Ken Wilber

Ken Wilber
Ken Wilber

Kenneth "Ken" Earl Wilber Jr. (* 31. Januar 1949 in Oklahoma City, Oklahoma) ist ein US-amerikanischer Autor im Bereich der Integralen Theorie, der vor allem über Psychologie, Philosophie, Mystik und Spirituelle Evolution schreibt. Im Jahr 1998 gründete er das Integrale Institut. Er lebt und arbeitet in Denver.

Inhaltsverzeichnis

Person

Ken Wilber befasst sich mit der Zusammenführung von Philosophie, Wissenschaft und Religion, den Erfahrungen der Mystiker und der Meditation mit denen der modernen Forschung. Er gilt als einer der Hauptvertreter einer so genannten „Transpersonalen Psychologie“, obwohl er sich von dieser seit längerem distanziert hat, weil Teile seiner Überlegungen nicht mehr mit dieser Richtung übereinstimmen.[1] Da er die Wichtigkeit von Spiritualität betont, wird Wilber unzutreffenderweise oft auch dem New Age zugeordnet, obwohl er der New Age-Bewegung großenteils sehr kritisch gegenübersteht.[2] Er wird als Protagonist des Integralen Denkens und als Vertreter einer post-postmodernen, postmetaphysischen und postrationalen Spiritualität des Neo-Perennialismus (in Abgrenzung zur eigentlichen Philosophia perennis) gesehen. Seine integrale Philosophie orientiert sich an fernöstlichen Weisheitstraditionen des Nicht-Dualismus und entwickelt diese weiter.

Wilbers Denken fußt auf den Ideen von Plotin, Meister Eckhart, Sri Aurobindo, des deutschen Idealismus, des Advaita Vedanta Hinduismus, des tibetischen Buddhismus, Jean Gebser, Jürgen Habermas, Jean Piaget, Lawrence Kohlberg, Arthur Koestler, Teilhard de Chardin, Alfred North Whitehead, Clare W. Graves, Rupert Sheldrake und vieler anderer. Er will die Stärken und Schwächen verschiedener weltanschaulicher und philosophischer Richtungen aufzeigen und einen theoretischen Rahmen entwickeln, in dem verschiedene Traditionen Platz haben. Deshalb trägt diese Denkrichtung die Bezeichnung Integrale Theorie.[3]

Wilbers rund 20 Bücher wurden bisher in 30 Sprachen veröffentlicht.

Werk

Als Hauptwerk Wilbers galt lange Zeit das 1995 erschienene Eros Kosmos Logos (Originaltitel: Sex, Ecology, Spirituality). Darin befasst er sich im ersten Teil mit Systemtheorien, im zweiten mit Philosophiegeschichte: Es werden Grenzen zwischen Wissenschaftszweigen überschritten, so dass teilweise auf Physik, Biologie, Soziologie oder Psychologie Bezug genommen wird. Zusätzlich fließen religiöse Gedanken und Elemente der Naturphilosophie in Wilbers Denken ein. Er bemüht sich, miteinander konkurrierende Denkschulen und Wissenschaftsdisziplinen zu versöhnen, um eine philosophische „Theorie von allem“ (Theory of Everything) zu erstellen.

In Integrale Spiritualität (2007) zeigt er die Notwendigkeit der Integration von Spiritualität in der Moderne und Postmoderne auf, zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten von in der Vormoderne fixierter Religion, die diese Integration ermöglichen könnten. Hierfür beruft er sich auf Theologen wie Hans Küng, Raimon Panikkar, John Shelby Spong, Stanley Grenz und Kevin J. Vanhoozer.

Grundbegriffe

Wilber unterscheidet und verwendet durchgängig (zitiert nach[4]) zwei scheinbar gleiche Paare von Begriffen, deren erster „umgangssprachlich“ und deren zweiter in „erweiterter Form“ verwendet wird. Die zweite Form wird (in der deutschen Übersetzung) durch eine besondere Schreibweise gekennzeichnet:

umgangssprachlich
engere Bedeutung
erweiterte Form
höhere Bedeutung
noosphärische“ Kraft Geist
der denkende Geist oder Verstand
GEIST
der transzendente Geist, die höchste Allmacht („Gott“)
„Alles“: die Gesamtheit Kosmos
das materielle Universum, der Weltraum
Kósmos
die Gesamtheit von Materie, Leben, Geist und GEIST

Die erweiterte Form enthält und umschließt den umgangssprachliche Begriff, ist also in Wilbers Terminologie auf einer höheren holarchischen Ebene angesiedelt.

Diese „doppelte“ Verwendung von Begriffen (in eingeschränkter bzw. universeller Form) findet man in vielen Philosophie-Bereichen, beispielsweise beim Begriff „Seele“. Bei „Kósmos“ soll durch den Akzent auf dem „o“ die altgriechische Bedeutung anklingen.

AQAL

AQAL (engl. all quadrants, all levels) bedeutet, dass ein integrales Modell die im Folgenden genannten Komponenten der Quadranten, Ebenen, Linien, Zustände und Typen umfassen muss.[5][6][7]

Ebenen

Eine wichtige Komponente in Wilbers Theorie sind die Bewusstseinsebenen, die er im individuellen und sozialen Bereich aufzeigt. Er weist dabei auf Parallelen verschiedener Modelle hin, die unterschiedliche Abstufungen, aber grundsätzlich eine vergleichbare Abfolge von Stufen postulieren, so die Systeme von Jean Gebser (Kultur), Don Beck/Spiral Dynamics (Werte), Abraham Maslow (Bedürfnisebenen), Jean Piaget (kognitive Entwicklung),[8] Erik H. Erikson (psychosoziale Entwicklung), Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan (moralische Entwicklung), James W. Fowler (Stufen des Glaubens), Clare W. Graves (Persönlichkeitsentwicklung) und anderen.[9]

Selbsttranszendenz Transzendent (Koralle) (Transpersonales Gemeinwohl)
Selbstverwirklichung Integral Globale Sicht (Türkis) Universelles Gemeinwohl
Flexibilität und Fluss (Gelb)
Selbstachtung Pluralistisch Menschliche Bindung (Grün) Verbunden, pluralistisch
Rational Streben und trachten (Orange) Individuell reflexiv
Konventionell
Zugehörigkeit Mythisch Macht der Wahrheit (Blau)
Mythisch-wörtlich
Sicherheit Magisch Machtgötter (Rot) Projektiv-magisch
Ahnengeister (Purpur)
Körperliche Bedürfnisse Archaisch Überlebenswille (Beige) Präverbal
Maslow
Bedürfnisse
Gebser
Weltsichten
Spiral Dynamics
Werte
Fowler
Spirituelle Intelligenz

Wilber weist dabei auf den Unterschied zwischen Wachstumshierarchien (z. B. Bedürfnispyramide von Maslow) und Herrschaftshierarchien hin: „Herrschaftshierarchien bewirken Unterdrückung, Wachstumshierarchien beenden diese.“[10]

Verschiedene Ebenen können verwechselt werden, Wilber bezeichnet dies als Prä/Post-Verwechslung oder Prä/Trans-Verwechslung.[11] Beispielsweise ähneln sich bei der moralischen Entwicklung die präkonventionelle und die postkonventionelle Ebene, weil sie beide nicht-konventionell sind.

Linien

Wilber betont die Wichtigkeit der Unterscheidung verschiedener Entwicklungslinien. Menschen können in der kognitiven, emotionalen, moralischen, zwischenmenschlichen, psycho-sexuellen und spirituellen Linie unterschiedlich weit entwickelt sein (z. B. kognitiv weit entwickelt und emotional weniger entwickelt oder umgekehrt).[12]

Linien können mit Ebenen verwechselt werden.[13] Insbesondere wird häufig die spirituelle Linie mit der mythischen Ebene der spirituellen Linie gleichgesetzt, was dazu führen kann, dass entweder wegen der Unreife der mythischen Ebene die gesamte spirituelle Linie als unreif betrachtet wird (undifferenzierte Religionskritik, die das Kind mit dem Bad ausschüttet) oder dass die mythische Ebene als einzig gültige Ausdrucksform von Religion gesehen wird (aus konservativer Sicht).

Quadranten

Ereignisse können individuell und kollektiv erlebt werden, Phänomene können innerlich (subjektiv) und äußerlich (objektiv) wahrgenommen werden.[14] Aus diesen Dimensionen definiert Wilber das Quadrantenmodell.[15]

Oben Links
innerlich-individuell
Emotionen, Absichten, meditative Zustände, Kreativität
Oben Rechts
äußerlich-individuell
biologische Zustände: Gesundheit, Krankheit, Gehirnwellen
Unten Links
innerlich-kollektiv
Werte einer Gesellschaft: vormodern – modern – postmodern
Unten Rechts
äußerlich-kollektiv
Wirtschaftsformen
Formen der Politik
Wetterzustände


Emotionale, kognitive und moralische Entwicklung findet im oberen linken Quadranten statt.

Die Entwicklung von Kulturen bezieht sich auf den unteren linken Quadranten.

Die Entwicklung von Körper und Gehirn (phylogenetisch und ontogenetisch) findet im oberen rechten Quadranten statt.

Die Entwicklung von gesellschaftlichen Organisationsformen liegt im unteren rechten Quadranten, beispielsweise von Jägern und Sammlern über Gartenbau, Ackerbau, Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft.

Eine kritische Betrachtung und Interpretation des „Vier-Quadranten-Modells“ findet sich bei Thomas J McFarlane.[16]


Zustände

Als grundlegende Bewusstseinszustände werden Wachen, Träumen und Tiefschlaf unterschieden, darüber hinaus meditative Zustände (ausgelöst z. B. durch Yoga, kontemplatives Gebet oder Meditation), veränderte Zustände (z. B. durch Drogen) und Gipfelerfahrungen (z. B. im Liebesspiel, in der Natur oder durch Musik).

All diese Zustände können auf jeder Bewusstseinsebene auftreten und werden gemäß der jeweiligen Ebene interpretiert und umgesetzt.[17] Deshalb können Menschen, die sich moralisch auf einer ethnozentrischen Entwicklungsstufe[18] befinden, tiefe mystische Erfahrungen haben und dabei nationalistische Ideen vertreten.[19] Aus diesem Grund legt Wilber großen Wert auf die Förderung der Bewusstseinsentwicklung im Sinne von Stufen und nicht nur von Zuständen.

Typen

Jede der genannten Komponenten kann sich in verschiedenen Typen äußern. Beispiele für Typen sind männlich und weiblich[20] oder die Typenlehre nach Myers-Briggs.

Holons

Die Ontologie stellt einen zentralen Bereich in Wilbers Denken dar. Die Frage, aus welchen Entitäten die Welt aufgebaut sei, ist seit der Antike ein philosophisches und naturwissenschaftliches Problem: Thales von Milet sah im Wasser den Urstoff. Demokrit führte mit der Lehre von den Atomen einen nicht sichtbaren Urstoff ein. In der Neuzeit befasste sich unter anderem Leibniz mit diesem Thema, für den die Welt aus Monaden aufgebaut war. Wilber setzt an den Anfang seiner Theorie das Holon (nach Arthur Koestler). Er nimmt an, dass sich die gesamte Realität aus Holons zusammensetzt, egal ob es sich dabei um Materie, Energie, Ideen oder Prozesse handelt.[21] Wilber vertritt somit eine panpsychistische Weltanschauung.

Im Atomismus ist die Welt aus winzigen Ganzen aufgebaut, die irgendwann nicht mehr weiter teilbar seien (z. B. Atome, Strings). Die dazu gegensätzliche Denkrichtung, der Holismus, sieht die Dinge nur als Teile eines größeren Ganzen an, welches in seiner Gesamtheit die Realität darstelle. Wilber versucht daraus eine Synthese herzustellen, indem er Holons als Ganze/Teile definiert: Jedes Holon ist zwar ein Ganzes, aber gleichzeitig Teil eines weiteren Ganzen.

Beispiel: Das Holon „Deutschland“ (politisch) besteht aus den Subholons seiner Bundesländer und bildet gemeinsam mit anderen Staaten das Supraholon „EU“. Das Holon „Nervenzelle“ besteht aus den Subholons „Moleküle“ und deren Subholons „Atome“ und kann gemeinsam mit anderen Zellen das Supraholon „Gehirn“ bilden.

Wilber weist jedem Holon vier Grundvermögen zu, deren erste beiden als „horizontale Kräfte“ bezeichnet werden. Damit ist die Interaktion mit Holons der gleichen Ebene gemeint. Erstes Grundvermögen ist die Agenz (Autonomie, Selbsterhaltung), also diejenige Eigenschaft, welche dem Holon seinen Status als Ganzes verleiht. Zweites Grundvermögen ist die Kommunion (Akkommodation, Selbstanpassung), welche sich auf die Korrespondenz mit gleichen Holons bezieht.

Beispiel: Ein Staat ist um die Wahrung seiner Existenzrechte bemüht, welche in seiner Verfassung festgeschrieben sind (Agenz), doch wird er nicht umhin kommen, in Interaktion mit seiner Umwelt, also anderen Staaten, zu treten (Kommunion).

Gibt es in einem System zu viel Agenz oder zu viel Kommunion, treten Pathologien auf. Dies wiederum hat die beiden anderen Grundvermögen eines Holons zur Folge, welche als „vertikale Kräfte“ bezeichnet werden. Drittes Grundvermögen ist die Selbsttranszendenz, also der Zusammenschluss mit anderen Holons der gleichen Ebene zu einem neuen, komplexeren Supraholon. Viertes Grundvermögen ist parallel dazu die Selbstauflösung, die den Zerfall eines Holons in seine Subholons zur Folge hat.

Beispiel: Mehrere autonome Stadtstaaten werden von einem starken äußeren Reich bedroht. Die Städte sind bereit, bis zu einem gewissen Grad miteinander zu kooperieren (Kommunion), wollen aber ihre Selbständigkeit beibehalten (Agenz). Übertreiben es die Städte mit der Agenz und schicken ihren Verbündeten nicht genügend Krieger, werden sie nacheinander in das fremde Reich eingereiht. Umgekehrt könnte übermäßige Kommunion ebenso zum Verlust der Autonomie führen, wenn die Städte ihrem mächtigsten Vertreter zu viel Macht übertragen würden. In beiden Fällen würde die pathologische Agenz bzw. Kommunion zur Auflösung der Stadtstaaten als politische Einheit führen. Die Städte hätten allerdings auch die Option, sich zu einem interurbanen Bund zusammenzuschließen. In diesem Fall würden sie zwar einen Teil ihrer Befugnisse an eine höhere Ebene abgeben, aber dennoch autonom bleiben. Dies würde Transzendenz darstellen.

Holarchien

Die Holons bilden Systeme. Moleküle sind komplexer als Atome, sie haben im Wilberschen Sprachgebrauch damit eine größere Höhe. Dafür gibt es aber im Universum sehr viel mehr Atome als Moleküle, was er als größere Spanne bezeichnet. Je komplexer Holons durch Evolution werden (Atomen-, Moleküle-, Zellen-Organismen usw.), desto seltener können diese auftreten.

Höhere Ebenen müssen immer ihre unteren Ebenen umfangen. Wenn sich die Atome eines Moleküls auflösen, kann auch dieses nicht mehr existieren. Wird hingegen ein Wasser-Molekül aufgespalten, bleiben immer noch die Wasserstoff- und Sauerstoffatome bestehen. Die Holons der höheren Ebenen mögen also bedeutender sein, die der niedrigen sind dafür grundlegender.

Wilber versucht möglichst grundlegende Ebenen voneinander zu unterscheiden. Dazu wird die Welt in Physiosphäre (Materie), Biosphäre (Leben) und Noosphäre (Geistiges) unterteilt. Theoretisch könnte es darüber noch weitere Ebenen geben, die stellvertretend als Theosphäre bezeichnet werden. Dieses wäre aber nur das gröbste denkbare Schema, da sich zum Beispiel die Physiosphäre unter anderem in Atome, Elemente und Moleküle untergliedern ließe.

Nun wird mit der Unterscheidung zwischen Individuum und seiner Umwelt, also dem Kollektiv, eine quantitative Größe eingefügt. Zum Beispiel wären in dem kollektiven Holon „Staat“ die einzelnen Menschen das individuelle Holon „Bürger“. Zwischen beiden Größen besteht immer eine Abhängigkeit: Soll das kollektive Holon eine Evolution durchlaufen, muss dies auch für sein individuelles Pendant gelten (Koevolution).

Der Austausch zwischen Individuum und Kollektiv muss auf allen holarchischen Ebenen erfolgen. Man nehme das Holon „Mensch“: In der Physiosphäre besteht dieser aus Materie, die sich in unserem Planeten auf kollektiver Ebene wiederfindet. In der Biosphäre basiert sein Körper auf Zellen, die einem Metabolismus unterworfen sind. Pendant wäre hierbei das biologische Umfeld, also die Familie und der Stamm einerseits und das restliche Ökosystem andererseits. In der Noosphäre hat er mittels Symbolen und Begriffen die Fähigkeit zu denken. Durch die kollektive Entsprechung, also die Gesellschaft, kann dieses auch nach seinem biologischen Tod durch Schrift und Edukation reproduziert werden.

Kleine individuelle Holons wie Atome kommen häufig im Universum vor, sie besitzen also eine große Spanne. Dafür besitzen sie nur eine geringe Höhe, da sie nicht sonderlich komplex aufgebaut sind. Ihr kollektives Pendant wäre die Galaxie, bei der dieses ebenso der Fall ist: Die Gesamtmasse aller Galaxien ist natürlich größer als die der Planeten, da letztere Teil von ersteren sind. Galaxien haben also ebenso eine große Spanne bei geringerer Komplexität und befinden sich somit auf einer niedrigen Ebene. Wird nur die bloße Anzahl der kollektiven Holons verglichen, verhält sich diese genau umgekehrt proportional zu den individuellen Pendants. Es stehen viele Atome wenigen Molekülen gegenüber, aber wenige Galaxien vielen Planeten.

Quadranten

Schließlich billigt Wilber den Holons auch die Eigenschaften der Quadranten zu: Sie verfügen über ein Inneres und ein Äußeres. Dieses Denken berührt zum Beispiel Kants „Ding an sich“, welches der Realität zu Grunde liege.

Das innere Holon „Moral“ ist zum Beispiel nicht direkt für unser Bewusstsein erfassbar. Wir können aber durch das äußere Holon ‚Rechtssystem’ sehr wohl eine materielle Entsprechung davon erstellen. Diese mag nicht immer mit seinem Pendant übereinstimmen, kann sich aber diesem annähern. Empirische Wissenschaften wie die Physik, die Biologie oder die Soziologie untersuchen die äußerlich messbaren Holons, während das hermeneutische Denken (zum Beispiel Moral- oder Geschichtsphilosophie) sich durch Überlegung den inneren Holons zuwendet.

Der Dualismus Innen/Außen lässt sich nun mit dem bereits angesprochenen Begriffspaar Individuell/Kollektiv verknüpfen. Dadurch erhält man das Modell der vier Quadranten. Wiederum stehen die Holons der gleichen Ebene miteinander in Verbindung.

Beispiel: Der Mensch der Frühgeschichte hatte irgendwann die Sprache erlernt. Dazu war allerdings das innerlich-individuelle Holon ‚Begriff’ nötig. Damit dieses überhaupt gedacht werden konnte, musste er bereits ein entsprechendes Gehirn entwickelt haben. Auf dem äußerlich-individuellen Sektor befindet sich deshalb das Holon ‚komplexer Neokortex’. Damit die Sprache weitergegeben werden konnte, musste der Mensch in einer sesshaften Gemeinschaft leben, welche durch das äußerlich-kollektive Holon ‚Stammesdorf’ repräsentiert wird. Dazu musste es aber kulturelle Faktoren geben, welche dieses zusammenhielten. Die Schamanen benutzten deshalb bestimmte Rituale, welche den Menschen versicherten, die Welt bis zu einem gewissen Grad kontrollieren zu können. Diesen Entwicklungszustand kann man nach Piaget als ‚magisch’ bezeichnen, was das entsprechende innerlich-kollektive Holon wäre.

Alle vier Quadranten bedingen sich gegenseitig, so dass sich die Frage nach dem ursprünglichsten Sektor erübrigt. Damit wird auch der Streit zwischen Idealismus und Materialismus umgangen.

Analogien zu „Holon“ / „Holarchie“

Zu Holon bzw. Holarchie verwandte oder analoge Konzepte finden sich in vielen Bereichen, beispielsweise in der Systemtheorie, beim Begriff der Entität in der Informationstheorie, beim Begriff der Klasse, beispielsweise in der Biologie (in der der biologischen Systematik).

Rezeption

Auf das Werk von Ken Wilber beruft sich u.a. Bill Clinton.[22] In Deutschland beruft sich u.a. der Psychologe Wulf Mirko Weinreich auf Wilbers Ansatz bei seiner "Integralen Psychotherapie". [23]

Siehe auch

Bibliografie

  • The Spectrum of Consciousness, 1977 (dt. Das Spektrum des Bewusstseins, ISBN 3-499-18593-8)
  • No Boundary: Eastern and Western Approaches to Personal Growth, 1979 (dt. Wege zum Selbst, ISBN 3-442-21844-6)
  • The Atman Project: A Transpersonal View of Human Development, 1980 (dt. Das Atman Projekt, ISBN 3-873-87016-9)
  • Up From Eden: A Transpersonal View of Human Evolution, 1981, (dt. Halbzeit der Evolution, ISBN 3-596-13210-X)
  • A Sociable God: A Brief Introduction to a Transcendental Sociology, 1983 (dt. Der glaubende Mensch, ISBN 3-44214-042-0)
  • Eye to Eye: The Quest for the New Paradigm, 1983 (dt. Die drei Augen der Erkenntnis, ISBN 3-46634-195-7)
  • Grace and Grit: Spirituality and Healing in the Life and Death of Treya Killam Wilber, 1992 (dt. Mut und Gnade, ISBN 3-442-42740-1)
  • Sex, Ecology, Spirituality: The Spirit of Evolution, 1995 (dt. Eros, Kosmos, Logos, ISBN 3-596-14974-6)
  • A Brief History of Everything, 1996 (dt. Eine kurze Geschichte des Kosmos, ISBN 3-596-13397-1)
  • The Eye of Spirit. An Integral Vision for a World Gone Slightly Mad, 1997 (dt. Das Wahre, Schöne, Gute, ISBN 3-596-15217-8)
  • The Marriage of Sense and Soul: Integrating Science and Religion, 1998 (dt. Naturwissenschaft und Religion, ISBN 3-8105-2334-8)
  • One Taste: Daily Reflections on Integral Spirituality, 1999 (dt. Einfach "Das", ISBN 3-596-15072-8 )
  • A Theory of Everything. An Integral Vision for Business, Politics, Science and Spirituality, 2000 (dt. Ganzheitlich handeln, ISBN 3-924195-79-X)
  • Integral Psychology: Consciousness, Spirit, Psychology, Therapy, 2000 (dt. Integrale Psychologie ISBN 3-924195-69-2)
  • Boomeritis: A Novel That Will Set You Free!, 2002 (dt. Boomeritis, ISBN 3-933321-69-7)
  • Integral Spirituality: A Startling New Role for Religion in the Modern and Postmodern World, 2006 (dt. Integrale Spiritualität, ISBN 3-466-34509-X)
  • The Integral Vision: A Very Short Introduction to the Revolutionary Integral Approach to Life, God, the Universe, and Everything, 2007 (dt. Integrale Vision, ISBN 978-3-466-34508-3)
  • Integral Life Practice: A 21st-Century Blueprint for Physical Health, Emotional Balance, Mental Clarity, and Spiritual Awakening, 2008 (dt. Integrale Lebenspraxis, ISBN 978-3-466-34545-8)

Literatur

  • Frank Visser: Ken Wilber. Denker aus Passion. 2002, ISBN 3-936486-00-X.
  • Wulf Mirko Weinreich: Integrale Psychotherapie. Ein umfassendes Therapiemodell auf der Grundlage der Integralen Philosophie nach Ken Wilber. 2005, ISBN 3-936149-53-4
  • Michael Habecker: Ken Wilber – die integrale (R)Evolution. Einführung in Theorie und Praxis eines neuen spirituellen Ansatzes. 2007, ISBN 978-3-924391-35-5
  • Margit Geilenbrügge: Atelier für mehr Lebendigkeit und Durchblick - Ein integrales Konzept persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklung nach Ken Wilber. 2009, Verlag Andreas Mascha, München, ISBN 978-3-924404-84-0, Website zum Buch

Weblinks

Fußnoten

  1. Siehe The Demise of Transpersonal Psychology
  2. In Boomeritis lässt er Margaret Carlton sagen, dass „New Age an sich eine Mischung aus guter Kognitionspsychologie, emotionalem Narzissmus, prä-rationaler Magie und vollkommen missverstandenen mystischen Traditionen ist.“ In: Ken Wilber: Boomeritis – Ein Roman, der dich befreit. Phänomen Verlag 2008, S. 375, ISBN 3-933321-69-7. Siehe auch Halbzeit der Evolution, S. 370 ff.
  3. Mark D. Forman, A guide to integral psychotherapy: complexity, integration, and spirituality in practice, SUNY Press 2010, S. 9. ISBN 978-1-438-43023-2
  4. Naturwissenschaft und Religion, ISBN 3-8105-2334-8 S. 9 und 13
  5. "Integral Psychology." In: Weiner, Irving B. & Craighead, W. Edward (Hrsg.), The Corsini encyclopedia of psychology, Vol. 2, 4. ed., Wiley 2010, S. 830 ff. ISBN 978-0-470-17026-7
  6. Fiandt, K., Forman, J., Erickson Megel, M., et al. (2003). Integral nursing: an emerging framework for engaging the evolution of the profession. Nursing Outlook, 51(3), 130-137.
  7. Wilber, Ken (2006). "Introduction to Integral Theory and Practice." Journal of Integral Theory and Practice, 1(1), 1-40
  8. Marian de Souza (Hrsg.), International Handbook of Education for Spirituality, Care and Wellbeing, Springer 2009, S. 427. ISBN 978-1-4020-9017-2
  9. Nebeneinanderstellungen in Integrale Vision, S. 112 f, ausführlich in Integrale Psychologie, S. 221 ff
  10. Integrale Vision, S. 116
  11. Integrale Vision, S. 123 ff., Integrale Spiritualität, S. 81 ff.
  12. Integrale Vision, S. 37 ff.
  13. Integrale Spiritualität, S. 252 ff.
  14. Wilber's Integral Philosophy: A Summary and Critique. Journal of Humanistic Psychology, Juli 2008, 48(3), 364-388, doi:10.1177/0022167807309748
  15. Integrale Vision S. 70 ff, Integral Life Practice S. 99 ff
  16. integralworld.net Thomas J McFarlane: Ein kritischer Blick auf Ken Wilbers Vier-Quadranten-Modell.
  17. Integrale Spiritualität S. 15, 107 ff.
  18. Siehe auch Exzerpt aus Integrale Spiritualität
  19. Integrale Spiritualität S. 397
  20. Carol Gilligan: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. München 1982
  21. Eros, Kosmos, Logos S. 36 ff
  22. Planetary Problem Solver. Newsweek, 21. Dezember 2009
  23. aufdemhoevel.de Interview mit Wulf Mirko Weinreich.
 Commons: Ken Wilber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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