wahrnehmung, die sich lediglich auf die medienwirksame Konfliktmodelle konzentriert.

Konflikt- / Konfrontationsmodell

In das Konfliktmodell fallen Ansichten, die entweder Naturwissenschaft oder Religion ausklammern oder vereinnahmen wollen. Diese Modelle führen in der Regel zu heftigen Konflikten.

Naturwissenschaftlicher Materialismus: Diese Sichtweise vertritt die Meinung, dass nur die materielle Welt real existiere (Reduktionismus), die allein von der modernen Naturwissenschaft methodisch korrekt untersucht werde. Der Religion wird häufig jede Existenzberechtigung abgesprochen. Vertreter dieser Richtung sind der Astrophysiker Stephen Hawking (*1942) oder der Biologie Richard Dawkins (*1941). Auch in kommunistischen Ländern wurde Religion dank der "heilsamen" Naturwissenschaft als unzulänglich erklärt und politisch unterdrückt (Karl Marx: »Religion ist Opium fürs Volk!«).

Naturwissenschaftlicher Imperialismus: Religiöse und spirituelle Erscheinungen werden mit Hilfe der Naturwissenschaft erklärt oder widerlegt. Gott wird in diesem Modell zum Teil anerkannt, erfüllt aber eher die Rolle eines "Lückenbüssergottes", der hilft, (noch) Unverstandenes zu erklären. Zu dieser Richtung gehört der Inder Gopi Krishna (1903-1984), der die Biologie auffordert, die Phänomene der Kundalini-Erweckung naturwissenschaftlich zu erforschen [4]. Hierher gehören auch Versuche, Religion als Stufe der psychischen oder soziologischen Entwicklung der Menschheit zu erklären.

Kirchliche Autorität: Lange Zeit erhob der Vatikan das Recht, das letzte Wort in Sachen Wissen zu haben. Zwar erlaubte er naturwissenschaftliche Forschungen, schritt aber bei Fragen, die direkt den Wahrheitsgehalt der Bibel oder die Autorität der Kirche in Frage stellen könnten, mehrmals "korrigierend" ein. Bekannte "Fälle" sind Galileo Galilei und der Darwinismus.

Religiöser Fundamentalismus: Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich in den USA der religiös-fundamentalistische Kreationismus, der noch heute den naturwissenschaftlich begründeten Darwinismus verleugnet, wodurch ein breites Konfliktpotenial entstand, das besonders in Nordamerika und Australien zum tragen kommt. Eine sanftere Sichtweise vertritt das Intelligent Design, das zwar dem Darwinismus gewisse Zugeständnisse macht, aber diesem die biblische Sichtweise überstülpen möchte.

Kontrast- / Koexistenzmodell

Das Koexistenzmodell oder Modell der "Zwei Sprachen" betrachtet Naturwissenschft und Religion als zwei unabhängige verschiedene Sichtweisen, die sich ergänzen, aber nicht direkt in Übereinstimmung gebracht werden können. Hiernach ist Naturwissenschaft für die Erklärung der realen materiellen Welt zuständig, Religion aber für die transzendentale Wirklichkeit, wobei beide nötig sind, wie der Physiker Albert Einstein (1879-1955) formulierte: »Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.« (Science without religion ist lame, religion without science is blind.).[5]

Hans Küng spricht vom Komplementaritätsmodell und fordert, dass »alle illegitimen Übergänge vermieden werden und alle Verabsolutierungen abglehnt werden«. Theologen und Naturwissenschaftler sollten sich gegenseitig kritisch hinterfragen, um so Fehlinterpretationen zu revidieren.[6]

Dialogmodell

Bei Dialogmodellen überschneiden sich Fragen der Naturwissenschaft und der Religion an mehrern Punkten. Fragestellungen werden demnach aus der Sicht der Naturwissenschaft und aus der Sicht der Religion untersucht und die Ergebnisse gegeneinander abgewogen. Dieses Modell von Interaktion zwischen Wissenschaft und Religion ist allgemein wenig verbreitet, gewinnt aber in der Ethikfrage, die sich heute aufgrund des immer größeren Ressentiment weiter Bevölkerungsteilen bezüglich Nuklear- und Gentechnologie, breit macht, an Bedeutung. Zwar versuchen einige Wissenschaftler eine »Ethik ohne Gott« zu etablieren, kommen aber nicht umhin, auf die seit Jahrtausenden von den Religionen verkündeten ethischen Modelle zurückzugreifen.

Integrationsmodell

Das Integrationsmodell beschreibt neue Ansätze, moderne Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit religiösen oder spirituellen und esoterischen Meinungen zu vereinen. So gibt es Modelle, die besagen, dass die Schöpfungsgeschichte des 1. Buch Mose (Licht > Pflanze > Tier > Mensch) und der Darwinismus sich gegenseitig bestätigen würden. Besonders in der New Age-Bewegung werden immer wieder neue Modelle entworfen, die Naturwissenschaft und Religion/Spiritualität als ein harmonisches Gebilde zusammenbringen versuchen.

Dem Integrationsmodell zugeordnet werden auch die Evolutionstheologie von Teilhard de Chardin (1881-1955) und die Prozessphilosophie von Alfred North Whitehead (1861-1947).

Aktuelle Themen

Kosmologie

Das Modell vom Urknall vermag die Entstehung des Universums erstaunlich genau und wissenschaftlich zu beschreiben, kann aber keine Auskunft darüber geben, was den Urknall bewirkte. Auch die Frage, ob das Universum endlich sei, kann nicht beantwortet werden. Anstelle eines zufälligen oder sinnleeren Kosmos bietet sich dem Gläubigen Gott als "geistiger Urgrund, Urhalt und Ursinn von Welt und Mensch" an.[7]

Des Weiteren wird argumentiert, dass die geringste Abweichung der Feinabstimmung der Naturkonstanten zu einem lebensfeindlichen Kosmos geführt hätten [8], weshalb von Physikern die nicht beweisbare Hypothese des Multiversums entwickelt wurde. Auch das Anthropische Prinzip wird als möglicher Erklärungsansatz angeführt. Vielfach wird auch bestritten, dass eine solche Feinabstimmung überhaupt existiert.[9] Von theologischer Seite wird argumentiert, dass diese Feststellung darauf hindeute, dass eine Göttliche Vorsehung beim Urknall mitgewirkt habe, damit auf der Erde überhaupt Leben entstehen konnte.

Siehe auch: Kritik und Diskurs der teleologischen und theologischen Erklärung der Feinabstimmung der Naturkonstonten

Evolutionsbiologie

Die Auseinandersetzungen zwischen biblischem Schöpfungsglaube und der Evolutionstheorie Darwins bildete die härtesten Fronten, aber auch verschiedene Integrationsmodelle.

Während eine Ablehnung dieser Theorie heute lediglich auf Missverständnissen und religiösem Fundamentalismus beruht[10], vertritt die Mehrheit der europäischen katholischen und protestantischen Theologen den Gedanken einer theistischen Evolution. Sie gehen davon aus, dass Gott „seine Welt“ nicht nach einer einmaligen Schöpfung „verlassen“ habe, sondern in einer Creatio Continua (»fortgesetzte Schöpfung«) auf meist verborgene Weise seine Schöpfung erhelte und möglicherweise auch in diese eingreife. Diese Auffassung schließt dann freilich auch die von der Naturwissenschaft erkannte Welt mit ein.

Genetik

Die Disziplin der Genetik löste vor allem in der Ethikfrage starke Diskussionen aus. Dabei verliefen die Fronten allerdings nicht nur zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen, die Themen stießen auch auf starkes öffentliches Interesse. 1995 war das Jahr der Kontroverse, ob Wissenschaftler Patente auf Informationen bezüglich des menschlichen Genom erhalten dürfen[11], zwei Jahre später ging es um das Klonen von Lebewesen[12] und 2000 um embryonale Stammzellen[13]. Fragen, wie weit darf der Mensch »Gott spielen« oder in die Natur eingreifen und wem das menschliche Erbgut gehöre, lösten in den Medien ein breites Echo aus. Während der Vatikan die Forschung an embryonalen Stammzellen als moralisch illegitim verurteilt, argumentieren gemäßigte Protestanten, dass die christliche Nächstenliebe verlange, menschliche Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern, auch mit embryonalen Stammzellen. Auch jüdische Ethiker vertreten die Meinung, Gott erlaube es, embryonale Stammzellen für therapeutische Zwecke einzusetzen.[14]

Konfrontationsmodelle

Sowohl die Naturwissenschaft als auch die Religion haben den Anspruch, „wahre“ Aussagen über die Welt zu machen. Und hierin kann es zu Konflikten zwischen beiden Sichtweisen kommen. Religion beruht in ihrem Kern auf nicht beweisbaren „Wahrheiten“, die der Mensch meint, in einer von Gott gegebenen Offenbarung (z.B. Christentum, Judentum oder Islam) oder in eigener mystischer, meditativer Versenkung (z.B. Buddhismus, Hinduismus) zu finden. Die Naturwissenschaft hingegen erhebt den Anspruch, dass ihre „Wahrheiten“ durch wiederholbare Experimente jederzeit überprüfbar sind, zumindest auf der elementaren Ebene; anders ist es bei komplexen Theorien sowie bei historischen Rückschlüssen.

Zur Debatte steht, wie diese Überschneidungen eingeordnet werden. Lange Zeit wurde eine prinzipielle Unvereinbarkeit beider Zugangsweisen angenommenen. In neuerer Zeit gehen viele europäische Theologen und Naturwissenschaftler davon aus, dass Naturwissenschaft und Theologie jeweils ihre Berechtigung in ihrer eigenen Domäne haben, da sie die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weisen deuten und dass ein Dialog fruchtbar sei. Es gibt besonders im angelsächsischen Raum auch philosophisch-theologische Entwürfe, die beide Bereiche vereinen möchten.

Religion beansprucht Bereiche der Naturwissenschaft

Im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit beginnen sich die Naturwissenschaften von der theologischen Weltdeutung zu emanzipieren. Im Hintergrund dieser Entwicklung steht wohl die im Spätmittelalter erstarkende philosophische Richtung des Nominalismus und das Universalienproblem.

Giordano Bruno (1548-1600) vertrat als einer der ersten in Kenntnis der Forschungen des Nicolaus Copernicus, dass der Kosmos nicht um die Erde als Mittelpunkt gebaut ist, sondern unendlich ist und die Sonne das Zentrum des Sonnensystems ist. Damit stellte er für die damalige Kirche die Besonderheit der Erde und des Menschen als Gottes Schöpfung in Abrede. Er wurde zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Galileo Galilei (1564-1642) bewies mit Hilfe von Beobachtungen mit einem Fernrohr das heliozentrische Weltbild des Nicolaus Copernicus und wurde von der römischen Kirche, die ihre Deutungshoheit für die Naturdinge bedroht sah, gezwungen, seine Lehren zu widerrufen und ab 1633 unter Hausarrest gestellt. Durch Forschungen weiterer Wissenschaftler wurde das heliozentrische Weltbild jedoch bald stillschweigend von der Kirche toleriert. Galilei wurde aber erst am 2. November 1992 von Papst Johannes Paul II. offiziell rehabilitiert.

Einer weiterer Konflikt zwischen den christlichen Kirchen und Vertretern der Naturwissenschaft, bei der die Kirchen ihr Verständnis von der Schöpfung bedroht sahen, bedeutete die Entwicklung der Evolutionstheorie durch Robert Charles Darwin (1809-1882). Ihm zufolge entstanden die Tier- und Pflanzenarten der Erde nicht in einem siebentägigen Schöpfungsakt, wie eine wörtliche Interpretation der Bibel nahelegt, sondern durch Jahrmillionen andauernde Prozesse der Anpassung an den Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion. In einem seiner späteren Werke The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex stellte Darwin die These auf, dass der Mensch wie alle anderen Tiere ebenfalls dem Prozess der Evolution unterworfen ist und gemeinsame Vorfahren mit dem Affen hat. Mit dieser Auffassung wurde er in seiner Zeit stark angefeindet. Noch heute lehnen einige Kreationisten die Evolutionstheorie ab, weil sie ihrer Meinung nach der Erschaffung der Welt, wie sie ihre Religion lehrt, widerspricht.

Naturwissenschaft beansprucht Bereiche der Religion

Als Folge des von Auguste Comte (1798–1857) begründeten Positivismus hat die Religion für viele ihre Existenzberechtigung verloren. Dabei wird davon ausgegangen, dass Religion bestenfalls noch die „Lücken fülle“, für welche die Naturwissenschaft noch keine hinreichenden Erklärungen gefunden hat. Im Szientismus wird die Meinung vertreten, dass das „Wissen“ der Naturwissenschaft dem „Glauben“ der Religion überlegen sei und potenziell ausreiche um die Welt zu erklären. Die Religion befinde sich auf einer niedrigeren Stufe der Entwicklung des Wissens (Drei-Stadien-Gesetz).

Im 20. Jahrhundert wurde Comtes Thesen vom Neopositivismus aufgegriffen und weiterentwickelt. Der Theologe Hans Küng (*1928) wirft dieser vor, in philosophisch oft unreflektierter Weise der Wissenschaftstheorie gleichsam als Weltanschauung zu dienen, obwohl die Verifikationsmethode schon Mitte des Jahrhunderts von Karl Popper (1902-1994) logisch widerlegt werden konnte.[15]

Koexistenzmodelle

Karl Popper stellte mit seinem Falsifikationismus heraus, dass jede naturwissenschaftliche Erkenntnis prinzipiell, neben ihrer Verifizierbarkeit, falsifizierbar sein muss, um wissenschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, womit der naturwissenschaftlichen Weltdeutung Grenzen gesetzt werden. Somit sind Aussagen, die ein Naturwissenschaftler über die Wirklichkeit macht, stets vorläufig und müssen mit der Möglichkeit rechnen, durch andere Aussagen, durch bessere Theorien widerlegt zu werden. Auch die Heisenbergsche Unschärferelation setzt der Berechenbarkeit von subatomaren Teilchen eine klare Grenze, genau so wie der Gödelsche Unvollständigkeitssatz auf die Grenzen mathematischer Beweisführung in endlichen Systemen hinweist[16]. Ein radikales Vertreten einer (neo)positivistischen Position kann somit als genauso sinnig oder widersinnig wie eine wörtliche Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte betrachtet werden.

Umgekehrt hat die Naturwissenschaft, wo es um die Erklärung von Naturphänomenen oder die Erleichterung des menschlichen Lebens durch technische Hilfsmittel geht, der theologischen Weltdeutung in der Frühen Neuzeit immer wieder deutlich die Grenzen der Religion aufgezeigt.

Hans Küng und andere zeitgenössische Denker folgern aus diesen aufgezeigten Grenzen von Religion und Naturwissenschaft, dass beide auch heute gleichberechtigt sind und sich komplementär zueinander verhalten. Sie machen demnach Aussagen über verschiedene Ebenen der Wirklichkeit. So würde sich die Theologie heute z.B. lächerlich machen, wenn sie versuchte, die Vorgänge in einem Atomkraftwerk mit der Bibel oder dogmatischen Überlegungen zu erklären, wohingegen existenzielle Menschheitsfragen wie: „Woher kommen wir?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“, auch heute noch Domänen der Religion und/oder der Philosophie sind.

Der Neutestamentler Gerd Theißen drückt es so aus:

Die Naturwissenschaft fragt nach dem Faktischen, die Theologie nach Sinn und Wert.[17]

Eine ähnliche Ansicht wurde auch vom Paläontologen und Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould vertreten (siehe Nonoverlapping Magisteria, kurz NOMA).

Kritiker von NOMA, wie etwa der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, sehen darin lediglich eine Möglichkeit für Theologen, sich der Überprüfbarkeit zu entziehen. Ferner, so Dawkins, sei eine solche Trennung in verschiedene Bereiche schlicht nicht möglich. Ein göttliches Wesen, das auf irgendeine Weise mit dem Weltgeschehen interagiert, betrete damit zwangsläufig naturwissenschaftliches Terrain. Außerdem seien Fragen, die von der Naturwissenschaft nicht im Prinzip beantwortet werden können, der Theologie ebenso unzugänglich.[18]

Dialogmodelle

Die christliche Religion erhebt den Anspruch, sich auf das Ganze der Wirklichkeit zu beziehen und es als Schöpfung Gottes zu deuten.

Umgekehrt versuchte und versucht die Naturwissenschaft immer wieder, dem „Phänomen Religion“ mit ihren empirischen Mitteln auf den Grund zu gehen. Solange sie dabei nicht selbst „religiöse“, „weltanschaulich-geprägte“ Generalisierungen vornimmt, sollte eine aufgeschlossene Religion/Theologie diese Versuche akzeptieren. In einer pluralistischen Welt kann es ein Ausweis von Glaubwürdigkeit sein, wenn Religion und Theologie solche Anfragen der Naturwissenschaft als Herausforderung sehen und mit ihnen in Dialog treten.

Bekannt sind die Anfragen der klassischen Religionskritik an den religiösen Glauben. Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen kann helfen, wahren Glauben vom „Ideologieverdacht“ zu befreien.

Der französische Religionsphilosophe Pascal Boyer versucht evolutionsbiologisch die Religion als eine Art „Urlaub“ des Gehirns zu erklären. Religion habe im Gehirn keinen bestimmten „Ort“, sie nutze dieselben kognitiven Systeme, die dem Bewusstsein nicht zugänglich seien, aber die auch beu kreativen Tätigkeiten genutzt werden [19]. Eine wichtige Anfrage stellen auch neuere Erkenntnisse der Hirnforschung über die Gehirnprozesse bei bewussten Entscheidungen dar. Sie zeigen auf, dass schon vor der bewussten Entscheidung eines Probanden, seine Hand zu bewegen, eine unbewusste Gehirnaktivität auftritt. Einige Forscher deuten diese Erkenntnisse so, dass der Mensch keine Willensfreiheit habe und diese nur Illusion sei. Diese Auffassung stellt freilich eine große Herausforderung für die Theologie dar, die einen zu gut und böse fähigen und für sein Tun verantwortlichen Menschen vor Gott annimmt. (→Siehe auch:Willensfreiheit#Hirnforschung). Auch Versuche der Soziologie, eminent sei hier Niklas Luhmann genannt, religiöse Phänomene als Funktionen in einer Gesellschaft zu interpretieren, stellen Anfragen an die Theologie.

Auch die Naturwissenschaft kann sich von Anfragen der Theologen und religiösen Menschen bereichern lassen. Die Überzeugung, dass der Mensch als Ganzes Gottes Schöpfung ist, kann überall dort als kritisches Korrektiv dienen, wo Menschen durch Forschung, Arbeitswelt oder Technik verzweckt werden sollen. Sehr umstrittene Beispiele wären: das Klonen von Menschen als „Ersatzteillager“ für Organe oder die umstrittene Beihilfe zur Tötung alter oder todkranker Menschen (aktive Sterbehilfe).

In vielen Fällen kann die Theologie einerseits vor einem entmenschlichenden Umgang mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis warnen und Grenzen der Machbarkeit aufzeigen. Andererseits sollte sie auch Sinnperspektiven aufzeigen und anbieten, die die christliche Hoffnung auf eine bessere Welt und auf Gerechtigkeit ausdrücken.

Einen Berührungspunkt stellt auch das anthropische Prinzip dar. Zwar ist die Annahme, der Kosmos sei auf die menschliche Erkenntnisfähigkeit hin ausgerichtet, kein Beweis, dass der Mensch im Kosmos gewollt sei [20]. Für den Glaubenden kann dies aber eine Stütze im Glauben an eine Sinnhaftigkeit des Daseins sein.

Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich, sondern […] eine von uns gestaltete Wirklichkeit. Wenn […] eingewandt wird, dass es schließlich doch eine objektive, von uns und unserem Denken völlig unabhängige Welt gebe, […] so muss diesem […] entgegengehalten werden, dass schon das Wort »es gibt« aus der menschlichen Sprache stammt und daher nicht gut etwas bedeuten kann, das gar nicht auf unser Erkenntnisvermögen bezogen wäre. Für uns gibt es eben nur die Welt, in der das Wort »es gibt« einen Sinn hat.“

W. Heisenberg: In: Physik und Philosophie. S. Hirtzel, Stuttgart 1959.

Integrationsmodelle

Evolutionstheologie (Teilhard de Chardin)

Ausführlicher siehe: Teilhard de Chardin

Der Theologe, Naturwissenschaftler und Mystiker Teilhard de Chardin (1881-1955) ging davon aus, dass der Kosmos eine zielgerichtete Entwicklung durchlaufe. Der Drang zur Vereinigung brachte die Materie dazu, sich komplexeren Formen und Molekülen (Kosmogenese) zusammenzuballen, was schließlich zur Entstehung des Lebens führte. Die Prozesse der biologischen Evolution gipfelten darin, dass sich der Mensch und das menschliche Bewusstsein entwickelte (Noogenese).

Doch der Mensch ist für Teilhard nicht die Endstufe der zielgerichteten Evolutionsbewegung. Durch soziale Evolution wird sich auch der Mensch weiterentwickeln. Ziel dieser Entwicklung werde eine vergeistigte Einheit alles Seienden sein, die er „Punkt Omega“ nennt. Die Entwicklung zum „Punkt Omega“ hin wird durch Jesus Christus bereits angezeigt und vorweggenommen (Christogenese). Triebfeder dieses gesamten evolutionären Prozesses ist das Prinzip der Liebe, das letztendlich eine Einheit von Gottes- und Weltwirklichkeit hervorbringen wird.

Prozessphilosophie (Whitehead)

Ausführlicher siehe: Whitehead, Charakterisierungen und Folgen

Alfred North Whitehead (1861-1947) erhebt mit seiner Prozessphilosophie den Anspruch, Naturwissenschaft, Theologie und Philosophie in einem Begriffssystem zu vereinen. Materie, Gedanken oder Wünsche sind nach ihm gleich wirklich. Nicht kleinste, feste Atome, sondern ständiger Wandel, der Wechsel von Ereignissen sind der Kern der Wirklichkeit. Das In-Beziehung-Stehen nennt Whitehead als unteilbare Grundeinheit aller Wirklichkeit „wirkliche Einzelwesen“. Auch Materie ist nach ihm nichts anderes als die sich wiederholende Abfolge von Ereignissen. Gott zeigt sich in Whiteheads System im „kreativen Akt“ eines wirklichen Einzelwesens. Damit transzendiert es sich selbst. Dieses Transzendieren kann nur als in Beziehung zu einem Anderen gedacht werden, da alles ja nur „Beziehung“/Ereignis ist. Dieser Gott, dieses Andere umfasst daher alle Möglichkeiten der Welt und geht über sie hinaus (Transzendenz), ermöglicht zugleich aber immanent deren „Ordnung im Werden“. Whiteheads Philosophie wurde von seinem Schüler Charles Hartshorne (1897-2000) in der Prozesstheologie theologisch weiterentwickelt.

Hauptquellen

  • J. Wenzel Vrede van Huyssteen (Hrsg.): Encyclopedia of Science and Religion. Vol. 2. Thomson Gale, 2003, ISBN 0-02-865706-3, S. 746-775.
  • Lindsay Jones (Hrsg.): Encyclopedia of Religion. Vol. 12. 2. Ausgabe. Thomson Gale, Detroit 2005, ISBN 0-02-865981-3, S. 8180-8191.
  • J. Gordon Melton, Martin Baumann: Religions of the World. Vol. 6. 2. Ausgabe. ABC-CLIO, Santa Barbara 2010, ISBN 978-1-59884-203-6, S. 2550-2557.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. J. Gordon Melton, Martin Baumann (Hrsg.): Religions of the World. V. 6, S. 2550f.
  2. Antoine Lutz u. a.: Long-term meditators self-induce high-amplitude gamma synchrony during mental practice. doi:10.1073/pnas.0407401101
  3. J. Wentzel Vrede van Huyssteen (Hrsg.): Encyclopedia of Science and Religion. Vol 2. 2003.
  4. Gopi Krishna, Carl Friedrich von Weizsäcker: Biologische Basis der Glaubenserfahrung. 1971.
  5. Nature. 146 (1940), S. 605-607.
  6. Hans Küng: Der Anfang aller Dinge. 2008, S. 57.
  7. Hans Küng: Der Anfang aller Dinge. 2008, S. 177.
  8. Charles H. Townes: Warum sind wir hier? - Wohin gehen wir?; in: Im Anfang war kein Gott; Patmos, Düsseldorf 2004. ISBN 3-491-72477-5. S. 29-44
  9. V. J. Stenger: Natural Explanation For The Anthropic Coincidences.
  10. Richard Dawkins: Die Schöpfungslüge. Ullstein 2010
  11. Patents - Is The Human Genome Patentable?, Law Library (englisch)
  12. Jetzt wird alles machbar, Der Spiegel 1997
  13. Stammzellenforschung in Deutschland. iPS-Zellen als Chance?, wissensschau.de 2010
  14. Embryonale Stammzellen. Religionen uneins über Lebensrecht des Embryos, wissensschau.de 2011
  15. Hans Küng: Der Anfang aller Dinge. 2008, S. 112f.
  16. Hans Küng: Der Anfang aller Dinge …. S. 46.
  17. Gerd Theißen: Evolution. In: Tobias Daniel Wabbel: Im Anfang war (k)ein Gott: Naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven. Patmos, 2004, ISBN 3-491-72477-5, S. 150.
  18. Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Ullstein 2008, S. 78 ff.
  19. Pascal Boyer: Und Mensch schuf Gott. 2009, S. 67.
  20. Gerd Theißen: Evolution. In: Im Anfang war (k)ein Gott …. S. 151.

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